Vormittagspause im Atelier. Stattdessen bin ich in kleinen Abschnitten mit dem Rasenmäher im Garten unterwegs. Die Winkel rund um den Teich sind schon das ganze Sommerhalbjahr nicht gemäht worden. Zum einen brauche ich neue Mulchmasse für die Beete vor dem nächsten Hitzeschwall, zum anderen braucht es Sichtweite für die Birkenpilze Anfang September. Wenn überhaupt wird es nur eine Handvoll Pilze in der Feuchte der Teichnähe geben. Im trockenen Wald? Wer weiß.
Wir hatte gestern einen herrlich entspannten Besuchsnachmittag mit einem ehemaligen Kollegen aus meiner Jugendredaktionszeit. Er hatte sich wegen eines fliegenden Eulchens auf Papier (die Sperbereule) mit seiner Frau angekündigt und dann wurde es eine richtig angenehme Begegnung. Danke Ihr Beiden in Eberswalde! War schön „jewesen“😊, wir haben es genossen.
Morgenstunde (702. Blog-Notat)
Mittendrin in der Handfertigung von Künstlerheften. Die ersten sechs sind gerade in der Presse, da kann ich ja mal ein bisschen auf den Tasten klimpern. Seit die Hitze schweigt, geht es mir gut. Ich habe Kraft und sogar gestern den Rasenmäher angeworfen… das geht nicht mehr oft. Die Solargartendusche hat der wieder rauchende Liebste übrigens montiert, aber der Wasserdruck stimmt nicht. Er will sie noch einmal leeren und die Schlauchverbindung prüfen, doch davor steht, Ihr ahnt es wohl – die Bienen: Abschleudern letzter Teil. Es schleppt sich, wie immer am Ende des Bienenjahrs, aber dafür ist der Honig wieder köstlich. Ich mach‘ dann mal weiter, habt einen entspannten Tag, bevor die nächste Hitze Einzug hält…
Morgenstunde (701. Blog-Notat)
Im Atelier ist die nächsten Tage wieder Bücherbau angesagt. Die zwei handgefertigten Titel der KURTSCHLAGER EDITION „Auf einem Schwaden in die Märchenzeit“ und „Sonntagsmärchen“ haben bedenklich abgenommen. Ich muss nachfertigen, denn am kommenden Samstag, dem 27. August 22, ist Altstadtfest in Zehdenick und dort bin ich nachmittags auf 2 Stunden am Stand der Bibliothek zu finden. Mirjam Naffin, die Leiterin, war so freundlich, den ganzen Tag meine klassisch gedruckten Bücher auf dem Markt mit anzubieten, ich selbst komme dann mit den handgefertigten Künstlerheften ab 13.30 Uhr dazu. Eine unverhoffte Hilfe, wofür ich sehr dankbar bin, denn die Bibliothek nimmt keine Prozente (sonst ginge sowas auch gar nicht, denn ich muss die Bücher vorab beim Verlag ankaufen und würde ja Verluste machen, müsste ich Prozente abgeben…). Selbst würde ich so einen ganztägigen Standbetrieb gar nicht mehr durchstehen. Leider, denn ich habe es geliebt z.B. auf dem Kunstmarkt beim Fest an der Panke meine Arbeiten zu präsentieren und mit den Besuchern zu plaudern. Alles ist endlich und Neues beginnt…
Morgenstunde (700. Blog-Notat)

Ich bin ja ein Kind der Grauzeit, aber ich hätte dennoch nie gedacht, dass ich an einem schönen Sommertag im August das Grau freudigst begrüßen würde. Ein kühler Schauer auf der Haut, ein leichtes Strickjäckchen überstreifen – HERRLICH! Das ständige Postkartenblau ist nichts für mich als Mitteleuropäerin. Im Sommer 1992 dachte ich ernsthaft über Auswandern nach und war deswegen einige Wochen in Griechenland. Doch ich bemerkte dort sehr schnell, dass das permanente Blau des Himmels und die Hitze mich nicht gut denken und arbeiten ließ und so verwarf ich den Gedanken vollends und suchte in Deutschland nach meinem Weg nach der Wende. Und nun steigt der Süden nach Norden auf… Meine griechische Freundin K. hatte immer im Spätherbst die Wohnung superfein geputzt, um dann bis Ostern keine Zeit mehr dem Staub zu opfern. Es war ihre kreative Arbeitszeit am Schreibtisch, das Sommerhalbjahr war es nicht. Unser Leben wird sich auch in dieser Hinsicht im Klimawandel sehr verändern…
Morgenstunde (699. Blog-Notat)
Wenn so eine sperrige Altlast ordentlich demontiert und zusammengestellt ist, sieht es gar nicht viel aus. Aber in den Bildern fehlten noch (wegen des zu erwartenden Gewitterregens) eine Matratze und die voluminösen Hollywoodschaukel-Aufleger aus dem Tanklager zur Ölheizung. Die hatte der vormalige Hauseigentümer dort verstaut. Wir haben sie ewiglich nicht entdeckt und uns dann sehr über den Lagerort gewundert, denn man kann sie nicht mehr benutzen, weil sie vom Dieseldunst vollkommen durchtränkt, fürchterlich stanken.
Die letzten drei Tage waren also heftig, aber unter dem Dach ist es nun wieder übersichtlich. Als heute Morgen um 7:17 Uhr die zwei AWU-Kraftpakete wegfuhren und alles verschwunden war, schlief ich erst richtig ein. Der wirre Nachttraum vermischte sich mit einer Wochennachricht über Vermüllung bei einer solchen Sperrmüllaktion… aber nicht in unserem Walddörfchen😊. Schnauf.
Gestern hatte ich mir für die Gewitterzeit ein paar Inletts für den Kunstheftbau ausgedruckt, damit ich was tun kann, wenn wir die Stecker ziehen müssen, aber es blieb ja relativ ruhig hier. Mal sehen was noch kommt.
Habt ein schönes Wochenende alle miteinander, wir zupfen uns derweil die derangierten Federn und pflegen die müden Knochen 😊.


Morgenstunde (698. Blog-Notat)
Wir sind dieser Tage spinnwebengrau und staubig. Zu Freitag haben wir uns einen Sperrmülltransport bestellt – in der Annahme, bis zur Terminvergabe wird es weniger heiß sein… Aber nun, bei 31 Grad auf den Boden. Na gut, nur die Morgenzeit, bis der Tag hochgekocht ist. Was sich so alles angesammelt hat. Der Sohn und etliche Berliner Freunde brachten uns, was sie abstellen oder entsorgen wollten. Ihr habt doch sooo viel Platz und braucht immer für Eure Feste Sitzgelegenheiten…. Ja, stimmte schon, aber nun geben wir keine großen Feste mehr… Der Sperrmüll – alles muss raus, jedenfalls die Hälfte 😊, wer weiß, vielleicht braucht man es doch nochmal… aber dazu müsste es eigentlich eine Wunderheilung geben. Das Rausräumen läuft in Etappen, erst mal freigraben und auf die Empore schleppen, später die Treppe runter in den Hof und Donnerstagabend auf den Grünstreifen vor dem Haus. Der Liebste schnauft und ich bekomme Schnappatmung. Aber wat mut dat mut😊. Zwischendurch montiert der Mann eine Solargartendusche, Ihr wisst ja: SPAREN … ich glaube, wenn sie in Betrieb geht, wird’s kühler… Die Stimmung ist also aufgeheizt, auch, weil der Imkergatte das Rauchen versucht einzustellen – das gibt schlechte Laune, sage ich Euch…aber er hat ja meinen Nikotinentzug vor 15 Jahren auch ausgehalten… muss ich mich in Nachsicht üben. Bis die Tage allerseits!
Kerzen in der Stadtbahn (4)
Öffentliches Schreiben einer Kurzgeschichte:
… Er hatte sich verspätet, Irenes Schutzengel. Er war nie wirklich so pünktlich, wie er sollte. Auch unter den Engeln gab es nachlässigere Gewächse. Doch glücklicherweise hatte das Mädchen die Heilige Nacht allein überstanden und nun war er an ihrer Seite. Unsichtbar saß er im Sessel in der Leseecke und wachte.
Irene lugte in den duftenden Stoffbeutel, frische Schrippen und eine Streuselschnecke. Wunderbar! Sie liebte diese tellergroßen Schnecken. Das Mädchen schloss das Fenster und sah, unten auf dem Gehweg schlenderte Herr Kronberg. Ob er den Beutel an die Tür gehängt hatte? Egal.
Irene frühstückte und sprach mit vollem Mund mit dem Schreibblock:
„Moin, moin, schmeckts Euch auch?“
Wieder räusperte sich die väterliche Stimme und erklärte: „Deine Mutter hat Früchtebrot gebacken. Ist köstlich wie jedes Jahr.“
„Oh, Mann, Früchtebrot! Aber stellt euch mal vor, heute Morgen hat mir jemand ganz frische Schrippen und eine Streuselschnecke an die Tür gehängt – in einem wunderschönen Stoffbeutel.“
„Du weißt nicht von wem die sind und isst sie?“
„Ja, Mama, sei nicht so vorwurfsvoll. Es hat nur jemand an mich gedacht. Vielleicht der nette Herr Kronberg, der nebenan eingezogen ist.“
„Die Wohnung nebenan ist unbewohnt. Gesperrt wegen Rohrbruch, der den ganzen Fußboden ruiniert hatte. Dieser Herr Kronberg ist -,“ die Mutterstimme brach ab und Irene trieb ein Verdacht hinaus aus der Wohnung. Sie sprang die Treppe hinauf in den dritten Stock und klingelte bei Familie Krause. Die Nachbarin öffnete: „Ah, Irene. Frohe Weihnachten.“
„Ja, frohe Weihnachten. Frau Krause, ich will nicht stören, nur eine Frage: Ist in der Wohnung neben uns ein neuer Mieter eingezogen?“
Die Krause schüttelte den Kopf. „Die Wohnung muss erst saniert werden. Wenn da einer reingeht, dann ist er vielleicht von der Versicherung oder ein Klempner.“
Irene setzte düster nach: „Oder – einer von der Firma.“
„Wer weiß“, murmelte Frau Krause verhalten. „Ist sonst noch was?“
„Nein danke.“ Die Tür schloss sich wieder und Irene, wusste plötzlich nicht, was sie tun sollte. Wut stieg in ihr auf. Der hatte sie einfach frech angelogen. Sie klingelte Sturm bei Kronberg, aber niemand öffnete.
Sie hastete zurück in die elterliche Wohnung zu ihrem Blockdialog. Sie schrieb und sprach: „Mama, ich glaube, der Kronberg ist mein Schatten!“
„Und von dem nimmst du Brötchen an?“
„Sie sind von mir“, flüsterte der Engel. Irene sah erschrocken in die Leseecke. Dort war nichts. „Werd‘ ich jetzt irre, wer spricht da?“, schrie sie in den Raum. Da schimmerte der Engel in seiner Gestalt. Lessig saß er da in einem grünen Kapuzenmantel. Braune Locken fielen bis zu seinen schmalen Schultern und er schaute mit einem sanftmütigen Blick, der Irene an ihren Lieblingsbeatle George Herrison erinnerte.
„Mir wurde gesagt, mit Streuselschnecken kann man dich trösten. Ich bin Raphael und werde über Weihnachten Dein Schutzengel sein.“
Für Irene war das im Augenblick alles ein bisschen viel. Missgestimmt fragte sie barsch: „Und, wo warst du gestern?“
„Ich hatte verschlafen.“
„Die Heilige Nacht?“
„Ja.“
„Na sowas.“
„Wenn ich störe, bleibe ich unsichtbar.
„Ja, bitte.“
Der Engel atomisierte sich und Irene tippte mit dem Stift auf ihren Schreibblock: „Vati, Mama, ich bin nicht mehr allein. Ich habe jetzt einen Schatten und einen Engel.“ Der Schreibblock schwieg.
Sie musste raus. Abends fuhr Irene wieder S-Bahn und sprang von Wagon zu Wagon. Sich an Leuten sattsehen und ihnen Kerzenlicht spendieren. Diesmal war es schwieriger ihre Weihnachtslichter unbemerkt aufzustellen. Himmel und Menschen waren unterwegs und schleppten Geschenke von A nach B. Doch Irene fand stets diesen kleinen unbemerkten Moment oder war da wer, der sie abschirmte? „Raphael?“ flüsterte sie. Der Engel stand direkt neben ihr und lächelte. Und da noch einer, der sie beobachtete. Dieser Kurt Kronberg. Als sie ihn entdeckte, kam er auf sie zu und reichte ihr wieder ein Telegramm. „Sie sind wohl unter die Briefträger gegangen?“ zischte ihn Irene an. Dann las sie unter Freudentränen: „Komme morgen mit dem Zug, Mama“. Der Schatten verschwand, der Engel aber begleitete sie durch die Nacht.
***
© Petra Elsner
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Morgenstunde (697. Blog-Notat)
Es war ein aufregender Moment, als Heike H. im Bilderspeicher das Bild von der Wand nahm. Sie hatte es sich vor ein paar Wochen bei ihrem ersten Besuch ausgesucht. Samstag hat sie den Roten Punkt eingelöst. Das „Frühling-Geheimnis 46“ wird jetzt in Gera in einem feinsanierten Stadthaus wohnen. Wie schön. Auch der Mann von der Insel Föhr hat seine Wahl inzwischen getroffen und entschied sich für das Raufußkäuzchen mit Vollmond. Die verbleibenden vier Nachteulen werden auch irgendwann einen Liebhaber finden. Ich bin da zuversichtlich. Wäre es nicht so brütend heiß, es wäre eine gute Woche gewesen… Bitte her mit Regen! Statt leichtem Sommerspaß im Garten, arbeite ich hitzegeschützt im Haus als wäre es Winter. Morgen kommt der letzte Abschnitt zu „Kerzen in der Stadtbahn“… Habt eine gute Woche alle miteinander!
Kerzen in der Stadtbahn (3)
Öffentliches Schreiben einer Kurzgeschichte:
… Sie stellte sich vier Kerzen auf, holte die Geschenke für Vater und Mutter herbei, legte sich Stift und Schreiblock zurecht und goss sich ein Glas Punsch ein. Irene prostete den imaginären Eltern zu und schrieb:
„Frohe Weihnachten! Wo immer ihr seid. Könnt ihr mich hören ihr Lieben?“
„Wir hören dich Kind. Im Herzen sind wir bei dir.“
„Ich weiß, Mama. Macht euch keine Sorgen, ich schaffe das.“
Irene schluchzte, denn sie spürte, dass es nicht stimmte, was sie gerade sagte, aber sie fühlte, ein Rollenspiel könnte ihr guttun. Und so schrieb sie diesen Dialog und sprach dabei die Worte mit verstellten Stimmen.
„Du musst nicht so stark tun, mein Kind. Wir wissen, dass diese Situation für dich schlimm ist. Trink einen Schluck, er hilft dir zu entspannen.“
„Mach ich, Vati. Prost! Wie geht es auf dem Kahn?“
Die Stimme des Vaters räusperte sich: „Em, es geht. Noch haben wir es warm, aber ich glaube, wir werden beobachtet.“
„Wie jetzt?“
„Na, vielleicht denkt man sich, die stecken im Eis fest, das ist eine gute Gelegenheit zu türmen, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Du meinst, die Stasi denkt das?“
„Ja. Die trauen doch keiner Seele. Pass auf dich auf mein Kind und lass dir nichts erzählen. Wir würden dich niemals zurücklassen. Ja, es gab solche Fälle, und wahrscheinlich haben wir deshalb diesen Schatten am Ufer bekommen, aber du kannst dich auf uns voll verlassen.“
„Das weiß ich doch.“
„Und warum sorgst du dich dann?“
„Na, wer weiß schon genau, was der andere denkt und wohin ihn das führt.“
„Kindchen!“
„Ja, Vati? Ich sorge mich halt und ich bin nicht gerne allein.“
„Weiß ich, deshalb machen wir uns ja Sorgen.“
Im Fernseher flimmerte „Die Feuerzangenbowle“. Irene legte den Stift beiseite, goss sich einen zweiten Punsch ein und kuschelte sich in eine Decke auf dem Sofa. Der Film lenkte sie ab und das Getränk machte sie schläfrig.
Am ersten Weihnachtsfeiertag weckte sie das Sendeschlussrauschen des Fernsehers. Sie sprang vom Sofa und schaltete das nervende Gerät aus. Zuerst legte sie Kohlen auf das letzte Glimmen im Kachelofen. Das Wohnzimmer roch nach abgestandenem Punsch. Sie füllte den Rest in eine Flasche und verschloss sie mit einer Gummikappe. Bestimmt ließe der sich noch einmal aufwärmen. Während Irene die Fenster weit öffnete, um zu lüften, schepperte die Wohnungsklingel. Niemand stand vor der Haustür, aber am Türknauf hing ein roter Stoffbeutel mit weißen Punkten und es war ihr, als ob ein Hauch in den Wohnungsflur wehte. Seltsam, bestimmt war es nur ein Luftzug zwischen offenem Fenster und dem Treppenhaus. Aber es war kein Luftzug…
Kerzen in der Stadtbahn (2)
Öffentliches Schreiben einer Kurzgeschichte:
… Ostkreuz. Der obere Bahnsteig hinter dem Wasserturm lag gebogen, dunkel und menschenleer. Das machte Irene keine Angst. Es war etwas anderes, dass sie augenblicklich angefallen hatte: dieses Gefühl, verlassen zu sein, für immer. Es schlich sich über Irenes Gänsehaut vom Rücken hinauf bis unter die Kopfhaut, um in den Schläfen laut zu pochen. „Wo seid ihr?“ rief sie leise, fast jammernd in die Nacht. In ihrem Kopf hämmerte der Gedanke: Abgehauen, übers Eis in den Westen. Sie stieg die Treppen hinab zu den unteren Gleisen und am anderen Bahnsteigsende wieder hinauf. Dort nahm sie die nächste Bahn heimwärts. Würde sie die Nacht aushalten? Sie fühlte sich elend als sie in ihre Straße einbog. Es war eisig kalt und der Schnee knirschte unter ihren Schritten. Der viergeschossige Neubau lag im Dunkel, als sie die Haustürschlüssel aus der Manteltasche zog. Ein Glimmen auf einem der Balkone verriet, da rauchte einer und blies Kringel in die Nacht. Als Irene in der zweiten Etage ankam stand ein Mann vor der Wohnungstür: „Bitte nicht erschrecken, ich habe nur ein Telegramm abzugeben.“
Irene nickte und nahm das Kuvert. „Danke, ich kenne Sie gar nicht, wohnen Sie schon lange hier?“
„Entschuldigung, ich hätte mich vorstellen müssen: Kurt Kronberg. Bin gerade erst gegenüber eingezogen. Aber durch diese Tür habe ich noch keinen gehen sehen.“
„Meine Eltern sind Binnenschiffer.“
„Verstehe. Na, dann, frohe Weihnachten.“
„Ihnen auch.“
Irene schloss auf und huschte in die Wohnung. Sie Atmete tief und riss das Telegramm auf: Wir stecken bei Hamburg fest. Geld liegt im Brotkasten. Halte durch, Mutti!
Tränen verschleierten ihren Blick. Sie lehnte an der Tür und rutschte nun weinend in die Hocke. Das Telegramm fiel zu Boden. Schließlich stand sie auf, legte Kohlen im Ofen nach und stocherte in den Küchenschränken nach etwas essbarem. Drei Tütensuppen: Ochsenschwanzsuppe, Brühnudeln und Gemüseeintopf fanden sich und im Tiefkühler steckten ein halbes Brot und ein Stück Butter. Damit käme sie über Weihnachten. Essen hält Leib und Seele zusammen und Irene wollte nicht in dieser schrecklichen Einsamkeit untergehen. Sie entschied sich für die Brühnudeln. Zum Essen schaltete sie die Nachrichten im Schwarz-Weiß-Fernseher an und hörte:
Stillstand in der Binnenschifffahrt: Der anhaltende Frost in weiten Teilen Deutschlands hat fast alle Wasserstraßen zufrieren lassen. Selbst Eisbrecher schaffen es nicht mehr, die Fahrrinnen frei zu halten. Die Verluste für die Binnenschiffer lassen sich im Augenblick noch nicht abschätzen.
Irene löffelte die dünne Brühe mit den dicken Eiernudeln und grübelte: Bei Hamburg. Im Westen! Wenn so ein Kahn erst mal eingefroren ist, das könnte dauern. Sie sprang auf und schaute im Brotkasten nach: 100 Mark. Für Irene war das viel Geld. Ihr monatliches Taschengeld betrug 20 Mark. Jetzt aber musste sie damit über die Weihnachtsferien kommen und zurück ins Internat. Es würde reichen. Beruhigt ging sie zurück zu ihrem Suppenteller. Wie sollte sie diese Zeit alleine aushalten? Sie muss sich unterhalten, um diese Stille zu füllen. Irene holte sich die Baumkerzen und eine Flasche Rotwein aus der Speisekammer und kochte sich einen Punsch mit Zimt und Nelken. Ein Glas gestatteten die Eltern zu Weihnachten…