Morgenstunde (543. Blog-Notat)

Gestern Morgen zwickte mich da ein Zweifel: Haben wir das richtig entschieden? In der Nachbarschaft hatten die Kollegen das große Flanieren bei sich auf den Höfen und wir waren zum ersten Male bei den OFFENEN ARELIERS Brandenburgs nicht dabei. Aber dann kam der sechste angemeldete Augustbesuch ins Atelier und die Zweifel verflogen. Ein anregender Gedankenaustausch war das und genauso wünschen wir uns die Einblicke ins Schaffen. Also lassen wir nicht mehr nur den einen großen Event im Jahr steigen, sondern: man/frau darf immer reinschauen und gewiss sein, dass ich mir Zeit nehme. Ich glaube, in so flüchtigen Zeiten, hat das einen besonderen Wert.  In all den Jahren wuchs bei uns zum OFFENEN ATELIER die Gästeschar. Schlussendlich konnte ich mich kaum noch auf Gespräche einlassen, weil wieder jemand eintraf oder etwas brauchte, wollte… ich war an diesen zwei Tagen eigentlich nur ein Staublappen über der Gesellschaft. Und viele, sehr viele kamen eigentlich nur wegen des Kuchens und mancher schaute erst gar nicht ins Atelier… Also, ich bin zufrieden mit der „ganzjährigen Atelier-Öffnung auf Nachfrage“. Heute zum Sonntag erreichte mich noch die tolle Nachricht, die Wandlitzer Gäste aus der letzten Woche geben die Leihgabe nicht mehr her. Sehr fein 😊 und ein Grund zur Freude, weil meine Kunst wieder einmal Herzen berührt hat…

Morgenstunde (542. Blog-Notat)

Netze durchspannen die Heide. Sie sind traumschön und sie künden unmissverständlich vom Herbst. Es ist meine Jahreszeit. Ich mag das leicht Morbide, die Bilder der Vergänglichkeit, aber auch das Ernten und Winterfestmachen des Quartiers. Noch gibt es Sonnentage, Kaffeezeiten im Freien, Abende unterm Sternenhimmel und ein, zwei Herbstfeste vielleicht. Aber bald schon ziehen wir uns zurück in die Häuser und die Kerzenzeit beginnt. Ich werde mich mit dem Zeilenwerk umgeben und abtauchen in dessen Figurenwelt…

Aus „Zeit der weißen Wälder“, meinem aktuellen Romanprojekt:

… „Verstehe“, sprach der Mann jetzt tonlos. Er ahnte, welchen Prozess die Frau auf sich nahm. Er zog eine kleine Handpuppe aus seinen unergründlichen Jackentaschen und ließ den Kasper sprechen: „Sieh‘ mich an. Hundert Jahre bin ich alt und bin der einzige Kasper meiner Art. Einem Bauch- und Handgefühl entsprungen, geschnitzt von Harry. Fast 50 Jahre habe ich in einer Kiste verschlafen, bis mich der Hans fand. Der Sohn eines Nieskyer Holzhausbauers, studierte Landschaftsarchitektur und schien damit zufrieden. Doch nach dem frühen Tod des Vaters, gleich nach der Wende, fand er beim Entrümpeln die Puppenkiste des Urgroßvaters auf dem Dachboden. Da wars um ihn geschehen. Er kündigte, baute sich dieses ausgeklügelte, minimalistische Häuschen auf Rädern und fuhr einfach los. Die Oberlausitz rauf und runter, als Wanderer, der die Puppen wiedererweckt. Verstehst du worum es hier geht? Seinem inneren Klang zu folgen, aber dazu braucht es Mut.“
Emilia nickte: „Ich weiß, sonst werden mich die Toten nicht loslassen.“
„Genau, aber Geduld ist das wichtigste Gewürz der Heilung,“ sprach der Kasper noch und verschwand wieder in den schillernden Jackentaschen des Puppenspielers….

Morgenstunde (541. Blog-Notat)

Der Mittwochsbesuch im Atelier bot einen intensiven Austausch, vor allem um das leidige Thema der Vermarktung meiner Bücher. Man käme schwer an die Titel heran und auch der online-Einkauf wäre bei meinem Hausverlag zu kompliziert. Ja, ich kann es nicht ändern. Mir wird dann immer vorgeschlagen, einen anderen Verlag zu suchen (hey, ich bin 68 Jahre alt!) oder es heißt plötzlich: Wir nehmen mal ein paar Bücher unserem Buchhändler des Vertrauens mit – hm, spätesten daran merke ich, sie haben gar nichts verstanden. Was sollte mir das bringen, wenn ich die Bücher ja selbst erst einmal vom Verlag zum Autorenrabattpreis kaufen muss. Diese kleine Spanne ist mein Beteiligungshonorar. Die Rabatte für Buchhändler sind allerdings viel höher, ich müsste quasi bei dieser Idee draufzahlen. Aber ich bin kein Buchhändler, sondern eine Autorin, die aus ihrem Atelier heraus nur ihre eigenen Werke Ateliergästen anbietet. Rabatte und Buchpreisbindung sind den meisten Menschen fremd und ich denke dann immer im Stillen: Meine Güte, ich bin 27 Jahre schriftstellerisch tätig und habe die Dinge wohl durchdacht und meine Möglichkeiten auf diesem schwierigen Markt auch.  Etliche Ateliergäste denken, es mangele mir nur an dem richtigen Geschäftssinn. Herrje… Morgen kommen Besucher aus Birkenwerder, ich hoffe, sie interessieren sich nur für die sichtbaren Bilder und die Bücher und nicht für deren Vermarktung… die drei Zeichnungen für die Weihnachtsgeschichte 2021 habe ich heute abgeschlossen. Schönes Wochenende allerseits!

Morgenstunde (540. Blog-Notat)

Und zack stürmt der Herbst. Wir haben die Heizung angeworfen und ich habe gestern die Weihnachtsgeschichte 2021 geschrieben (noch wird nichts davon verraten). Nun zeichne ich dafür, was länger dauert als die anderthalb Seiten zu texten. Das Wetter passt jedenfalls. Eigentlich ist dieses alljährliche Thema für mich gewöhnlich am ersten Regentag im September dran, aber zunehmend ist es der August, der schon mal herbstelt, während der September gerne noch einmal den Sommer gibt. Mir solls recht sein, die Arbeit an der illustrierten Kurzgeschichte fügt sich gut zwischen die angekündigten Besuche, danach geht es mit dem Romanstoff (Schreiben und Detail-Recherche) weiter….

Morgenstunde (539. Blog-Notat)

Die „Treiborte“ haben gestern den Bilderspeicher verlassen, zum Probewohnen in Wandlitz. Das ist immer der beste Weg, wenn ein Bilderkäufer unschlüssig ist. Er/sie kann es ausprobieren, wie es sich mit dem Bild im Raum lebt und wenn es nicht passt, zurückbringen ohne irgendeine Verpflichtung. Außer: es sollte noch heil sein 😊. Die beiden neuen Wandlitzer kennen wir schon aus unserer Berliner Zeit. Sie las im Blog, dass wir nur einen faulen Sonntag vorhatten… und überraschten uns spontan mit ihrer Gesellschaft. Es wurde ein entspannter Gesprächsnachmittag, wobei es zu ersten Weihnachtseinkäufen im Atelier kam und besagter Leihgabe. So unaufgeregt kanns zugehen, wenn man unangemeldet kommt. Da gibt’s zwar keinen Kuchen, aber auch keinen Stress. War schön gewesen. Man sieht sich wieder zum Literaturfest am 18. September am Bahnhof Wandlitzsee. Ich setz mich derweil in meine nächste Schreibzeit…

Morgenstunde (538. Blog-Notat)

Der Imkergatte ist beim Füttern. Leider haben wir nur große Gebinde Futtersirup bekommen. Also quält er sich mit den 28-Kilo-Lasten. Und immer wieder kommt irgendwas dazwischen oder dazu. Vorgestern Invasion im Hofinnern. Hunderte Bienen suchten wie wild. Sie flogen wie Pfeile. Irgendwas haben sie gerochen, aber da war nix, außer leere, verschlossene Beuten. Der Spuk war nach einer halben Stunde schlagartig vorbei. Wie eingefallen, so verschwunden. Gespenstisch. Eine Futterrunde ist rum, sie können also nicht hungrig sein. Aber es ist ihr Naturell nach Futter zu suchen. Gestern rief eine Überüberüber…-Nachbarin an: „Was meinst du, wie viele Bienen hier sind.“ Also ist der Liebste hin gesprintet und siehe da, es waren Futterwaben, die man schlicht vergessen hatte zu entsorgen, nachdem der Alt-Imker verstorben war. Diese Waben waren naturgemäß ein gefundenes Fressen… Als der Abend dämmerte, ist der Liebste nochmal zu ihr und hat die Beuten verschlossen, nachdem alle Bienen raus waren… Abenteuer pur. Aber heute gibt’s einen faulen Sonntag… nur eine kleine Spachtelei vielleicht  😊.

Morgenstunde (537. Blog-Notat)

Am Geli-Gedenktag kamen nachmittags liebe Gäste, die vor einiger Zeit von Kurtschlag nach Baden-Württemberg in die Nähe ihrer Kinder zogen. Sie haben es manches Mal bereut, weil das Miteinander in diesem Walddorf schon etwas sehr Besonderes ist, auch wenn Corona es veränderte. Aber wie dem auch sei, sie holten mich mit ihrer herzerfrischenden Plauderart aus meiner gedämpften Stimmung und zu guter Letzt kam es sogar zu einem kleinen Bildverkauf. Ein Schräge-Vogel-Cartoon. Sie haben bereits vier Originale und nun kommt ein weiteres Gute-Laune-Motiv an ihre Wohnzimmerwand (siehe unten). Zum Verkauf hatte meine umweltfreundliche Tüten-Collection Premiere…😊.


Das Problem dieser Verpackungen ist – man bekommt sie nicht in kleinen Gebinden, und so steht nun ein weiterer Paket-Kollos mit 250 Teilen (je Größe) auf dem Dachboden. Aber gut. Kommende Woche haben sich zwei Kleingruppen zum Atelierbesuch angekündigt – es kommt Leben in der Bude zum Sommerausklang… Habt ein schönes Wochenende allerseits!

 

Lyrik-Krümel

Hauchnah

Du bist der Klang
aus der Stille
meine Schwester
weit hinter der Zeit.
Ein singender Hauch
ein Wehen
aus der Ewigkeit.


(Für Geli, † am 13. August 1997)

Feuer, Wasser, Luft und Erde

Die verborgenen Welten in uns selbst…

Morgenstunde (536. Blog-Notat)

Es ist eine merkwürdige Woche. Der Muskelkater will nicht gehen und die Gedanken sind besorgt, dass uns herbstwärts das Leben weiter verhagelt wird. Die MP-Konferenz von gestern lässt ahnen, dass dieses Durchregieren ein Dauerzustand bleibt. Ein Schlafwagen parkt im Kanzleramt. Was ist nur aus uns geworden? Das Land braucht Energie für einen ungekannten Aufbruch. Der Inhalt des Wortes Ressourcen muss vollkommen neu definiert werden. Es braucht Denkfreude, Erfindergeist, einen mutigen Wandel, Empathie und Achtsamkeit. Die Welt hat Fieber… All das liegt mir dieser Tage auf der Seele…

Ich spendiere hier mal lieber einen weiteren Ausschnitt aus meinem aktuellen Romanprojekt, dem ich den Titel „Die Zeit der weißen Wälder“ gab:

… Am anderen Morgen klopfte der Puppenspieler an ihre Tür. Er lächelte geheimnisvoll. Zu ihrer Überraschung trug er heute eine rot-lila schillernde Jacke mit großen aufgesteppten Taschen und weite weiß-schwarze Streifenhosen. Der Mittfünfziger sah in ihr verwundertes Gesicht, drückte ihr wortlos eine Tüte mit belegten Brötchen in die Hände und schlängelte sich an ihr vorbei. Aus seinen großen Jackentaschen holte er eine Thermoskanne, einen Salzstreuer und zwei schöne Glasbecher. Emilia stand noch wie angewurzelt in der Tür und dachte, was für eine Verwandlung. Erst seine galante Handgeste holte sie an den Tisch. Hans, der Täuscher goss Kaffee ein und streute eine Prise Salz darüber. „Das nimmt das Bittere aus dem Kaffee,“ erklärte er und legte ein Gruppenbild zwischen die Becher.  „Es ist ein Foto von einem Treffen des Arbeiter- Turn- und Sportbundes zu Zeiten der Weimarer Republik. Und sieh mal, hier unten hocken Fredi und Harry, unsere Urgroßväter. Sie waren damals einfache Arbeiter in einer der Reichenbacher Druckglashütten. Die Eltern der jungen Männer verlangten, dass sie nach ihren Wanderjahren ihre Flausen vom Künstlerdasein sausen ließen, um endlich etwas Anständiges zu machen. So denken ja leider die meisten Leute auch heute noch. Die Familien stammten aus Nordböhmen und die jungen Männer waren im 1. Weltkriegs in eine Wiener Munitionsfabrik zum Arbeiten eingezogen worden. Als dort eine der Arbeitsbaracken explodierte, sind sie auf und davon und nach Budapest gelaufen. Es waren Hungerjahre und es hieß, in Budapest gäbe es Weißbrot. Das war ihr Antrieb. Der Fredi lernte unterwegs von einem Wandergesellen die Grundbegriffe der Ölmalerei und mehrere Musikinstrumente spielen. Harry eignete sich das Puppenspiel an, schrieb Stücke und schnitzte seine Figuren. Die beiden waren einfach unglaublich im Zusammenspiel, dass sie in den 20er Jahren in ihre knappe Freizeit verlegten mussten. Stattdessen fertigten sie nun sechs Tage in der Woche Schliffperlen für Kronleuchter. Oder sie schliffen Linsen, Signalgläser, Knöpfe, Fahrradstreuscheiben und technische Gläser.  Über die Glashütte fanden sie zum Turnen. Doch diese sozialdemokratische Sport-Bewegung wurde 1933 nach der Machtübernahme der Nazis verboten. Dieses Foto aber hat die Männer 1945 vor der Kriegsgefangenschaft bewahrt und ihnen vielleicht sogar das Leben gerettet, damals, zu Kriegsende als die Russen über die Neiße kamen. Sie konnten damit beweisen: Sozi, nicht Nazi.“
Emilia schwieg nachdenklich. In Gedanken war sie plötzlich in Fredis Laube am Sportplatz. Ein wackliges Lattenhäuschen auf schwerem, schwarzem Boden. Sie war mit ihrer Mutter für eine Ferienzeit Ende der 70er Jahre dort untergekommen. Es regnete ununterbrochen. Alles in der wackligen Bude war längst klamm, aber in Fredis Glaskiste funkelte das Licht. Es war Bruchglas oder Fehlschliffstücke, mit denen sie spielen durfte. In dieser Kiste lag der Baustoff für ein Traumzauberland. Schillernd und prächtig, ganz anders als das Grau, dass die kleine Stadt unweit des Rotsteins damals überzog. Als gäbe es gegen den Staub der Zeit keine Farbe. Ja, sie kannte den Urgroßvater noch. Er erfand für sie Geschichten von Zwergen und Räubern. Uralt sah er beim Mittagsschlaf auf dem Sofa neben ihr aus, dass es sie manchmal gruselte, er könnte nicht mehr aufwachen. Alt nicht von den Jahren, sondern verbraucht vom Leben. Eines schönen Sommertages ging er mit der Zeitung hinaus aufs Klo im Hof und kam nicht wieder. Vom Schlag getroffen. Damals hat man die Alten noch human sterben lassen, dachte Emilia. Nicht erst nach etlichen Reanimationen, nach denen das Überleben eines Hochbetagten meist kein gutes Leben mehr war. Fredi lebte 84 Jahre lang und wurde von seinem sanften böhmischen Humor getragen. Emilias Mutter hatte seine Staffelei, den Koffer mit den Ölfarben und seine Fantasie geerbt. Die Übergabe glich einer Initialisierung, denn die Mutter wurde zur malenden Geschichtenerzählerin. Als sie starb, nahm Emilia das mütterliche Skizzenbuch an sich und zeichnete darin weiter. Häuser, Stadtquartiere. Sie brauchte etwas Handfestes, etwas Relevantes, dass nicht von Stimmungen anderer abhängig war. Und doch spürte sie diffus das innere Familienband, das sie verweigert hatte. Die künstlerischen Talente der Ahnen – sie sind die Verbindung.

Der Puppenspieler sprach in ihre Gedanken: „Du starrst noch ein Loch in das Foto.“
„Entschuldige.“ Emilia legte das Gruppenbild zurück auf den Tisch und murmelte: „Was ein Erinnerungsbild so alles auslösen kann. Sogar Leben retten. Erstaunlich. Dahinter zerbröselt die Zeit, wird fremd, verfälscht. Die Wahrheit verliert sich auf kurz oder lang im Meinungsnebel.“
„Oh, ich mag Menschen, die nachdenklich Philosophieren.“
„Die meisten nennen es eher kopflastige Schwermut.“ Sie sah auf den verkleideten Mann und zog flüchtig an seinem schillernden Jackenärmel: „Ist das der echte Täuscher oder verkleidet sich der Puppenspieler nur streng?“
„Das wirst du allein herausfinden müssen.“ Er lächelte gespielt, steckte das Foto ein und fragte: „Wonach suchst du hier?“
Sie sah ihn offen an und zögerte doch einen Moment. Dann flüsterte sie fast: „Ich suche nach der Verbindung.“ …