Morgenstunde (238. Blog-Notat)

Nebel im Tag

Das überbordende öffentliche Gedöns der letzten Tage schlich sich heute Nacht in meine Träume und weckte mich. Ich fand in darin wirklich keine Stimme, die richtig zu mir passte, was mir bestätigte – ich bin und bleibe eine Einzelgängerin. Selbst in der Zeit, die uns kollektiv erzog. Trotzdem oder gerade, weil.  Und selbst wenn ich für staatsnahe schrieb Zeitungen (es gab nicht wirklich andere), gehörte ich nie ganz hinzu. „Die entpolitisiert Texte“ hieß es vom Herausgeber. Doch ich bemühte mich einfach, wenig Stereotypen und entmenschlichte Sprache zu benutzen. Das echte Leben wollte ich, ihm stimmige Worte geben. Irgendwer hielt seine Hand über mich, gab sich aber nie zu erkennen. Das ist Geschichte. Aber dieses einzelne, ganz andere Empfinden – woher das nur rührte? Die Nischengesellschaft hatte viele Fassetten und seltsame Wechselspiele. Ich weiß noch, dass ich in den späten 70ern mit einem Kumpel in eine nächtliche Fete geriet, um ein Rockkonzert im Westfernsehen zu sehen. 4 Uhr morgens irgendwo zwischen Plänterwald und Treptower Park. Ein buntes, junges Völkchen war da versammelt und plötzlich kamen zwei Grenzsoldaten hinzu – mit Waffe. Wegen Ruhestörung rief jemand im Haus die Polizei und wir dachten alle – wegen der Soldaten aus dem Sperrgebiet – jetzt packen sie uns alle ein. Die Grenzer verdrückten sich panisch auf den dunklen Balkon und legten sich flach auf den Boden. Wir hielten alle die Luft an, aber die zwei Polizisten ermahnten uns nur streng und warfen keinen allzu genauen Blick in die Räume. Einfach Glück und man sah sich nie wieder. Berührung anderer Leben, wie ein Tanz, mehr nicht. Mit der Mauer kam nicht nur die Freiheit in die Welt zu gehen und die Welt zu schauen – was ja ganz wunderbar ist, dass ist in all meinem Bedenken jener Zeit nicht die Frage.

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Morgenstunde (237. Blog-Notat)

Ich bin beim Postmachen. Der verbummelte Termin spukt mir immer noch im Kopf herum, kanns nicht einfach loslassen. Da hab ich heute jenem Ortsvorsteher als Trostpflaster mein Weihnachtsbuch eingepackt, vielleicht liest ja jemand daraus etwas ersatzweise. Mehr will mir gerade nicht einfallen. Es ist halt eine Geste.
Neben mir wächst diese Woche das kleinteilige Goldrauschen auf der Arbeitsplatte. Die Kraniche rechts sind älter und die Minileinwand links oben ist noch nicht fertig. Die Goldenen Zwanziger werfen leuchtende Schatten voraus, wohin werden uns die aus diesem Jahrhundert hinführen. Die Parallelen sind überdeutlich. Heut ist der 9. November, was für ein beladenes Datum, meine Emotionen schwanken. Irgendjemand der Bürgerrechtler sagte in jenen Tagen nach dem Mauerfall sinngemäß: Jetzt kannste dir nur noch einen großen Konjak einschenken und die Idee vom reformierten Land damit hinunterspülen. Das war so, der Traum war ausgeträumt und die Hatz im Überlebenskampf der 90er Jahre machte ihn schnell vergessen. Und vielleicht hätte man uns alle gut mitnehmen können in die vereinte Zeit, wenn diese Demütigungen da nicht gewesen wären. Sie waren noch vielzähliger als die derzeitige Rechenstunde über die Treuhandaktivitäten hergibt. Denn, was sich nicht im Rechen-Kalkül befand: Verkäufe der Treuhand wurden generell als Erfolg gewertet, wie viele dieser Deals im Nachtrag Insolvenz anmeldeten oder einfach die Wertgegenstände aus dem Ost-Standort in die Altländer verbrachten – berechnete keiner.

P.E. im Herbst 1989

Unser Verlag schuf bis 1992 die sogenannte Bell Etage mit vier marktfähigen Magazinen. Wir arbeiteten mit modernsten Macintosh-Layout-Computern. Zwei Wochen nach dem Treuhandverkauf der Bell Etage, der zweijährige Arbeitsverträge für uns enthielt, wurden die Computer gezählt, verladen und wir wurden entlassen. Aus die Maus. Ja, wir haben geklagt, einzeln für ein bisschen Geld, aber die Jobs waren auf und davon und die neuen Konzepte auch. Ich hänge dem schon lange nicht mehr nach, aber…

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Morgenstunde (236. Blog-Notat)

Ach, wie peinlich. Ich habe einen Termin doppelt besetzt. Daran merkt frau ganz deutlich, wie verhuscht und zerfasert ich letzten Winter war. Beim Kalenderübertrag von 2018 zu 2019 einfach den falschen Monat erwischt und schwuppdiwupp wars geschehen. Ist echt ärgerlich, auch wenn der Mann am Telefon meine absagende Erklärung ruhig und gefasst angenommen hat. Asche auf mein Haupt … das soll möglichst ein Einzelfall bleiben. So fängt der Tag heute ruckelig an, da wird es besser sein, keine Präzisionsarbeit zu beginnen. Die kleine Auftragsarbeit in Schwarz-Weiß ist gestern noch vor dem Terminschock fertig geworden und hat via Mail Freude ausgelöst – Gott sei Dank. Es ist immer so eine Sache, ob das Bestellte zu guter Letzt auch gefällt. Diesmal ist es so, fein. Zeigen will ich die Arbeit hier nicht, denn es wird ein privates Geschenk sein und wer weiß schon, wer hier so alles mitliest 😊. Ich versuch‘ dann mal, etwas mit dem lädierten Tag anzufangen.

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Morgenstunde (235. Blog-Notat)

Vom Tage ein „Kleines Goldrauchen (2)“ auf Leinwand (20 x 20).

Dunkelzeit, da bin ich wieder etwas dem Goldrauschen verfallen, ein kleines Bisschen zusätzliches Licht eben. Obgleich ich eigentlich in Schwarz-Weiß zu arbeiten hätte, doch es fehlt mir momentan der Antrieb.  So gebe ich dem Rufen des Gartens nach: Wein runterschneiden, neue Lichterkette einhängen war gestern bei strömenden Regen. Heute wieder Blätterfegen … und täglich grüßt das Murmeltier. Die Buntblattweide im Vorgarten muss noch ausgelichtet werden und auch sie bekommt danach eine Glühwürmchenkette für ein leises Leuchten im Advent. Nachbars Kater schleicht um das katzengesicherte Vogelhaus und krallt sich dann doch eine Meise aus dem Hortensienstrauch. Dass sind Momente, die ich wirklich hasse, ich weiß, ist Natur, aber kann er nicht woanders jagen… Gestern habe ich Pakete zur Post gebracht, und dachte, mich laust der Affe, als der Postmann für ein Kalenderpaket (500g, Wert 18 Euro) doch wirklich 29 Euro und ein paar Cents aufrief. Was macht frau da – zahlen, denn der Kalender war als Trostfunken versprochen. Aber man glaubt es kaum, was denken sich die Schweizer solche Portopreise aufzurufen? Mein Onkel fuhr mit seiner Weihnachtspost für den deutschen Anhang immer von Will nach Konstanz, aber das ist nun wirklich für mich zu weit…

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Morgenstunde (234. Blog-Notat)

Schwestern

In alten Kamellen gekramt, die ganze Nacht. Die Schweizer Tante bat mich zu suchen, nach alten Urkunden und altem Wissen. Wann ist der Opa Arthur gestorben? Wie war das mit der Flucht? Und die Jugendjahre vom Onkel? Ich war damals noch nicht einmal das Funkeln in den Augen meines Vaters. Und als der Vater ging, blieben die Dokumente bei seiner zweiten Frau. Ich habe die Verbindung zu ihr vor 20 Jahren abgebrochen, muss ich jetzt, wegen dieser Urkunden Kontakt aufnehmen? Und, hat sie das Zeug überhaupt noch? Ich konnte nicht schlafen. Am Abend fand ich beim Kramen mein altes „Unser-Kind-Album“ mit Taufzeitung und Impfnachweisen. Vom Großvater nix. Aber diese Texte meiner Mutter, wie sie über unsere Kinderheimzeiten schrieb. Nichts weshalb, nur das. In dieser Nacht fragte ich mich, weshalb ich mich an meine Lebenszeit zwischen zwei und sechs Jahren nicht entsinne? Nichts, außer ein paar Blitzlichter an Weihnachten. Meine vier Jahre ältere Schwester und ich waren vom dritten Lebensjahr gemeinsam in einem Wochenkinderheim in Eichwalde untergebracht. Zuletzt bewohnten wir sogar ein gemeinsames Zimmer. Erst als sie mit der dritten Klasse auf eine Schule mit erweitertem Russischunterricht kam, verließen wir diesen Ort. Ich kam im letzten Jahr vor Schulbeginn nach Zeuthen in einen Tageskindergarten und hier beginnen meine Wahrnehmungen, die Jahre zuvor stecken in einer Nebelwolke. Was ich allerdings früher zu diesem Thema nie bedacht hatte: Mein Vater war kriegsversehrt und wirklich jedes seiner Lebensjahre wochenlang in Kliniken und Krankenhäusern. Damals gab es nicht ewiglich Krankengeld, die Mutter musste also für uns alle zusammen das Geld ranschaffen. Vollbeschäftigt in einer 6-Tage-Arbeitswoche mit 45 Stunden zzgl. Pausen und einem Arbeitsweg (hin und zurück von zweieinhalb Stunden)… Diese Erkenntnis stimmt mich endlich milde – sie war keine Rabenmutter.
Heute fand ich beim Weitersuchen einen elektronischen Ordner mit „Alten Dokumenten“ – schnauf, darin war vieles, was ich brauchte. Vor der Hochzeit mit meinem Liebsten hatte ich mir wohl vom Vater das alte Familienstammheft geben lassen und vorsorglich kopiert, was ich für wichtig hielt. Das war mir nun wirklich nur entfallen…Der Opa Arthur ist also mit 49 Jahren am 1. Mai 1949 in Oberreichenbach Nr. 23 verstorben. Er lebte nach seiner Rückkehr aus dem Krieg im Siechenhaus am Dorfrand, wo er wegen schwerer Tuberkulose mit einigen anderen Männern unter Quarantäne stand. Meine Lieblingsoma Selma erzählte es mir auf einem langen Sommerspaziergang, als wir an dem verlassenen Katen vorbeikamen. Aber die Flucht bleibt unbesprochen. Nach all den Stunden in der Vergangenheit, musste ich einfach den Kopf abschalten und habe weiter kleine Bücher gebaut. Stoisch. Die Kollektion ist jetzt für den Advent bereit.

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Morgenstunde (233. Blog-Notat)

Frost im Hof

Eine kalte Dürre liegt dort draußen vor der Tür. Das Weinlaub kräuselt sich knisternd, der nächste Windhauch wird es fallen lassen. In den stillen Reformationstag gestern klingelte abends das Telefon und meine Schweizer Tante erklärte mir: Dein Onkel ist nach seinem Mittagsschlaf nicht mehr aufgewacht. Er stand in der direkten Familienlinie als Letzter vor mir. Onkel Manfred war mal ein profiboxendes Federgewicht, aber er trug immer schwer an der Last des Schweigens. Die Flucht aus Schlesien – allein mit der Mutter als Achtjähriger unterwegs. Nie hat jemals jemand in meiner Familie darüber gesprochen. Da war nur sein tränenschwerer Blick, der verriet, es muss ungeheuerlich gewesen sein für die Zwei. Mein Vater, damals 17 Jahre, lag verwundet im Lazarett, hart gezeichnet vom Krieg. Ob die Brüder untereinander sprachen, ich weiß es nicht. Der Eiserne Vorhang kühlte die Familienbande ab, denn der Jüngere hatte 1953 auf den Älteren gewartet, in Westberlin, aber der kam nicht. Auch das erfuhr ich erst nach der Wende und nach Vaterns Tod. Was alles ins ewige Schweigen fällt – viel, wie gleich die Weinlaubblätter im Hof.

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Morgenstunde (232. Blog-Notat)

Nachproduktion in der Weihnachtswerkstatt…

Meine Weihnachtswerkstatt ist wiedereröffnet. So 30 Tage vor dem 1. Advent und frostigen Außentemperaturen ist das an der Zeit. Zunächst galt es die „Kurtschlager Edition“ aufzufüllen, damit wieder alle Titel der sechs Künstlerhefte vorrätig sind. Im Herbst hatten die Minis guten Zuspruch erfahren und die Kiste war fast leer, also Bücher bauen, Bücher bauen…, den ganzen Tag. Danach hat es mir doch gestern Abend echt in den Fingern gejuckt, einen siebenten Titel zu layouten. Wie immer unter totalem Stress, denn man muss die Zeilen genau auszählen, aber irgendwie, nach der zweiten Weinschorle, hab ich an einer Stelle statt 15 Zeilen 16 Zeilen in den Flyersatz eingefügt und alles war zu guter Letzt am Ar…

Also heute Morgen tapfer von vorne und nun ist er da, der 7. handgefertigte Titel namens „Meander Memolos Zeitloch“. Mit diesem Text erging es mir wie mit „Ottilies Nachtwanderung“, leider vergriffen und seit 13 Jahren von der Kleinverlegerin im Schwarzwald nicht nachaufgelegt. Was einfach schade um die illustrierte Geschichte ist. Sie erzählt von einem höchst schussligen Uni-Faktotum, dem das Zeitgefühl abhandengekommen ist. Auf der Suche nach ihm gerät er erst in ein schwarzes, dann in ein weißes Loch und wie es ihm dabei ergeht, erzählt diese Eulen-Fiktion für Erwachsene. Für 7 Euro ist sie bei mir im Atelier zu haben…

Meander Memolos Zeitloch – mein 7. handgefertigte Titel in der “Kurtschlager Edition”.

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Morgenstunde (231. Blog-Notat)

Kurz vor Angermünde verschwand der Geisternebel und ein glasklarer Tag berührte die Uckermark. Klare Luft soweit das Auge schaut. Die Lesung in der Schwedter Grundschule am Waldrand war eine schön-anstrengende Stunde. Die Kleinsten unter den Zuhörern hatten Mühe, die Stille zu wahren, aber eben diese Kinder waren es, die sich zu guter Letzt das Buch „Der Schatz der Baumriesen“ sogar kauften.  Ich hab‘ mir beim Lesen die Seele aus dem Leib gespielt – das kann ich inzwischen: mit vielen Stimmen sprechen.
Aber eine Stunde lang nur dieser Vorleserin zu folgen, ist für Viertklässler halt doch schwer. Bei der vorausgegangenen Lesung las ich kurze Stücke, die jeweils nur fünf, sechs Minuten lang waren, dass machte Interaktion möglich, was bei so einer durchgehenden Geschichte nicht möglich ist. Aber gut, wir haben einander herausgefordert und warum nicht.

Fotos: Lutz Reinhardt

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Morgenstunde (230. Blog-Notat)

Das dösig-schlappe Grauwetter passt zur nächtlichen Zeitumstellung. Wir haben nach der Sommerzeit bis in die Puppen geschlafen, aber nach Winterzeit geht’s gerade noch… Trotzdem, ich hätte die Sommerzeit lieber auf IMMER behalten, zur Normalzeit erhoben, gleich und nicht erst, wenn die Parlamente von 27/28 EU-Staaten darüber letztlich befunden haben. Die meisten Menschen wollen es, warum muss Demokratie immer so zögerlich daherkommen? 84 Prozent einer EU-weiten Onlineumfrage hatte sich für eine Abschaffung ausgesprochen. Ich auch und nun? Frühestens 2021 wird uns geweissagt, kommt die (oder eine) Umstellung oder auch keine. Eigentlich sollte das nach Junker schon nächstes Frühjahr sein. Wer drehte da schon wieder an der Uhr? Es mangelt an einer ernsthaften Mehrheitsfindung der Mitgliedsstaaten. Was kümmert schon die Meinung der Bürger. Wann endlich kommt eine Zeit, in der es wirklich um Zukunftsgestaltung und nicht um nörglerisches Verharren geht? Die Abschaffung der Zeitumstellung ist ja nur eine Endlosbaustelle in Europa. Willkommen in der Dunkelzeit.

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Morgenstunde (229. Blog-Notat)

Die letzten Lindenblätter
Diese Rosen hat im Hochsommer den Geist aufgegeben, jetzt schaut etwas anderes aus dem Geäst.

Mildes Herbstwetter – ich liebe es, wenn da die Blätterberge nicht wären. Jedes Jahr der gleiche Kampfsport, aus dem sich der Imkergatte tunlichst raushält. Er sinnt den Bienenträumen nach und hofft in sich gekehrt auf ein Gartenwunder. Ich kann mich noch erinnern, als ich im ersten Dorfsommer, die Vorderfront des Häuschens weißstrich. Der Liebste war in Rehfelde in Märkisch Oderland (wo wir einst ein Waldgrundstück gepachtet hatten) zu einer Imkerversammlung. Als er abends heimkehrte, fragte ich beiläufig, ob ihm beim Ankommen etwas aufgefallen wäre. „Nö, was denn?“ Ich bat ihn vor das Haus – und? Er sah nichts. Nach gefühlten fünf Minuten, fragte ich, ob ihm nicht aufgefallen wäre, dass das graue Häuschen plötzlich weiß wäre. Da meinte er doch: „Ach, ja, in meiner Vorstellung sah es schon immer so aus…“ Ups, so schauen Männer, sie sehen die Dinge gewissermaßen fein-fertig. Wie von Zauberhand.  Nun denn. Ich muss mal eben vom Blätterfegen verschnaufen und checke Post. Es gibt die ersten Zusagen zu meiner 1. Adventsaktion (von 14 bis 16 Uhr) im Atelier, was mich echt freut, vielleicht entsteht hier eine neue Tradition. Derweil gestalte ich schon mal wetterfeste Geschichtenblätter für einen Lesebaum im Hof beim Feuer. Dort werde ich zu jeder vollen Stunde eine Geschichte vorlesen. Zwischendurch kann man/frau auch selbst in weihnachtlichen Geschichten schmökern, in fünf Wochen ist es soweit …

PS am Nachmittag: Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Der Liebste hat mich lautlos Klagen gesehen, beim Schuften und ist mir doch wirklich beigesprungen… 🙂

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