… Als im Sommer die Menschen ihr altes Leben zurückverlangten und darin versuchten zu baden, blieb Linda Mondschein in der Nacht. Ihr Antrieb, die Angst. Die Politik agierte hektisch und im vollen Rampenlicht, um die wirtschaftlichen Abstürze im Land abzufedern. Längst hatte sie die Virologen wieder aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verdrängt, es war alles über Hygieneregeln gesagt. Jetzt hatte es der mündige Bürger wieder selbst in der Hand, ob er das Virus nährte oder nicht. Doch wo war der mündige Bürger? Er ging seltsame Bündnisse ein. Es schien, das Virus führte auch zu gesellschaftlichen Mutationen und Exzessen. Auch Linda Mondschein hatte sich verändert, die Virus-Krise stürzte sie in eine Lebenskrise. An schlafarmen Tagen schusselte sie sich fahrig durch die Nacht. Dem Verfall ihrer Lebensqualität zuzusehen, nahm ihr jedwede Leichtigkeit, mit der sie bisher all die Jahre durch das wellenreiche Leben segelte. Neugierig auf jähe Wendungen, mutig im Wind. Stattdessen floss plötzlich eine seltsame Furcht durch ihre Adern und sie ging nur noch in Bögen vorwärts. Die Geradeausspur war von Geboten verstellt. Die brachten nicht nur die Nachtfrau ins seitliche Ausweichen, auch viele andere Menschen bewegten sich seltsam verhuscht, nicht souverän…
Öffentliches Schreiben: Eine neue Geschichte entsteht und Ihr könnt absatzweise mitlesen…
Linda Mondschein war ein Nachtmensch. Die Nacht war für die Mitvierzigerin der Raum innerer Freiheit, immer schon. Vorzeiten war das Dunkel noch der Ort der großen Geheimnisse, amouröser Begegnungen, diffuser Sehnsüchte und der Gespenster. Inzwischen bedeutete die Nacht für Linda Mondschein – Sicherheit. Sie konnte die italienischen Bilder vom Sterben nicht vergessen. Sie brannten in ihrer Seele und schürten eine zittrige Angst. Deshalb hatte sie sich mit ihrem herzschwachen Leib in die Dunkelheit verzogen, in ein Eremitendasein, das den Menschen auswich. Ein echter Verzicht, denn Linda Mondschein mochte Menschen, die mit einem leichten Sprung besonders. Aber das schien ihr eine Ewigkeit her. Die lichtarme Nacht wuchs indes zu ihrem Schutzraum, in dem sie ein verblassendes Dasein führte. Damit das so blieb, fütterte Linda Mondschein ihre Corona-Neurose geduldig mit sperrigen Nachrichten. „7417 Tote in Deutschland“ rief das Radio am 11. Mai schlag null Uhr, das reichte schon, um es wieder auszuschalten und sich unter dem Mondlicht wegzuträumen, an einen Strand mit rauem Wellenschlag. Gischt und Salz in der Luft. Mit geschlossenen Augen konnte sie ihr fernes Sehnsuchtsbild skizzieren und darin wandern. In Gedanken war das ganz mühelos. Das Kreischen der Möwen in den Ohren, den Geschmack von heißem Sanddornsaft auf der Zunge, Sonnenfunken auf den nassen, geschliffenen Kieseln im Wellensaum. Dieses gedachte Strandwandern machte nicht die Muskeln sauer, der Atem stockte nicht, sie sah in das Bild, aber sie fühlte nichts. Gedankenmeere machen nicht das Herz weit und leicht…
Die zwei Hügel im Wind mit dem Ausblick in eine endlose Weite war das Sehnsuchtsbild aus kindlichen Träumen. Jetzt stand Fine auf einem der beiden, dem rechten und schloss das alte Haus auf. Sie war seltsam ergriffen, froh und traurig zugleich. Hinter dieser knarrenden Holztür wohnten vor kurzem noch Selma und Willi. Das kinderlose Paar hatte ihr das alte Gemäuer, halb Stall, halb Wohnhaus überraschend vererbt. Seit zwei Jahrzehnten war Fine nicht mehr hier gewesen, nun schloss sie eine Pforte auf, hinter der sie den Duft der Kindheit erwartete – Sommerglut und Apfelscheiben. Aber nein, als sie eintrat, schlug ihr ein stickiger Geruch entgegen. Der Raum geduckt und düster. War er wirklich so klein, damals, als ihr Selma hier immer die Willkommenswürstchen anrichtete. Dazu gab es Kartoffelmus mit brauner Butter und Blattsalat. Die Welt schrumpft mit dem Erwachsenwerden, dachte die Frau, bevor sie hektisch alle Fenster aufriss und wieder ins Freie floh. Da stand sie nun und schaute. In ihrem Rücken lag talwärts der kleine Damerower Auenwald und vor ihr der wunderbare Dammsee. Der Pfad durch den Wiesenhang dorthin war zugewachsen. Und im Schwesterhaus, auf der anderen Kuppe? Kein Leben. Die alte Lore Sommer war auch als sie noch lebte unsichtbar. Gestorben ist sie im gleichen Winter wie Selma und Willi, letztes Jahr. Seither standen die Kuppen verlassen im Wind. Fine sah sich vollkommen allein, und so wollte sie es auch für eine unbestimmte Zeit. Sie ging zurück zu ihrem Transporter, öffnete die Hecktür und wuchtete mit einem Schrei den neuen Benzinrasenmäher auf den Boden. Schnauf, das war schwer. Sie warf das Teil an, griff sich noch ein Handtuch, hängte es sich um den Hals, dann knatterte sie, alles stehen- und liegen lassend, einfach los. Mit dem Rasenmäher den Hang hinunter. Fine lächelte über diese kluge Idee, sich einen Pfad zum See zu bahnen. Während der Mäher jaulte und schepperte, dachte sie an Paul, der mit seinem Rasenmäher Laufpfade durch den Wald schnitt, zwei Meter breite, wegen der Zecken. Er hatte eine Heidenangst vor den Mistviechern, trug sogar Zeckenbänder um Hand- und Fußgelenke, wie man sie Hunden oder Katzen anlegt. Diese frisierten Waldwege würde Fine nie wieder betreten, dass stand fest und auch seinen Irrgarten aus Phobien und Panikattacken nicht. Gelähmtes Leben – nie wieder, dachte sie. Endlich hatte Fine den Weg in der Senke erreicht. Der Rasenmäher verstummte. Die Frau drehte sich um und grinste ihr Werk an: Schnurgerade lief der Pfad hinauf bis zu Kuppe. Sie schob den Mäher ins Dickicht der wilden Sommerwiese und spazierte weiter zum See. Kein Mensch weit und breit. Es war Montag, und die Schulferien hatten noch nicht begonnen. Fine hängte die verschwitzten Klamotten in einen Busch an der Badestelle und sprang juchzend in das klare Wasser. Sie schwamm und schwamm, lange, als wollte sie mit jedem Zug und Stoß ihr Leben reinigen. Die Last abspülen. Das kühle Nass und die tanzenden Sonnenfunken darauf fühlten sich nach Glück an. Fine prustete, drehte sich in die Rückenlage und trieb mit geschlossenen Augen bewegungslos durch die stille Mittagsstunde. Nicht nachdenken, nichts denken, suggerierte sie sich währenddessen. Aber das gelang ihr nicht und sie dachte: Frauen denken immer. Wenn sie nicht denken, träumen oder schlafen sie, ansonsten denken sie pausenlos: an den Liebsten, die Kinder, den nächsten Arbeitsschritt, den letzten Film, die nächste Woche, die Urlaubsvorbereitungen, den Frühjahrsputz, die Freundinnen, den Einkauf, die Spinnwebe im Bad, eine Verabredung … einfach immer und vor allem an das, was sie nicht geschafft hatten zu erledigen. Männer behaupten, befragt, an was sie gerade denken würden: „An nichts.“ Fine hat lange gebraucht, dass zu glauben. „Na, gut, dann denken sie eben seltener als ich“, sagte sie sich halblaut, klatschte trotzig mit der Hand aufs Wasser und schwamm zügig zurück an Land. Als es an diesem Julitag dämmerte, hatte sie die alte, schwarze Küche beräumt und die Wände abgewaschen. Morgen würde sie den Raum streichen, und nach ihm den nächsten und den übernächsten. Jetzt baute sie sich ihr kleines Iglo-Zelt auf. Als sie endlich davor saß und in das letzte Brötchen von der Tankstelle reinbiss, lag die Blaue Stunde über den zwei Kuppen. Fine nahm einen kräftigen Schluck Rotwein und genoss den stillen Moment. Irgendetwas schepperte heftig dort drüben in dem anderen Kuppenhaus. Sie schaute hinüber, aber es bewegte sich nichts und es gab auch kein weiteres Geräusch mehr. Vielleicht eine streunende Katze, die dort Unterschlupf suchte, dachte sie sich und kroch schließlich todmüde auf die Luftmatratze im Zelt.
Eine Auto-Hupe weckte Fine aufdringlich. Benommen zog sie den Reißverschluss ihres Nachtquartiers auf und lugte raus. Die Frau aus dem Versorgerauto winke und schrie: „Brauchen Sie was?“ Fine nickte, griff Hemd und Shorts und stand wenige Sekunden später vor dem breiten Transporter. „Unten, auf Gutshof haben sie mir verraten, hier oben wohne wieder eine. Ich komme immer dienstags.“, ratterte die blonde Frau mit der Hochfrisur und musterte die neue Kundin. Fine dankte: „Toll, dass Sie nachfragen.“, dann spähte sie in den Wagen und entdecke wirklich alles, was sie gerade brauchte: Brot, Brötchen, frische Wurst, Speck, Zucker, Butter, Mehl, ein paar Dosen, Gemüse, sogar Zigaretten. „Für mückenreiche Abende, eine Schachtel pro Woche, mehr rauche ich nicht mehr. Übrigens, ich bin die Fine Hellwig, war in den Kinderferien immer bei den beiden Alten in Pflege.“ „Und“, fragte die Blonde: „dienstags für immer oder nur in den Sommermonaten?“ „Für immer“, antwortete Fine und fing sich dafür einen freundlichen Blick ein, bevor die Frau mit dem Essen auf Rädern wendete und verschwand. Gegen neun Uhr begann die Sonne zu brennen. Fine erinnerte sich, dort in dem Schuppen waren früher die Gartenmöbel und auch ein Sonnenschirm untergebracht. Aber der Schuppen steckte in hüfthohem Gestrüpp. Die Frau warf kurzentschlossen wieder den Rasenmäher an und bahnte sich den nächsten Weg. Der Riegel an der Brettertür saß fest. Verrostet. Beim Ziehen und Zerren brach das Eisen aus dem morschen Holz. Fine fluchte: „Schitt!“ Aber die Tür war nun offen und wirklich, im Dämmerlicht entdeckte sie die alten Klappstühle aus Gusseisen und Holz und in der Ecke lehnte der bunte Sonnenschirm. Den hatten zwar die Motten gefunden, aber fürs Erste konnte sich die Neusiedlerin einen geschützten Pausenplatz einrichten. An der Schuppentür hingen eine grasgrüne Latzhose aus feinem Kort und eine Strohkappe mit rot-weiß-karierter Schleife. Wer die wohl trug. Selma war viel zu korpulent für diese fröhliche Klamotte. Gut zum Arbeiten, dachte Fine, schüttelte die Spinnen aus der Hose und stieg hinein. Sie passte. Perfekt, fand die Frau, genau richtig für den etwas nachlässigeren Dorf-Look. Nach einer Tasse Kaffee und zwei Butterbrötchen machte sich Fine ans Werk: Fenster aushebeln, Wände weißen, in deren Trockenphase die Fensterflügel schleifen, eben schaffen, was zu schaffen war an einem heißen Sommertag. Sie schwitzte, schnaufte und sang: Nicht schön, aber laut. Irgendwie aber fühlte sie sich beobachtet. Vom Schwesterhaus aus. War da wer an der Gardine? Sie schien sich hin und wieder zu bewegen oder war es nur ein Luftzug durch zerbrochenes Fensterglas? Ein bisschen mulmig war ihr schon, vielleicht sang sie deshalb so laut. Als der Abend kam lief Fine wieder den Hang hinab, schwimmen und sich spüren. Gegenüber, am Nordufer, begann schon Mecklenburg-Vorpommern, hier war sie am nördlichsten Punkt der Brandenburger Uckermark. Sie wird all ihr Können hertragen, dann wird es auch gut gehen. „Bestimmt“, sprach sie sich Mut zu. Ein Angler winkte der Badenden vom Schilfgürtel zu, sie winkte zurück und kehrte um.
Im Briefkasten lag eine Kornblume. Fine stutzte, wer hatte die hier abgelegt? Sie spähte hinüber und der Spalt in der Gardine schloss sich indem augenblicklich, als fürchte jemand, entdeckt zu werden. Dort war wer, ganz gewiss. Fine wollte sich nicht fürchten und diesen schönen Tag mit Angst besetzen lassen. Kommt nicht infrage. Sie zog eine schützende Jacke über, griff sich das alte Luftgewehr von Onkel Willi und schlich im weiten Bogen geduckt durch die Wiesen, hinüber zur anderen Hügelkuppe. Wer oder was würde sie dort erwarten? Ganz gleich, die Schrotladung würde sie schützen: Sie kam an der Rückseite des Hauses an. Alles mutete wie ausgestorben, aber vor der Tür lagen ein paar frische Zigarettenkippen, die noch keinen Regen erlebt hatten. Jemand war hier. Fine linste vorsichtig durchs Fenster und sah erstaunt bis auf das Fenster auf der anderen Hausseite und davor hockte eine Gestalt. Ein Mann? Alt oder jung? Nicht auszumachen. Der Raum hatte nichts Wohnliches. Er war schlicht leer geräumt. Drinnen stand nur ein Stuhl, auf dem die Gestalt hockte und starrte. Zu ihr hinüber. Unverschämt, was der sich erlaubt? Fine war sauer, richtete sich stockgerade und fasste indem Mut, in das Haus zu schreien: „Was soll das? Hast du nichts Besseres zu tun, als mich zu belauern?“ Die Gestalt am Fenster zuckte zusammen und verkroch sich rasch in einem nicht einsehbaren Winkel. Fine sprang zur Hintertür, lief durch den Stall und ein paar Stufen hinauf zur Tür, die zur Küche führen musste. Sie wusste das, denn dieser Bau war der Zwilling zu ihrem. Kein Zweifel, sie griff nach der Klinke, riss die Tür auf und sah in zwei starre, tiefbraune Augen. Ein Finsterling, nicht alt, nicht jung – scheu und erschrocken. „Ich wollte Ihnen nichts tun, Sie nur begrüßen, weil wir doch nun Nachbarn sind.“, stammelte er verlegen. Er sah so durchsichtig und verlassen aus, dass es Fine barmte, aber sie dachte sich, schon wieder einer, der eher in die Klapse gehört. Scherbenkinder der Nachwendezeit – ein junger Alter, Mitte, Ende Fünfzig vielleicht. Aber wie er da so stand, mit verlorenem Blick aus einem zugewachsenen Bartgesicht, senkte Fine das Luftgewehr und sagte nur: „Tach, ich bin Fine von gegenüber.“ Und er entgegnete mit einem ungelenken Diener: „Sehr erfreut, ich bin der Herr Sommer auch im Winter. War Buchhändler. Bin der Neffe von Lore.“ Sie lächelte: „Auch geerbt?“ Herr Sommer nickte. „Und, für immer oder nur im Sommer hier?“ „Für immer. – Vielleicht“, schob er etwas verzögert hinterher. „Aha. Ich muss dann mal wieder, Sie haben ja sicher auch genug zu tun.“ Fine ließ den Blick schweifen, und er erklärte schnell: „Die Möbel kommen heute, ich ziehe auch eben erst ein.“ Fine nickte und lief eilig hinüber auf ihre Kuppe.
Gegen Mittag tuckerte wirklich ein kleiner Umzugslaster hinauf auf Erik Sommers Kuppe, aber Fine hatte kein Auge dafür, sie kämpfte mit einer klemmenden Dachluke und fluchte: „In meinem nächsten Leben, komm ich als Mann auf die Welt, bärenstärk und unwiderstehlich!“ Unter größter Kraftanstrengung hatte sie es endlich geschafft, die Luke zu öffnen. Nun saß sie auf dem Tritt für den Schornsteinfeger und schaute hinunter zum Dammsee. Auf dem Gewässer waren unzählige Graugänse, Höckerschwäne, Blässrallen und Stockenten zu beobachten. Rechterhand wanderte ihr Blick über ein schier endloses Panorama einer sanft geschwungenen Offenlandschaft. Reich strukturiert von Hecken, Baumreihen, Söllen und Randstreifen – sichere Brutplätze im Vogelparadies unter dem großen, weiten Himmel. Fines Augen lachten, sie konnte sich einfach nicht satt sehen an dieser landschaftlichen Pracht. Aber nun musterte sie das alte Reetdach. Oh, je, da ist vor dem Winter noch einiges auszubessern, dachte sie. Gott sei Dank, hatten Willi und Selma immer Schilfbunde unterm Dach gelagert. Für den Fall der Fälle, ein Sturm zerpflückt das Dach oder eben für Ausbesserungen. Diese Vorsorge kam jetzt gut, denn die Preise für Reet waren inzwischen sündhaft angestiegen. Fine musste gut haushalten, wenn sie über die Winter- und Frühjahrsmonate kommen wollte, ohne irgendeinen Job annehmen zu müssen. Bis dahin wollte sie ihre kleine Touristenattraktion im Naturpark Uckermärkische Seen stehen haben: Eine Teestube, die zugleich Miniaturkunst ausstellt. Im alten Stall würde das sein. Der war zugleich groß genug, hier Konzerte und Lesungen zu geben. Fürstenwerder ist nicht weit, und wenn es sich erst einmal herumgesprochen hat, dass hier ein interessantes Quartier zu finden ist, dann würden die Leute auch Wege auf sich nehmen, wusste die Frau. Es könnte klappen. Und schließlich gibt es ja noch die vielen Radler und Wanderer, die gerne den Dammsee umrunden und hier bei einem Glas Tee eine Pause einlegen könnten. Vom alten Gut fuhr ein Jeep mit einer Staubfahne den Hang hinauf und hielt vor dem Haus. Ein Mann stieg flink aus und sah sich um: „Ist hier jemand?“ „Hier oben“, antwortete Fine auf dem Dach. „Hallo, ich hab gehört, Sie haben Arbeit für mich? Zieren Sie sich nicht, ich kann alles, auch Reetdächer dichten. Gerne täglich zwei, drei Stunden bis September, dann geht’s wieder auf Montage.“ „Ja, fein, wollen Sie sich den Stall einmal ansehen? Da muss einfach erst einmal alles raus. Was brauchbar oder einfach schön ist, sollte gesäubert werden. Geht das, Herr?“ „Och, Entschuldigung, mein Name ist Schiller. Aber Sie können mich einfach Ben rufen. Sagen alle so.“ Der Mann wirkte klar und offen, einfach gestrickt, Fine sah sofort, dass eine handwerkliche Perle in ihr Projekt gesprungen war. „Ja, und das Dach mache ich gleich“, setzte Ben nach und war schon nach oben unterwegs.
Es regnete schon den zweiten Augusttag. Fine hockte vor dem gewaltigen Bauernschrank und sortierte Selmas Sachen. Leinenhemden und Kleiderröcke, vieles zu schön zum Ausrangieren. Und diese Samtjacke, sie zog sie über und betrachtete sich im großen Standspiegel. Als sie sich umdrehte, um nach einem grünen Tuch zu greifen, starrte sie ein nasses Gesicht durch die Fensterscheiben an. Fine erschrak und schrie: „Mensch, Sommer, spinnst du?“ Sie riss entsetzt das Fenster auf und brüllte noch lauter: „Was gaffst du so krank?“ „Ich bin krank“, stöhnte Herr Sommer leichenbass, und sackte kaum später in sich zusammen. „Mensch, Sommer, mach doch nicht so was!“ Fine rannte aus dem Haus zu dem Kauernden. Sommer fieberte und stöhnte: „Ich hab mir den Fuß verletzt und wahrscheinlich nun eine Infektion drin.“ Fine zerrte den Mann in die Küche, warf ihm eine warme Decke um und telefonierte mit dem Rettungsdienst: „Ja, die Kuppen am Dammsee, mein Nachbar hat wahrscheinlich eine Sepsis, kommen sie schnell.“ Eine Viertelstunde später war Herr Sommer mit einem Krankentransporter verschwunden und Fine hatte versprochen, ihm ein paar Sachen nach Prenzlau nachzubringen. Sie eilte in einem Regencape auf den anderen Hang. Als die Frau in das Haus eintrat, erstarrte sie vor Schreck: Herr Sommer hatte nicht renoviert und auch nicht ausgepackt. Auf der uralten Kochmaschine standen ein Teekessel und eine kleine Eisenpfanne, davor ein Stuhl mit Blick zum Fenster und ein kleiner Tisch. Darauf ein Glas, ein Essteller und ein Besteck. In den anderen Räumen türmten sich Umzugskisten, ein schmaler Gang führte zu einem zerwühlten Schlafsofa. Sommers Nachtlager. Fine runzelte die Stirn und murmelte: „Herr Sommer ist offenbar noch nicht angekommen. Wie, verdammt, soll ich hier Wäsche und Handtücher finden? Aber sieh mal an, Herr Sommer ist ein ordentlicher. Alle Kisten sind beschriftet.“ Sie schaltete sich mehr Licht an und las, was auf den Kisten stand: Zuerst die Raumangabe – Küche, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Bad, Arbeitszimmer, darunter minutiöse Inhaltsangaben. Aha, damit komme ich klar, dachte sie. Fine suchte, fand und packte schließlich Herrn Sommers Krankenhaustasche und brachte sie nach Prenzlau. „Geben Sie mir Ihre Nummer, ich rufe Sie an, wenn der Mann wieder ansprechbar ist.“, meinte leise die Wachschwester auf der Intensivstation. „Offenbar, hat er ja sonst niemanden.“
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Aus „Der Duft der warmen Zeit“, erschienen in der Verlagsbuchhandlung Ehm Welk, bestellbar hier:
Der Grasflüsterer legte eins seiner mächtigen Segelohren auf den winterdürren Boden. Er hörte nichts, gar nichts. Das Ostergras wollte einfach nicht wachsen. Dabei hatte er Ambrosius ganz fest zugesagt, er würde dieses Jahr echtes BIO-Ostergras liefern. Keine gefärbte Holzwolle, kein Bambusgras und schon gar nicht irgendwelchen giftgrünen Plastikmüll. „Es ist einfach zu kalt!“, brummte der Grasflüsterer vor sich hin. Im Winter mild, im Frühjahr lausekalt. Die Kahlfröste hielten die Landschaft grau, was die Osterfest-Designer zu immer schrilleren Kreationen animierte. Ambrosius, der echte Osterhase, hatte über die Zeit eine tückische Farb- und Synthetik-Allergie entwickelt, die ihn stets im Ostergeschäft mit geschwollenen Augen und Niesanfällen plagte und schwächte. Deshalb hatte er den Grasflüsterer um einen Rat ersucht. Denn Balduin, der Grasspezialist, wusste ganz genau, wie der Boden klingt, wenn die Graswurzeln wachsen. Er hatte gewissermaßen akustische Sensoren, die dem unterirdischen Leben nachspüren konnten. Dieses Frühlingserwachen ist eine leise zauberhafte Symphonie der Erdkörnchen. Kaum vernehmbar.
Doch die Wurzeln schwiegen im Kälteschock. Eisiger Ostwind fegte über Balduins struppig grau-braune Wiesen. Der Mann erhob sich und holte erst einmal einen leichten Federbesen herbei, um Luft in die verdorrte Grasnarbe zu bringen. Aber das Wetter blieb knochentrocken und der Wind hob gleich im Erwachen des Tages sie letzten Tautropfen auf. Balduin brachte sein Stethoskop herbei und horchte nun noch tiefer in den Boden, doch er hörte nur das Schnarchen der Grasfrösche, die nicht wie üblich schon im Februar erwacht waren. Ein schlechtes Zeichen. Und dann röchelte noch ein durstiges Stöhnen in Balduins schönes Segelohr. Er flüsterte: „Verstehe, hier reicht nicht einmal ein langer Regen. Ich hole euch ein heilsames Weihwasser herbei.“ Balduin hatte das selbst noch nie herstellen müssen, aber er erinnerte sich an eine Zeremonie, die sein Großvater in einem schlimmen Dürrejahr vornahm. Der war auch schon als Grasflüsterer für die Osterhasenzunft tätig. Er hatte sein gesamtes Wissen feinsäuberlich in grasgrünen Heften notiert.
Balduin ging nach Haus, stieg auf den Speicher und holte sich all die Notate in seine Werkstatt. Er hatte Mühe die Schreibschnörkel zu entziffern, aber nach und nach kam er mit dieser Handschrift zurecht und vertiefte sich in die alte Graskunde. Er las und las und nickte immer wieder in sich hinein. Er kannte all das, was er las. Erst als er das Heft Nummer 7 aufschlug, war er überrascht. Es enthielt Gras-Rituale, die alle möglichen Wachstumsprobleme vorstellte und mit welchen Flüstersprüchen sie zu lösen waren. Endlich fand er den Absatz: „Wenn das Ostergras nicht rechtzeitig wächst.“ Da stand: „Gehe schweigsam zum Bach und schöpfe klares Wasser in der ersten Morgenstunde. Trage es nach Hause und bespreche es in einem dunklen Raum mit den Worten: Du sollst die Graswurzeln erwecken. Dann gehe zu den Wiesen und beträufele sie mit diesem heilenden Wasser. Hernach kniee hin und flüstere dem Gras diesen Wachstumsspruch zu. Er ist geheim, niemand darf ihn hören.“ Balduin suchte den Spruch, aber da war nur eine Lücke in der Zeile. Ah, Geheimschrift, dachte er bei sich und trat hinaus in die Märzsonne. Als das Licht die leere Zeile traf, erschien der verborgene Spruch. Der Grasflüsterer lächelte und ging am nächsten Morgen seinem Vorhaben nach: Er schöpfte schweigsam klares Bachwasser, tätigte das alte Ritual, beträufelte seine Wiesen und kniete sich am Ende auf die Winterbrache. Hinter vorgehaltenen Händen flüsterte er den Großvaterspruch in die Erde. Niemand konnte ihn hören, nur die Graswurzeln. Kaum später vernahm Balduin ein Rascheln und Knistern aus der Tiefe des Bodens. Ein Landregen fiel und zwei Tage später begann das Ostergras ganz wundervoll zu sprießen. Am Gründonnerstag war es soweit. Der Grasflüsterer konnte der Hasenzunft frisches Ostergras liefern. Echt BIO und Ambrosius vollbrachte vier Tage später sein alljährliches Frühlingswunder völlig niesfrei und mit klarem Blick.
Text/Zeichnungen: Petra Elsner
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Aus der Serie: Schräge Vögel auf Landpartie – Frühlingserwachen im Mai. Zeichnung: Petra Elsner
Eine herzliche Einladung
Am 1. Maiwochenende finden im Land Brandenburg die Tage der offenen Ateliers statt.
Am Sonntag, dem 6. Mai 2016 beteiligt sich auch das Atelier an der Schorfheide in Kurtschlag an dieser Kunstaktion. Wer kommt, kann Einblicke in mein Bild- und Textschaffen aus 24 freiberuflichen Berufsjahren erhalten.
Von 11 bis 18 Uhr sind Atelier, Bilderspeicher, Hof und Lesegarten zum Schauen, Verweilen und Entspannen für Sie/Euch bereit.
Von 15 bis 15.30 Uhr gebe ich (bei trockenem Wetter) eine Hoflesung
mit Auszügen aus meiner in Arbeit befindlichen Kriminalgeschichte „Milchmond“.
Auf Ihren/Euren Besuch freut sich
Petra Elsner
Ort des Geschehens:
ATELIER AN DER SCHORFHEIDE
PETRA ELSNER
MALEREI *** ILLUSTRATIONEN *** LITERATUR
Kurtschlager Dorfstraße 54, 16792 Zehdenick, OT Kurtschlag,
Öffentliche Winterschreibarbeit zur Kriminalgeschichte “Milchmond” von Petra Elsner
… Windböen in Orkanstärke warfen am nächsten Morgen hunderte Bäume in der Schorfheide um und einige waren in die Überlandstromleitungen zwischen den Walddörfern gefallen. Kein Strom in Sandberg. Die ersten Pendler kehrten in den Ort zurück und brachten die Freiwillige Ortswehr auf Trab. Beide Landstraßen waren durch gestürzte Stämme blockiert. Nirgends ein Durchkommen und Zuhause kein Licht, kein Wasser, keine Heizung. Der erste Wintersturm hatte das öffentliche Leben komplett stillgelegt, kaum später kam der Schnee. Nass und schwer, überall im Wald brachen krachend Kronen zu Boden. Es war gefährlich für die Blaulichter mit ihren Motorsägen am Straßenrand. Besorgt hob Alex Püschel seinen Blick, wartete die nächste Böe ab, dann arbeitete sich der Feuerwehrchef bis zur nächsten Ausweich-Nische an der schmalen Asphaltpiste vor. Dorthin stapelten sie Meterschnitte. Die Männer hatten Mühe, sich aufrecht zu halten und stemmten sich in den eisigen Wind. Otto Ehrenburg musste pinkeln, deshalb lege er die Säge beiseite und trat er etwas weiter in den verschneiten Busch. Die Ohren nach knackenden Geräuschen gespitzt, jeden Augenblick könnte etwas niederbrechen. Dort, wo er stand, linste etwas Rotes aus dem Schnee. Ein kleiner Stadtrucksack. Wie er sich danach bückte, schreckte er zurück: Unter welkem Buchenlaub und Schnee lag ein lebloser Körper. Ehrenburg schrie: „Nein, nein, bitte nicht!“ Die Männer dachten, ihr Kamerad hätte sich verletzt, deshalb liefen sie alle zu jener Stelle von der sein Aufschrei kam. Ehrenburg weinte, während er aufgewühlt vorsichtig das Gesicht der Toten freilegte. Grau und geschunden sah es aus und die Sandberger Wehr stand steif vor Schreck im Halbkreis um den grusligen Fund. Es war ihre Laura.
Alex Püschel trat beiseite und tippte in sein Handy den Notruf der Polizei. Es knackte ein paar Mal dicht neben ihm, dann prallte der nächste Baum mit dumpfem Knall auf die Waldstraße. Es wird dauern, bis die Kripo hierher durchkommt.
Der Spurenleser besah sich den Tatort und schüttelte seinen Kopf. Er griff nach dem weißen Seidenstoff, der wie ein Schleier über dem toten Körper lag: „Diese angerichtete Szene! Sie dürfen nicht glauben, was Sie sehen. Sie kann auch hergetragen worden sein. Und dieser Schleier – als sollte er die Tat bedecken oder eine Braut aus ihr machen.“ Er zückte seine 20fach vergrößernde Lupe und besah sich den Boden dicht um die Leiche. „Die Frau ist schon länger tot. Reichliche zwei Wochen vielleicht. Ein Wunder, dass die Waldtiere nicht an sie herangegangen sind.“ Der Mittfünfziger hatte sich seine jungenhafte Neugier gut bewahrt und scheute sich nicht, ganz dicht an den schaurigen Fund heranzugehen. Jedes einzelne Schandmahl konnte er betrachten, ohne auch nur einen Schauer zu empfinden. Der Kommissar hingegen war durch die unzähligen Gewaltdelikte, die er zu sehen bekam, mit der Zeit mürbe geworden. Dünnhäutig hielt er Abstand zum Tatort. „War da nicht dieser gewaltige, milchige Vollmond, bei dem wieder alle Verrückten unterwegs waren?“
„Kann sein“, antwortete der Spurensucher…
Der Text darf ohne Angabe des Urhebers nicht weiterverwendet oder kopiert werden. Auch das Zitieren von Textstellen bei Veranstaltungen bedarf meiner Genehmigung.
Alle in dieser Kriminalgeschichte vorkommenden Namen, Personen, Organisationen, Orte sind erfunden oder werden rein fiktiv benutzt. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Geschehnissen, Orten oder Personen, lebend oder tot, sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Öffentliche Winterschreibarbeit 2018 zur Kriminalgeschichte “Milchmond” von Petra Elsner.
… Am Wanderer-Rastplatz loderte seit 18 Uhr ein Feuer und die Sandberger Bläser schmetterten Lieder zur Ankunft des Advents. Der Pfarrer teilte gut gelaunt Textblätter aus, Lesebrillen hatte er auch in seinen schier unergründlichen Manteltaschen dabei, auch Hustenbonbons und Taschentücher. Wer wollte, stimmte in den brüchigen Gesang mit ein, die anderen nippten am heißen Glühwein und genossen einfach den Abend im Feuerschein. Julie Acker stand still dabei, es war winterlich in ihrer Seele und in ihren Kopf hämmerten schwere Gedanken. Was könnte nur geschehen sein? Sie musste das Dorf einweihen, schon um ihre Kräfte zu potenzieren und außerdem war Laura eine von ihnen. Aber nicht gleich, die Leute sahen alle so froh und entspannt aus, da würde eine derartige Nachricht die ganze schöne Stimmung verderben. Vielleicht wäre es am besten, es nur Marlene zu erzählen. Die schafft bei “Löwenmenü”, diesem Essen auf Rädern, Montagsabend wüssten es alle. Aber Sandbergs Litfaßsäule war nicht unter den Sängern am Feuer. Das knisterte und stiebte Funken wie Sterne. Julie entschied sich lieber für den zweiten Glühwein mit Schuss. Die vier Jagdhörner tönten „Stille Nacht, heilige Nacht…“ Wo, um Himmels Willen, war Laura? Julie war bitter drauf und der Alkohol verstärkte es. Das war natürlich dem einen oder anderen in dieser Stunde nicht entgangen, es war nur eine Frage der Zeit, dass Dörte zu ihr trat und fragte: „Was ist los? Sorgen mit der Mutter?“
„Mit der auch, aber mit meiner Schwester stimmt etwas nicht. Ich musste gestern eine Vermisstenanzeige aufgeben.“
„Was?“ reagierte Dörte erschrocken. „Seit wann hast Du nichts mehr von ihr gehört?“
„Seit der Nacht, als Rosas Wald geklaut wurde.“
„Das ist ja schon über zwei Wochen her!“
„Eben.“ …
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Alle in dieser Kriminalgeschichte vorkommenden Namen, Personen, Organisationen, Orte sind erfunden oder werden rein fiktiv benutzt. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Geschehnissen, Orten oder Personen, lebend oder tot, sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Öffentliche Winterschreibarbeit zur Kriminalgeschichte “Milchmond” von Petra Elsner
… Zeitschatten
Der Hochnebel wollte nicht weichen und die Menschen begannen unter dem Dunst, schläfrig zu werden. Nachts kreisten Wildgänse über Wald und Dorf, sie tröteten lange in das endlose Grau als wüssten sie nicht wohin. Vielleicht aber riefen sie nur ihre Nachzügler herbei. Julie kauerte in ihrer Müdigkeit. Sie war gerade von ihrer Spätschicht zurück. Abgespannt und zugleich aufgewühlt. Ihr nachtblasses Gesicht starrte reglos in ihr Spiegelbild im Küchenfenster. All ihre freien Tage waren aufgebraucht, deshalb hatte sie am Morgen die Mutter in ein Templiner Pflegeheim gebracht. Vorläufig, bis sie mit Laura wieder im Reinen war. Es ging einfach nicht anders, dachte sie jetzt noch, aber ihr Gefühl wuchs hinüber in ein schrecklich schlechtes Gewissen. Helene Acker hatte die Tochter mit einem Blick verabschiedet, der sie aus tiefster Verachtung stumm anschrie. Laura hätte dem nie zugestimmt. Die Schwester war Altenpflegerin und kannte sich in den einschlägigen Heimen aus. Es war verabredet, die Mutter zu Hause zu pflegen. Aber Laura blieb mit ihrem Dickschädel auf Tauchstation und Julie wollte ihr nicht hinterherlaufen. Inzwischen waren seit ihrem Streit 14 Tage vergangen. Das war länger als üblich.
Der späte Abend döste der Nacht entgegen. Plötzlich saßen sie da wieder, die Schatten auf der Moosbank. Julie konnte nicht anders, sie musste die Zwei durch das abgekippte Fenster belauschen. Sie erzählten sich wieder, wie es früher war, und was das heute bedeutet. Jetzt knarrte die eine Stimme: „Das die Jungen keine Bücher mehr lesen ist wirklich traurig.“ Und der andere Schatten ächzte: „Ist das ein Wunder nach dem großen Bücherfrevel 1990? All ihre vertrauten Helden landeten auf der Halde. Ganz gleich, ob staatsnahe Schwarten oder große Weltliteratur. Einfach alles flog auf die Kippen. Die Enkel haben den großen Bücheraustausch gesehen, damals als die D-Mark und die Einheit kam. Wer diese Bilder mit sich trägt, hat wohl Mühe, jemals wieder dem gedruckten Wort zu glauben“ „Und jetzt sind sie weg, die Kinder. Na ja, fast alle, irgendwo versprengt in der Welt.“ Der kleine, dicke Schatten wackelte traurig mit dem Kopf und der andere nahm ihn vorsichtig in den Arm. Sie schwiegen und es schien, das Moos der Bank wuchs hinauf über ihre Gestalten. Julie schloss das Fenster. Sie tippte zum xten Male Lauras Nummer, aber die verweigerte sich abermals. Man kann’s auch übertreiben mit der Schmollerei, dachte Julie bei sich. Während sie ihr Nachthemd überstreifte, sah sie sich um, ja, wirklich, sie hatte keine Bücher im Haus, ausgenommen ihre Fachliteratur. Sie öffnete ihr Nachtschränkchen, ganz unten lag ihr Lieblingskinderbuch „Kuno, der fliegende Elefant“. Das allein hatte sie aus ihrem Geburtsland, das sie kaum noch erinnerte, bei sich behalten. Die Schatten hatten Recht, sie glaubte seit langem keinen Bücherworten mehr…
Der Text darf ohne Angabe des Urhebers nicht weiterverwendet oder kopiert werden. Auch das Zitieren von Textstellen bei Veranstaltungen bedarf meiner Genehmigung.
Alle in dieser Kriminalgeschichte vorkommenden Namen, Personen, Organisationen, Orte sind erfunden oder werden rein fiktiv benutzt. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Geschehnissen, Orten oder Personen, lebend oder tot, sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Hinter dieser Tür wohnt ein Sack voll Märchen… Ich weiß, die Tür müsste mal wieder gestrichen werden, vielleicht schaffe ich das ja 2018 :).
Alle Jahre wieder schreibe ich eine Weihnachtsgeschichte und wünsche damit meinen Liebsten und Freunden eine frohe Weihnacht. So auch dieses Jahr: Ich denke fest an Euch und wünsche Euch allen Gesundheit und Glück, Mut zur Lücke und Freude am Leben, Eure Petra
Scharfer Novemberwind wehte einen Hauch von Schnee in den kahlen Apfelhain. Josefine fröstelte und sorgte sich. Die Obsternte war nach den späten Frösten im Frühjahr komplett ausgefallen. Trotzdem kamen seit Oktober Kunden auf ihren Hof und fragten nach Weihnachtsäpfeln, den Purpurroten Cousinots, der Ingrid-Marie und der Roten Sternrenette. Bedauernd schüttelte Josefine Kannengießer ihren Kopf und wiederholte die Worte „Alles im Frühling erfroren, keine Chance dieses Jahr.“ wie ein Mantra. Die enttäuschten Blicke der Leute nagten an Josefines Ehre. Schließlich versorgten die Kannengießers schon seit Generationen die Leute in der Gegend mit knackigen Weihnachtsäpfeln. Die Tanne in der Mitte des Dreiseitenhofes wurde stets zum Weihnachtsfest mit Nüssen, Strohsternen und roten Äpfeln geschmückt. In Ermangelung von echten hatte die junge Landfrau Deko-Äpfel via Internet geordert. Was für eine Schande, dachte sie währenddessen. Der Urgroßvater würde sich im Grabe umdrehen.
Der Sturm rüttelte arg an dem alten Fachwerkhaus. Die Frau trat ans Fenster und lauschte ihm nach. Es war ihr, als fegte der Wind ihre Gedanken in eine Zeit, als ihre Urgroßeltern lebten. Dunkel erinnerte sie sich, dass ihr Urgroßvater immer im Spätherbst von einem geheimen Ort im Wald tiefrote, spritzig-süße Äpfel holte. Die lagerte der alte Köhler sorgsam ein und polierte am Weihnachtsabend die schönsten für den großen Weihnachtsteller der Familie. Alle Jahre ging das so, bis der Alte verstarb. Der Weihnachtsapfelbaum im Wald geriet in Vergessenheit. Schließlich wusste ja niemand so genau, wo er stand. Das war auch nicht weiter schlimm, da die Familie inzwischen einen großen Apfelhain geschaffen hatte. Aber keiner dieser Äpfel hatte dieses feine Weihnachtsaroma, wie jene, die der Urgroßvater verschenkte. Was das nur für eine Sorte war? Josefine suchte nach dem alten Familientagebuch ihrer Großmutter und blätterte darin. Ziemlich weit hinten waren zwischen den handgeschriebenen Zeilen kleine quadratische schwarz-weiße Fotos geklebt. Auf einem dieser Bilder entdeckte sie sich selbst als Fünfjährige neben ihrem schon sehr, sehr alten Urgroßvater. Sie standen vor einem mächtigen Apfelbaum. Im Hintergrund rauchte ein Kohlenmeiler. Darunter stand: „Der letzte Brand.“ Das musste doch der Standort des alten Baumes sein und sie war sogar schon einmal dort. Irgendetwas trieb die Frau an, diese Lichtung im Wald zu suchen.
Am nächsten Morgen brach sie auf. Mit dem Kleintransporter fuhr sie bis zum Wuckerweg tief in der Schorfheide. Eine Kiepe auf dem Rücken stapfte sie los. Auf dem Foto im Familientagebuch war unten links im Grauschleier ein Jagenstein erkennbar, der eine verwitterte Nummer trug. Josefine entzifferte die Zahl als 230. Diese Markierung könnte sie bei ihrer Suche leiten. Bei dem Jagen 228 war sie schon angelangt. Sie pirschte sich weiter Richtung Süden. In der Stille der Waldluft fühlte sich die Frau frei und stark. Es dämmerte schon als sie bei ein paar alten Fichten, rechts beim Weg einen großen Findling erblickte, auf dem „Märchenwald“ geschrieben stand. Josefine dachte bei sich, dass passt zu diesem verwunschen-schönen Ort und ihrer Absicht. Kaum später gelangte sie auf einen schmalen Wildacker und entdeckte im Waldsaum ein rotes Leuchten. Die Augen der Frau strahlten: Geschützt vor Wind und Wetter stand dort der mächtige Urgroßvaterbaum voll behängt mit prächtigen Winteräpfeln. Tagelang machte sich nun Josefine zu dem Baum im Wald auf und erntete die wundervollen Früchte. Und weil sie nicht dahinterkam, wie diese alte Apfelsorte hieß, schrieb sie sie einfach auf ihr Angebotsschild am Hofladen: „Köhlers Märchenapfel – perfekt zum Weihnachtsfest“. Petra Elsner, 2017
Nachtrag Den Findling mit dem Namen “Märchenwald” gibt es wirklich in der Schorfheide. Keiner weiß, weshalb der so heißt. Aber nun gibt es diese Geschichte für ihn… Sie erschien gestern im Barnim-Echo der Märkischen Oderzeitung.
Der Stein ist u.a. in dem Bändchen “Gedenksteine und Forstorte in der Schorfheide” von Joachim Bandau vermerkt.
Der gelbe Punkt Nummer 6 markiert seinen Standort. Die Karte stammt aus dem Buch von Joachim Bandau. Um dort hin zu gelangen, benutzt man nicht wie im Märchen den “Wuckerweg” (ich musste im Text die Frau ja auf einen weiteren Weg schicken…), sondern läuft dort, wo der Wildauerdamm von der L100 abgeht, den Waldweg parallel zu den beiden Radangseen. Dort werdet ihr dem Stein begegnen, dem Apfelbaum sicher nicht. Es ist eben ein Märchen, kein Reiseführer…
Annenwalder Advent: Morgen, am 10. Dezember geht es mittags nach Annenwalde bei Templin. Im Hofladen von Kitty Weitkamp werde ich ein Plätzchen bekommen, um von 14 bis 18 meine Bücher, Eulenkalender und diverse Drucke und Kartensets anbieten zu können. Beim Annenwalder Advent geht es dieses Jahr etwas kleiner zu, trotzdem lohnt sich gewiss ein Ausflug dorthin. Im Hofladen wird Glühwein und Kunsthandwerk geboten. Die Gaststätte „Kleine Schorfheide“ gegenüber serviert ein Adventsmenü. Auf dem Pferdehof kann der Gast auf Ponys und Pferden reiten. Christian Wendt kutschiert die Kremserfahrten und in der Glashütte um die Ecke kann man Weihnachtsglas gestalten. Die Landfrauen Densow sind mit Kaffee und Kuchen dabei und am Abend gibt der Lychener Kirchenchor „Europäische Weihnachtslieder ab 18 Uhr in der Dorfkirche. Es ist also nett was angerichtet. Ich hoffe auf Euch als freundliche Besucher … 🙂
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