Am Wegesrand

Dohle, Zeichnung: pe
Dohle, Zeichnung: pe

An einem frischen Montagmorgen steige ich in Wandlitz aus der Heidekrautbahn und laufe die paar Schritte zur Bushaltestelle der Linie 984, als sich vor mir eine fette fast-food Spur entfaltet. Erst ein dünnes Rinnsal aus Bonbonpapier, Servietten und Kippen, dann eine breite Ansammlung von Pizzakartons und Kaffeebechern. Nicht gerade appetitlich auf nüchternen Magen. Wer sich hier wohl ausgemistet hat? Völlig politisch-unkorrekt denke ich an das nahe Flüchtlingsheim. Auf der Bank um die sich der Müll ausbreitet, warten nachmittags meist Geflüchtete auf ihre Freunde oder Verwandten, die mit der Bahn ankommen. Aber natürlich könnten es auch outdoor-feiernde Jugendliche gewesen sein. Wie auch immer, es gefällt mir nicht was ich sehe. Plötzlich schwebt eine Dohle über dem Bahnhofsvorplatz und landet zielgenau auf dem Papierkorbdach. Kaum später hüpft ein zweiter dieser klugen Rabenvögel über das Pflaster. Die erste Dohle zupft aus dem Behälter  geschickt heraus, was sie zu fassen bekommt, der Vogel am Boden plündert die Reste aus den Kartons. Ich schaue verdutzt aus das Bild und schäme mich still, denn nun gefällt mir nicht, was ich dachte. (pe)

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Die Gewinnerin ist ….

Dorfkinder bei der Ziehung der Gewinnerin. Foto: pe
Dorfkinder bei der Ziehung der Gewinnerin. Foto: pe

Als letzte Verrichtung, bevor das Atelier am Sonntag um 18 Uhr wieder schloss, war eine Buchverlosung vorzunehmen, zu der ich meine Gäste eingeladen hatte.

Am Hoftor sammelte dazu ein Säckchen die Anschriften der Mitwirkenden und als Glücksfee konnte ich Kimi aus unserem Dorf gewinnen. Weil die kleine Leseratte aber selbst ein Auge auf das schöne Buch geworfen hatte und die ganze Zeit (sichtbar und hörbar) nachdachte, wie sie ihren Zettel geschickt fischen könnte, musste ich mir was einfallen lassen. Sie dachte wirklich,  ihr könnte es mit einer besonders kleinen Zettelfaltung gelingen. Ich habe ich ihr zur Ziehung die Augen verbunden und sie beim Ziehen nicht zu lange fingern lassen, so ging alles rechtens zu… Dafür durfte sie das Tuch behalten.

 

Das Gewinnerpäckchen
Das Gewinnerpäckchen

 

Heute habe ich nun das Gewinnerpäckchen gepackt. Es geht an Solveig Müller in Berlin. Wer sich hinter diesem Namen verbirgt – keine Ahnung, vielleicht kam sie mit den Kapper Radlern, vielleicht als schneller weiterziehender  Gast, ich weiß es nicht… hoffe aber, sie freut sich.

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Gestern war’s

Sage im Gebüsch
Sage im Gebüsch

Was für ein Tag! Es schien, der strenge Wind hatte sich extra für uns gelegt, und seidenweich schien das Licht in alle festlichen Winkel des Lesegartens. Es war ein toller Tag mit herzlichen Gästen.

Bisschen mehr als hundert Menschen kamen, um zu Schauen und zu Plaudern. Der Besucher”-Strom” tröpfelte stetig, so dass es nie zu voll wurde und fast jeder mit mir kurz ins Gespräch kam.

Blick in den Lesegarten.
Blick in den Lesegarten.

 

 

 

Der örtliche Kulturverein wollte für uns sechs Kuchen backen ( um mir etwas Arbeit abzunehmen), 14 waren es schlussendlich und ich habe keine Ahnung, wie man so viel Kuchen verdrücken kann… Bei uns waren die Süßen versammelt.

Noch eine Sage im Gebüsch, es gab noch einige davon zu entdecken.
Noch eine Sage im Gebüsch, es gab noch einige davon zu entdecken.

Danke allen, die kamen und mit uns waren, uns ihre Neugier, eine helfende Hand oder ein ermunterndes Wort schenkten, all das wird uns weitertragen, aber jetzt könnte ich ein paar neue Füße gebrauchen …

Hier noch ein paar Schnappschüsse, die ich zu Beginn noch schließen konnte, danach gab es keine Gelegenheit mehr dazu.

Morgen im Bilderhof
Morgen im Bilderhof
Die ersten Besucher aus dem Nachbardorf Kappe im Atelier.
Die ersten Besucher aus dem Nachbardorf Kappe im Atelier.

 

Die Besucher im Kaffeezelt lauschten nebenbei der Hörspiel-CD "Sagenhafter Barnim".
Die Besucher im Kaffeezelt lauschten nebenbei der Hörspiel-CD “Sagenhafter Barnim”.

 

 

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Tag des offenen Ateliers 2016

Einladungsmotiv - offenes Atelier am Schorfheidewald 2016. Zeichnung: Petra Elsner
Offenes Atelier am Schorfheidewald 2016.
Zeichnung: Petra Elsner

Heute, am 8. Mai  ist es soweit, wir öffnen wieder unser Hoftor und schauen, wer zu uns findet. Das Wetter ist bestens, nur wird das lange Wochenende viele dazu gebracht haben, in einen Flieger zu steigen und davon zu düsen. Also mal sehen, wer noch da ist.

Von 11 bis 18 Uhr kann man sich im Atelier und auf dem Künstlerhof umsehen und im Garten die Seele baumeln lassen, vor der Bilderschau versteht sich … Den Kuchen spendiert dieses Jahr unser örtlicher Kulturverein. Es blieb nicht unbemerkt, das unsere Kraft ein bisschen schwächelt. So ist mir (ohne das Backen) ein Tag geschenkt worden, wir leben in einem tollen, kleinen Dorf im Schorfheidewald. Bis dann.

ATELIER AN DER SCHORFHEIDE
PETRA ELSNER
Malerin & Autorin
Kurtschlager Dorfstraße 54, 16792 Kurtschlag,
Telefon: 039883 48913

PS: Der Eintrag in der Broschüre „Offene Ateliers 2016“ zu unserem Kunstquartier ist leider falsch. Das Programm stammt aus dem Jahr 2015. Die Redaktion hat den aktuellen Text vergessen einzufügen.

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Fortsetzung: Wallos seltsame Reise (8 und Ende der Auszüge)

Am Schwarzwassersee. Zeichnung: Petra Elsner
Am Schwarzwassersee.
Zeichnung: Petra Elsner

… Um Wallo ebbten die Wellen seines Auftauchens ab und brachen sich am Steinwall zur Burg. Ein Getürm und Gestapel aus Holzkisten, verbeulten Töpfen, sperrigen Metallgittern, Kanistern, Pappkartons, Fässern und großen Blechbüchsen war der Baustoff zu dem Kanal-Palazzo. Auf einem Plateau, das an den Steinwall zum Schwarzwassersee grenzte, verharrten die emsigen Festvorbereitungen und das letzte Training für den bedeutsamen Wettkampf jäh.

Ein Fremder von ungetümer Gestalt, eine nicht gekannte Bedrohung war im Raum, die alle Rattenburgbewohner einen Moment lang blockierte.

Wallo spürte die Angst, die aus den unzähligen Augenpaaren auf ihn fiel, und erwartete ungeduldig Nacks Ankunft.

Irgendwie musste er inzwischen die Situation entspannen. „Ähm“, räusperte er sich und planschte verlegen mit seinen Armstrahlen auf das schwarze Wasser.

„Ähm, ich bin von Nack zu eurem Wettkampf eingeladen.“

In den stumm fragenden Blicken entdeckte er Zweifel. „Doch, es ist so. Nack wird gleich hier sein. Ähm, ich bin Wallo, die Seele eines Baumes.“

„Das ist Wallo, ein obdachloser Stadtdrache! Mein Frühstückskumpel. Er ist ein toller Typ, und ich dachte, den müsst ihr unbedingt kennen lernen“, prustete und überpfiff es laut seine Worte. Es war Nack, der eben eintraf. Zu Wallo zischelte er leise: „Erzähl hier nicht deine Seelenstory. Dies ist ein seelenloser Ort, da kriegst du mit deiner offenherzigen Ehrlichkeit nur Ärger. Halt dich zurück und achte auf mich. Noch sitzt ihnen der Schreck in den Knochen. Aber sie sind viele und dadurch mächtig. Wenn du ihnen Schwäche zeigst, machen sie dich fertig. Hier zählen nur Sieger etwas.“

Wallo fühlte sich nicht wohl in seiner schlammig gewordenen Haut, die ihn an der Luft in eine neue Form trocknete. Es war eine wundersame Entdeckung, die Wallo an sich selbst machte. Wurde seine Krustenhaut feucht, trocknete er daraufhin zu jenem neuen Gebilde, das er gerade abgab. Jetzt hatte er etwas von Nessy oder einer monströsen Seeschlange mit Schiebermütze. Wallo war halt mit langem Hals aus dem Abwasser gefahren und hatte sich eine Zeit lang sehr erstaunt umgesehen, indem trocknete der Dreck auf seiner Lichthaut ihn in dieser Pose, die selbst Nack beeindruckte. Ganz sicher war sich der Ratterich nicht mehr, ob Wallo so harmlos war, wie er vorgab. Doch sonnte er sich lieber in der starken Bekanntschaft, als irgendwelche Fragen aufkommen zu lassen.

Sie hievten sich aus dem Schwarzwasser und Nack schüttelte wie gewohnt die Nässe aus dem Fell. Als Wallo das sah, tat er es ihm gleich, woraufhin sein Leib in Zacken spritzte und so erstarrte. Nun glich Wallo wahrhaftig einem Drachen, und die Ratten bildeten scheu dem Gast und Nack eine Gasse zur Arena.

Formenwandler. Zeichnung: Petra Elsner
Formenwandler.
Zeichnung: Petra Elsner

Der Burgherr thronte selbstherrlich in einer riesigen Plastik-Schellmuschel, die das Rattenvolk nach einem Werbefeldzug der Menschen erobert hatte. Alle Schätze der Schwarzwasserburg hingen an ihr. Alte Uhren, Goldreife, edle Felle, Perlenketten schimmerten neben Glasmurmeln prachtvoll im Fackellicht. Um Raffel, den Burgherren, stand eindrucksvoll eine Leibgarde finsterster Kung-Fu-Ratten. Sie musterten jede Bewegung der Ankömmlinge.

Raffel war in dem Jahr seiner Herrschaft fett und bequem geworden und fürchtete diesen entscheidenden Tag. Seine Macht würde nur noch Stunden dauern. Das hätte er gerne verhindert, doch für den Wettkampf war er nicht in Form. Als Wallo und Nack vor ihn traten, sah er augenblicklich eine Chance, den Favoriten Nack aus dem Bewerberfeld zu tilgen. Und so ergriff der Noch-Mächtige die Gelegenheit: „Nack, du hast die Gesetze der Schwarzwasserburg gebrochen“, knarrte es böse und hinterlistig aus Raffel. „Keinem Fremden ist ohne meine Erlaubnis der Weg zum Rattenreich zu offenbaren. Du bist, um dir selbst einen Wettkampfvorteil zu verschaffen, zum Verräter geworden. Du hast die Gesetze der Gemeinschaft gebrochen. Ich bin dein Richter. Du, Nack, bist des Todes und auch dein Bodyguard-Drache.“

Raffel erhob sich gewichtig, streifte sein goldenes Gewand glatt und deutete mit allgewaltiger Geste und kreischender Stimme seiner Kung-Fu-Garde: „Ergreift ihn, den Verräter! Den Fremden auch, und tötet beide! Sie bringen Unheil über unseren geheimen Ort!“

Wallo riss die Stielaugen auf. Auch Nack hatte so etwas nicht erwartet. Sein blau-gelber Fellstreifen sträubte sich. Es stimmte schon, dass er mit seinem ungewöhnlichen Gast Eindruck schinden wollte. Vielleicht wünschte er sich sogar insgeheim, dass Wallos respektvolle Größe ihn selbst gewichtiger erscheinen ließ, aber Nack hatte es nicht nötig, einen unfairen Kampf zu führen.

Die Leibratten in schwarzer Ninja-Kluft schlossen um Wallo und Nack einen engen Kreis. Wallo schaute mit einem Was-Nun? auf Nack, der bereits mit festem Blick, die Pfotenkanten im Anschlag, den ersten Angreifer fixierte. Nacks Pfiff gellte durch das Gewölbe. Sein Hieb traf. Mit gekonntem Sprung schnellte sein Fuß gegen den nächsten Angriff und wurde zur Ramme. Blitzschnell setzte Nack einen nach dem anderen außer Gefecht. Wallo staunte noch, da wurde auch er attackiert.

Als Grüngeist musste er sich nie wehren, als Drache ging es ihm an den Kragen. Keine Frage, er musste sich verteidigen, aber wie? Er hatte Nacks Kunst der fliegenden Bewegungen genau beobachtet und wusste, wenn er richtig zugesehen hatte, konnte er sie haargenau nachahmen. Wallo lernte immer einfach über das Sehen, wenn er das wollte. Was er von sich nicht wusste: Seine Hiebe würden wie Donnerschläge sein und sein Schrei wie das Grollen des Gottes Thor.

Doch zuerst traten Wallo zwei Thai-Boxer-Ratten herausfordernd gegenüber. Ihre Kampfart sah und spürte Wallo das erste Mal. Furchtlos trommelten jene mit Fäusten, Ellenbogen, Beinen und Füßen auf den scheinbar festgewachsenen Drachen ein. Aber der sah genau hin. Schon bald wich Wallo geschmeidig und gewandt wie eine Katze den Attacken aus und erwies sich als Vater der Faust.

Die beiden Kontrahenten torkelten und checkten ihn jetzt argwöhnisch mit gebührlichem Abstand. Indem griffen zwei Ninja-Kämpfer Wallo von hinten an. Daraufhin sprang dem bedrängten Wallo Nack bei und räumte die ungleiche Kampfszene ab: Ein pfeilschneller Beinhebel, ein gekonnter Wurf, und der erste Gegner kippte und knallte rücklings auf den Steinboden. Nack wirbelte mit einem Mordssatz durch die Luft und stellte den zweiten Ninja-Ratterich.

Wallo speicherte: „Oha, so geht das“, und nahm sich nun einen der wieder näher kommenden Thai-Boxer mit Nacks Technik vor. Haargenau so und erfolgreich. Allerdings fand sich der Angreifer nicht auf, sondern in den Boden gedrückt wieder. Und noch etwas sah ein klein wenig anders aus. Der einbeinige Beinhaken. Der irritierte seine Gegner nicht schlecht. Es war eine artistische Glanzleistung, die Wallo da mühelos vorführte. Die ging so: Wallo federte in die Vertikale, stützte sich auf seinen linken Armschweif, enterte mit seinem Beinschweifhaken den Thai-Boxer und kippte ihn mit einer solchen Wucht, dass die Steine nachgaben.

Nack schickte Wallo einen anerkennenden Blick hinüber und der Rattenstamm raste. Die Raffel-Anhänger vor Wut und die Sportbewunderer vor Begeisterung.

Noch einmal stampfte nun ein massiger Sumo-Ringer-Ratterich vor Wallo und provozierte: „Nur zu, ich lass’ dich auch die erste Runde gewinnen! Aber dann …!“ Doch dann betäubte bereits Wallos dröhnender Hai-Schrei den Rattenkoloss. Der wälzte sich jammernd am Boden und hielt sich die schmerzenden Ohren.

Die Leibgarde war besiegt. Raffel hatte sich mit ein paar Perlenketten davongestohlen, und in der Arena toste Beifall für die Gewinner. Noch nie hatte man bei einem Wettkampf derart brillante Kämpfe zu sehen bekommen. Wallo und Nack verbeugten sich vor dem jubelnden Rattenvolk, als plötzlich schlanke Rattenkämpfer in weißen Karateanzügen den Platz betraten. Das Klatschen hielt inne.

Abermals stieg die Spannung. Doch was war das? Jeder Kämpfer trat einzeln hervor und demonstrierte ein Schaustück. Der eine halbierte mit bloßer Pfotenkante einen Stapel Gehwegplatten, der nächste köpfte ebenfalls mit leerer Pfote einen Weinballon, der folgende ließ einen Bretterstapel brechen. Danach traten sie in eine Reihe und verbeugten sich vor Nack und Wallo. Der Kampf war hinübergeglitten in ein Schauturnier, bei dem die Akteure den schon feststehenden Siegern lediglich die Ehre erwiesen. Das Kräftestechen um die Burgmacht war somit entschieden und das Krönungsfest konnte beginnen.

Die Massen applaudierten immer noch, als feierlich Bogenschützen in leuchtend blauen Kimonos einen weiten Kreis um den verlassenen Muschelthron bildeten. Jeder hatte einen brennenden Pfeil im gespannten Bogen. Auf das Zeichen des Rattenältesten hin schossen sie hoch in die Kuppel des Gewölbes und entzündeten einen prächtigen Kronleuchter. Die Massen johlten und schossen wild Leuchtkugeln auf den Rängen ab. Dann tanzten hundert zarte Rocker-Ratten-Ladys einen exotischen Rock-Raggae-Hiphop-Mix. Die geschmeidige Ballerina unter ihnen führte die Rattenkrone vor. Am Ende des Tanzes kniete sie vor Nack und reichte ihm das Zeichen der Macht.

Nack schritt zum Thron, hängte das glanzvolle Teil gelassen an die Muschel und forderte lässig zu Speis und Trank auf. Das Fest nahm seinen Lauf. Stunden waren vergangen. Immerzu schwang zwischen den Tanzeinlagen betont pompöse Musik durch die Arena, die das Volk zu „Glückliche Herrschaft“-Rufen animierte.

Wallo fand das widerlich, es schüttelte ihn geradezu. Eben noch hätten dieselben Untertanen Nacks und seinen Tod beklatscht, wenn es dazu gekommen wäre. Wallo fühlte abgrundtiefes Entsetzen, und er war von den vielen Eindrücken erschöpft, während Nack die kultvolle Szene genoss. Ja, er spreizte sich wie ein Pfau, dieser frisch gekrönte Burgherr. Wallo saß still neben ihm. Und Zorn grummelte dem Drachen durch den Magen. Ja, alles war noch einmal gut ausgegangen. Doch Nack hatte ihn für seine Zwecke benutzt. Er hatte ihn unvorbereitet in Gefahr gebracht. Das tut man nicht mit einem Freund, bohrte es in Wallo, als Nack ihm auf die Schulter klopfte:

„Na, du Kampfdrache! Das war ein starkes Stück, was? Aber was hockst du wie ein Trauerkloß herum? Gefällt dir mein Fest nicht?“

„Nicht sehr“, antwortete Wallo tonlos. „Außerdem ist es jetzt für mich Zeit, ich werde wieder nach oben in die Stadt gehen.“

„Du willst mich verlassen? Ich wollte dich zum Chef meiner Leibgarde machen. Du kannst doch jetzt nicht so einfach gehen! Du kennst den geheimen Weg zu unserem Reich“, pfiff Nack zuletzt drohend auf ihn ein.

„Das hättest du dir früher überlegen sollen. Du wolltest mir lediglich zeigen, wo du wohnst. Das Ganze hätte auch böse ausgehen können, und du hast mich vorher kein bisschen gewarnt. Ich habe dir einfach zu schnell vertraut, und du hast das ausgenutzt. Das sagt mir, ich muss mich vor dir in Acht nehmen. Leider. Ich bin nicht verfügbar für dich, Burgherr Nack. Lebe wohl, ich breche in dieser Minute auf.“ Wallo erhob sich schlapp und zog zum Abschied vor Nack die Schiebermütze.

Aber Nack sprang auf und verstellte dem Drachen den Weg. Wallos abgeklärte Verachtung machte ihm zu schaffen, wenngleich er ihn herrisch anknirschte: „Ja, du hast Recht, aber deswegen musst du doch nicht gehen. ICH habe aus dir einen Drachen gemacht. Du bist mir etwas schuldig! Bleib und hilf mir, mein Reich zu verteidigen.“

Der Enttäuschte Wallo. Zeichnung: Petra Elsner
Der Enttäuschte Wallo.
Zeichnung: Petra Elsner

„Nichts bin ich dir schuldig, und ich bin nicht einer deiner Untertanen, Nack. Aber ich bin auch nicht dein Feind. Nur brauche ich sicheren Abstand zu dir. Wer weiß, was du sonst wieder ausheckst. Dein Reich, da kannst du sicher sein, verrate ich nicht. Versteh doch, ich fühle mich von dir benutzt. Das gefällt mir gar nicht. Deswegen will jetzt allein sein. Geh mir aus dem Weg und mach keinen Zoff mehr.“

Nack wurde nun schnell einsichtig. Er zwickte sich eines seiner Barthaarglöckchen ab und knipste es Wallo wie einen Orden an das zerschlissene Hemd. „Für deine Hilfe, Wallo. Und wenn du mal in Schwierigkeiten bist, läute mit dem Glöckchen in irgendein Gullyloch, ich werde dich hören und kommen.“

Wallo dankte unbeeindruckt und schlurf-hüpfte schwerfällig in das Schwarzwasser und tauchte ab …”

Hier enden meine Auszüge aus “Wallos seltsame Reise”. Vielleicht haben sie Euch berührt und Ihr wollt wissen, wie die Geschichte weiter geht. Dann kauft Euch bitte des Buch. Ein Klick auf das Buchcover in der rechten Spalte und Ihr seid bei einem Händler, der neue und gebrauchte Exemplare vorhält. Ihr werdet noch Flrirr, das Selberseelchen und Boha, die Höhlenbesitzerin kennenlernen und auch,  was Ken auf seiner Suche nach seinem Freund erlebt.

Petra Elsner

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Fortsetzung: Wallos seltsame Reise (7)

Zeichnung: Petra Elsner
Zeichnung: Petra Elsner

… Wallo graulte sich. Es war ein unwirklicher Ort, an den Nack ihn brachte. Ihr Weg führte durch einen Gullydeckel unter die Stadt. Dorthin, wo seit hundert Jahren ein Gewirr aus Rohren und ummauerten Gräben alle Abwässer leitet. Ein fahles Dämmerlicht fiel nur noch auf die beiden, die weiter, immer weiter durch giftgelbe, grün schäumende und blutrot brodelnde Rinnsale und Bäche platschten und wateten. Die Gewölbe waren flach wie Kerker, und Wallo kam nur krumm wie eine Bogenlampe voran. Dabei hielt er sich die tief hängende Gurkennase zu. „Hier stinkt es ja abscheulich. Einfach widerlich!“

Nack zuckte gelassen mit den Schultern und seine Bartglöckchen klirrten dazu: „Man gewöhnt sich an alles. Ich bin eigentlich eine Dachratte, aber die Menschen haben mich vertrieben. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit den Wanderratten einzulassen und bei ihnen unterzutauchen.“

„Ist es noch weit?“, wollte Wallo wissen. Das Wasser stand ihm bis zum Hemdbauch. Und bei jedem Hüpfer, den er vorwärts sprang, spritzte das stinkende Nass. Wallo ekelte sich gar fürchterlich.

„Nein, weit ist es nicht mehr, aber das letzte Stück müssen wir schwimmen“, war Nacks unerfreuliche Auskunft.

„Das ist doch nicht dein Ernst?“, donnerte nun Wallo aufgebracht. „Hätte ich vorher gewusst, was mir für ein schauriges Erlebnis bevorsteht, wäre ich nie und nimmer mitgekommen. Dagegen war es ja in der Mülltonne regelrecht gemütlich. Ich hab genug von diesem Unort, ich drehe um!“

Wallo machte kehrt, und Nack pfiff ihm beleidigt hinterher: „Hab dich nicht so zimperlich, du wasserscheuer Drache! Anders gelangen wir nicht in die Rattenburg. Davor ist ein Teil der Kanalisation zusammengebrochen und alles ist überschwemmt. Aber du wirst sehen, es lohnt sich. Gerade heute ist ein großer Wettkampf in der Rattenburg. Da treten die stärksten und mutigsten Kämpfer gegeneinander an. Der Sieger wird auf ein Jahr der Burgherr. Und ich bin einer der Favoriten. Das willst du dir entgehen lassen? Du kannst doch schwimmen – oder?“ Nacks letzten Worten hallten laut in dem modrigen Gewölbe.

Wallo drehte sich um, kam langsam auf den Ratterich zu und blubberte kleinlaut: „Ich hatte noch keine Gelegenheit.“

Nack lachte abermals sein kaltes Lachen: „Ha, so ein Gigant und von nix ’ne Ahnung.

„Kannst du fliegen?“, gab Wallo nun ärgerlich zurück.

„Nein, aber ungeheuer gut klettern“, verbarg Nack jenes Unvermögen.

„Ertappt, du kannst auch nicht alles! Also gib nicht so an!“, raunte Wallo.

„Ein Punkt für dich“, zählte Nack gönnerhaft.

„Und wie kommen wir nun weiter? Ich könnte versuchen, das Gebiet zu überfliegen. Es ist ein bisschen flach, aber es wird schon gehen. Aber dort hinten ragt das Gemäuer bis ins Wasser, müssen wir da etwa ganz untertauchen? Was machen wir?“, fragte Wallo.

Nack kratzte sich und dachte einen Moment nach. „Ich glaube, jetzt hab ich’s. Du kannst hüpfen und wie eine Raupe bedächtig am Boden krauchen.“

„Also, du redest von mir, als wäre ich eine Schnecke“, entrüstete sich Wallo beleidigt. „Ich kann blitzschnell durch die Lüfte preschen oder mich flach und schnell vorwärts schlängeln. Langsam bin ich nur, wenn ich etwas suche oder nur vorsichtig bin.“

„Nun, dann haben wir kein Problem“, fand Nack. „Schlängeln ist gut. Was an Land taugt, geht auch im Wasser. Schön kräftig und gleichmäßig durchziehen, du wirst sehen, es funktioniert. Probier es erst einmal hier im Flachen“, riet Nack.

Wallo legte sich flach auf das faulige Wasser. Es stank derart, dass er seinen Kopf unweigerlich hoch erhoben hielt wie eine Königskobra, und dann schlängelte er sehr schnell los: „Hohohohoho, es klappt, ich schwimme! Hihihihihoho. Und wie schnell. Guck mal! Hohohoho!“, freute sich Wallo und bremste rückwärts kommend so scharf, dass er eine kleine Bugwelle auslöste, die Nack mit dem Brecher ein Stück stromabwärts riss.

Nack pfiff dabei zombiehaft: „So ein Riesenschwachkopf, so ein Esel von Drache, so ein … Als er zurück war, hatte sich sein Zorn gelegt. „Du bist mir vielleicht einer. Erst kannst du was gar nicht und dann so gut, dass man das Grausen kriegt. Wenn wir jetzt losschwimmen, achte auf deine Bugwelle, okay?“

„Okay“, gab Wallo stolz zurück. Dennoch zog es Nack vor, hinter Wallo zu bleiben. Er wollte nicht abermals das keimige Wasser schlucken. Die ätzende Lorke war selbst für seinen Rattenmagen höchst unverträglich.

Alles ging gut bis zu der Tauchstelle. Als sich Wallo endlich überwunden hatte, den Kopf unterzutauchen, sah er, was sich darin tummelte. Schwimmkäfer, so groß wie Pantoffeln, allerlei Fadengewürm und Egel, so dick wie Autoreifen, tänzelten über den glitschigen Grund. An Wallos Bauch saßen inzwischen zwei kleine davon fest, saugten an seiner Krustenhaut und wuchsen dabei unglaublich rasch zu gewaltigen Ballons. Sie taten Wallo nicht weh, aber sie kitzelten ihn dabei so sehr, dass er pfeilschnell tauchte und weit vor Nack mit einem genervten Neiheiheihein-ohoh-Kitzelschrei aus einer großen Kloake auftauchte.

Der Schwarzwassersee war der Mittelpunkt der Rattenburg. Augenblicklich waren auf Wallo tausende von erschrockenen Rattenaugen gerichtet. Feindselig und bedrohlich starrten sie auf den ungewöhnlichen Eindringling…

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Gastlichkeit mitten im Wald

Wenn der Vater mit dem Sohne ...
Wenn der Vater mit dem Sohne …

Die Linde ist seit dem 1. August 2017 geschlossen.

 

Das Gasthaus „Zur Linde“ lädt seit 28 Jahren zur großen Himmelfahrtsparty:

Schluft. Angela  Repkow ist mit einem praktischen Naturell auf die Welt gekommen, Mitte der grauen 50er Jahre. Sie lernte Verkäuferin, hat auch im Groß Schönebecker Leistenwerk zugepackt. Nur Kneipe wollte sie nie machen. Doch dann traf sie Burghart Repkow und zog von Zerpenschleuse nach Schluft. Da stand die strenge Schwiegermutter Marie noch hinter dem morschen Tresen. Der ist seit dem vierten Generationswechsel im Gasthaus „Zur Linde“ neu, wie auch das Dach, die Holzvertäfelung, eine neue Küche und das gediegene Mobiliar. 1855 hat die Familie  Repkow den Gasthof an der Hauptstraße 19  eröffnet. Seither hat das kleine Schorfheidedorf immer einen gastlichen Ort, wo man zum Bierchen die Dorfgeschichten bespricht, die großen und die kleinen und jene, die sich auf leisen Sohlen heranschleichen. Burghart Repkow ist seit Herbst in Rentner. Er hilft seiner Frau natürlich weiter am Zapfhahn und mit den Einkäufen. Aber im Winter hat er eine schwere Grippe verschleppt, da hat es ihn plötzlich aus den Latschen geworfen und Angela bekam einen gehörigen Schreck. Seither versuchen die Zwei die Geschäfte etwas kleiner zu dosieren. Denken über einen weiteren Schließtag nach. In zwei Jahren könnte auch Angela in den Ruhestand wechseln. Ob und wie es mit der Linde dann weiter geht, steht noch in den Sternen, denn die zwei Repkow-Töchter leben ein anderes Leben.

Die Lindenwirtin: Wenn es dämmert, brennt in der Hauptstraße 19 verlässlich ein Licht. Dort, im Landgasthof „Zur Linde“ wartet das Wirtspaar Angela (62) und Burghard Repkow (65) auf Gäste.
Die Lindenwirtin: Wenn es dämmert, brennt in der Hauptstraße 19 verlässlich ein Licht. Dort, im Landgasthof „Zur Linde“ wartet das Wirtspaar Angela (62) und Burghard Repkow (65) auf Gäste.

Irgendwie kein Wunder, denn das Überleben einer Gastwirtschaft auf dem Lande ist schwierig geworden. In der Winterzeit sitzen die beiden nicht selten allein im Hinterzimmer und lesen schweigend ihre Zeitungen. Dann klopft doch noch der Förster vom Trämmersee ans Fenster und schaut auf ein paar Bierchen vorbei. Das reicht gerade mal für den Strom dieser Winternacht. In Schneezeiten füllen die Skiwanderer auf einen Grog die gemütliche Gaststube. Doch Schnee gab es schon etliche Jahre kaum mehr. Die Repkows leben von den Wochenend- und Feriengästen des kleinsten Dorfes in der Heide. Das ist so, seit die meisten jungen Menschen auf der Suche nach guter Ausbildung und fair bezahlter Arbeit weggezogen sind. Wenn der verschmitzte Mann sich an die quirligen Jahre nach der Wende erinnert, lächelt er still in sich hinein und erzählt dann doch: „Reich wird man eh’ nicht mit so einer kleinen Wirtschaft. Es gab mal so einen Moment, Anfang der 90er Jahre, da dachten wir, wir müssten alles ändern. Eine grö­ßere Speisekarte, vielleicht sogar anbauen. Inzwischen sind wir auf dem Boden der Realität angekommen.“  Burghard zapft und scherzt im Flüsterton mit den paar Stammgästen.

Das Gespann "Zicke II" aus Groß Dölln.
Das Gespann “Zicke II” aus Groß Dölln.

Da muss man echt die Ohren aufstellen um den Witz zu vernehmen. Er ist eben kein Lauter, sondern das Original im Hintergrund, während sie taff die Küche im Alleingang stemmt und zwischen Entenessen und Bauernfrühstück mit den Gästen plaudert und auch ihren Mann am Tresen für eine Pause ablöst. Einer fragt in die Runde: „Und, ist wieder Himmelfahrt was los?“ Da huscht Angela aus der Küche in den Gastraum und spricht, als gäbe es keinen Anlass für die bange Nachfrage: „Aber klar doch!“ Man sieht, dass sie sich auf das launige Ereignis freut. Seit 28 Jahren bestreiten die Repkows diesen Schenkelklopfer des Jahres im Schorfheidewald. Begonnen haben sie in den letzten Monaten der DDR-Existenz, zum damals unerwünschten Festspektakel einzuladen. Seither kommen sie von nah und fern – die geschmückten Männer in ihren tollkühnen Kisten. Da liegt ganz Schluft in den Fernstern und schaut dem großen Auftrieb belustigt zu.

Schnieke Herrenriege vom Döllnfließ ließ es sich nicht nehmen, im gebügelten Frack aufzubrechen, um einen froh-gelaunten Tag am nordwestlichen Rand der Schorfheide zu verbringen. Fotos: Lutz Reinhardt
Schnieke Herrenriege vom Döllnfließ ließ es sich nicht nehmen, im gebügelten Frack aufzubrechen, um einen froh-gelaunten Tag am nordwestlichen Rand der Schorfheide zu verbringen. Fotos: Lutz Reinhardt

 

Am 5. Mai wird es wieder so sein. Die Zapfparty steigt, gleich welches Wetter, auf der Festwiese gegenüber der Linde. Angerichtet ist von 9 Uhr morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit. Den Imbiss übernimmt ein Cateringservice aus Zehdenick und eine Repkow-Tochter schenkt mit ihrem Sohn das kühle Blonde vom Bierwagen auf dem grünen Wiesenteppich aus. Und drinnen hält Angela für den kleinen Hunger Schmalzstullen bereit, für die Süßen gibt es leckeren Kuchen. (pe)

Die nächste Kurtschlager Generation tuckerte heute Morgen auf Vatertagstour durch die Schorfheide.
Die nächste Kurtschlager Generation tuckerte heute Morgen auf Vatertagstour durch die Schorfheide.

 

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Fortsetzung: Wallos seltsame Reise (6)

Zeichnung: Petra Elsner
Zeichnung: Petra Elsner

… Die Stadt lärmte schon ihr morgendliches Getöse, als sich quietschend der Containerdeckel lüftete. Wallo streifte eine Sekunde warmes Sonnenlicht, dann, was für ein schauerliches Erwachen, ergoss sich eine  grässliche Müll-Ladung über den Grüngeist, daraufhin schloss sich der Deckel wieder krachend.

„Mein Gott, was ist das Ekliges?“, schrie Wallo entsetzt in seiner düsteren Schlafstelle. Die Sache roch schlecht, klebte, und überhaupt, Wallo plagten mächtige Kopfschmerzen an diesem Morgen. Er hatte sich noch nicht den Matsch vom Leib gewischt, da ergoss sich die nächste Portion über ihn.

Gerade rieb sich der Grüngeist die Stielaugen, als es über ihm kurz knackte und etwas scharf pfiff: „Was machst du in meinem Frühstück.“

Der Erwachende.
Der Erwachende.

Wallo stutzte. Einen Spalt weit stand jetzt der Deckel auf. Im Gegenlicht erblickte Wallo eine merkwürdige Gestalt, die sehr wütend vor sich hin zischte und pfiff. „So weit kommt es noch, dass mir, Nack, dem Fürchterlichen, jemand das Frühstück klaut. Ungeheuerlich! Warte,  dir zeig ich’s. Mir frisst keiner ungestraft was weg!“

Ehe Wallo etwas sagen konnte, sprang die Gestalt ins Halbdunkel und ging mit gefletschten Zähnen auf ihn los. Aber der rasende Nack riss nur Löcher in Wallos Hemd. Sein Körper jedoch schien unverletzbar.

Wallo griff mit seinen Ärmelstrahlen den Angreifer und hielt den wutschnaubenden Nack ausgestreckt von sich:

„Gib Ruhe! Ich will deine Leckerbissen nicht!“

Nack.
Nack.

Nack zappelte wild: „Du kannst mir viel erzählen! So wie du aussiehst, frisst du alles, was du kriegen kannst. Was bist du eigentlich für einer?“

„Ich bin ein obdachloser Baumgeist.“

„Ein waaas?“

„Ja, ich bin ein grüner Lichtschweif und war bis gestern die Seele eine Baumes“, antwortete Wallo ruhig. „Kann ich dich jetzt loslassen, ohne dass du weiter verrückt spielst?“

Nack lachte ein kaltes, höhnisches Lachen: „Hah, ich spinne nicht halb so viel wie ein anderer in dieser Blechbüchse. Aber okay, lass mich runter.“

„Du kannst ganz beruhigt sein, ich tu dir nichts“, versicherte Wallo dem kleinen, haarigen Kerl.

Der pfiff überheblich mit rollenden Augen:

„Baumgeist, oha, oho, grüner Lichtschweif, ha! Was ich sehe, ist ein schmieriges Ungetüm in abgerissenem Hemd. Von wegen grün und licht. Du bist nicht ganz dicht in deinem Drachenkopf, was?“

Während Nack das sagte, schaute Wallo beschämt an sich herab. Wirklich, von seinem Grünlicht war keine Spur mehr. Der Ruß, die klebrige Müllmasse saßen fest auf ihm, wie eine schrumplige, schmutzige Haut. Kein Wunder, dass Nack ihm nicht glaubte.

Nack stolzierte, die Arme auf seinem Rücken verschränkt, auf und ab. Griff sich einen für ihn lukullischen Apfelgriebs und nagte genüsslich an ihm, wobei er immer wieder lauernd zu Wallo aufsah. Doch sein Hunger war nunmehr größer als seine Furcht vor dem massigen Mülldrachen.

Aber auch Wallo bestaunte seinen Morgenschreck. Über seinem Fellkörper trug Nack einen schwarzen Lederoverall, der von einer dicken Metallkette gegürtet war. Auf dem Haupt thronten ein blauer und ein gelber Fellstreifen und an Nacks Barthaaren hingen winzige Goldglöckchen, die bei jedem Atemzug hektisch läuteten.

Wallos prüfender Blick störte Nack: „Was gaffst du so! Noch nie ’ne Hard-Rocker-Panky-Ratte beim Essen gesehen?“

„Nein“, antwortete Wallo.

„Komisch, dabei wimmelt es nur so von Rattengangs in diesem Viertel“, wunderte sich Nack. „Aber du? Nun mal ohne Flunkern: Wer bist du, und wo kommst du her?“ Nack setzte sich gespannt auf eine leere Bohnenbüchse, begann ausgiebig zu speisen.

Wallo seufzte tief: „Ich heiße Wallo und ich lüge nie. Ob du es nun glaubst oder nicht, das ändert gar nichts, ich bin wirklich die Seele eines alten Baumes. Der ist aber gestern Nacht abgebrannt, und ich wusste einfach nicht, wohin. Diese Mülltonne war das Einzige, was sich als Schlafplatz bot.“

Nack nickte cool: „Den Ärger kenn’ ich, wenn du erst einmal ohne Dach über dem Kopf bist, nimmt dich in einer großen Stadt so schnell keiner auf. Aber, eines bekomme ich nicht in auf die Reihe, wenn du eine Baumseele bist, wieso kann ich dich sehen, und warum bist du nicht im Seelenhimmel, wenn es deinen Baum nicht mehr gibt?“

Wallo kratzte sich nachdenklich am Gurkenkopf. „Wenn ich das nur selbst wüsste. Normalerweise sind wir, die Seelen von Lebewesen und den Dingen, überhaupt nicht sichtbar. Ich weiß nicht, wie es kam, dass es mit mir plötzlich anders war“, grummelte er. „Ich habe mir schon den Kopf zerbrochen, bin aber nicht drauf gekommen. Womöglich hat es nur etwas damit zu tun, dass Ken in mir war, der Baum schon tot, ich nichts Besseres zu tun hatte, als auf Kens Rufen hin zu erscheinen. Vielleicht waren die Schwingungen günstig, standen die Planeten gut, hatten sich besondere magnetische Felder gebildet oder sonst etwas. Keine Ahnung. Mir schwirrt alles im Kopf durcheinander. lass uns hinausgehen, ich brauche dringend frische Luft. Alles andere ist mir momentan egal. Kommst du mit?“

„Moment mal. Machen wir. Gleich, später“, nuschelte Nack mit einem Wurstzipfel zwischen den Zähnen.

„Erst muss ich mir noch ein paar Leckerbissen zusammensuchen, und du klärst mich inzwischen auf. Wer ist dieser Typ, ähm, Ken, ja?“

Wallo lehnte sich wehmütig zurück und erzählte Nack von seinem toten Walnussbaum, der Höhle und Ken.

Nack hatte gut zugehört. Jetzt stellte er lebenspraktisch wie er war fest:

„Gut, du warst eine Baumseele. Wenn schon, aber eine Baumseele ohne Baum macht keinen Sinn. Sag das einem da draußen, der legt sich doch glatt vor Lachen hin. Die Wesen glauben lieber dem Schein. Und für mich siehst du aus wie ein obdachloser Stadtdrache. Das mit der Seele war einmal, ab jetzt bist du Drache. Okay? Du wirst sehen, das gibt dir mehr Ansehen. Komm jetzt, ich zeige dir, wo ich wohne.

 

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Fortsetzung: Wallos seltsame Reise (5)

Zeichnung: Petra Elsner
Zeichnung: Petra Elsner

… Wallo war die Nachtkühle nicht gewohnt. Er schlotterte ganz erbärmlich und klinkte alsbald sehr verzweifelt an den Haustüren auf seinem Weg. Doch alle waren verschlossen. Wallo seufzte vor sich hin: „Ojeoje. Was soll nur werden?“

In jedem der Hauseingänge standen blaue Plastiksäcke, über einen stolperte versehentlich der mutlose Geist. Er stürzte, und wickelte sich im Fallen zu einer Kugel auf. Dann saß er. Sein Ende wedelte noch, und sein Anfang stülpte sich aus dem rußschwarzen Rund und sah dann verdutzt auf. Der Plastiksack war beim Umfallen gerissen, aus ihm quollen Kleidungsstücke heraus. Wallo entrollte sich und schlängelte neugierig zurück. Er durchwühlte den Kleiderhaufen und fand ein großkariertes Hemd, das ihm passte, und eine Schiebermütze. Er schlüpfte in das Hemd, teilte von seinem Lichtschweif zwei Strahlen ab und schob sie in die Ärmel. Er sah jetzt beinahe wie ein Mensch aus, der ganz sicher auf einem Bein durch die Gegend springen konnte. Doch Wallo war es ziemlich egal, wie er ausschaute. Ihm war, als friere er nun nicht mehr ganz so sehr, nur das allein zählte.

Die Verwandlung beginnt.
Die Verwandlung beginnt.

Eine Straßenecke weiter kam Wallo auf eine breite Allee. In deren Mitte wuchsen mächtige Linden. Wallo war froh bei diesem Anblick. Vielleicht würde ihn eine der vielen Baumseelen aufnehmen, wenigsten für diese schreckliche Nacht.

Was Wallo nicht wusste, dass es keine gute Zeit war, um an diese für Menschen unsichtbaren Baumpforten zu klopfen. Ahnungslos pochte er leise an die erste Linde. Darin hörte er nur ein jammervolles Wimmern, niemand öffnete ihm. „Kann ich helfen?“, fragte Wallo warmherzig durch das Holz. Doch er erhielt keine Antwort.

An den zweiten Baum klopfte er schon etwas kräftiger. Durch ein Astloch fuhr eine hektische, violette Lindenseele, die ähnlich einem Zitteraal zappelte und Wallo schrill anfuhr: „Äh. Was willst du um diese Stunde? Hast du wenigstens eine Tüte mit?“

 

„Was für eine Tüte?“, fragte Wallo irritiert.

Die Lindenseele.
Die Lindenseele.

Die Zitterseele verdrehte genervt die Glubschaugen: „Na, eine Plastiktüte voll Smog. So eine Portion wundervollen Automief, es können Diesel- oder Benzingase sein. Kapiert? Ganz gleich was, um diese Stunde schnüffeln wir alles.“

„Wozu brauchst du die Tütengase?“, will Wallo erstaunt wissen.

„Na, du bist mir vielleicht eine Landbaumseele. Von nichts ‘ne Ahnung! Du bist hier in der Schnüffelallee. Hier ist der Smog tagsüber so herrlich dick, dass man echt abheben kann. Aber nachts, da ist kein Stau, kaum wer unterwegs. Doch wenn keine Autos fahren, geht es uns hier wirklich scheußlich. Richtig mies sind wir dann alle drauf. Da klopft man nicht ohne ’ne mitgebrachte Tüte an, um sich an unserem Elend zu weiden. Hast du nicht doch was dabei?“

„Nein“, antwortete Wallo verlegen. „Und ich will mich an gar niemandem weiden, mir ist heute Nacht mein Baum abgebrannt. Da wollte ich fragen …?“

„Äh, ein Obdachloser. Mach, dass du weiterkommst, du Penner! Solche wie dich können wir hier nicht gebrauchen. Los, los, glotz nicht so blöd und verzieh dich!“, krächzte verächtlich die violette Schnüffelseele, zog ihren Birnenkopf zurück in den Baum und verschloss das Astloch mit einer knautschigen Bierbüchse.

Wallo stand völlig verdattert und verlassen in der Nacht. Obdachloser, Penner, schnüffelnde Baumseelen, all das kannte er nicht und wusste nicht recht damit umzugehen. Aber wenn das eine Schnüffelallee ist, dann brauchte er es hier wohl nicht weiter zu versuchen.

Er machte sich Hoffnung: Vielleicht finden sich ja in den weniger befahrenen Nebenstraßen noch gesunde, freundliche Baumseelen. Wallo zog erschöpft, doch unbeirrt weiter.

Es sollte eine sehr lange Nachtwanderung werden. In den meisten Straßenfluchten, in die er hineinsah, wohnten keine Bäume, oder sie waren noch so jung und zart, dass die Seelchen darin keinen Platz für einen ausgewachsenen Artgenossen gehabt hätten. Zwecklos, es trotzdem zu versuchen.

Wallo irrte schließlich ratlos umher. Keinen Sprung weit konnte er mehr hüpfen, er kroch nur noch flach über das Gehwegpflaster, als ein lautes Brummen die Stille zerriss. Ein Müllauto kurvte um die Ecke, bremste, dann tuckerte und ächzte es im Stehen. Zwei Männer sprangen vom Wagen und entleerten Abfallcontainer, die gegenüber an einer Häuserwand standen.

Als wieder Ruhe eingekehrt war, schlich Wallo aus der Dunkelheit hinüber, sprang in eines der klobigen Gefäße und zog den Deckel zu. Es störte ihn kein bisschen mehr, dass es darin gar fürchterlich stank. Der obdachlose Grüngeist war so erschöpft, dass er sofort einschlief. Morgen, morgen würde alles wieder in Ordnung kommen. Es ist die Hoffnung, die den bekümmerten Wesen einen friedlichen Schlaf schenkt …

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Fortsetzung: Wallos seltsame Reise (4)

Wallo
Wallo

… Die Nacht zerrissen Sirenen und flackerndes Licht. Im Baum war es unglaublich heiß. Qualm kroch in die Höhle und stieg schließlich hinauf in den Stamm, wo Wallos Kopf auf einem Vorsprung, noch nicht ganz wach, ruhte. Seine lange Gurkennase schnupperte in alle Richtungen und im Nu schreckte Wallo auf. Was war das? Irgendwie wurde es ungemütlich. Der Grüngeist musste nachsehen, wo die Ursache lag.

Nach unten konnte er nicht. Bei dem Versuch stieg ihm beißender Rauch in die Nase und aus seinen Stielaugen tränten gelbe Bäche. Also umkehren und rasch hinauf zur blattlosen Baumkrone. Vorsichtig bahnte er sich einen Weg durch die sperrigen, trockenen Äste, bis er auf einem günstigen Ausguck angelangt war.

„Oje, ojeeeeeeehhh!“, rief Wallo entsetzt. Es war ein Aufschrei aus allerhöchster Not. Rings um Wallo brannte der ganze Park. Das Feuer züngelte schon heftig an seiner Baumbehausung. Das Holz knackte und spuckte Funken. Wallo blieb keine Zeit zum Überlegen, er musste blitzartig hinaus.

Die Feuerwehrleute hielten den Brand nur von den Straßen aus im Zaum, damit er nicht auf die Steinhäuser überspringe. Natürlich hatten sie Wallos Schrei gehört. Waren davon zusammengezuckt und spähten besorgt über das Parkgelände. Nein, sie sahen nichts mehr. Keinen Menschen, kein Tier. Aus der niedergebrannten Parklandschaft ragte nur noch der tote Walnussbaum hervor, den jetzt die Flammen vollends ergriffen. Der war ihnen kein Rettungsversuch wert. Wieso auch. Er lebte eh nicht mehr. Es wusste ja niemand, außer Ken, von dessen Bewohner. Noch einmal vernahmen die Feuerbändiger diesen Schrei, fast zeitgleich schoss ein grüner Lichtbogen in den klaren Nachthimmel und zischte über die Dächer davon. Die Leute meinten, es wäre eine vergessene Silvesterrakete gewesen und kümmerten sich nicht weiter um jene Erscheinung.

Atemlos saß Wallo rußbedeckt auf einem der unzähligen Dachgiebel. Was sollte nun werden? Wohin sollte er gehen? Wo sollte er ein neues Zuhause finden? Es war stockfinstere Nacht. Ken schlief unter einem dieser Dächer, aber Wallo wusste nicht, wo. Morgen, übermorgen und überübermorgen wird er zum verbrannten Park zurückkehren. So lange, bis er Ken dort antreffen würde. Jetzt aber brauchte er einen Schlafplatz für die Nacht. Er musste sich auf die Suche machen. Der Wind pfiff durch den Lichtgeist, dass er glaubte, in tausend Fetzen zu zerstieben. So rutschte der zerzottelte Wallo an einer Regenrinne hinunter auf die Straße und hüpfte von Laternen- zu Laternenlicht …

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