Morgenstunde (810. Blog-Notat)

Stimmungen (3)

…Das Leben ist unübersichtlich geworden und die Zerwürfnisse wachsen mit jeder Krise. Wenn aber die Krisen das Leben würgen, wird es eng. Damals, nach der Wende, wollte ich unbedingt niederschreiben, was geschieht. Diese Texte waren Merkzeichen wie dieser kleine Splitter: ‚Stell‘ Dir vor, es hat dich aus deinem Land getrieben, so wie Tausende auf dem Balkan, im Nahen Osten oder sonst wo in dieser wirren Welt. Du gehst aus irgend gearteten Zwängen ohne Wiederkehr. Dort, wo Du hingerätst, musst Du Dich zurechtfinden lernen, Sprache und Umgang, Gesetze und Gepflogenheiten, jeden Tag ein bisschen mehr. Und es gibt Niederlagen, weil man so rasant nicht alles zugleich in sich aufnehmen kann. Aber es wird. Ja, ich weiß, du hast deine Koffer nicht gepackt, bist hiergeblieben und doch in ein anderes, unbekanntes Land gezogen, fremd geworden auf vertrautem Terrain. Kaum ein Tag, der dich nicht verletzt, denn plötzlich bist du zugehörig einer Minderheit, mit der man umgeht wie mit jeder Minderheit: schroff und ablehnend. Der Ostdeutsche, der einfach gelebt hat in dem Zwischen-Land seiner Geburt, das man jetzt den Unrechtsstaat nennt, nervt und verunsichert den Altländler…‘ „Ach, Seelchen, das war die Zeit, 1992, in der ich dich nicht mehr spürte. Aber diesmal ist es anders, wir wissen, was krisenhafte Veränderung bringt: Erschütterung und Brüche.“
Das Seelchen räuspert sich: „Du hast damals nicht einmal über mich nachgedacht. Für dich hatte ich doch lediglich die ominösen 21 Gramm.“ …

Morgenstunde (809. Blog-Notat)

Stimmungen (2)

…„Warum antwortest du nicht?“, frage ich nach.
Das Seelchen flüstert „Die Welt sortiert sich neu, da stört der Frieden.“
„Warum flüsterst du?“
„Die Selbstgerechten könnten es hören und mich niedermachen.“
„Ein Seelchen?“
„Alles, was stört. Das Selbst verdrängt mit seiner Selbstoptimierung die alles belebende Seele.“
Ich seufze: „Ja, ja, das Ego verachtet das Mitmenschliche.“
Das Seelchen wispert: „Es ist noch schlimmer, das Ego züchtet das Einander-Fremd-Sein. Nur die Meinung des Egos gilt – unantastbar, geradezu versteinert.“
Mich gruselt es, weil ich mich erinnere, auf diesem Pfad war ich auch einige Jahre als Selbstständige, hatte aber das Füreinander nie abgelegt. Im Gegenteil, ich suchte es, weil ich es vermisste und denke: Das Fremd-Sein ist ein Schwergewicht dieser Zeit…

Morgenstunde (808. Blog-Notat)

Foto: Lutz Reinhardt

Stimmungen

Tag 23. Die Stimme ist immer noch blechern und der Husten zurück. Ich setze mich mit schwerem Kopf, der mir vollkommen geleert erscheint, an den Computer und klage stumm. Jämmerlich fühlt sich das an. Wo ist der Schalter, der die Stimmung in eine andere, leichtere Richtung kippt? Ich finde ihn nicht. Ich mag diese Jammerliese nicht. „Reiß dich zusammen!“, ruft mein Seelchen von seiner inneren Kanzel. Ich nicke und denke, du hast gut reden. Ich suche nach positiven Gedanken. Es fallen mir meine letzten Märchen ein, aber plötzlich weiß ich, sie alle waren nur eine kurzweilige Ablenkung, ein Ausweg aus einer Wirklichkeit, die von Jahr zu Jahr bizarrere Blüten treibt. Die Wirklichkeit – ein Albtraum aus Seuche, Kriegsgerassel und Klimahorror. Das Leben verliert da leicht seinen Glanz. „Aber schau das schöne Maiengrün!“, rüttelt mein Seelchen in mir. Hm, das ist ein Argument für Schönheit und Wiederkehr. Und was ist mit Frieden? frage ich. Keine Antwort.

Morgenstunde (807. Blog-Notat)

Foto: Lutz Reinhardt

Es ist eine schier unendliche Geschichte, die Sache mit dem Glasfaseranschluss. Letzten Sommer wurden die Erdarbeiten dafür verrichtet. Den Anschluss im Haus gab es im April dieses Jahres. Für heute hatten wir einen Montagetermin mit Auftragsbestätigung über das Verlegen von 10 Meter Glasfaserkabel im Haus, den Anschluss des neuen Routers und aller Geräte (Telefon, PC…) für 229,85 €. Und dann stand er nun, der Experte und wollte Kupferkabel verlegen. Herrje! Ein Loch durch die Wand (?), nö, das muss der Kunde vorbereiten (steht aber im Auftrag, den er offenbar nicht kannte!). Kurzum der Mann war für ein Achselzucken und die Auftragsstornierung für Kupferkabel (wo immer der ihn herhatte) gekommen. Echt jetzt? Das „neue Deutschlandtempo“ ist das  eher nicht. Und was das Gemeinste daran ist, wir fangen wieder an, mit dem Telekomservice zu telefonieren und haben die Eckenmöbel weiter in der Wohnraummitte stehen, wegen der Baustellenfreiheit. Ich könnt‘ in die Tischkante beißen. Am frühen Nachmittag hatten wir den nächsten Installationstermin – kommenden Freitag. Ob der nun gelingt??? Wer weiß. Ich geht derweil mal beruhigendes Grün schauen…

Morgenstunde (806. Blog-Notat)

Das Dach ist fertig. Gestern war Hof fegen, Fenster putzen und Putzstellen überstreichen. Die Regenprobe steht noch aus, aber die Dachdecker haben sauber gearbeitet, es wird wohl auch dicht sein. So legt sich langsam die Unruhe, ich bin gespannt, wann der Kopf wieder frei für Kreatives ist, augenblicklich geht da gar nichts, denn da sind ja noch die anderen Baustellen. Es ist nur ein kurzweiliges Verschnaufen…

Morgenstunde (805. Blog-Notat)

Foto: Lutz Reinhardt

Vatertag und die Männer arbeiten was das Zeug hält. Mittags wollen sie fertig werden, ich bereite derweil die Schnitzel vor. Ab morgen gibt es wieder kleinere Töpfe…😊 Ein paar Minuten hocke ich auf der Banke bei den drei Weiden und schaue in dieses irre Maigrün. Traumschattiertes Grün, ich kann mich kaum sattsehen. Grün ist die Farbe des Friedens und der Entspannung. Sie steht für Frische und Harmonie, man spürt es, wenn man hineinsieht…

Morgenstunde (804. Blog-Notat)

Foto: Lutz Reinhardt

Das Foto zeigt den Bauzustand von gestern Abend. Inzwischen sind die beiden Männer beim Morgenkaffee und werden gleich die Dachrinne montieren und anschließend ein Bindemittel auf die OSB-Platten streichen, damit sie sich gut mit der Dachpappe verbinden. Morgen folgt dann die Dachklempnerei. Das verregnete Montagswetter und notwendige Putzarbeiten, die sich aus dem Rückbau ergaben, verlangen einen zusätzlichen Bautag. Hatten wir schon erwartet. Da dehnt sich mein Catering noch ein bisschen über den Vatertag. Aber Freitag stehe ich nicht auf, bin schon morgens müde und die Atmung schwächelt, das ruft nach – Pause bitte.

Morgenstunde (803. Blog-Notat)

In diesen Tagen haben wir Mühe unsere innere Mitte zu halten: zu viele Baustellen auf einmal. Wir sind beide nach der fiesen Erkältung noch recht dünn drauf und nun steht in Bälde auch noch die Wohnungsauflösung der Eltern im Erzgebirge an, denn auch der Vater ist seit heute im Pflegeheim. Es gibt Zeiten, da ist man nicht bei sich selbst. Und alles, was zustande kommt, erscheint einem nicht gut gelungen. Das nährt ein schlechtes Gewissen. Wieviel kann man tragen und wie machen es die anderen? Die Frage ist wohl müßig, denn die Familien sind halt ungleich ausgestattet in der Anzahl ihrer Menschen und ihrem Vermögen. Wir haben von beidem wenig, weil der Teufel ja immer auf den gleichen Haufen scheißt. Bei mir war noch kein Teufel… 😊. Also müssen wir schauen, wie wir das stemmen…

Morgenstunde (802. Blog-Notat)

Der erste Frühjahrssturm blies uns jedes Jahr die Ziegel von dem alten Zeuthener Mietshaus. Ich stellte dann Eimer und Schüsseln auf, denn ich wusste ja schon, es würde Wochen dauern, bis sich ein Dachdecker erbarmte und die Dachsteine ersetzte. Die hielten bis zum nächsten Sturm und meine Wohnzimmerdecke bekam wieder Wasserflecken. Jedes Jahr aufs Neue die Tropfsteinhöhle zu renovieren, das war mir sehr bald zu arg und so spendierte ich den Flecken eine florale Bemalung, die sich leichter instand halten ließ. Erst als die Sturmschäden immer größer wurden, ließ die Gemeinde das Dach komplett neu decken. Es war ein Westgrundstück, dass sie nur notverwaltete. Als wir unser Kunst- und Honighäuschen vor 15 Jahren in Kurtschlag kauften, hatte der Badanbau so hässliche Styroporplatten an der Decke. Als wir die runterrissen, wussten wir, weshalb die da klebten: Wasserflecken. Das Dach war vielleicht niemals richtig dicht. Wir waren noch beim Häuschen abzahlen und konnten eine Dachsanierung nicht umgehend stemmen. Inzwischen gibt es ja gute Abdeckfarbe für Wasserflecken…, aber eine Lösung war die auch nicht. Nun also: heute und die nächsten zwei, drei Tage sind die Dachdecker auf dem Hof. Ich habe die Baustellenversorgung an mich gerissen, für alles andere bin ich eh zu klapprig in diesen Tagen. Draußen vor der Tür sieht es im Augenblick ziemlich wild aus…
Foto: Lutz Reinhardt

Fotoprojekt „Vier Jahreszeiten“

Bild 5: Kopfweide im MAI 2023
Meine Beteiligung am  Projekt von Royusch

Das Fotoprojekt „Vier Jahreszeiten“ betrachtet fotografisch immer das gleiche Motiv im Jahresverlauf. Allein die Verwandlung durch die Zeit ändert es. Ich habe mich für meine Kopfweide entschieden. Sie ist der erste Blickfang in unserem 140 Meter langen Landschaftsgarten.
Anfang Mai treibt die Kopfweide wieder neu, aber dieses Jahr war es lange im April zu kalt, da war der Baum offenbar noch ein bisschen vorsichtig und deshalb poste ich mein Mai-Bild etwas später, damit man den schönen Austrieb auch erkennen kann. Ein Köpfchen treibt allerdings nicht. Es waren Ameisen in sein Holz eingezogen, mal sehen, ob er noch zu Leben erweckt werden kann.
Das Weidenthema hat mich oft in meiner Geschichtenwerkstatt berührt. Diesmal ist die Leseprobe ein Ausschnitt aus meiner Fantasy-Geschichte „Der Schatz der Baumriesen“:
Der Läufer kam nur mühsam voran. Ohne den Hirsch versank er knietief im Schnee, und war sehr bald erschöpft. Er hatte keinen Dörrfisch mehr, er musste unbedingt Nahrung finden. Nur wo? Ihn umgab das schier endlose Weiß. Aber dort vorn, bei den Weidenbäumen, da könnte ein Flusslauf sein, hoffte der Suchende und lenkte seine Schritte dorthin. Es schneite wieder und der Blick versank im endlosen Nichts. Melchor zählte jetzt die Schritte, damit er wusste, wie weit er vorwärtskam. Hundert Meter, zweihundert. Dann endlich tauchte schemenhaft die Baumzeile vor ihm auf. Wirklich erleichtert, fand Melchor hier ein schnelles Wasser, in dem Forellen sprangen. Mit den Händen war der junge Mann flink genug, bald eine zu erhaschen. Er schnitt ein Weidenbündel und baute sich ein trockenes Lager. Darauf hockte er nun und briet sich den Fisch. In seinem Bündel suchte Melchor nach einem Salzbeutel, dabei erfasste er die Kugel und hielt sie ins Licht. Sie strahlte wie ein Sonnenball zur Abendstunde, und ganz langsam taute der Schnee von den Weiden und sein Lagerplatz war beinahe grün. Melchor sah sich verwundert um. Dort, wo die Kugel das Licht traf, ging der Winter, langsam, aber er verschwand. Als der Morgen kam, fand der Läufer eine grüne Gasse vor, über die er wie auf einen Teppich schritt. Die Kugel brauchte Zeit und Licht, um sich zu entfalten. So bahnte sie für den Laufenden nur eine schmale Gasse. Aber im Land der Baumriesen eingetroffen, vertrieb die Feuerkugel sogleich Eisas messerscharfe Winde, und das Eis schmolz….