Morgenstunde (187. Blog-Notat)

Blumenbienchen von Petra Elsner

Schafskälte überland. Die gab es gefühlt schon lange nicht mehr. Gut, um das Quartier zu kühlen. Aber jetzt schlottere ich schon abends, denn die Steuerung der Heizung hat nach dem großen letzten Stromausfall offenbar ‘nen Knacks bekommen. Nichts hält ewig. Wir fahren heute zum Imkereifachhandel Hirschfelde in Märkisch-Oderland, um Winterfutter für die Bienen zu kaufen, denn das Bienenjahr neigt sich schon wieder. Die letzte große Tracht – die Linden – scheint dieses Jahr nicht „zu honigen“. Es ist zu trocken, da bilden die Blüten keinen Nektar. Wenn es trotzdem in der Linde summt, dann werden Pollen gesammelt, aus denen die Bienen Futtersaft bereiten. Schade, ich mag Lindenhonig, aber wer will all die Straßenbäume so wässern … eine Unmöglichkeit, denn es geht hier nicht um einen kühlen Schwaps, sondern um stundenlanges Wässern. Natürlich gibt es überall noch Blüten in den Gärten, die auch besucht werden von den Sumsis, aber echte Mengen sind das nicht mehr. So wird der Imkergatte wohl Ende Juli Abschleudern und Einfüttern.
Für alle in der Nähe, wir haben derzeit Frühsommerblütenhonig (vordergründig Raps) und Sommertrachthonig im Glas. Etliche Sommerblüten-Schleudern befinden sich noch in Abfüllgefäßen zum Reifen und Rühren. Es kommt also noch etwas nach. Einstweilen wünsche ich allen ein frohes Wochenende.

Morgenstunde (186. Blog-Notat)

Na, Morgenstunde ist nicht mehr … aber eben wurde mein Schräge-Vogel-Motiv für das Fest an der Panke (8./9. September 2019 in Berlin-Pankow) fertig. Diesmal wählte ich das Thema „Rummel“, was das Stadtteilfest natürlich auch ist. In den Ohren währenddessen die Debatte um eine mögliche CO2-Steuer. Liebe Leute, das wird fraglos wieder so ein bürokratischer Bandwurm, der Unsummen verschlingt. Warum die Deutsche Politik immer so um die Ecke denken muss! Warum bekommt beispielsweise nicht jeder, der fliegt…, seinen CO2-Oulus direkt auf sein Ticket gebucht? Die Firmen müssen das dann wie die MwSt. an den Staat abführen usw.. Aber neuerliche Pauschalabgaben – ich bin dagegen. Zahlen soll der, der verbraucht oder verschwendet, die anderen sollten in Ruhe gelassen werden!

Morgenstunde (185. Blog-Notat)

Wurzelgestalt im Dickicht. Foto: pe

Ach wie schön, gestern bekam ich abermals den Auftrag ein Einladungskartenmotiv zu entwickeln und zu zeichnen. Diesmal ist es für das 50. Fest an der Panke in Berlin-Pankow. Das hat mich natürlich gleich an den Zeichenplatz befördert, weil: Natürlich eilts mal wieder. Der Zuschlag für den Ausrichter (der mir den Auftrag erteilt) kam spät und nun müssen alle Nachfolgenden flinke Socken machen. Aber zuerst hab‘ ich meine Kunstmarktstand-Anmeldung für den 8. und 9. September ausgefüllt und ein Zimmer in der Berliner Pension Gilka gebucht, die befindet sich in unserem einstigen Wohnhaus im Prenzlauer Berg. Abends war die Strichzeichnung soweit, heute lege ich die Farbe an. Gott sei Dank ist es gerade nicht so heiß!
Noch etwas: Heute ist der 7. Tag ohne Hormon-Therapie. Ich hab‘ das Teufelszeug abgesetzt, dass mich zusehends schrumpfen, altern, noch mehr krank und traurig werden ließ.  Tamoxifen wird vielen Frauen nach Tumor-OPs über fünf Jahre verabreicht. Die Hälfte bricht die Therapie unter großem Leidensdruck ab, weiß ich jetzt. Die Nebenwirkungen trüben das Überleben nach Krebs, es kommt so keine Freude auf, sondern von Monat zu Monat treten mehr Probleme auf. Nun kann ich doch wirklich schon nach 7 Tagen zusehen, wie die Energie zurückkommt. Ich fass‘ es nicht, ich spüre über tag keine Leistungsabbrüche mehr, die mich schlagartig zum Schlafen zwangen. Selbst Notfallspray (sonst täglich 2-3 Mal) für meine Lunge ist seit drei Tagen nicht mehr von Nöten, nur das ganz normale Inhalationszeug. Dass ich es wirklich allein auf den Verursacher kommen und entscheiden musste, finde ich nach wie vor schlimm, habe die Mediziner lediglich informiert. Es hat sie nicht verwundert. Ärgerlich ist und bleibt, es gab kein Zusammendenken der Ärzte wegen meines miserablen Allgemeinzustandes, der sich irgendwie wie Ü 80 anfühlte.  Vielleicht erreiche ich diese Landmarke in ü15 Jahren ja noch und wenn nicht, dann ging es mir wenigsten in der verbleibenden Zeit einfach mal froh und besser.

Morgenstunde (184. Blog-Notat)

Der Nordwestwind trägt Rauch vom großen Waldbrand aus Mecklenburg zu uns. Was uns schlecht schlafen ließ, denn wir wohnen auch an einem mordstrockenen Wald, der letztes Jahr schon sieben Mal brannte. Trotz Abkühlung konnten wir nachts die Fenster nicht öffnen. Das ist bestimmt das Geringste. Inzwischen hat sich das Feuer bei Lübtheen auf 600 Hektar ausgeweitet. Man muss sich schon fragen, weshalb Politik und Katastrophenschutz 74 Jahre nach Ende des II. Weltkrieges offenbar so ein Szenario nicht auf dem Schirm haben. Ich meine, dass eben Löschtechnik entwickelt wurde, die so einem Inferno den gar aus machen kann, erst recht, wenn die Nähe dieser Gebiete besiedelt ist. Erdentechnik fliegt zum Mars und in die Weiten der Galaxien, aber was ist hier auf Erden? Brandenburg entfaltet ein Wüstenklima, die Wasserstände sinken, Flora und Fauna leiden. Folgen des Klimawandels. Die Trockenheit ist schon genug Herausforderung für die Blaulichter, aber, dass munitionsbelastete Gebiete nach so vielen Jahren immer noch nicht abgesucht sind, verstehe ich nicht. Ja, die Kosten… ich sage, die Wahl der Prioritäten stimmt einfach nicht. Im Augenblick stinkt es draußen nicht so penetrant, offenbar kommt der Rauch mit den Böen und reißt zwischenzeitlich ab. Wie auch immer, ich wünsche den Männern, die mit dem Feuer kämpfen, mehr wirkliche Unterstützung und Regen.

Blätterwald (3. Abschnitt – der Schluss)

Eine Kurzgeschichte in Arbeit:

… Offenbar hörte jemand seinen inneren Monolog. Der Schreiber hob den Blick und sah sich im Großraum um. Die Kollegen telefonierten, tippten ihre Gedanken in die Tastatur oder debattierten über irgendetwas. Keiner beachtete ihn, aber jemand war bei ihm, ganz in der Nähe. Seine Augen kehrten zum Schreibtisch zurück und erfassten das Foto seiner verstorbenen Frau. Wie oft war sie ihm Inspiration gewesen und wie oft hatte er in den vergangenen Jahren mit ihrem Abbild gesprochen? Plötzlich stieg sie als Miniatur aus dem Bild, lief über Hand und Arm auf seine Schulter und flüsterte dem alten Schreiber ins Ohr: „Ja, du darfst diesen milden Grundton anstimmen, um dem großen Kanon eine hoffnungsvolle Note hinzuzufügen. Eine schöne Note.“ Dann lief sie zurück in das Bild. Eric Winter blinzelte mit feuchten Augen. Er bedachte sich noch ein Weilchen und beobachtete dabei die Kollegen. Diese vielen Selbstgerechten, die hätten längst zurückgebrüllt, die Fahne der Arroganz geflaggt oder gar nicht erst auf diese Leserpost reagiert. Er konnte das nicht, es entsprach nicht seinem Naturell. Er war kein Jäger. Eric Winter war und blieb ein Feingeist. Vielleicht sollte er mit ihm in Rente gehen. Aber noch fühlte sich der alte Schreiber gebraucht, denn er hatte bemerkt, dass er von Menschen umgeben war, die alles hatten und sich deshalb nichts mehr wünschen konnten, außer vielleicht ein Wetter, das sich jedoch nicht erzwingen lässt. Das Gesellschaftsleben aber braucht offene Wünsche, sonst gehen ihm die Träume aus. Er konnte sich nicht zurückziehen, er wollte Stimme sein, eine Stimme, die Herzen öffnet und Gemeinsinn stiftet. Der Schreiber nickte, er hatte sich selbst versichert und nun schrieb er: „Ihre Zeilen habe mich wirklich nachdenklich gestimmt, aber glauben Sie mir bitte, die Welt braucht Ermutigung und einen hoffnungsvollen Blick auf ihren kranken Zustand …“

© Petra Elsner
28. Juni 2019

Morgenstunde – Druckfrisch (183. Blog-Notat)

Frisch aus der Druckerei

Es riecht nach Farbe aus dem großen Karton, die Bücher sind da und sie lächeln mich an wie echte Perlen. Optisch find ich den Krimi „Milchmond“ ausgesprochen gelungen, über den schönen Rest dürft Ihr selbst entscheiden. In den nächsten 14 Tage müsste es im Handel deutschlandweit gelistet sein, es braucht dazu immer ein bisschen Zeit, aber ich hab‘ es schon in den Händen und bin wirklich glücklich. Wer es schneller haben mag – komm vorbei: Am Samstag ist in unserem Schorfheidedorf Kurtschlag ab 14 Uhr Sommerfest, da werde ich es zum ersten Male anbieten können. Oder wendet Euch direkt an den Verlag mit seiner Buchhandlung Ehm Welk und dem online-Portal in Schwedt.

Stimmen zu Milchmond:

Liebe Petra am Wald,
hab Deinen Krimi gelesen und muss sagen, mit Recht hast Du dafür den 1. Krimi Award der Uckermark bekommen. Am meisten hat mich beeindruckt, wie Du in diesem Krimi die Lebensweise in dem kleinen Ort der Schorfheide getroffen hast und wie Du die Befindlichkeiten und Umstellungen der Lebensweise nach der Wende ganz dezent mit eingebaut hast (z.B. Seite 85 und 91). Toll und spannend bis zuletzt.
Danke! Deine Petra vom See, 12. Juli 2019

Blätterwald (Abschnitt 2)

Eine Kurzgeschichte in Arbeit

…Wie sollte er darauf antworten? Ich liebe eine gepflegte Sprache ohne lautes Effektgewitter? Hatte er mit seiner Wortwahl wirklich ein falsches Bild von der Welt abgegeben. Er war sich dessen nicht bewusst. Schreiben war für ihn immer auch Selbstverteidigung gewesen, eine Abwehr von Schwachsinn und Machtchaos. War das ein Irrtum? Eine verlorene Idee? Der Schreiber grübelte und je länger das dauerte, desto deprimierter schaute er auf seine unangenehme Post: „… Sie lügen! Die Welt ist nicht so, wie Sie sie beschreiben. Sie ist hässlich und der menschliche Umgang ist ruppig! Warum ziehen Sie der Realität Kapitälchen und Schnörkel an? Sehen Sie besser hin, bevor Sie uns mit ihren schwülstigen Texten eine Zukunft ausmalen. Wir stehen am Abgrund und Sie geben der Zukunft ein blendendes Image. Das ist abartig…“
Eric Winter fühlte sich unbehaglich. Hätte der Leser ihn einfach rüde angefeindet, wie es die meisten  Leute heutzutage praktizieren, dann hätte er die Sache zur Seite legen können. Ein Wutbürger mehr im Papierkorb, doch diese Worte schmerzten wahr. Und doch waren Eric Winters Reflektionen eben sein Augenschein auf seine Umwelt. Der Leser konnte ja einen anderen haben. War es denn nicht legitim einen komplett anderen Grundton Hoffnung zu verbreiten? Ist das schon aus der Zeit gefallen?…

© Petra Elsner
27. Juni 2019

 

Blätterwald (Abschnitt 1)

Eine neue Kurzgeschichte in Arbeit:

Im Wald der Täuschungen rauschten die beschriebenen Blätter. Was hatte er sich nicht alles ausgedacht, dass in den Menschenköpfen fortwirkte. Dass ist wohl die erreichbare Unsterblichkeit, dachte sich der alte Schreiber und schmunzelte in seinen dichten Vollbart. Eigentlich war Eric Winter ein Poet und hätte gerne dicke Bücher geschrieben, doch stattdessen hatte es ihn zu einer Zeitung verschlagen. Dort stülpte er seine schönen Worte über den üblen Zustand der Welt. Der Schönschreiber log nicht wirklich, aber indem er seine wohlklingende Sprache für schreckliche Nachrichten verwandte, klangen die Ereignisse nicht mehr so entsetzlich. Sie verfärbten sich zu einer beschaulichen Melodie. Eric Winter glaubte, mit der Kraft seiner Inspirationen könnte er die Welt ein wenig menschlicher machen. Doch nun saß er inmitten seiner Seitenstapel und raufte sich die wilden schwarz-grauen Locken, ein Leser hatte ihn Lügner genannt…

 

© Petra Elsner
26. Juni 2019

Rosenblütenblätter (Die ganze Geschichte)

2016 habe ich an dieser Kurzgeschichte öffentlich hier im Blog gearbeitet, irgendwann kam ich nicht weiter, ich wusste nicht, dass ihr im Grunde nur noch ein Schlusskapitel fehte. Das habe ich heute hinbekommen:

Rosenblütenblätter

Sie war schwer von der Leere und die Stille flüsterte: schlaf. Aber das Pfeifen in ihren Ohren wollte den Schlaf nicht kommen lassen. Sie stand auf, wie sie immer aufgestanden war. Weich in den Knien, doch mit jedem Schritt schob ihr Wille den Antrieb. Im Garten duftete die zweite Rosenblüte. Von den Essigrosen pflücke sie sich eine Handvoll Blütenblätter, trug sie in die Küche, schnitt das bittere Gelb heraus, gab sie in eine Glaskanne, dazu ein Salbeiblatt und übergoss alles mit heißem Wasser. Sie wartete zehn Minuten auf den Rosenblütenblättertee, der Herz und Seele leicht machen sollte. Das hoffte sie mit jedem bedächtigen Schluck, dann endlich lief sie in den Tag. War es noch Sommer oder schon Herbst? Viel Braun mischte sich schon in das Laub der Bäume, deren Blätter welk in der Hitze zu Boden fielen. Seit Wochen war kein Tropfen Regen gefallen, deswegen goss sie die Pflanzen nun auch in dieser Morgenstunde, bevor sie an ihren Schreibplatz ging. Heute würde sie nur Worte sammeln, denn sie wusste noch nicht, wohin sie sie führen würden. Sie hatte all ihre Kraft in den letzten großen Text fließen lassen, nun war sie weg. Für ein Weilchen oder auch länger, auch das wusste sie nicht. Aber sie erinnerte sich an die Worte ihres Methodik-Professors, der den gestressten Fernstudenten immer riet: „Schaffen Sie sich jeden Abend zur selben Zeit, die gleiche Situation: Ein Punktlicht, das die Umwelt ausblendet. Denken Sie nicht an die Verrichtungen, die auch auf Sie noch warten. Nur Sie im Lichtkegel und das Buch oder Blatt vor Ihnen. Sagen Sie ihrem Körper mit diesem immer wiederkehrenden Ritual: Du musst jetzt nochmal zwei Stunden etwas leisten. Wenn Sie zu müde sind, sortieren Sie einfach Karteikarten oder etwas in der Art, aber im Lichtkegel der Lampe …“. Damals gab es noch keine Computer, aber als sie fünf Jahre später auf die Schreibtische rückten, war es genau diese Situation, die Nora trainiert hatte. Das Licht und ihr sprudelnder Geist. Und wenn der schweigt – sammeln und sortieren.

Die Zeit frisst sich wie eine rasende Flamme durch diesen Tag. Getrieben vom Wind, der Wortfetzen aus dem nahen Wald heran weht. Es sind ihre Kopfgestalten, die darin tuscheln und säuseln. Nora sieht sich in einem Gedankenblitz, wie sie mit einem Kescher deren Töne zu erhaschen versucht. Aber sie sind unsichtbar im Zeitenwind, nur ein höhnisches Lachen dröhnt aus den Böen. „Hihihihi, siehst du sie, unsere Geschichtenmutter? Sie hat uns alle erfunden, aber wir wärmen sie nicht. Sie hat keinen, der ihr beisteht.“ Nora nickte und dachte, das stimmt. Aber es hilft nichts, ihre Reise geht weiter. Die letzte Passage wird es sein, und auch sie führt in einen großen Wald. Einen ohne Wegelagerer, die und auch die Räuber sind längst in die Städte gezogen, dort ist die Menschenjagd leichter. In diesem neuerlichen Geschichtenwald wehen die Stimmen derer, die noch gehört werden müssen. Sie wohnen in einem wilden Rosenbusch auf einer versteckten Lichtung. Doch zuvor muss Nora das stumpfe Feld der welken Träume überqueren.

Dusterbusch ist ein malerisches Wort und Dunkelwald ein mystisches.  Nora sammelt. Sie berührt dabei vorsichtig Bruchstücke. Zerbrochenes Leben: Die schlesische Weberin und der böhmische Glasmacher. Mit leeren Händen verjagt, fremd und arm mit ihren Kindern geblieben. Fortan geduckt unterwegs. Ihr Wanken schwappte in Noras Wiege, unerklärt ängstlich.  Wie sollte sie stark für das Leben werden? Lange ging das nicht. Sie musste erst selbst fallen, sich irren, aufstehen, Mut fassen und aufbrechen in ihre Welt. Im Finsterland atmete das Dunkel. Aus ihm zog Nora lichte Gestalten, als hätte sie sie schon im geschliffenen Glas des Großvaters als Sonnenfunken gesehen. Im Schattenland aber war die Verabredung „Leben und leben lassen“ verwirkt. Hier übertrat das Leben jede Schmerzgrenze. Ohne Erbarmen, ohne Empathie.

In der Birke wippte ein alter Rabe im dürren Geäst mit dem Wind. Sie mochte den fernen, knarrenden Vogel. Immer schon. Sie schenkte ihm einen gutmütigen Blick und starrte dann abermals abwesend in ihre große Leere. Plötzlich erhob er sich der Vogel und segelte zu der müden Frau. Dicht vor ihr landete er, hüpfte noch ein paar knappe Sprünge näher, rückte seinen Kopf zweimal zur Seite und starrte sie mit einem schrägen Blick an. Ohne einen Laut. Dann sprang er zu ihr auf die Gartenbank. Ihre Hand zuckte dabei und der Schwall aus ihrer Teetasse malte einen gelben Himmel in den weißen Heidesand. Die Zwei wussten sofort, dass diese Teespur ein Himmelsbild sein könnte – ein Zeichen für ein unendliches Gesprächsthema: Das Wetter. Sie blickten sich wie Verschworene an, und der Rabe sprach auf einmal rostig: „Das Wetter fühlt sich heute mies an, es heult zu sehr.“
Nora lächelte und spöttelte zurück: „Das Wetter hat sich übernommen, versonnen seufzt es arg beklommen.“ Der Rabe nickte, gluckste heiter und flog davon.

Weise Töne des Herzens pochten unter Noras Haut: Geh weiter. Lass Dich nicht ausnehmen. Bleib ganz bei dir. Hangle nicht nach Verderblichen. Die Frau wollte nicht mehr Klimmzüge an Kunsthändlern stemmen, die sich wie Hausverwalter aufführen oder verbeamtet, nur sich selbst versorgen. Sie tragen dazu die schönsten Federn der Vogelfreien, unbezahlt oder gegen ein Trinkgeld. Nora aber musste niemandem mehr etwas beweisen. Lass los, steige vom Tretrad. „Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen“, ließ Michael Ende seine Momo sagen. Und Nora wusste, ihre Lebenszeit tickte. Sie hockte auf dieser Eichenbohlenbank im Garten und sinnierte: Augenfänger ist ein schönes Wort und „nur mit den Augen berühren“ eine kluge Ansage. Nora sammelte für ihre nächste Erfindung, die nur ihr gehören würde.

Über das Kopfsteinpflaster holperte in der Mittagsstunde ein Pferdegespann. Die schwarzen Rösser schnauften in den gezogenen Zügeln. Ein Mann im Frack stieg vom Wagen und läutete die Glocke am Tor. Nora schreckte aus ihren Gedanken.  Sie fing mit beiden Händen ihre windzerzausten langen Haare ein und fingerte noch mit dem Gummi, während sie die Hoftür öffnete. Die dunkle Erscheinung zog den Hut, verbeugte sich und hielt ihr auf einem schwarz gelackten Tablett ein Briefkuvert entgegen. Nora griff verstört nach dem Schreiben, auf dem in einer geschwungenen Handschrift „Einladung“ stand. Sie öffnete behutsam den Umschlag und das eingesteckte Blatt. Es war leer. Der Mann sah sie fragend an: „Und, was soll ich ausrichten, werden Sie kommen?“
Nora antwortete entgeistert: „Wenn ich wüsste wohin, könnte ich Ihnen vielleicht antworten, aber so?“ Sie wedelte das leere Blatt. Der mysteriöse Bote wusste, er würde jetzt keine Antwort bekommen. Er bestieg seinen Wagen und orakelte noch: „Sie wenden es wissen, wenn Sie aufbrechen.“ Dann löste er die Zügel der Rösser und verschwand mit dem nächsten Luftzug.

Sie trug kein dickes Fell, nur eine dünne Haut in diesen frischen Morgen. Kühle Feuchte hing noch im Birkengeäst, aus dem der Rabe knarrte: „Nebliger Morgen verhüllt alle Sorgen.“  Nora sah auf, ihr Blick suchte nach Schemen in der Dunstwolke. Erst als der Rabe die Flügel hob, entdeckte sie ihn in den milchigen Schleiern und konterte: „Ein vernebelte Blick bricht schnell das Genick.“
Ihr neuer Freund aus der Landschaft segelte zu ihr und spazierte stumm mit Nora durch das tropfnasse Gras. Sie fröstelte und fingerte nach dem Briefkuvert in ihrer Jackentasche. Seit Tagen trug sie es ratlos mit sich. Nun zog sie es aus hervor und entfaltete das eingesteckte Blatt. Wohin sollte sie diese leere Seite führen? Auf dem weißen Grund erschienen plötzlich Worte. Nora staunte erschrocken: „Rabe, sieh, plötzlich steht hier etwas.“
Der Schwarze hüpfte auf die Frau zu, drehte neugierig seinen Kopf zur Seite und sie las ihm die Zeile vor: „Besinn dich auf das, was du bist, und lass dich nicht entmutigen.“ Kaum gelesen, verlöschten die Worte.
Das ist schwer, dachte Nora und sprach die Worte des erloschenen Zettels nochmals leise vor sich hin „Besinn dich auf das, was du bist, und lass dich nicht entmutigen.“ Der Fluss der Zeit reißt schon lange an ihren stützenden Flanken. Kratzt am Stolz und spült die Gewissheiten davon. Aus den Schrammen perlt Angst. Die bekämpfte die Frau immer schon zuerst. Denn die Angst spukt und treibt die Gespenster im Kopf an. Bis zur Schockstarre. Gegen diese Angst setzt Nora alle Tage eine schöne Empfindung: Eine Zeichnung, eine kluge Zeile, einen Liebesbeweis. In diesen Momenten stärkt sie sich selbst und gewinnt ein Lächeln im Tag. Aber reicht das für den inneren Aufbruch? Der Wandel all ihres Seins ist unübersichtlich. Sie muss sich dafür rüsten. Wandel ist Risiko. Eine Stimme aus dem Off ruft ihr belehrend zu: „Wandel ist Chance!“ Herrje, dass weiß Nora natürlich auch. „Es kommt auf die Perspektive an!“, murmelt die Frau der virtuellen Stimme auf der sicheren Ebene zu. Die schweigt daraufhin und Noras Gedanken fließen weiter:  Wohin sollte sie aufbrechen?

Unter ihren Schritten raschelte das Laub. Mit jedem kleinen Luftzug wirbelte es golden zu Boden. Heitere Vergänglichkeit. Der Tag glänzte eben noch, als ein kalter Wind auffrischte. Der schluckte die Rufe des Raben weit oben im Blätterdom. Nora lief und lief. Das war längst kein Waldspaziergang mehr. Unmerklich war sie aufgebrochen, einfach weiter gegangen ohne Ziel und Absicht. Unterwegs schien es ihr, als würde sie von Stunde zu Stunde leichter. Nicht wie ein flüchtiges Gas. Die Gedankenschwere bröckelte und verwandelte sich in ein leichtes, stilles Lauschen, und der Wald lauschte nach ihr. Nora lief ohne zu suchen. Im Abendrot gelangte sie an eine Lichtung. Ein Bachwasser plätscherte und zog die Frau zu einer Baumbrücke. Sie sprang auf den mächtigen Stamm und balancierte hinüber zum anderen Ufer, wo ihr ein dunkler Mann im Frack die Hand reichte: „Ich habe lange auf Sie gewartet.“

Nora erinnerte sich plötzlich. Eines Morgens, als die Sonne gleich wieder im Wolkengrau unterging, stand er vor ihr: Im Frack mit einem Cellokasten in der Hand, betrat er das gläserne Café am Berliner Alexanderplatz. Er setzte sich zu ihr und ihrem Morgentee und plauderte oktavenreich wie vom andern Stern in ihr dumpfes Erwachen. Als er ging, fühlte sie sich eingeladen. Aber in dieser frühen Novemberstunde war sie zu einem Abenteuer noch nicht bereit. Die Verpflichtungen zerrten sie artig weiter. Vierzig Jahre lang blieb sie auf dem dünnen Pfad der strengen Regeln. Die Wahrnehmung jenes Morgens aber, blitzte manchmal als schillernder Traum-Ton in ihre kreisende Gedankenwelt. Jetzt, als sie nach seiner Hand fasste, hörte sie den feinen Klang klarer, lauter.

Als sie von der Baumbrücke ins Moos sprang, schwollen die Töne zu einem Requiem an, trunken vor Schwere, als wollten sie zu Bleitropfen werden. Doch da schwebten im Totentanz der Zeit flirrende Stimmen vom Dunkel ins Licht. „Komm, Nora, tanz‘ mit mir!“  „Schwing dich auf den Wind!“ „Dreh dich geschmeidig und kreise nicht die Gedanken!“ Die Stimmen kicherten und lockten. Aber die Frau war schwer von der unsäglichen Traurigkeit in dieser Welt. Jeder Tag eine Träne. Salzige Zeittropfen, in denen die Gedanken nicht frei sind. Sie laufen Schleife. Aber dennoch war sie ja aufgebrochen, als wüsste etwas tief in ihr den Weg. Leichter waren unterwegs nur die Schritte geworden.

Als er sie den Hang hinaufzog und ihr der Atem stockte, entschloss sie sich zu kämpfen. Auf dem Sandweg angekommen, löste der Mann im Frack ihren festen Griff und stieg flink auf den Kutschbock. Es sah so aus, als wollte er gleich wieder im Nichts entschwinden. Da rief Nora bestimmend: „Was ist los Kutscher, willst du ohne Passagier reisen?“ Der Dunkelmann sah sie lächelt an, sprang zurück auf den Weg, senkte den Blick, öffnete galant den Kutschenschlag und sie stieg ein. Auf dem roten Polster lag ein neues Kuvert. Als sie es nahm, zog die Kutsche heftig an, so dass es sie in die Kissen drückte. Eine rasende Fahrt begann. Hinter dem Fenster rauschten der Wald und später ein offenes Wellenland wie in einem Sog vorbei. Schauerbilder blitzen dazwischen auf: Ein Wütender mit Trillerpfeife, ein krummer Späher und eine graue, verschlagene Diebin. Sie versuchten die Fahrt zu stoppen – bleich vor Neid und Gier. Doch die zwei Schimmel waren schneller. So entkamen sie jenen Bildern, die der Schmerz gebiert. Wahrheit oder Rausch? Der Kutscher warf einen Schatten, also mussten er und die Situation wirklich sein.

Die Zeit schwamm. Noras Haut hatte an diesem Morgen plötzlich wieder einen frischen Schmelz. Sie perlte sich unmerklich aus dem Dunkel ihrer wunden Seele. Hatte sie die verzerrten Echos der Vergangenheit verstanden, gezähmt und damit verwunden? Nein, soweit war es noch nicht. Die alte, verbrauchte Zeit griff immer noch nach ihr und fraß die leise keimende Energie.  Nora reiste, aber noch trat sie dabei auf der Stelle. Wie würde sie dem Bann entkommen? Und wann würde ihre Reise durch den Schmerz der Zeit enden? Der Kutscher hielt, als sie das dachte und deutete mit seiner Peitsche auf das ungeöffnete Kuvert. Sie nahm es, riss es auf, zog eine schlichte Briefkarte heraus und las erwartungsvoll: „Wenn du nichts mehr erstrebst, gelingt dir alles.“ Nora sah den Mann fragend an: „Ich soll aufgeben? Nicht mehr kämpfen und als Verlierer enden?“ Der Mann schüttelte seinen Kopf und murmelte: „Nur die Jagd loslassen.“ „Und dann, untergehen“, rief die Frau schrill-müde.  Der Frackträger winkte enttäuscht ab und ging. Nora aber stieg missmutig auf den Kutschbock, schnalzte mit der Zunge und die Schimmel liefen langsam einem weichen Abendlicht entgegen. Sie ließ die Zügel locker, denn ihre Gedanken setzten ihr Stiche zu. Sie fühlte sich abermals zurückgeworfen in die große Ratlosigkeit. Wochenlang.

Im Waldsee badete das Licht, als Nora absichtslos durch die inzwischen spätsommerliche Heide pirschte. Sie suchte Steinpilze. Das Moos am Ufer schmatzte und wellte sich in einen Anstieg hinauf. Alle paar Meter fand die Frau einen malerischen Pilz nach dem anderen. Der Blick schleifte über den Boden. Als sie wieder aufsah, entdeckte sie mitten auf dem Moosberg einen rundlichen Mann in einem Meer aus Rosenblütenblättern. Er saß auf einem mächtigen Findling und las in einem großen Buch. Laut. Silbe für Silbe und lächelte. Nora staunte, wie lange der Mann auf einer Buchseite verweilte und es war ihr, als öffnete sich dabei die Zeit. Der Mann war nicht wirklich anwesend, er steckte in der Geschichte, die er las, als ein Teil von ihr.
„Was liest du da?“, fragte die Beobachterin.
„Schau‘ selbst!“ Der Mann stand behäbig auf und drückte ihr das große Buch in die Hand. Als sie es aufschlug, erschienen auf der blanken Seite die Worte: „Wenn Du das liest, beginnt Deine gute Zeit.“ Und sie bemerkte, dass was gerade durch ihre Gedanken huschte als Text in diesem großen Buch erschien. Es führte sie gewissermaßen zurück in die Handlung ihres Lebens. Unabänderlich, aber willkommen, es zu betrachten. Das große Buch vereinte während sie las all ihre Sinne. So las Nora erkenntnisreich bis zu jeder Stelle, in der sie den runden Mann auf dem Moosberg sah. Er war wohl inzwischen längst gegangen. Statt seiner saß Nora auf dem Findling und lächelte eine leere Seite an. Sie spürte in ihr Inneres und indem erschienen die Worte: „Kraftvoll und ruhig.“

© Petra Elsner
2016/2019

Morgenstunde (182. Blog-Notat)

Bei der Gemeinen Grasnelke (Armeria maritima) handelt es sich um eine Sammelart, die man in zwei Gruppen teilt: Die „Alpen-Grasnelke“ und die „Strand-Grasnelke“ im Tiefland.

Grasnelkentag. Wenn im Juni hunderte Grasnelkenköpfchen über dem Grünland kleine Wogen tanzen, beginnt der Hochsommer. Vormittags arbeite ich bis die Hitze kommt, nachmittags verflüchtige ich mich zum Tiefsitz unter der Linde und bewohne unseren Schattenplatz mit einem Buch. Von dort kann man das Grasnelkenfeld schweben sehen. Ich habe nur schmale Wege zu den Gartenplätzen gemäht. Erst wenn die Wiese verblüht ist, kommt der nächste Schnitt. Unter dem mächtigen Lindenbaum sind die Temperaturen erträglich und das Licht etwas gedämpft. Man fühlt sich beschützt. In meiner Familie gab es bis vergangenes Jahr immer einen Lindenhof. Hier sammelten sich nach dem Krieg die Überlebenden und von dort starteten die Schlesier (u.a. mein Vater) und die Vertriebenen aus Böhmen (u.a. meine Mutter) in ein anderes Leben. In den Schulferien war ich immer wieder in Oberreichenbach (Obersausitz) zu Gast und liebte diese Stimmung zum Feierabend unter der Linde. Nach dem Tod meiner Eltern verlor sich die Blutspur. Nur wenige Familienereignisse holten mich noch zur Großcousine unter diese Linde. Letztes Jahr hat sie den Hof verkauft. Allein auf dem einstigen Dreigenerationenhof, dass war nicht zu schaffen. In diesem letzten Sommer streckte sich unsere Linde zu einem großen Mutterbaum. So hat die Familie, die weit entfernten Verwandten, doch irgendwie wieder einen Lindenhof, wenn auch nur einen kleinen.

Tiefsitz im Vormittagslicht. Fotos: Elsner