Die Weihnachtsgeschichte 2022

Wunschpost oder das Gewicht der Träume

Spät im Dezember saß der Herr der Träume an seinem Schreibtisch und raufte sich die rosa Haare. Wie konnte das nur geschehen, noch nie waren ihm die Träume ausgegangen. Er schüttelte seine gläserne Traumkugel, aber kein Fantasiefunken entfiel ihrem Flockengestöber. Nur verwelkte und gequälte Worte wie: „Nachhaltigkeit“, „Resilienz“, „Relevanz“. Sie hatten längst all ihrer Magie verloren. Auch in seinem purpurnem Wunderkästchen gähnte nur die ganz große Leere. Der Herr der Träume war entsetzt. Irgendetwas musste geschehen. Er stieg in den Keller, um sich eine Flasche Wunschpunsch zu holen. Die sehr spezielle Substanz goss er in ein Emaile-Töpfchen und wärmte sie auf dem Kaminofen. Etwas später hockte er auf seinem Schaukelstuhl und schlürfte an dem Heißgetränk. Für gewöhnlich stiegen mit den Duftwölkchen auch ein paar Ideen in seinem Kopf auf. Aber, nein, auch dieses Ritual war völlig sinnlos. Vielleicht hatte der Herr der Träume in diesen trostlosen Zeiten zu viel gearbeitet, dass er nun in dieser Leere saß. Missmutig schlurfte er zurück zu seinem Schreibtisch, setzte sich und griff nach der Schachtel mit dem schönen Briefpapier. Dicker Staub lag darauf, denn er hatte eine Ewigkeit keinen Brief mehr verfasst. Aber nun schrieb er etwas ungelenk mit letzter Hoffnung:
„Lieber Weihnachtsmann, ich bin vollkommen ratlos, denn mir sind die Träume ausgegangen. Ohne Träume aber, gibt es keine Zukunft. Es ist seit jeher meine Aufgabe, den Entmutigten Träume zu schenken… Darf ich Dich um Hilfe bitten? Ich brauche ein bisschen neue Fantasie… Hochachtungsvoll, der Herr der Träume.“
Er faltete das Papier, steckte es in ein geblümtes Kuvert, versah es mit einer Briefmarke und sandte es an das Weihnachtspostamt in Himmelpfort. Ja, er wusste, dass dorthin eigentlich nur Kinder ihre Wunschzettelpost schickten dürfen, aber Erwachsene schreiben zuweilen auch Wünsche auf, vielleicht würde er ja erhört.

Am Morgen des Heiligen Abends fand der Herr der Träume ein unscheinbares Päckchen vor seiner Tür. Absender: Weihnachtspostamt Himmelpfort. Der Mann lächelte, öffnete den Karton und fand darin ein kleines Schlafsandsäckchen. Er räusperte sich verlegen und dachte, du meine Güte, doch nicht solche Träume! Aber was war das? Das Päckchen in seiner Hand füllte sich wundersam aufs Neue. Als er hineinsah, entdeckte er eine schillernde Traumkugel, wie man sie in einschlägigen Läden teuer kaufen konnte. Hm, sinnierte der Herr der Träume: Als Briefbeschwerer gut geeignet, aber für Träume zu Visionen, aus denen immer wieder neue Träume wuchern? Er zweifelte. Während er die Kugel auf den Schreibtisch legte, gewann das Päckchen abermals an Schwere. Diesmal enthielt es ein rotes Buch. Auf seinem Einband stand in goldenen Lettern: „Das Gewicht der Träume“. Der Herr der Träume staunte: haben Träume ein Gewicht?  Seltsam. Es war kein Buch zur Traumdeutung, nein, es war ein Kompendium, das feinsäuberlich alle geträumten Träume der Menschheit enthielt. Neben jedem Traum zeigte eine kleine Waage an, ob es ein leichter oder ein schwerer Traum war. Der Mann wunderte sich. Gibt es gewichtige Träume? Ja, schon. Solche, die von einem guten Leben für alle Menschen erzählen zum Beispiel. Und wie er darüber nachdachte, erwischte er sich in einem Tagtraum von einer heilen Welt ohne Mangel und Not. Eine super-schöne Vision, wie er fand und urplötzlich blitzen aus dem Herrn der Träume wieder Fantasiegemäuer der schillerndsten Art.

© Petra Elsner

Weihnachtsgruß

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

das dritte Krisenjahr infolge neigt sich und jeder trägt in diesen Zeiten eine Last mit sich. Es ist jetzt der Moment, inne zu halten, um während der Weihnachtstage, Kraft und Liebe zu tanken. Daraus wird neue Zuversicht wachsen.
Allen treuen Lesern meines Blogs sei fürs Begleiten gedankt und auch jenen, die mich übers Jahr immer mal wieder mit ermunternden Worten und auch mit Spenden unterstützen. Das hat geholfen. Dankeschön!  Ich wünsche Euch allen eine frohe Weihnacht und einen friedlichen Jahreswechsel. Bleibt tapfer und mitmenschlich,

Eure Petra

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Morgenstunde (756. Blog-Notat)

Diese Tage tragen Zauberfunken mit sich. Hier ein warmherziges Gespräch in der Nachbarschaft, dort eine kleine Überraschung oder Wichtelei. Jeden Tag dieser Woche finde ich zwei, drei Grußbriefe im Briefkasten (DANKE!) und eine trägt Karten aus, als kämen sie aus einer alten, verschollenen Welt und trügen ein Geheimnis mit sich. DANKE liebe M.! Sehr fein. Da knistert der Geist der Weihnacht 😊.
Das Heizöl ist übrigens nicht gekommen, nicht wegen des Blitzeises, nee, der Fahrer hat sich krankgemeldet. Viele erzählen oder schreiben derzeit vom Kranksein der ganzen Familie und dass sie nun zum dritten Male nur in kleinen Kreisen feiern können. Da erfahren Briefe per Post oder Mail eine erfreuliche Renaissance. Macht Euch glücklich….

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Morgenstunde (755. Blog-Notat)

Manchmal spüre ich, wie wichtig es ist, dass ich noch schreibe und nicht nur für mich selbst, sondern gelegentlich auch, wenn ich mich um anderer Leute Texte kümmere. Als ich gestern die Buchbesprechung zu „Rotkäppchen spricht“ postete, war ich überrascht, als der Autor den Text mit den Worten auf Facebook teilte „Das Buch … hat eine erste Besprechung erhalten. Wir freuen uns sehr.“ Das hat mich überrascht, denn das Buch ist ja schon Anfang Juli erschienen, im Kontext einer viel besuchten Ausstellung und kein Journalist hat dieses besondere Buch wahrgenommen und rezensiert? Wieviel in dem großen Medienbetrieb doch untergeht oder erst gar nicht beachtet wird. Offenbar haben in Coronazeiten die Relevanten den Blick auf die Kunst und ihre Vielfalt besonderes im Regionalen verloren oder schlimmer noch, geringschätzen ihn. Das ist bitter. Der Flurschaden, den die Berufsverbote während der Lockdowns hinterlassen haben, ist größer und vielschichtiger als geahnt und er in schwach gefüllten Theatern sichtbar wird. Ein Jammer.

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Eine Buchbesprechung

„Rotkäppchen spricht“

Im Flüsterton spricht mich dieses wunderschöne Buch an. Es war der Begleitband zu der Ausstellung „Rotkäppchen spricht“, die letzten Sommer Märchenbilder von Julia Kneise im Erfurter Haus Dacheröden präsentierte. Jetzt steht es für sich und das kann es auch, das sinnliche, sinnreiche Buch, das von der Stimmung und dem verborgenen Moment hinter der Geschichte erzählt, denn es berührt Herzen. Immer wieder verschoben, aus hinlänglich bekannten Gründen, verschaffte Corona dem Autor und Verleger Siegfried Nucke Zeit und Zugang, diese Worte für das gemeinschaftliche Projekt mit Julia Kneise zu finden. Nucke nimmt den Märchenfaden aus Grimms- und Andersen-Texten auf und assoziiert zu der Spannung des bildhaften Moments, den Kneise auf ihren Malgründen inszeniert. Die feinsinnige, safte, aber auch eindringlich-distanzierte Malerei, die nach der Zeit für Märchen sucht, tritt mit Tiefgang, Romantik und Poesie gegen die Inflation der Bilder an. Der Autor stimmt sich ein in diese rätselhafte Reise – ein Zweiklang von lyrischer Schönheit entstand, der mit Subtexten den Augenschein lichtet. „Julia Kneises Rotkäppchen blickt uns an, unschuldig und wissend: ‚Schau mich an! Ich bin stark. Lass mich gehen, auch wenn es dir das Herz zerreißt. Niemals bin ich allein.“, schreibt Nucke in seinem Text zum Geleit. Das gilt auch für dieses starke Buch, in der Welt, um zu verzaubern. (pe)

Das Buch ist ausschließlich über den Verlag Tasten & Typen für 25 Euro (Vorkasse, portofrei) bestellbar. Im Frühjahr wird die Ausstellung noch einmal im Schloss Molsdorf (bei Erfurt) zu sehen sein.

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Morgenstunde (754. Blog-Notat)

Ja, Leisetreten habe ich mir vorgenommen, aber, mit rechtem Arm in der Dreieckschlaufe, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Aus dem Nichts – Muskelfaserriss oder Zerrung, keine Ahnung. Der Verschleiß schmerzt, beeinträchtigt und zwingt zu Ruhestellung. Das kann ja heiter werden… Aber was solls –. Der Kartoffelstollenkuchen ist ja gebacken und schon vieles bereits vorgekocht…
Wir waren gestern Abend noch am Bleichefeuer zum 4. Advent. Die erste Schicht war schon durch, die zweite versammelte sich erst nach dem Elfmeterschießen. Sehr spannend. Fröhliches Plaudern mit Glühwein in der Winternacht. Eine Stunde, dann wurde es einfach zu kalt. Täglich trifft jetzt Weihnachtspost ein, ich liebe es! Von manchen ist es das einzige Lebenszeichen aus dem ganzen Jahr. Aber das war wohl schon immer so. In den nächsten Stunden soll der Heizöltanker kommen, wenn er es denn herschafft. Es hat leicht zu regnen begonnen und das Glatteis wird wachsen…

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Morgenstunde (753. Blog-Notat)

Der Dachs auf dem Zeichenplatz. Er hat sich eine sehr spezielle Märchenhauptrolle in meinem Garten ergraben. Mal sehen, wohin mich der Spinnfaden mit ihm führen wird – nach Weihnachten… 
Nach zwei Impfungen war es uns gestern den ganzen Tag nicht so besonders und das kam nicht nur vom nächtlichen Aufstehen um 5 Uhr morgens. Das allein bringt ja schon Langschläfer aus dem Tritt, aber nach den beiden Piksen, war zu spüren, wie sehr das Immunsystem ackert. Undefinierbar mau. Heute ist besser, muss es auch, denn nachmittags ist die Begleitlesung fürs Weihnachtsshopping in Eberswalde. Es findet in einer guten Buchhandlung mit Lesetradition statt, da kann wohl nicht viel schief gehen. Damit werde ich mich zugleich selbst einstimmen auf die Festzeit und die Arbeit im Atelier ruhen lassen. Kochen und Lesen steht an, es wird genüsslich, bestimmt 😊.
Habt alle einen feinen 4. Advent!

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Der wilde Garten (2)

Öffentliches Arbeiten an einer Geschichte:

… Es war kalt, unsagbar kalt. Leichter Schneefall setzte ein. Mit ihm sank sie taumelnd abwärts. Hunderte Augen sahen dem Trudeln zu. Sie hatten die Flederlene erwartet, die Grastrolle, die Moosmännchen, die Erdgnome, die Elfchen, das Nebelpferdchen und die Walddrachen – die ganze kleine Gesellschaft des Unterholzes. Kaum, dass sie sich noch bewegen konnte, landete sie steif und sah etwas Grünes auf sich zukommen.
„Darf ich bitten, Flederlene, komm näher, hier ist es trocken,“ wisperte der kleine Blattträger und reichte ihr mit einer sanften Geste die Hand. Sie hatte keine Kraft nachzufragen, woher und wohin. Vorsichtig und mit eingeschlagenen Flügeln trat sie schlotternd zu der grünen Gestalt und folgte ihr unter dem Blattschirm an den Rand einer gewaltigen Rinne, die ins Erdinnere führte…

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Morgenstunde (752. Blog-Notat)

Auf der Höhe hinter Aue.

Beim Dreieck Nossen preschte eine mächtige Lkw-Walze auf die Autobahn: Zweispurig 15…20 Kraftpakete dicht beieinander im Schneetreiben. Die Pkws auf der linken, nicht beräumten Spur versanken im aufgespritzten Schneedreck. Kaum sichtbar, minutenlang. Die fetten Laster irritierten mit Warnlichtern bei voller Fahrt, herrje, das sind so die Szenen, bei denen ich mich nur noch wegwünsche und am liebsten nie wieder ein Auto besteigen möchte. Es ist immer irgendetwas derart auf unseren Touren ins Erzgebirge… Hinter Chemnitz klarte das Wetter auf und das Erzgebirgen hatte sich wunderfein als Weihnachtsland präpariert. Der Tag schlich sich in eine erste, klirre-kalte Frostnacht mit – 12,5 Grad. Bei früheren Besuchen im Advent haben wir stehts eine Abendfahrt durchs Gebirge mit den Eltern unternommen und uns an den leuchtenden Ortschaften auf den Bergrücken erfreut. Es gibt einfach keine Region in Deutschland, die diese Zeit so stilsicher zelebriert. Warmweißes Licht allendhalben, keine rummelartigen Lichtorgeln… Das sind sinnliche Anblicke, die man mit sich trägt. Wir hatten ein paar leise Stunden mit den Eltern, die inzwischen schwer an ihrem Alter tragen. Da fährt man nachts nicht mehr los, um Lichter zu schauen, sondern bleibt dicht beieinander. Nach diesen zwei Tagen haben wir uns heute einen Trödeltag verordnet. Einfach mal ausruhen…

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Der wilde Garten (1)

Öffentliches Schreiben einer Geschichte.

Vorab: Dieses Schreiben wird langsamer voranschreiten, denn für diese Geschichte will ich mehr zeichnen als gewöhnlich. In den nächsten Tagen reisen wir ins Erzgebirge. Auch daher wird es  ein kurzes Weilchen hier keinen Zuwachs geben, aber schaut, soweit bin ich inzwischen:

Die Stille wisperte verschlafen und es war ihr, als würde dort jemand auf sie warten. An diesem dunklen Morgen entschied sich Lene, die reale Welt zu verlassen. Sie stieg aus der Rüstung und lief leichtfüßig, nur mit einem blauen Seidenhemd bekleidet, hinaus in den wilden Garten. Vorbei an den Holunderbüschen und den Kopfweiden. Aus den Kräuselblättern winkten ihr seltsame Wesen zu. Kleine fledermausartige Gestalten, bunt wie der Herbst. Auf der Mooswiese nah am Wald musste sie verschnaufen. Das Moos leuchtete samtig und der mächtige Haselnussstrauch wedelte mit seinem goldenen Laub. Es war weit im Oktober und doch noch sommerlich warm, aber wie lange noch? Sie wollte es nicht weiter bedenken, aber wie sie da so stand, fragte sie das Rotkelchen. „Wohin willst du so leicht bekleidet, Frau Lene? Der Nordwind wird doch bald eintreffen.“
Lene trat näher an den Vogel heran und streichelte sanft sein Gefieder: „Ach, ich bin so müde vom schweren Tragen.“
Das Rotkelchen zupfte sich drei Flaumfedern und sprach: „Schau, sie sind ganz leicht, aber sie werden dich wärmen, wenn es nötig wird.“ Lene dankte und ging weiter. Aus dem Unterholz knurrte es und Lene dachte, ach, Herr Dachs, gib nicht so an, aus dir wird nie ein Bär. Sie lächelte still in sich hinein als plötzlich eine eisige Böe durch das Gartenland jagte und alles schwärzte, was eben noch grün war. Lene schlotterte in ihrem dünnen Hemd. Schnell drückte sie die drei Flaumfedern fest an ihr Herz und schlagartig vermehrten sie sich und wuchsen zu einem dichten Federkleid. Jetzt konnte sie gehen, wohin sie wollte. Vom Fuß der Efeuhecke her hörte sie ein müdes Gähnen. Lene bückte sich und sah einen dicken Troll, der sich unter einem Moosbatzen zur Ruhe legte. Gleich daneben, kroch ein Igel in einen Blätterhaufen. Ein paar Elfchen flirrten noch im Strauchwerk, aber all die Kröten, Schlangen und die Regenwürmer krochen jetzt unter dem Steinhaufen tief in die Erde. Mit der nächsten Böe fegten die braunen Kräuselblätter vorbei, darin juchzten die bunten Flederwesen und riefen: „Komm mit, wir kennen einen Unterschlupf!“ Aber sie waren viel zu schnell, Frau Lene konnte ihnen nicht folgen. Fliegen müsste man können, dachte sie. Aber was war das? Ihr Hals, die Schultern, Arme, ihr ganzer Körper begannen zu jucken. Es war, als wollte etwas aus ihrer heraus und plötzlich begann sie zu wachsen und zu schrumpfen zugleich. Große, rote Flederarme wuchsen ihr, während ihre Gestalt klein wie ein Vogel wurde. Wie konnte das sein, wurde wahr, was sie gerade dachte? Ungeheuerlich. Aber als sie die Flügel hob, segelte sie mit dem nächsten Luftzug in die Höhe. Eine taumelnde Freude trug die Flederlene hoch in die dicken Schneewolken…

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