Moosgrün

MoosgrünDer Regentag versenkte gerade sein letztes fahles Licht im Unterholz. Moosgrün, der Waldwicht, räkelte sich auf seinem Lager aus welken Blättern, als ein Wassertropfen durch das Laubdach rann und seine Nase  traf. Platsch, nun war er wach. „Verflixter Ökowecker!“ Er rubbelte sich seine zwei Haare trocken und stülpte seine Filzkappe darüber, da wackelte plötzlich die Erde unter seinen Füßen, und es knackte mächtig. Scheinwerfer flammten auf und fluteten das Dunkel.  Panisch raffte der Wicht seine Hosen, Socken und die wunderschöne Frühstückseichel. Dazu schrie er voller Entsetzen: „Holzernter! Holzernter! Um Himmelswillen, sie werden meinen Baum fällen, gleich oder später! Wo ist nur das Zauberwasser?“ Die kleine grüne Gestalt zitterte am ganzen Leib. Eine Motorsäge kreischte auf, und Späne hämmerten zerstörerisch auf Moosgrüns Hüttendach. Der Flakon mit dem Zauberwasser klirrte von den Schlägen der harten Späne, als wollte er sagen: „Hier bin ich!“. Schnell griff der Waldwicht das Fläschchen und rutschte auf seinem Hosenboden abwärts in seinen Wurzelkeller. Da ächzte schon der mächtige Baumriese über ihm und fiel krachend zu Boden. Und nach ihm noch einer, und noch einer, die ganze Nacht lang.

Moosgrün jammerte leise in dem finsteren Loch. Seit einer Ewigkeit hauste er am Fuße dieser alten Eiche mit der Aufgabe, die Bäume zu beschützen und im Frühling mit einem Spritzer Zauberwasser zu erwecken. Doch gegen die gigantischen Holzerntemaschinen war sein kleiner Zauber völlig wirkungslos. Er hatte es versucht, keine Frage. Aber wo kein Glaube, da kein Gehör – seine Bannflüche  erreichten nicht einmal als Wispern die Ohren der Männer auf dem schweren Gefährt.  Der Waldwicht war schließlich nur ein ganz kleiner Frühlingsgeist.

Moosgrün kannte fast alle Eichen des Waldes, so um die 2000 ganz alte Exemplare. Man sah es ihm nicht an, aber er war schon vor gut drei Jahrhunderten dabei, als sie gepflanzt wurden, damals, als der Wald den Namen „Schorfheide“ bekam. Der Waldgeist liebte die mächtigen Eichen und auch jene, die indes als totes Bruchholz aus der Landschaft ragten oder zwischen die Farne gestürzt waren. Mit Moos bewachsen, sahen sie ganz samtig aus, mal wie ein schlafendes Tier, mal wie die Höhle eines Erdwesens. Lange grübelte er, was er tun könnte. Er wollte einfach nicht, dass diese mächtigen Stämme aus dem Wald verschwinden. Die zündende Idee kam ihm, als er an den steinernen Wegweisern vorbeihuschte. Sie trugen Namen und wurden von Jedermann geachtet. Deshalb? Ja, weil man dank ihrer den rechten Weg durch das weitläufige Gebiet finden konnte. Namen sind so etwas wie Merkzeichen, die den Dingen eine Bedeutung geben. Hm, das war es!  Wenn er nun den Waldbäumen einen speziellen Namen verleihen würde, was würde geschehen? Er kratzte sich seinen Kopf unter dem Filzhütchen. Hm, sie wären etwas Besonderes, und man könnte sie so nicht einfach mehr verschwinden lassen! Noch besser, wenn die Namen richtig berühmt wären wie Kunstwerke. Ha! Das ist es: Der Wald als Naturkünstler! Die Menschen würden seine Baum-Skulpturen ganz ehrfurchtsvoll betrachten, und keiner würde es mehr wagen, sie anzutasten.

Seit diesem Gedanken schuftete Moosgrün tagein, tagaus. Immer, wenn die Nacht am dunkelsten war, lief er durch seinen Wald und verteilte Namen, Künstlernamen, denn nachts war er besonders erfinderisch. Tagsüber wälzte er kleine Findlinge zu den Eichenfüßen herbei und schrieb mit Farbe die Namen seiner Waldskulpturen darauf: „Humpelnde Walküre“, „Tanzender Bär“, „Knarrender Lindwurm“, „Melancholischer Riese“, „Fromme Gouvernante“ …, und fortan witterten seine Baumfreunde, viel beachtet und deshalb behördlich geschützt, in der Zeit. Denn mit den Namen kamen die Menschen, um die Naturskulpturen zu bestaunen.

(Aus meinem Buch “Schattengeschichten aus dem Wanderland” – Schorfheidemärchen, erschienen 2010 im Schibri-Verlag ).

Neu erschienen: 2018 bei der Verlagsbuchhandlung Ehm Welk in Schwedt an der Oder als Märchensammlung (30 Texte) unter dem Titel “Die Gabe der Nebelfee”

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Dellwog und der Flößer

Flussgott Dellwog Zeichnung: Petra Elsner
Flussgott Dellwog
Zeichnung: Petra Elsner

Es war spät. Für einen Moment schien der Regen nachzulassen, blaue Schatten legten sich über Wald und See.  Dort schwammen Heinrichs Stämme. Morgen würden sie als Trift auf Flussfahrt gehen. Im Reisestall für Pferde und Kutschen schliefen schon die Knechte, und auch der Flößer Heinrich wollte hier ein Strohlager finden. Aber jetzt brauchte er zunächst etwas Warmes. In der kleinen Gaststube brodelte noch Kaffeewasser, und die Viehhändler und Holzaufkäufer würfelten um die besten Schlafplätze. Heinrich ging zur Feuerstelle und rieb sich die klammen Hände. Aus der Ecke neben dem Tresen lugte eine seltsame Gestalt ins Kerzenlicht. Die Wirtin reichte Heinrich wortlos einen dampfenden Becher, deutete zu dem Schattenriss in dem Winkel und flüsterte dem Flößer zu „ein Kaffeeriecher, ein Schnüffler des Fürsten.“

Heinrich wandte sich ungerührt den Spielenden zu und schlürfte den geschmuggelten Kaffee. „Will er morgen flößen?“, fragte ihn einer der Viehhändler. Heinrich nickte.

„Das wird wohl nichts werden“, raunte die Runde. „Wieso nicht?“, stutzte der Fröstelnde.

„Weil das Schleusenschütz klemmt“, murrte die Wirtin. „Wir werden hier noch alle absaufen, wenn die Pegel weiter im Regen steigen.“

„Es klemmt nicht, ein mächtiges Ungetüm hängt dran!“ knurrte einer der Viehhändler. „Wie eine quallige Saugglocke belagert es das Schütz und spritzt grüne Säure, wenn man nach ihm sticht.“

Heinrich wurde unruhig: „Seit wann hockt es da? Und gibt es gar keinen Weg, es zu vertreiben?“

Die Männer zuckten mit den Schultern, nur die Gestalt im Treseneck murmelte aus dem Dunkel: „Seit Urzeiten wandelt zwischen den Seen und den sumpfigen Niederungen der Schorfheide ein kleiner, launischer Flussgott umher. Er entsprang eben diesem See als Döllnfließ, dem, wenn man es befahren wollte, eine Locke zu opfern war. Dieser längst vergessene Wasserfürst heißt Dellwog. Wenn er wütend ist, verwandelt er sich in eine glibberige Riesenqualle, die alles aufsaugt, was sich ihr in den Weg stellt, aber ansonsten schwimmt er als bunt geschuppte Gestalt friedfertig mit den Wellen. Doch man hat dem Dellwog die Flanken beschnitten, seine Windungen begradigt, damit die Flößer das Holz schadlos aus dem Wald hinaus bringen können. Und nun stöhnt und wütet er vor Schmerz.“

Oh je, dachte Heinrich. Gewiss, das Döllnfließ war keine leicht zu beflößende Gasse, aber dass ein Flussgott dieses grün-blaue Band durch das Land zieht, wusste er nicht. Wie sollten nun seine Stämme rechtzeitig zu dem Hamburger Schiffbauer gelangen, wenn Dellwog sich nicht besänftigen ließe? Noch als alle Gäste des Krugs fest schliefen, starrte Heinrich ins Kaminfeuer und dachte nach.

Im Morgengrauen regnete es wieder Blasen und Heinrichs Stämme drohten über die Schleuse zu stürzen. Der Flößer sah, wie der strömende Regen alles an Land mit sich spülte und dabei kam er auf eine Idee: Der Mann schöpfte sich eine Handvoll Regenwasser aus einer Pfütze, sprang damit in den See und tauchte zur Quelle des Fließes. Dort unten öffnete er seine Hand und der weiche Regen floss, schob, spülte und löste schließlich den Schmerz des Flussgottes auf und schwemmte ihn davon. Heinrich stieg aus dem Wasser, schnitt sich eine Haarsträne ab und warf sie mit den Worten: „Dellwog, sei friedlich, ich achte dich!“ in die schäumenden Wellen. Dann zog er das Schleusenschütz, und seine Stämme begaben sich auf die lange Fahrt flussabwärts, hinaus aus dem Wanderland in die Welt.

(Aus meinem Buch “Schattengeschichten aus dem Wanderland” – Schorfheidemärchen, erschienen 2010 im Schibri-Verlag ).

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Adela und der Steinschiffer

Als Adela den Heidewald verließ, stachen am Fluss schon die Wanderarbeiter nach dem

Adela, Muhme der Wiesen und Felder, Zeichnung: Petra Elsner
Adela, Muhme der Wiesen und Felder,
Zeichnung: Petra Elsner

Ton unter der Grasnarbe. Der Sonnenball stieg gerade feurig über die Baumwipfel und nährte die rote Stunde dieses Morgens. Grillen zirpten,  und die Vögel besangen den Glanz des Lichtes, während sich die schöne Wiesenmuhme  das wüste Treiben im Weidengrund besah. Adela war ein weiblicher Heidegeist, der keinen Raubbau zulassen durfte.

Natürlich brannten sich die Bewohner des Wanderlandes seit einer Ewigkeit Ziegel. Das hätte Adela nicht weiter aufgeregt. Doch diese Männer nahmen mehr, als sie selbst brauchten. Ziegelhandstreicher formten Grünlinge aus dem Ton, Brenner türmten daraus Meiler, und das Feuer darin, ließ die Grünen steinhart werden. Überall in den Wiesen am Westrand des Wanderlandes rauchten die Meiler und Feldbrandöfen, denn Adrian, der schlaue Schiffer, kaufte die Bausteine und schipperte sie in die nächste Stadt. Da kam er gerade wieder schweren Schrittes. Weil der Fluss mit seinem kastenförmigen Lastkahn nicht sicher befahrbar war, zog ihn Adrian mit einem Pferdegespann von Land aus. Der Treidelpfad, der bei diesem Schiffeziehen entstand, lag wie ein breites Band neben dem Flusslauf. Lange hatte Adrian, wie andere Schiffer auch, nur Baumstämme transportiert, bevor er sich entschloss, Steinschiffer zu werden. Die Städte rings um das Wanderland begannen gerade zu wachsen, so dass der Schiffszieher gar nicht so viele Steine heranbugsieren konnte, wie jene verbauten. Bald schon wurde Adrian wohlhabend, konnte sich Pferde, Knechte und ein zweites Schiff leisten. Aber er war mit dem Wohlstand auch vom Hochmut befallen.

Adela tänzelte und wehte durch die Wiesen wie ein Schmetterling. Adrian sah die Schöne mit dem Blumenkranz, aber sein begehrlicher Blick bekam sie nicht recht zu fassen. Irgendwie sah er immer nur das Echo ihrer geschmückten Gestalt. Doch dann wehte eine harte Stimme an sein Ohr: „Wer hat  dir erlaubt, meine Ufer zu plündern?“

Adrian drehte sich erschrocken um, aber da hallte es schon in sein anderes Ohr: „Schick dich von dannen,  Schiffer, sonst ereilt dich die Wüste!“

Der Mann schüttelte sich, als wollte er den Spuk abwerfen, da stand sie plötzlich vor ihm: „Geh, Schiffer, und nimm deine Tonstecher mit, dieses Land hat genug Wunden!“

Adrian lächelte kühl: „Ah, das verlangt ein Blumenweib? Dass ich nicht lache!“

Die Wanderarbeiter schauten besorgt,  und der Älteste unter ihnen erklärte: „Herr, nimm er sich in Acht, sie ist kein einfaches Weib, sondern eine  Muhme der Wiesen und Felder. Ihr Zauber könnte uns alle böse treffen.“

„Schweig,  Alter, und spute dich, die Ziegel müssen an Brod!“,  befahl ungerührt Adrian und raunte sodann Adela zu: „Und du Weib, komm in meine Arme oder scher’ dich vom Acker! Hier hat nur der Steinschiffer das Sagen!“

Die Männer bei der Tonsohle blickten finster als sie Adelas Murmeln vernahmen: „Ich wünsche dir Sand und Schluff in den Ton, auf dass deine Ziegel nichts mehr taugen.“

Dann lief sie zurück in die Wiesen. Aus ihrem Rocksaum rieselte dabei feiner Sand, und der Wind frischte auf, der sich kaum später zum Sturm erhob. Der blies weißen Sand in jeden Winkel des Landes und bedeckte es dünengleich.  Die Wanderarbeiter zogen bald weiter, denn sie hatten seither vergebens nach gutem Ton gegraben. Adrians Schiffe zerbarsten in jenem Sturm auf einer Sandbank, und der Mann verlor darüber nicht nur Hab und Gut, sondern auch seinen Verstand.  Er stand da in seinem Kahn auf welligem Sandland, in den Händen eine Stake, mit der er davon kommen wollte, doch Adelas kalter Atem hielt ihn für immer fest im Bann.

(Aus meinem Buch “Schattengeschichten aus dem Wanderland” – Schorfheidemärchen, erschienen 2010 im Schibri-Verlag ).

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Die Moorgeister vom Plagefenn

Umor, Schlangentroll vom Plagefenn Zeichnung: Petra Elsner
Umor, Schlangentroll vom Plagefenn
Zeichnung: Petra Elsner

An diesem milden Frühlingsmorgen scherbelte das Eis auf dem schmalen Wassergraben, der das Moor umgab. Es schien, als würden die feuchtschweren Mooshügel atmen. Auf einem dieser hockte Fidelio, das Fledermännchen, und zählte Gasblasen. Eigentlich müsste das Moorgeistergeflüster längst erwacht sein. Blub, wieder war eine Blase zerplatzt, doch mehr regte sich nicht. Fidelio wischte sich die Schlammspritzer von seiner blassen Nase und seufzte. Das himmelblaue Männchen mit den Libellenflügeln wollte gerade davon surren, als sich aus dem Moor eine wirklich fette Beule aufblähte. Das Fledermännchen ging in Deckung, da gluckste und schmatzte es, und ein brauner Schlammtroll quoll aus dem Matsch. Fidelio lugte hinter den Binsen hervor. „Oh, Blubber, endlich ausgeschlafen?” „Nein, aber die Sonne heizt das Moor so an, da wird man zwangsläufig wach. Moorflocke wird auch gleich aufsteigen.”
„Und Umor?”, fragte die glasige Gestalt. „Nein, keine Sorge, der große Schlangentroll kommt wie immer erst zur Nacht.”

Indes erschien Moorflocke mit ihrem Wollgrashütchen an der Oberfläche, und Fidelio kicherte: „Mein Gott, ich habe über den Winter ganz vergessen, wie hübsch hässlich ihr seid. Da hilft keine Schlammpackung!” Moorflocke tauchte beleidigt ab, nur eines ihrer Froschaugen linste noch aus dem Sumpf und dem hielt Fidelio eine lila Glockenblume hin. Moorflocke spritzte aus dem Schlick. „Wo hast Du denn die her, die blühen doch erst in ein paar Wochen?” „Topfblumen, extra für dich.” Das kleine Elfenmännchen wusste genau, etwas Schöneres konnte er ihr nicht bringen. Dann hockten sich auf die wabernden Mooshügel und schauten in die geheimnisvolle Landschaft. Noch war das große Kesselmoor im Herzen der Schorfheide kahl und öd, doch bald würde wieder alles von Seggen, Binsen und Farnen sattgrün schimmern. Wenn erst überall die Glockenblumen läuten, dann schlägt die Hochzeit der Moorgeister. Aber eigentlich hat dieser Spuk keine bestimmte Stunde. Die Moorgeister foppen jeden, der sich sommerwärts in ihre Nähe begibt. Den Heidekrautschneidern schicken sie fliegende Ringelnattern, auf das sie schreiend davonlaufen. Ein anderes Mal erschrecken sie mit feinem Heulen oder schrillem Pfeifen. Doch all das ist gar nichts gegen eine Begegnung mit Umor. Wer den buckligen Moorgeist mit dem Schlangenhaar, den glühenden Augen und der Schuppenhaut erblickt, den packt das kalte Grausen. Wer davonläuft hat Glück, wer Wurzeln schlägt, den holt sich Umor.

Es dämmerte früh an diesem Tag, und Fidelio wurde unruhig. So sehr er auch die Moorgeisterkinder mochte, ihrem Vater, dem Schlangentroll, wollte er nicht begegnen. Doch es begab sich, dass eben zu jener Stunde ein Kräuterweiblein vom Großen Plagesee den Weg durch den Sumpf nahm. Moorflocke warf Frösche nach ihr, und Blubber rülpste unwirklich laut und klatschte mit Ästen auf das Wasser. Das alles aber störte die Frau nicht weiter, denn sie kannte den Unfug der kleinen Moorgeister. Doch als plötzlich eine Schlammfontäne aufbrach, und Umor aus der Finsternis schoss, stockte ihr der Atem. Grausig sah er aus, und die Frau erstarrte.

Fidelio mochte die Auftritte Umors gar nicht. So flog er zu der Kräuterfrau und wisperte ihr zu: „Nicht hinsehen.” Er hatte keinen großen Zauber, nur die Gabe, einen Nebelschleier zu schicken. Den legte er nun schützend um die Erstarrte, die sogleich ungesehen fliehen konnte. Umor aber grollte ganz fürchterlich, seine glühenden Augen sprühten vor Wut Funken, die als Glühwürmchen wie Spione davon schwebten. Die kindlichen Moorgeister murmelten: „Das Fledermännchen ist aber mutig. Nicht, dass der Vater es jagt, wir müssen ihm beistehen.“ Und so wirbelte Moorflocke eine Wolke aus Wollgrasähren auf und Blubber brachte das Moor zum Brodeln und ließ es düster stöhnen. Umor tauchte schließlich im Morast ab. Er kannte seine Kinder und wusste, zusammen sie allemal stärker als er. (pe)

(Aus meinem Buch “Schattengeschichten aus dem Wanderland” – Schorfheidemärchen, erschienen 2010 im Schibri-Verlag ).

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Info: Plagefenn

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Der Ball der Wasserfrauen

Die kichernden Regentropfennixen waren zum Ball geladen und kamen mit einem kräftigen Guss im Döllnfließ an. Immer in der Johannisnacht trafen sich die Wassergeister aller vier Himmelssphären, um für Freya, die hohe Wasserfrau des Wanderlandes, Kräuter zu sammeln. Für diese eine Nacht des Jahres verloren die Nixen ihr Fischgewand, und all die schönen Wesen aus Pfützen, Tümpeln, Brunnen und Teichen, aus Flüssen und Seen lustwandelten im hellen Mondlicht durch die Wiesen, und schnitten schweigend reife Pflanzen. Nur das leise Läuten ihrer Glockenblumenkränze und das Zirpen der Grillen waren vernehmbar.

Wasserfrau Zeichnung von Petra Elsner
Wasserfrau
Zeichnung von
Petra Elsner

Die Wiesen am Fließ dufteten schon Tage lang so berauschend, dass kaum einer in den Heidedörfern Schlaf fand. Man hockte hellwach am Feuer, tanzte, trank Bier oder Wein, als ein Mädchen vor einem liebestollen Manne in die Wiesen floh. Aber es war zu weit die Hänge hinuntergelaufen, denn dort, wo der Auenwald begann, verästelte sich der Fluss, und die Wiese verwandelte sich in einen wundersam blühenden Sumpf. Das Mädchen war völlig entrückt, als es die Blütenpracht sah. Es pflückte sich einen Strauß, wie er schöner nicht sein konnte, aber währenddessen verlor es den festen Boden unter den Füßen, und die schmatzende Erde verschluckte das Mädchen. Es waren die Regentropfenixen Pia, Nike und Dafne, die das versinkende Wesen entdeckten und die hohe Wasserfrau herbei riefen. Freya schüttelte ärgerlich ihr Blumenhaupt. „Wer unsere Rituale stört, sollte eigentlich mit dem Sumpfwasser ziehen.“ Als Wächterin des unterirdischen Flusses, der an diesem Ort vom Diesseits ins Jenseits strömt, konnte die weiße Nixe Leben schenken oder nehmen. Aber Pia, Nike und Dafne waren so aufgeregt: „Sieh, sie ist so schön, du darfst sie nicht mit unseren Blumen geschmückt ins Reich der Toten schicken“, riefen die kleinen Nixen wie aus einer Stimme. „Gütiger Himmel“, raunte Freya. „Gut, dass die Kräuter geschnitten und gebündelt sind, sonst hätte euer Aufschrei ihnen all ihre Heilkraft genommen“, schimpfte die hohe Frau. Da es aber so gar keinen Grund gab, in dieser Festnacht ein so schönes Mädchen im Sumpf stecken zu lassen, zog Freya es aus dem Morast, wusch es in dem glasklaren Wasser des Fließes und legte es sanft am Ufer ab. Immer noch hielt das ohnmächtige Mädchen den prächtigen Strauß fest umklammert. Und wie es da so lag, schön wie ein Sommermorgen, steckte ihm Freya eine schützende Seerose ins Haar.

Als das Mädchen erwachte, sah es, wie die Wasserfrauen tanzten oder lachend Kräuter wuschen. Aber als jene bemerkten, dass das Mädchen ihnen zusah, erschraken sie, denn augenblicklich wuchs ihm ein Fischleib. Freya hatte den alten Zauber ihres Vaters vollkommen vergessen: Wenn ein Mädchen den Ball der Wasserfrauen beobachtet, wird es selbst zur Nixe. Gerade war die Verwandlung geschehen, da ritt auf einem Wellenross der alte Seegott heran. Der zottige Zausel mit dickem Wanst holte sich die neue Nixe.

Wochen und Monate vergingen. Schauerwetter peitschte das Land, da konnten die Regentropfennixen reisen. Eines Nachts gelangten sie an das Haus eben jenes Jünglings, der noch immer nach dem Mädchen suchte. Sie trommelten auf seine Fensterscheibe eine Melodie und malten aus Klangfarben einen See. Der Jüngling schreckte auf, hatte er nur geträumt oder sah er seine Liebste als schöne Nixe, die ein alter Seegott begehrte. Als endlich die nächste Johannisnacht anbrach, lief der junge Mann zum Großen Döllnsee und lauschte dem Wellenspiel. Irgendwo klatschte etwas auf das Wasser, ein Flossenschlag? Und richtig, im Mondlicht schwamm eine helle Gestalt auf ihn zu. Da sprang der Jüngling in das schwarze Nass und erhaschte die Nixe. Die war so schön, dass er fast das Atmen vergaß, aber dann küsste er das Mädchen. Indem verloren sie sich in einem Strudel, der dem Fischmädchen die Flosse abzog. Als das Paar auftauchte, erleuchteten hunderte große und kleine Wasserfrauen mit ihren weißen Leibern den See. Wie ein Geleitzug brachten sie die Zwei sicher zum nächtlichen Ufer, während der Seegott aus den Tiefen des Wassers machtlos grollte.

(Aus meinem Buch “Schattengeschichten aus dem Wanderland” – Schorfheidemärchen, erschienen 2010 im Schibri-Verlag ).

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Die Wunderbuche

Ein Märchen für die Woche ist eins meiner Schorfheidemärchen. Das muss ein paar Tage reichen, ich ersaufe gerade in Arbeit…

Die Wunderbuche:

Croll. Zeichnung von Petra Elsner
Croll. Zeichnung von Petra Elsner

Der kleine Druide, den der verfehlte Liebesschrei eines Einhorns ins Wanderland holte, war ein besonders emsiger. Schon im März schwebte er mit den goldenen Wolken der Haselnusspollen durch den Heidewald. Er liebte diesen Hauch von Glamour. Croll war kein heiliger Druide, sondern ein seltsamer Waldschrat, der mit den Bäumen sprach. Gern versteckte er sich hinter einer Blättermaske, denn Croll war nicht besonders gesellig. Selbst die wispernden Stimmen der Baumfeen störten ihn. Was jene aber nicht daran hinderte, über seine viel zu großen Ohren zu lästern, in die Croll, wenn es ihm zu viel wurde, demonstrativ kleine Früchte als Schalldämpfer steckte. Ansonsten aber lebten die Tiere und Gespinste einträchtig beieinander zwischen den tiefen Senken und den welligen Sandern.

Croll wohnte in der mächtigsten Buche im Wanderland. Wo sie stand, entfalteten sich im April Blütenteppiche aus unzähligen Buschwindröschen. Aber mit dem frischen Austrieb des Blätterdachs begann die Dämmerzeit unter den Buchen. In diesem Schattenlicht wuchsen die Träume und segelten die Fledermäuse.

Crolls Buche war älter als die üblichen Hundertjährigen. Sie thronte schon gut 300 Jahre auf einer Düne östlich des kleinen Pinnowsees. Ihr Stamm sah aus, als wäre er aus einem verschlungenen Baumbündel gen Himmel gewachsen. Über 30 Meter hoch wand sich ihr silbriges Rindenkleid, umweht vom glasigen Blattschleier. Dort oben, in den Wipfeln, erntete Croll immer im Mai rehbraune Knospen. Wozu er sie benutzte, blieb sein Geheimnis.

Und es war nicht alles, was er behütete, denn Croll war eben auch der Wächter der größten Buche der Schorfheide*. Am liebsten lauschte er ihrem Geflüster nachts, denn dann raunte ihm der mächtige Urwaldriese seine Weisheiten zu: Welche Bäume Kraft spenden und welche Kraft rauben. Die alte Buche war gewissermaßen Crolls Meister, durch sie wurde er zum einzigen Kräuterkoch, der jene magische Essenz, die allen guten Zauberwassern innewohnt, inszenieren konnte. Und weil dem so war, kamen alle Naturwesen mit dem ersten Frühlingslicht zu ihm.

Doch dieses Jahr war alles anders. Der Nebel hing fest zwischen den Stämmen und das rostrote Laub rollte sich auf dem kalten Waldboden. Die Frühlingswinde, die den Frost verwehen sollten, wollten einfach nicht kommen. Längst war es Mai und immer noch wuchs die Dürre in der Buche. Überall knackte es in der Rinde, als wollte sie reißen. Jeder weitere eisige Tag ließ den Baum Stück um Stück sterben. Es musste etwas geschehen.

Croll durchforstete all seine Kräuterhöhlen. Irgendwo hatte er diese Notration deponiert. Als er das Pulverdöschen schließlich fand, hockte er ratlos auf einem Ast und grübelte: Die magische Essenz wird es dieses Jahr nicht mehr geben, aber er könnte mit diesem kleinen Rest seinen Baum erretten. Dann aber blieben alle Waldgeister ohne Zauber. Was sollte er nur tun? Wieder platzte die Baumhaut seiner Buche etwas weiter auf. Und es war Croll, als hörte er seine Freundin vor Schmerz stöhnen. Da gab es kein Fragen mehr. Croll sprang auf, entzündete ein Feuer und kochte darüber ein schwarzes Mus, dem er zu guter Letzt das Pulver beigab. Mit dieser Masse bestrich er hauchdünn seinen Baum. Das dauerte mehrere Tage und Nächte, aber unter jedem Pinselstrich hörte Croll junges Leben atmen und das machte ihn sehr froh.

Ende Mai ging endlich der Frost und die Waldgeister kamen zu dem Druiden in der Buche, um sich etwas von jener Substanz zu holen. Croll zog die Zipfel seiner leeren Taschen aus den Hosen: „Die Ernte ist erfroren, ihr könnt erst nächstes Jahr wieder kommen.“ All die kleinen Zauberwesen standen steif und stumm. Wie sollten sie nun das Wanderland erwecken? Da reckte sich und ächzte plötzlich Crolls Buche. Aus ihrer Rinde perlten schillernde Lebenstropfen, die in die grünen Flakons der kleinen Feen und Kobolde schlüpften und wo sie auf den Boden fielen, erblühte augenblicklich das Land zwischen den zwei schnellen Flüssen. (pe)

(* Silkebuche ist der reale Name dieses Baumes)

(Aus meinem Buch “Schattengeschichten aus dem Wanderland” – Schorfheidemärchen, erschienen 2010 im Schibri-Verlag ).

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Nachtblau

Zeichnung: Petra Elsner
Zeichnung: Petra Elsner

Der Regen pladderte auf dem Fensterblech ein Rondo. Doch diese Wetterpoesie ließ keine Leichtigkeit wachsen, sie nervte nur noch. Der Sommer war einfach zu grau, zu kalt, zu einsam. Leonie fröstelte. In der Pfanne brutzelten Bratkartoffeln, sie hatte Hunger wie im Winter. Der Duft aus der Pfanne legte eine Gedankenspur in eine Zeit, als die Sommer noch Leichtigkeit waren oder schienen. Damals unterm weiten uckermärkischen Himmel – sonnabendnachts:
Schwerer Rosenduft hing in den Gartenterrassen am See. Die Rockband hatte eingepackt, denn die übliche Lokalschlacht hatte sie schnell übertönt, und sie wollte nicht in die Keilerei hineingezogen werden. Es brauchte nie viel, um die Hitzköpfe der Dörfer in Position zu bringen. Jeder gegen jeden und jede Sonnabendnacht. Die Mädchen huschten in eine sichere Distanz und sorgten sich um ihren Favoriten. Chancenlos schrie der Wirt: „Raus, schlagt Euch draußen!“
Da flogen schon die ersten Stühle, Holz und Scheiben barsten. Die Minuten dehnten sich. Niemand hätte später genau sagen können, wie lange die Prügelei dauerte. Nur der Dorfpolizist, der allein im Schatten seiner Amtsbarracke, die gleich gegenüber dem Rosengarten stand, wartete, hatte ein sicheres Gespür dafür, wann er nach dem großen Finale, die angeschlagenen Raufbolde gefahrlos trennen konnte. Dann schrieb er die Namen und die Schäden auf, stieg wieder auf sein Fahrrad und fuhr nach Hause. Er wurde hier nicht mehr gebraucht.
Es war die Zeit, als man meist gefahrlos nachts von den ländlichen Tanzböden auf Waldwegen heim lief oder radelte. Die Zeit roch nach Bier, Club-Cola-Wodka, Rummel und schlechtem Deo.
Nichts konnte Leonie damals davon abhalten, ihre Lust in süßer Sorglosigkeit auszuleben, bis sie abermals in einer schwülen Sommernacht auf einer Bank am gleichen See schlaflos auf die Morgenfrische wartete. Ihr Leib beulte sich und pochte. Wenn die Fischer nach ihren Reusen sehen, wird sie heimgehen, in der Hoffnung auf Schlaf in der Kühle des Morgens. Aber noch war es nicht so weit. Himmel und See ergossen sich noch in ein tiefes Nachtblau, das kaum einen Horizont kannte.
Irgendwo tapste und hechelt etwas. Leonie zog die Schultern gerade nach hinten und späte nach dem Geräusch. Es kam schnell näher und dann lief er auf sie zu. Ein großer Schäferhund, der sich vor sie setzte und herzzerreißend jaulte.
„Lass das, Bero, du weckst noch alle Hühner auf!“, flogen die Worte dem Hund hinterher. Ein Mann tauchte aus dem Dunkelblau, nicht alt, nicht jung, in schwarzen Lederhosen und grünem Parker. Er rauchte Zigarre und brummte: „Sitzen Sie ganz alleine hier rum?“
„Sehen Sie doch oder?“ antwortete Leonie kühl.
„Ist aber nicht gut, allein in der Nacht mit dem gefülltem Bauch. Gibt es keinen Beschützer?“
„Gibt es nicht und wird auch nicht gebraucht.“
„Aha“, brummte der Mann, zog an seiner Zigarre und paffte Kringel in die Luft. „Es ist sauschwül, keiner kann schlafen, nicht mal der Hund.“ Er hockte sich zu Leonie auf die Bank und tippte ihr sacht auf den Bauch und sprach gutmütig: „1972 wird ein guter Jahrgang.“
Sie lächelte verklemmt.
„Und, wie wird das Alleinstehend so werden?“, fragte der Mann und kraulte dabei seinen Hund.
Leonie zog die Schultern hoch: „Mein Vater hat mir vorgerechnet, dass man mit 385 Mark Jungfacharbeiterlohn nicht klarkommt. Das merke ich gerade.“
„Und, wenn er das herausgefunden hat, unterstützt er Sie?“
„Leonie schwieg.
„Echt nicht?“, raunte der Mann.
„Er meinte nur, für solche wie mich, haben sie den Abtreibungsparagrafen gemacht, und wenn ich das nicht schnalle, dann solle ich mich auch allein kümmern“, erzählte sie tonlos.
„Aha“, brummte der Mann wieder und schwieg in das Morgengrauen.
Die Fischer zogen auf ihren Booten vorbei und Leonie streckte sich: „Ich geh dann mal.“
Der Mann nuschelte: „Wird ja auch Zeit. Ich bring Sie noch durch den Rosengarten.“
Der Hund sprang ihren gemächlichen Schritten voran, plötzlich stand und scharrte er. Als die Zwei bei ihm waren, sahen sie ein silbernes Fünfmarkstück. Und während der Mann sich bückte, es aufhob und es in Leonies Hand legte, scharrte Bero erneut und wieder brachte er ein Silberstück hervor und noch eines, bis zur Straße waren es neun. Leonie traute ihren Augen kaum, als der Mann sprach: „Reicht das für die nächsten Tage?“
Die Frau war dem Mann mit dem Hund nie wieder begegnet, aber sie wusste seither: Das Glück muss einem unterwegs begegnen und nicht erst am Ende des Tunnels.
Petra Elsner

Mit dieser Geschichte möchte ich nochmals auf meine Lesung am 6. März, 15 Uhr, im Jagdschloss Groß Schönebeck (Schorfheide) aufmerksam machen. Ich lese dort aus meinem Buch “Vom Duft der warmen Zeit”

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Die Steintafel

Dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, war am Heiligen Abend auch nie viel los. Langohr Mohri wünschte sich, einmal sollte das ganz anders sein. Lebhaft und glanzvoll. Und so pinselte er seinen Wunsch auf einen alten Teufelsstein am Weg durch die Heide: „Wanderer, du bist eingeladen, hier den Heiligen Abend mit uns zu feiern.“

Das Jahr verging. Mohri und sein Freund, der Fuchs Listus, hatten sich fein herausgeputzt und den Stein in eine Tafel verwandelt. Darauf thronten Nüsse, Rübchen, Pilze, Kohl und schönste Waldbeeren – schließlich nahte der Heilige Abend, auch wenn Nieselregen fiel. Die Nacht war weit vorangeschritten, noch immer spähten die Zwei in die dunkle Ferne und warteten, wer sich wohl zu ihrem Festschmaus einfinden würde. Mohri wurde langsam ungeduldig und begann zu mosern: „Es ist Weihnachten, und wir haben wieder keinen Schnee, der unserer Heide ein lichtes Weiß spendiert. Wer verliert sich schon in diese nasse Einöde? Nur die tollen Rüben leuchten so schön rot, wollen wir nicht mit dem Nachtmahle beginnen?“ Listus winkte ab: „Hab noch etwas Geduld“, dann starrte er abermals in das weite Nichts.

Nebelschwaden waberten. Bald war die flache Landschaft vollständig im Dickicht versunken, aus dem es auf einmal leise kicherte, dann grunzte und schließlich knurrte. Mohri und Listus lauschten mit aufgestellten Ohren. Wer mag das sein? Mal wisperte es von rechts her, dann gluckste es von links. Fuchs und Hase wurde es unheimlich zumute. Plötzlich entsprangen dem milchigen Dunst zwei kleine Trolle. „Na, na, wer wird denn da maulen? Ohne dieses tolle Reisewetter hätten wir nicht kommen können“, meinte eines der fidelen Wesen. Sie grüßten, traten an die Tafel heran, holten ihre Wasserpfeifen hervor und genossen schmunzelnd die erstaunten Blicke ihrer Gastgeber. „Was schaut ihr so irritiert, wir sind die Gebrüder Sanft und Mut, geboren in einer Weihnacht unter diesem Stein, und keine Trolle der bösartigen Sorte. Ihr könnt euch also entspannen.“ „Hohoh“, raunte Listus, „das kann ja jeder behaupten. Gewöhnlich bringen Trolle nur Ärger und Schabernack mit sich. Wir aber wünschten uns eine gesellige, friedliche Heilige Nacht.“ Der Fuchs blieb misstrauisch, er mochte keine Geisterwesen. Der Hase starrte indessen ein schwarzes Loch in den Boden: „Unter diesem Teufelsstein?“ Mut grunzte vor Lachen: „Was heißt hier Teufel-, es ist ein Trollstein. Vorzeiten  hat just an dieser Stelle ein gemütlicher Riesentroll den Sonnenaufgang verpasst und wurde vom ersten Tageslicht in diesen Stein verwandelt.“ Instinktiv wich das Langohr furchtsam von dem Steine zurück und musterte ihn mit gebührlichem Abstand. Nein, ein Trollgebilde ließ sich darin nicht wirklich erkennen: „Ach, ihr tischt uns bloß ein Schauermärchen auf.“

Sanft schaute sanftmütig und flüsterte: „Glaubt es nur. Seit Jahren versuchen wir ihn zu erwecken, wissen aber nicht, wie das gelingen kann. Wir haben ihn schon untergraben, dann gerollt, gekitzelt, selbst freche Witze haben wir ihm erzählt – ohne Wirkung.“

Listus umkreiste den alten Feldstein, schnupperte hier, klopfte dort und kratze sich schließlich nachdenklich am Haupte: „Was soll‘s, es wird wohl niemand mehr kommen, lasst uns endlich speisen. Wir werden euren Gevatter kaum erwecken. Der Stein liegt hier seit Fuchsgedenken ungerührt. Außerdem würde unser Vorrat wohl kaum für einen Riesen ausreichen.“ Sprach’s und lächelte versöhnlich.

Sodann schmausten sie genüsslich. Mohri und Listus hörten weitschweifende Geschichten,  von garstigen und guten Trollen, von Unholden und ihren Feen. Und es war gerade so, wie es sich Mohri gewünscht hatte: Lebhaft und feierlich. Der Himmel hatte sich gerade gelichtet, und der Stern der Weihnacht beleuchtete die kleine Gesellschaft, als Sanft inne- hielt: „Wartet, wir sind nicht nur zum Plaudern gekommen. Jetzt beginnen die geheimnisumwitterten Stunden, in denen sogar kalte Herzen schmelzen und vielleicht, ja vielleicht auch Steine erweichen.“

„Was habt ihr denn vor?“, fragte der Hase aufgeregt und schon wieder etwas bammelig. „Keine Ahnung“, gab Sanft zu, „einfach nur warten, und bei ihm sein.“ „Und das allein soll diesen Stein schmelzen?“ – der Hase schaute ungläubig, aber auch erleichtert. „In einer Heiligen Nacht – vielleicht“, murmelte Sanft kaum vernehmbar.

„Wozu wollt ihr eigentlich den Riesen erlösen?“, bohrte Listus neugierig. Mut räusperte sich: „Es ist ein ganz besonderer seiner Art. Einer, der wilde Flüsse und Stürme zähmt, die Ernte beschützt, Streit schlichtet und Sanftmut verbreitet. Er ist unser Großvater, und sein guter Zauber fehlt nicht nur uns Trollen.“ „Das könnte sein“, fand auch der Fuchs.

So saßen sie also die ganze Nacht lang hoffnungsvoll, aber nichts regte sich. In der Dämmerung mussten die Trolle aufbrechen. Schließlich wollten sie nicht als kleine Feldsteine enden. Ein Blatt lag noch verloren auf der Steintafel. Schläfrig meinte Mohri: „Es wird Zeit zu gehen, habt dank für eure Gesellschaft, und kommt nun gut nach Haus.“  Zum Abschied spöttelte er noch: „Das leckere Blatt lassen wir ‘mal vorsorglich für euren Riesen zurück“, dann machten sie sich auf ihre Wege. Ein Hauch von Schnee kam mit dem ersten Weihnachtsmorgen über die Heide, und in dem alten Stein rührte sich ungesehen Leben.

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Der Schatz der Baumriesen

Diese Fantasy-Geschichte habe ich noch nicht als Lesekostprobe vorgestellt, was ich heute einfach mal nachholen muss:

Die erste Seite
Die erste Seite

Der Schatz der Baumriesen

Das tiefgrüne Land war wild und mächtig. Nur wenige tapfere Männer haben es je gesehen. Uralt war es, wie auch seine Bewohner, die Baumriesen. Niemand ahnte, dass sie heimlich wanderten. Langsam und unmerklich nahmen sich ihre Baumkinder jeden Frühling ein Stück neues Land von den Wiesen. So wuchs das Baumland zu einem mächtigen grünen Pelz der Erde heran.
Natürlich hatte das Land der Baumriesen auch einen König. Hanjor, der friedfertige Seher. Und die Riesen bewahrten einen einzigartigen Schatz – die Elementekugeln: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Hier schlug das Herz der Welt. Diese leuchtenden Kugeln hielt Loriell, die Tochter des Baumkönigs, unter ihrem Rindenkleid, in einer Asthöhle verborgen. Die gleich starken Kugeln mussten immer beieinander sein, um das Gleichgewicht der Erde zu wahren.
Loriell wuchs deshalb dicht umstanden im Schutze ihrer vier Wächterbäume Robur, Benjo, Solan und Pikar heran. Schlank und schön. An einem kalten Dezembertag fiel plötzlich Eisregen ins Land der Baumriesen. Er umzog jeden Ast und jeden Halm mit einem glasklaren Mantel, der vom Wind angefacht den ganzen Wald zum Singen brachte. Es war ein klirrendes, bedrohliches Lied. Kaum später kam der Schnee.
Tage und Nächte fielen Flocken aus dem Wolkengrau und legten sich schwer auf die alten Baumgestalten. Die ächzten und knarrten unter der Last. Es war die zarte Loriell, die als Erste in sich zusammenbrach. Der Kugelschatz erreichte im Fallen nicht einmal den Boden, denn der Wind fing sie auf und nahm sie mit sich fort. So sehr auch die Wächterbäume versuchten, dem stürmischen Gesellen den Weg zu verstellen, sie waren einfach zu steif gefroren, als dass sie wendig genug gewesen wären. Seither war es dunkel und kalt im Land der Baumriesen.
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Holle ohne Schnee

Die dunkle Seite der Zeit ist die Nacht,
und in ihr wohnen die märchenhaften Gestalten.

Holle ohne Schnee

Tief im Wald von Metzelthin wohnt die Frau Holle. Die Echte aus der Uckermark, versteht sich. Eine schlichte Natur, die als Kinderschreck schon mal die Hexe aus „Hänsel und Gretel“ in der offenen Landschaft gibt. „Zeig Deinen Finger, Hänsel!“ herrscht sie, aus dem Gebüsch springend, einen mageren Jungen vom Wegesrand an. Der verdrückt sich, leicht schockiert, in die Deckung der Kindergruppe. Märchen können immer noch schrecken. Sie wohnen in der Ewigkeit, in der es weder ein Gestern noch ein Heute gibt. Manchmal spielt diese knorrige Rolle auch die erwachsene Holle-Tochter, denn so federleicht ist Muttern nicht mehr. Frau Holle ist mollig und zuweilen gedankenschwer.
Herr Holle baut unentwegt die Kulissen für ihre Spiele, die sie sich im Winter für die Sommerferienkinder ausdenkt. Er schafft und schafft und doch ergeht es ihm gleich dem Mann in Grimms Märchen „Von dem Fischer un syner Frau“. Ihre Wünsche überwuchern ihn, und wie er sich auch müht, seine Holla begnügt sich nicht.
Im sonnigen Mai hockte Herr Holle zwischen Brunnen und Backhaus und zermarterte sich das Haupt: Er seufzte, jammerte und sprach schließlich leise in den Wind: „Sie wünscht sich Schnee. Jetzt, wo es endlich Sommer wird! Herrje!“
Der Wind strich als sachte Briese über die Märchenwiese und sah sich noch einmal um, als hätte er sich verhört. Verdutzt machte er kehrt und lauschte noch einmal dem Manne. Nein, er hatte sich nicht geirrt, so nahm er den Wunsch auf seine wehenden Schultern und trug ihn nach Norden.
Es sollte nicht lange dauern, da tönte es aus dem Radio: Schnee sei im Anmarsch. Die Allgemeinheit war entsetzt und man munkelte, die Schneezeit käme auf Wunsch einer einzigen Frau. Wie maßlos.
Ende Mai erfror das Blütenweiß und der Sommer blieb aus. Frau Holle hatte zwar ihr perfektes Frau-Holle-Schauspiel im Märchenland, aber keiner sah ihr zu, wie sie statt Federbetten zu schütteln, Schnee schippte. Die Kinder blieben einfach zu Haus oder fuhren mit ihren Eltern nach Süden, der Sonne entgegen.
Frau Holle war beleidigt. Sie schlürfte missmutig über ihren Märchenacker, der in diesem Jahr komplett fruchtlos blieb. Das war eine dürre Zeit ohne Kinderlachen. „Gewünscht ist gewünscht, bist selbst schuld“, murrte Herr Holle seine Frau an, während das Leben sie mit vielen Wartezeiten strafte, und die Zeit nur langsam darüber einen dichten Mantel des Vergessens webte.
Doch jedes Übel hat auch etwas Gutes: Frau Holle besann sich und erfand ihre Rolle neu. Sehr bald galt sie nicht mehr nur als die Chefin vom Märchenwald, sondern als die Holla im Busch – die wetterfeste, hohe Frau, die Kräuterkunde als Ferienfach anbot. Der alte Glaube an die Göttin im Holunder kam ihr dabei zupass. Die Legende vom beschützenden Hausgeist muss in der Uckermark schon vorzeiten weit verbreitet gewesen sein, denn wohin das Auge auch schaut, jeden Waldrand säumen Holunderbüsche, sie fehlen in keinem Bauerngarten oder lehnen sich an die alten Scheunen. Das selbst die Gebrechlichsten unter

Zeichnung: pe
Zeichnung: pe

ihnen unberührt ins Land schauen, mag daher kommen, dass sich die Menschen scheuten, solch‘ einen Strauch zu fällen, weil der Frevel mit Krankheit geahndet wurde. Holla hatte ihren Lieblingsstrauch besonders wohlwollend ausstaffiert. Blüte, Beere, Blatt, selbst die Rinde ist mit Heilkraft beseelt und die Märchen-Holle hatte inzwischen alles darüber gelernt und weiß nun: Holle ohne Schnee? Das geht.

Diese Geschichte findet Ihr in: “Vom Duft der warmen Zeit”

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