Morgenstunde (230. Blog-Notat)

Das dösig-schlappe Grauwetter passt zur nächtlichen Zeitumstellung. Wir haben nach der Sommerzeit bis in die Puppen geschlafen, aber nach Winterzeit geht’s gerade noch… Trotzdem, ich hätte die Sommerzeit lieber auf IMMER behalten, zur Normalzeit erhoben, gleich und nicht erst, wenn die Parlamente von 27/28 EU-Staaten darüber letztlich befunden haben. Die meisten Menschen wollen es, warum muss Demokratie immer so zögerlich daherkommen? 84 Prozent einer EU-weiten Onlineumfrage hatte sich für eine Abschaffung ausgesprochen. Ich auch und nun? Frühestens 2021 wird uns geweissagt, kommt die (oder eine) Umstellung oder auch keine. Eigentlich sollte das nach Junker schon nächstes Frühjahr sein. Wer drehte da schon wieder an der Uhr? Es mangelt an einer ernsthaften Mehrheitsfindung der Mitgliedsstaaten. Was kümmert schon die Meinung der Bürger. Wann endlich kommt eine Zeit, in der es wirklich um Zukunftsgestaltung und nicht um nörglerisches Verharren geht? Die Abschaffung der Zeitumstellung ist ja nur eine Endlosbaustelle in Europa. Willkommen in der Dunkelzeit.

Morgenstunde (229. Blog-Notat)

Die letzten Lindenblätter
Diese Rosen hat im Hochsommer den Geist aufgegeben, jetzt schaut etwas anderes aus dem Geäst.

Mildes Herbstwetter – ich liebe es, wenn da die Blätterberge nicht wären. Jedes Jahr der gleiche Kampfsport, aus dem sich der Imkergatte tunlichst raushält. Er sinnt den Bienenträumen nach und hofft in sich gekehrt auf ein Gartenwunder. Ich kann mich noch erinnern, als ich im ersten Dorfsommer, die Vorderfront des Häuschens weißstrich. Der Liebste war in Rehfelde in Märkisch Oderland (wo wir einst ein Waldgrundstück gepachtet hatten) zu einer Imkerversammlung. Als er abends heimkehrte, fragte ich beiläufig, ob ihm beim Ankommen etwas aufgefallen wäre. „Nö, was denn?“ Ich bat ihn vor das Haus – und? Er sah nichts. Nach gefühlten fünf Minuten, fragte ich, ob ihm nicht aufgefallen wäre, dass das graue Häuschen plötzlich weiß wäre. Da meinte er doch: „Ach, ja, in meiner Vorstellung sah es schon immer so aus…“ Ups, so schauen Männer, sie sehen die Dinge gewissermaßen fein-fertig. Wie von Zauberhand.  Nun denn. Ich muss mal eben vom Blätterfegen verschnaufen und checke Post. Es gibt die ersten Zusagen zu meiner 1. Adventsaktion (von 14 bis 16 Uhr) im Atelier, was mich echt freut, vielleicht entsteht hier eine neue Tradition. Derweil gestalte ich schon mal wetterfeste Geschichtenblätter für einen Lesebaum im Hof beim Feuer. Dort werde ich zu jeder vollen Stunde eine Geschichte vorlesen. Zwischendurch kann man/frau auch selbst in weihnachtlichen Geschichten schmökern, in fünf Wochen ist es soweit …

PS am Nachmittag: Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Der Liebste hat mich lautlos Klagen gesehen, beim Schuften und ist mir doch wirklich beigesprungen… 🙂

Morgenstunde (228. Blog-Notat)

dem Blätterrascheln lauschen…

Am Morgen zeichnen in Schwarz-Weiß, die Fingerübung heißt „Tango“. Nachmittags Stauden schneiden, jeden Tag ein bisschen, irgendwann werde ich am Waldrand angekommen sein. In den kleinen Verschnaufpausen, die Blätter vom Stuhl schieben, ist nicht mehr viel auf der Linde. Dann wird gefegt. Überall gibt es derzeit noch etwas zu entdecken und seien es nur die kleinen Pilzlichtpunkte im Moos. Zauberhaft zart. Seit gestern habe ich leider einen neuen Defekt zu beklagen: Das linke Auge hat „fliegende Mücken“ und einen schwimmenden (nicht sichtbaren) Film über der Hornhaut. Die Ärztin meinte, dass bliebe so, schöne Schei… Es ist anstrengend so zu zeichnen und zu lesen. Altwerden ist Mist. Werde ich lernen müssen, die Tatsache zu ignorieren…

Pilzeinzlinge im Gartenmoos…
Stauden schneiden im Blumenmond…

Morgenstunde (227. Blog-Notat)

Was war das gestern für ein herrlicher Sonntag! Golden-mild und herzwarm. Mein Sohn war mit seiner Liebsten zum Essen gekommen, wonach wir anderthalb Stunden durch den Wald stiefelten, um zu Pilze suchten und auch gut fanden.  So lange war ich schon ewig nicht mehr gelaufen und der Atem hielt dabei einigermaßen stand. Heut ist die Luft wieder, als müsste ich Wasser schlürfen, da ziehe ich mich lieber einigermaßen mickrig in Atelier zurück. Am Wochenende kam ein kleiner Auftrag rein, eine Zeichenarbeit, die so ganz nach meinem derzeitigen Sinn ist, wollte eh schon mal wieder in Schwarz-Weiß arbeiten. Jetzt, wo das letzte Gold von der Linde fällt und die Konturen der Landschaft wieder weit und klar werden (so nicht der Nebel dicht darin hängt), ist es ein gutes Farbmaterial zum Assoziieren.
Außerdem habe ich vor kurzem einen „alten“ Kollegen wiederentdeckt, der mir zum Wochenende aus Frankfurt/Main zwei gute Bücher sandte. Lesefutter, wie schön! Da kann ich mich abends in eine Sprache versenken, die mich auch berührt, weil sie einem vertrauten Nährboden entsprang. Ich bin gespannt.

Kommt gut in die Woche, Eure Petra

Die Fährfrau (5 – der Schluss)

Öffentliches Arbeiten an einer Kurzgeschichte:

… „Passen Sie auf, dass Ihre Seele nicht erfriert,“ raunte die Fährfrau unheilvoll.
„Und Sie? Lösen Sie besser Ihr eigenes Dilemma, als nur anderer Leute Last zu berühren,“ gab der Trotzige abweisend zurück. „Die Geheimnisse der Reisenden sollten ihnen allein gehören und nicht irgendeiner Fährfrau.“ Die Augen des Mannes schienen während er ihr die Worte zuschleuderte noch schärfer zu schauen.
„Das ist mein Job! Ich begleite Passagiere. Ihre Entscheidungen sind der Grund, weshalb es mich überhaupt gibt. Ich nähre mich gewissermaßen von der Kraft ihrer Geschichten. Das ist mein Geheimnis. Vielleicht wäre ich sonst vollkommen leer.“ Sie wandte sich von ihrem düsteren Fahrgast ab und blickte mit ihren verschwommenen Augen auf den Wellenschlag des Stroms und tief in sein Zeitgeflüster.
„Quatsch, Sie müssen nur anlegen, aussteigen, in das Leben eintauchen und ihre eigene Geschichte leben.“
„Aber ich gehöre auf diesen Fluss, in dieses Grenzgebiet zwischen Leben und Tod. Viele sind hier gestorben, manche gingen trotzdem weiter. Ich bringe sie hinüber.“
„Wie, auch Tote?“
„Ja.“
Er war neben sie getreten: „Nein, dass bist du nicht, dass ist die Aufgabe des Fährmanns. Du aber bist eine Fährfrau, die die Liebe verströmt und versöhnt.“
Der Mann hatte sich verwandelt. Er trug jetzt einen schwarzen Lackmantel und einen Fischerhut. Die Fähre legte an und er reichte ihr die Hand: „Komm!“ Und sie gingen an Land und ließen die undankbare Zeit hinter sich.

© Petra Elsner
19. Oktober 2019

Morgenstunde (126. Blog-Notat)

Zwischen all den Gedanken um die entstehende Geschichte ist es in diesen Tagen einfach traumschön der Vergänglichkeit zuzusehen.  Die Natur welkt so verzaubernd, dass man kaum glauben mag, dass sie sich in ihren langen Winterschlaf zurückzieht. Manchmal ist es auch bei sterbenden Menschen so. Als meine Mutter im Januar 1984 an einem furchtbaren Krebs zu Grunde ging, war sie in der Stunde ihres Todes so schön, dass wir immer wieder zu ihr sehen mussten. Sie lag im Wohnzimmer auf dem Sofa, ganz entspannt, wie eine Frau am Strand in der Sonne. Die frisch lackierten Fingernägel leuchteten makellos vom Weiß des Bettzeuges. Der abgemagerte Körper füllte sich plötzlich wieder mit – ich weiß nicht mit was und sie schien ein wenig zu lächeln. Jedenfalls waren mein Vater und ich sehr tröstlich über diesen Anblick. Wir setzten uns zu ihr und tranken Schnaps bis zum Morgengrauen. Sie hatte es geschafft, alles Leid zurückgelassen. Es hockte fortan in unseren Seelen. Auf Lebenszeit. Wenn ich dieses Farbrauschen da draußen ansehe ist es mir, als wollten die leuchtenden Blätter und das goldene Licht in mir noch einmal Leichtigkeit verströmen, bevor das große Dunkel kommt.

Habt ein schönes Wochenende allerseits!

Die Fährfrau (4)

Öffentliches Arbeiten an einer Kurzgeschichte:  4. Absatz:

„Sie können mir vertrauen“, rief sie in den Wind.
Er stutzte: „Wieso sollte ich?“
„Weil ich nicht hierhin und nicht dorthin gehöre.“
„Das sagt nur – gnadenlos mittig, mehr nicht. Außerdem gibt es auch noch die Doppelzügigen und die Doppelbödigen. Ich vertraue keinem mehr.“
„Was suchen Sie am anderen Ufer, ein neues Schicksal? Sie besitzen dort das Gleiche, sie haben es nur vergraben und vergessen.“ Die Fährfrau seufzte und dachte bei sich: und verwechseln Freiheit mit Freibeuterei an Land.  Sie hatte sie alle gefahren, die das Land verhökerten und die, die es kauften. Der Trotzige dort im Wind sieht genauso heimatlos aus, wie all die anderen, die sie an das westliche Ufer  brachte. Menschen, die ihren Platz verloren haben. Manch‘ Jubel war nur Euphorie des Aufbruchs, um bald schon zur versteinerten Insel zu wachsen. Dieser dort trägt schon jetzt die Härte eines Brillanten in sich. Sie schnupperte in die Böe  – es roch plötzlich winterlich….

© Petra Elsner
18. Oktober 2019

Die Fährfrau (3)

Öffentliches Arbeiten an einer Kurzgeschichte:  3. Absatz:

… Sie dachte bei sich, während sie den Tauknoten löste: Das Schweigen ist wieder laut geworden im Schmerzland. Sie wusste, es führt zu Denunziationen und Sprechverboten. Die vergiften den Gesellschaftston und nähren die Furcht vieler, im Abseits zu landen. Mancher will heute allein deshalb über den Fluss. Andere suchen eine nichtssagende Adresse, eine ohne diesen geopolitischen Stempel. Sie fliehen vor dem seltsamen Rassismus unter Gleichen, der sie zu Ungleichen macht. Eine Schande. Wieviel Verletzungen kann ein Mensch ertragen, fragte sich die Fährfrau und fühlte beklommen nach ihrem stolpernden Herzschlag.
Der Rufende wartete am Ostufer mit stechendem Blick. Wortlos bestieg nun die Fähre, die wieder übersetzte. Die Frau am Ruder sah, hinter seiner verschlossenen Fassade tobte blanke Aufruhr. Seine Brauen zuckten, doch seine schmalen Lippen blieben verschlossen…

© Petra Elsner
17. Oktober 2019

Die Fährfrau (2)

Öffentliches Arbeiten an einer Kurzgeschichte:  2. Absatz:

… denn der Fluss war plötzlich keine Grenze mehr. Man konnte in ihm baden, ihn durchschwimmen ohne einen Fangschuss fürchten zu müssen. Doch noch brauchte sie dieses Hin- und Hergleiten für ihren immerwährenden Diskurs, der nach Klarheit suchte, aber irgendwie nicht vorankam. Sie hatte einen Narrenkopf auf ihr Ruder gesteckt, der ihr voraussah – in das Ungewisse und er lästerte, wenn sie zurückblickte in zwei marternde Vergangenheiten. Wo gehörte diese Fährfrau hin? Und mit wem war sie unterwegs? Die, die das Sagen haben, bestimmten auch immer schon, was das Unsagbare ist. In allen Zeiten. Sie hielt sich nicht daran und wurde zu dem, was sie war – eine, die zu niemandem gehört. Wann begann das? Sie kam nicht an den Bodensatz ihrer Erinnerungen, denn vom Ostufer dröhnten Rufe an ihr Ohr…

© Petra Elsner
16. Oktober 2019

Die Fährfrau (1)

Öffentliches Arbeiten an einer Kurzgeschichte:  1. Absatz:

Die Fährfrau zurrte das Tau fest und ließ die Plattform über den Strom gleiten. Der Wind blies ihr scharf ins Gesicht, doch er verschluckte auch das Wortgewitter in ihrem Nacken. Aufgeregtes Wasser trug sie und das Fahrseil zog sie geradewegs hin zum westlichen Ufer des Stroms, der ihr Schmerzland zerschnitt. Auf der anderen Seite wartetet niemand auf sie oder auf ihre schwimmende Insel, so konnte die Fährfrau ihren wunden Gedanken nachsinnen. In aller Ruhe, niemand würde sie stören, und möglicherweise würde sie die Fähre verlassen auf immer…

© Petra Elsner
15. Oktober 2019