Die Schreibzeit ist abgeschlossen. Gestern entstand noch diese kleine Abgangsgeschichte, ab morgen werde ich die Texte layouten, dann kann meine Handproduktion der Künstler-Hefte beginnen…
Wenn der Traum den Hut zieht
Er spreizte sich und referierte „Träume kann man nicht einsperren. Sie haben Flügel, die durch Raum und Zeit gleiten und dich einholen, wohin du dich auch verirrst. Sie haken sich an deinem Mantel fest. Und jede verdammte Nacht schleichen sie sich aufs Neue an.“ Der alte Kasper zog die Zipfelmütze vom Kahlkopf und senkte seinen Blick, als würde ein Vorhang fallen. Er wusste, wovon er sprach, aber das Rampenlicht war lange schon erloschen. Er hatte seinen Traum erreicht, und nun flüsterte er nur noch aus dem Dunkel. Ob ihn jemand hörte? „Kommt schon! Wo habt ihr eure Ohren? Keiner da?“ rief er halblaut in die Kammer und lauschte. Es regte sich nichts. Da sprach der Kasper wieder mit sich selbst: „Ich weiß ja, es schmerzt, wenn dir niemand mehr zuschaut, wenn du singst und spielst. Aber ganz gleich, denn nachts kannst du die Traumflügel überstreifen und aufsteigen wie ein Ikarus. Im Traumschatten bist du frei. Meistens jedenfalls, wenn du nicht einem Trugbild aufsitzt. Denn das Leben verträumen, meine ich nicht. Einen Lebenstraum muss man packen wie einen Stier bei den Hörnern.“ Der Kasper nickte seinem Gedanken nach und sinnierte betreten: „Was aber, wenn sich der Lebenstraum verabschiedet? Er einfach den Hut zückt und weiterzieht, dem Land der Jugend entgegen? Tja, dann ist guter Rat teuer und die Stimme wird rostig.“ „Na, dann kommt ein neuer Traum vorbei“, knautschte eine Stimme „Der schenkt dir vielleicht Reiseflügel oder Gartenträume am sicheren Ort.“ Der Kasper knipste seine Taschenlampe an und sah sich suchend um. Es war eine zerrupfte Brockenhexe, die an der Kammerdecke hing. „Ah, noch eine Ausgediente,“ brummte der Kasper. „Solche Träume meine ich nicht und auch keine Nachtfantasien, in denen wir alle wieder jung und schön sind. Ich will den alten Kasper spielen im vollen Scheinwerferlicht, aber man besetzt mich nicht mehr.“ „Kannst du dir doch erträumen, oder etwa nicht?“ fragte die Brockenhexe auf dem Besen. „Das geht nicht, denn ich weiß ja schon, dass es nicht passieren wird. Ich liege im Staub der Zeit. Niemand will meine Faltenfurchen sehen und hören, wenn ein Schatzmeister über seine Lebensperlen spricht. Sie taugen nicht für die Moderne.“ „Oh, ich habe einen guten Besen, der kann Staub aufwirbeln.“ „Mach keine Witze, wenn ich über mein Leben sinniere!“ „Hört das denn niemals auf? Sollte diese Frage im Alter nicht längst passé sein?“ „Nein. Sie stellt sich immer wieder neu. Man träumt doch nicht, für immer abzutreten. Da sind wohl Sinnfragen angemessen.“ Die Hexe räuspert sich dünn: „Herr Kasper, wir sind doch nur die Hüter von längst Vergangenem.“ „Mag sein, aber das Sehnen nach Vollendung bleibt, selbst wenn die Träume ausgeträumt sind.
In den letzten Tagen habe ich die Novelle WELTENGANG ab dem Kapitel „Trau, schau, wem“ bearbeitet und umgeschrieben. Hinweise von Freunden machten mich darauf aufmerksam, dass ich ins Berichten verfiel. Das geschieht, wenn so ein Text beim Schreiben schmerzt. Aber jetzt ist sie für mich abgeschlossen und ich kann Euch die nächste Kurzgeschichte vorstellen:
Ein wenig Geborgenheit
Hannes Knopf lebte im Herbst 1989 noch gemeinsam mit seiner Mutter und Großmutter zusammen. Die Frauen waren eiserne Kommunisten, und er hatte sechs Semester Wissenschaftlichen Sozialismus studiert. Während die Nachbarn in Westberlin nach ihrem Begrüßungsgeld Schlange standen, goss die Mutter drei Kognakschwenker halbvoll, reichte den beiden die Gläser und fragte beim Anstoßen trocken: „Nun, mein Junge, werden wir jetzt arm und bedeutungslos oder kriminell?“ Hannes riss die Augen auf. Soweit hatte er noch gar nicht gedacht.
Das mit dem Reichwerden durch kriminelle Energie hatte nicht geklappt. Hannes Knopf versuchte Flüchtlinge aus Pakistan über die Türkei nach Deutschland zu schmuggeln und wurde prompt beim ersten Mal an der Bayrischen Grenze geschnappt. Während er zwei Jahre in Haft saß, starben Mutter und Großmutter. Die Wohnung in Weißensee war also verwaist, als er heimkehrte. Die goldenen Häkeldeckchen der Großmutter waren stumpf vor Staub, nichts mutete ohne die Frauen behaglich an. Im Gegenteil, den Mann fröstelte es, obwohl es Sommer war. Hannes Knopf war unschlüssig, wie er den Abend verbringen sollte. Morgen – das war bereits vereinbart – könnte er in diesem Weddinger Letter-Shop arbeiten. Werbung eintüten und adressieren. Für „arm und bedeutungslos“ würde es reichen, dachte er. Ein Hungergefühl trieb ihn schließlich vor die Tür. Beim nächsten Imbiss kaufte er sich zwei Bockwürste mit Brot, lehnte sich an die Hauswand und sah den Passanten zu. Alles hetzte hin und her – nur eine Person nicht. Sie bewegte sich wie in Zeitlupe. Ein vollkommenes Alleinsein, so schien es. Die kleine Punkerin bummelte mit ihrem Hund als würde sie träumen. Aber sie träumte nicht, sie taumelte. Der Imbissmann kommentierte: „Die is ooch schon wieder zugedröhnt.“ Hannes nickte lustlos und winkte den Gesprächsversuch ab. Er warf die senfverschmierte Pappschale in den Müllsack, wechselte die Straßenseite und ging hinunter zum Scheunenviertel. Stadtwandern ist schön, dachte er beim Laufen, und bemerkte: viel hatte sich in den Straßen nicht verändert. Die fliegenden vietnamesischen Zigarettenhändler standen an den Kiez-Ecken und musterten jeden argwöhnisch: Geheimpolizei oder Kunde? Hier und da gab es neue Imbissangebote, ein paar Italiener, Türken und Griechen hatten Restaurants eröffnet, die sorgten für ein bisschen Flair. Aber sonst: Leerstand und viel Grau. Man nahm sich Zeit mit den versprochenen blühenden Landschaften. Hannes wollte zum ältesten Haus in der Sophienstraße, das eine schöne Kneipe und einen noch besseren Hausgarten beherbergte. Die „Sophie 11“ gab es schon zu DDR-Zeiten, da kannte er sich aus. Dort wollte er sich niederlassen und mit Rotwein seine Freilassung feiern, bis die Nacht den Tag verschluckte. In dieser Dämmerstunde gegen 23 Uhr betrat die Punkerin mit ihrem Hund den Hof. Offenbar suchte sie jemand. Sie sprach eine Kellnerin an, die nickte und verschwand im Küchenzugang. Keine Minute später huschte eine andere Kellnerin herbei und umarmte die kleine Punkerin, die sich steif machte und die Zuneigung mit dem Arm abwehrte. Hannes sah noch, wie die Frau dem Mädchen ein bisschen Geld in die Hand drückte, dann verschwand es. Es war weit nach Mitternacht, als Hannes Knopf am Tresen seine Zeche zahlte. Die zwei Kellnerinnen tranken jetzt ihren Feierabendsekt, als die zarte Dunkelgestalt sich umdrehte und ihn ansah. Das war ein Funkeln aus verheulten Augen, seltsam berührend. Hannes stand wie angewurzelt, aber sie rutschte vom Hocker und meinte nur: „Komm!“
Als er morgens erwachte, wusste er nicht mehr allzu viel vom Fortgang der Nacht. Es war ihm, als wären sie wie Raubtiere übereinander hergefallen. Heftiger Liebeshunger. Sie schlief noch, als er sich auf den Weg in den Wedding aufmachte. Er war viel zu spät dran, und sein Kopf war noch rotweinschwer, als er vor seinem neuen Chef auftauchte. Der nickte ihm zu und meinte in die Runde: „Na, der fängt ja gut an!“ Doch der Mann hatte andere Sorgen. Die Kuvertiermaschine streikte, und alle rauften sich die Haare. Hannes hatte vor seinem verunglückten Studium glücklicherweise ein Abitur mit Berufsausbildung zum Elektriker gemacht. „Kann ich helfen?“, fragte er leise. Der Chef zog eine krause Stirn: „Kannst du das? Dann mach!“ Hannes machte. Eine Viertelstunde später lief das Maschinchen wieder und tütete in Höchstform Infobriefe ein. Der Chef war begeistert, und sein Neuling stieg gleich am ersten Tag in eine gefühlte andere Liga auf. Zwei Wochen später schmiss Hannes verlässlich den ganzen Laden. Am liebsten in den Nächten, am liebsten allein. Da brauchte er keine Fragen zu beantworten, nur der Chef wusste, dass er frisch aus dem Knast kam.
Am Wochenende ging er abends wieder in den lauschigen Hofgarten der Sophie 11. Die Kellnerin schien nicht besonders viel Notiz von seinem Erscheinen zu nehmen. Sie stellte ihm im Vorbeigehen einen Schoppen Roten vor die Nase „Spendiert!“ krächzte sie heiser. Das wars, sie hatte nebenan ihr Revier. Zur Nacht zog sie sich einen anderen Mann vom Hocker. Hannes sah zu und war irritiert, dann suchte er sich eine neue Kneipe.
Im Morgengrauen entdeckte er auf dem Nachhauseweg das Punkermädchen mit schlafendem Hund vor einer Bäckerei lagern. Verbunden nur mit diesem Tier, schien ihm eine schwere Wolke der Einsamkeit über dem Mädchen zu schweben. Der Anblick stach ihm tief ins Herz. Er ging zu ihr und sprach sie klar an: „Ich heiße Hannes Knopf, und habe ein Zimmer frei, möchtest du mit mir kommen? Nicht zicken, nicht klauen. Ich tu‘ dir nichts, ich meckere nicht, ich kann dir aber ein bisschen Geborgenheit bieten, wenn du willst. Wie heißt du?“ „Paula, 17 Jahre, mein Hund heißt Paul.“ Hannes streckte ihr die Hand entgegen, Paula ließ sich hochziehen, dann trottete sie langsam hinter Hannes her. Als sie die Wohnung betraten, zeigte er ihr das Zimmer seiner Mutter. Er raffte die alte Kleidung aus dem Schrank, brachte Bettwäsche und ermunterte sie: „Du kannst das Zimmer nach deiner Fasson gestalten. Ich bin nur am Wochenende zuhause, sonst schiebe ich Nachtschichten und schlafe tagsüber. Aber im Kühlschrank wirst du immer was finden – und hier ist dein Schlüssel.“
Paula schaute in sein offenes Gesicht, seltsamerweise vertraute sie diesem Mann und schlief, ohne das Bett zu beziehen, ein. Währenddessen räumte Hannes die unzähligen Golddeckchen und den Sammelkitsch der Frauen in einen Karton. Das Wohnzimmer sah gleich nicht mehr so nach alten Damen aus. Dann kochte er einen großen Eintopf und schnitt ein paar Wiener für Paul klein – und ging schlafen. Das Leben zog weiter. Die beiden sprachen nicht viel miteinander, aber Paula hatte plötzlich Verlässlichkeit. Manchmal lag ein bisschen Taschengeld für sie neben ihrem Frühstück, oder ein neues Shirt. Eines Morgens war das Mädchen nicht in der Wohnung als Hannes von der Nachtschicht kam. Ein Zettel lag auf dem Küchentisch, besorgt las er: „Ich mache jetzt einen Entzug irgendwo in Brandenburg! Ich komme wieder, Paula“
Der Weltengang war ihr an diesem Morgen egal. Sie ahnte schon vorher, wie er ausgehen würde. Das Gestreite und Geschacher um Geld und Macht. Frau Morgenstern hatte diesen richtigen Instinkt und schon genug Brüche erlebt. Man killt am besten jemandes Stolz, indem man ihm den sozialen Anschluss nimmt. Nachdem die Einheit gefeiert wurde, zerlegten sie den Osten komplett. Seither trägt Frau Morgenstern Trümmerteile in ihrem Herzen. Die rumpeln gelegentlich sehr taktlos.
Als sie das letzte Mal am Rande eines Steinbruchs im Oberlausitzer Bergland stand, hatte sich dieses Wort „Bruchstücke“ in ihr Denken eingegraben. Es beschrieb ihre verschiedenen Leben ganz gut. Dieses zerbrochene Bild machte deutlich, was geschieht, wenn man eine Lunte in eine gewachsene Wand legt und sie zündet. Vielleicht sieht man sogar noch fliegende Teile. Aber wenn sich der Staub gelegt und das Bruchloch sich mit Wasser gefüllt hat, ist nichts mehr zu ahnen, was unter der blauen Idylle liegt.
Ihr Leben war kein schöner Strom, es glich eher einem Wildwasser. Aber wen würde das noch interessieren, wenn sie unter der Grasnarbe des Dorffriedhofes verschwunden sein wird. Ihre Enkelin hatte sie zuletzt als Neugeborenes gesehen, und dieses fremdgewordene Kind hat nun selbst schon eine Tochter. Lea Morgensterns Sohn sah seine Enkelin nur sehr selten. Nichts, was sich tief einpflanzt. Ein Foto von dem Fratz mit Schokoladen-Schnute hat er ihr neulich per Mail gesandt. Dieses Kind wird Lea Morgenstern ganz sicher nie Fragen stellen, erst recht nicht über die damaligen Wende-Geschehnisse. Schade, dachte die „verhinderte“ Urgroßmutter, denn nur sie könne heute noch erklären, warum so viele Risse durch so viele Familien gingen. Manch einer verlor damals Freunde, Kollegen, die ohne Abschied ins Irgendwohin aufbrachen, die allermeisten sah man nicht wieder.
Die Kettenraucher
Sie rauchten Jahre lang gemeinsam in ihrem vernachlässigten Redaktionszimmer Aschenbecherberge voll. Der Schönschreiber und seine Auszubildene. Na, das war Lea Morgenstern natürlich nicht. Aber er, Eric Winter, war der Mann vom Fach und sie die Amateurin der Worte. Sie waren beide kritische Beobachter der stoischen Zeit. Sie hatte die Gabe, Menschen zu öffnen, in ihnen zu graben, um ihre Individualität sichtbar zu machen. Er verstand es, die Realität poetisch auszudrücken. Diese Schreiber bemühten sich um offene Worte und neue Ausdrucksformen, und so wuchsen sie mit der Zeit zu Verbündeten. Beinahe geschwisterlich, gleich alt. Mitte Mai sollte Eric Winter mit einem Freundschaftszug zur Internationalen Friedensfahrt reisen, die 1986 erstmalig in Kiew startete. Aber er wollte nicht. Der Sportbegeisterte lehnte die Tour de France des Ostens ab? Die Fahrt galt als Auszeichnung, und die Redaktionsleitung war außer sich, dass er sie verweigerte. Man witterte ein politisches Statement. Aber Eric Winter diskutierte nicht, er lehnte ab und schwieg. Auch wenn ein bedeutender Hochenergiephysiker im Radio behauptete, es bestehe keinerlei Strahlengefahr. Winter glaubte ihm nicht, er hörte und sah alle deutschsprachigen Nachrichten. Während in Bayern kein Kind in diesem Sommer im Sandkasten spielte und das Gemüse untergepflügt wurde, schickte die DDR junge Menschen in diese Region. Der Reaktorunfall ereignete sich im Atomkraftwerk von Tschernobyl in der Nacht des 26. April 1986. Dabei wurden 150.000 Quadratkilometer in der damaligen Sowjetunion radioaktiv verseucht. In jener Nacht war Lea Morgenstern mit einer Jugendgruppe im polnischen Riesengebirge unterwegs, und morgens hing eine große, braune Wolke über den Bergen. Panik flutete das Camp. Die Polen gaben ihren Kindern sofort Jodtabletten, und viele reisten aus Szklarska Poreba ab. Aus der Heimat hieß es: Keine Gefahr, aber auch Lea Morgenstern hörte Westnachrichten. Die beunruhigten sie, und sie spürte indem, Berlin entschied politisch, nicht menschlich. Eric Winter brauchte ihr also nicht erklären, was in ihm vorging. Es hing blauer Dunst im Raum, als der aufgebrachte Chef eintrat und hilflos drohte: „Du bekommst ein Parteiverfahren, wenn Du nicht fährst!“ Lea packte ein Lachkrampf und sie prustete: „Du weißt aber schon, dass Eric nicht in der Partei ist – oder?“ Die Tür knallte ins Schloss und stieß einen frischen Windzug in die dicke Luft. Die zwei grinsten breit hinter ihren schwarzen Schreibmaschinen und zündeten sich die nächste Zigarette an. Das Thema war gegessen.
Es gibt ja Leute, die findet man übers Internet wieder, aber Eric Winter wollte wohl nicht gefunden werden, dachte sich Lea Morgenstern, während sie sich auf der Gartenbank ausruhte. Was war es nur, dass ihn weggetrieben hatte? Aber klar, dieses Berlin in den 90ern war wie ein wilder Verschiebebahnhof. Keine Arbeit, nur Experimente ohne Halt, da konnte manches schiefgehen. Spätestens dann schob der Verschiebebahnhof die Menschen raus in alle Welt. Das Gemeinsame gefriert in der Vergangenheit – dem Jetzt entrissen.
Während ihr das durch den Kopf ging, dachte sie an das Jahr nach dem Mauerfall. Diesen ungeheuerlichen Freiheitsschub; Wahnsinn. Niemals zuvor und niemals hernach konnte sie so frei arbeiten. Herrenlos. Das Druckpapier war noch für „die alte Zeit“ geplant – und wir machten einfach etwas damit. Noch im Dezember 1989 entwickelten wir neue Zeitungskonzepte. Erst ein Polit-, später ein Heimwerkermagazin. Wir hantieren mit neuem MAC-Layoutprogramm, lernten miteinander diesen Techniksprung. Dieses freie Arbeiten endete schlagartig mit dem Verkauf unseres Blattes an den Bauer-Verlag. Im Februar 1992 bekamen wir die Kündigungen, obwohl der Treuhand vertraglich versprochen war, sie würden uns wenigstens zwei Jahre weiterbeschäftigen. Der Kauf galt schlicht der Marktbereinigung und Bauer zahlte lieber die Vertragsstrafe. Wir kochten vor Wut, aber noch überwog unser Stolz. Was hatten wir alles in diesen zurückliegenden Monaten erlernt. Man würde uns bestimmt brauchen, hofften wir. Aber dem war nicht so, und ein ganz anderes Leben begann.
Vertrieben ohne zu gehen
Aber was macht eine mit ihren Talenten, wenn 1992 die Massenarbeitslosigkeit sie überrollt? Die das Überflüssige ausschwitzte und ausspuckte, was nicht dazugehörte? Das Westsystem wurde dem Osten kurzerhand übergestülpt. Dauerhaft. Sie fiel ins Leere. Frau Morgenstern füllte diese Leere sehr bald mit ihren selbstbestimmten Zeilen. Wut im Bauch. Erst dokumentarische, später poetische. Die Wandlung zur Erzählerin vollzog sich im Stillen, denn man wollte sie nicht im literarischen Geschehen des vereinigten Deutschlands. Die Futtertröge waren knapp gefüllt und lückenlos umlagert. Unerreichbar für sie. Das Bürokratische schreckte ab. Ihr erster Roman erschien 1993 auf Griechisch – nicht auf Deutsch! Die Griechen interessierten sich für Leas Wahrheiten. Die erklärten das Heranwachsen der jungen Rechten in Ostdeutschland, und die Gründe dafür. In Deutschland wollte man davon nichts wissen, doch die Brandbilder von Rostock-Lichtenhagen 1992 gingen um die Welt. Diese enthemmten Übergriffe auf Ausländer in jenem August zeigten allerdings nur ein Symptom rassistischer Ausbrüche im Land. Bei einem Antirassismus-Kongress in Athen sprach Frau Morgenstern über die subtile Art der sozialen Ausgrenzung Ostdeutscher nach der Wende 1989. Erst im Alter begriff sie, dass sie zu nichts mehr dazugehörte. Nicht mehr fügsam, nicht beugsam, aber dafür verdrängt aus den Gestaltungsmöglichkeiten. Vertrieben ohne zu gehen, ganz anders als einst ihre Eltern und Großeltern:
Die kamen als Flüchtlinge aus Schlesien und Böhmen. Überall nicht gelitten. Dort, wo sie strandeten, waren sie nicht willkommen. Für die angestammten Deutschen blieben diese Deutschen aus den verlorenen Ostgebieten Fremde. Sie standen außerhalb. Besitzlose. Sie machten knapp ein Drittel der Nachkriegsbevölkerung der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR aus. Staatlich verordnetes Stillschweigen über die verlorene Heimat reichte bis in die Familien. Frau Morgenstern erfuhr erst spät von der Vertreibung und Flucht ihrer Sippe. Auf einer privaten Silvesterfeier in den späten 60er Jahren. Großmutter Marie hatte ein, zwei Likörchen zu viel getrunken und schmetterte Lieder auf Tschechisch, und Großvater Alfred klapperte dazu den Takt mit Messer und Gabel auf dem Tellerrand. Das sehnsüchtige Raunen über eine verlorene Welt kam ihr seltsam vor. Von den Orten „Morchenstern“ und „Gebhardsdorf“ hatte sie nie gehört. „Die Schlesier, die Sudeten, die Heimatlosen“. In der Schule hatte Lea Morgenstern von den Heimatverbänden im Westen und ihren revanchistischen Ansprüchen gehört. Dieses Nachsehnen in jener Silvesternacht klang ähnlich und war ihr unheimlich. Da war etwas, das man ihr im nüchternen Alltag verschwieg. „Heimwehkranke Wanderer“ nannte Dörte Hansen die Weltkriegsflüchtlinge in ihrem Roman „Altes Land“, die nicht Wurzeln schlagen konnten, aber trotzdem haften blieben und ihre Eismäntel niemals mehr ablegen konnten. (*)
Mehltau
Es weht eine Geschichte um den alten Lindenbaum der Familie. Ein Hauch des Schreckens, eine Ahnung nur. Schwer legt sie sich auf die Schultern der Lebenden. Frag nicht, wie viele schon gegangen sind. Der Lebensatem unter der Linde war immer nur von kurzer Dauer in dieser Sippe, die aus den Bergen kam. Sie strandete auf dem letzten deutschen Hof, gleich hinter dem Neißestrom. Ein kühler Ort für Geflüchtete und Vertriebene. Die Liebe ging im Frost verloren, für immer. Erstickt im Grauen gewalttätiger Krieger, die sie als Beute nahmen. Selma, schlesische Weberin. Niemals mehr würde ihr geschundener Leib noch Liebe spenden können. Ihre schmalen Lippen hielten das Geschehen fest unter Verschluss. Ein frühes Grau blitzte seither aus dem streng gewundenen Haar unter dem flauschigen Kopftuch, das ihre Schönheit verbarg, und ihr zerbrochenes Leben versteckte es auch. Mager war Selmas Zeit unter der Linde – und unerwünscht. Für ein paar Kartoffeln schuftete sie im Stall des Bruders wie eine Magd. Ihre Söhne bestellten dessen Feld, bis sie weggingen, sich einen neuen Stolz zu suchen. Selma blieb allein, alterte schnell und lebte geduckt in der neuen Zeit. Nur in ihren Albträumen schrie sie laut. Das schlafende Enkelkind Lea neben ihr erwachte von so einem Schauderschrei. „Was ist mit dir?“, fragte es beklommen in die Nacht. Selma schwieg.
Die Jahre vergingen. Lea ließ eine weiße Rose in Selmas Grab gleiten und wusste indem, dass sie nie erfahren würde, was genau es war, das aus einem Wiegenlied wie Mehltau auf ihre Seele fiel. Unerklärlich pochte Selmas Schmerz unter Leas Haut. Im Schatten der Linde spürte sie ihm nach. Ein Dunkel lauerte unter dem Geschichtenbaum. Die junge Frau dachte an die Feriensommer bei Selma in den 60er Jahren. Was hatte sie ihr auf der Bank unter dem Baum für spannende Geschichten erzählt. Die vom Berggeist Rübezahl. Lea setzte sich auf die morsche Bank und sah hinauf in die mächtige Baumkrone. Ein Rascheln, ein Wispern hing in der spätsommerlichen Luft, als eine Träne aus dem Dunst der Zeit fiel, ein Bruchstück im Spiegel. Lea fing sie auf der flachen Hand. Im Tränenbild schwamm, wie ein blitzendes Licht, ein Kriegsschauplatz am Iser-Gebirge. Was sah sie? Einen Augenschein. Durfte sie ihr Nichtwissen mit Ahnungen füllen? War es eine jener schrecklichen Minuten, in denen in Selma die Liebe starb? Oder war es nur eine Projektion aus Kriegsberichten der wenigen Erzählenden? Sie formte ein spekulatives Abbild. Durfte sie das? Sie hatte das Leid in den feuchten Augen ihres Onkels gesehen, wenn er von Selma sprach. Als Achtjähriger sah er, welches Grauen seiner Mutter widerfuhr. Auch er schwieg, wie sie. Doch seine schwimmenden Augen sprachen. Kalter Atem überm Eismantelkragen.
Die alte Frau Morgenstern hockte versteinert am Computer, als sie die Hände von der Tastatur nahm. Sie grübelte: Vielleicht waren das stoische Festhalten und Bleiben am Ort im Osten eine der späten Folgen jenes Heimatverlustes. Halt bewahren am Fluchtpunkt, solange es ginge, damit nicht schon wieder das eigene Land zwischen den Händen zerrann. Wer weiß. Es wäre zumindest eine Erklärung für das Verharren. Auch des kriegsversehrten Vaters, der seinem Bruder nicht – wie verabredet – in den Westen folgte, obwohl es in den 50er Jahren noch gegangen wäre. Ein Fund im Netz, Worte von Astrid von Friesen, trieben ihre Gedanken voran:„Eine weitere Spätfolge für Angehörige der Vertriebenen in der zweiten bis hin zur dritten Generation sind Depressionen. Wenn bei Eltern- oder Großelterngenerationen ein Besitz- oder Prestigeverlust auftrat, können ganze Familien erstarren.“ (*)
Das könnte auch für die Lebensbrüche gelten, die so vielen Ostdeutschen mit und nach der Wende widerfahren sind. Lea Morgenstern nickte und wusste zugleich; Melancholie floss schon seit Kindertagen in ihren Adern. Sie atmete hörbar und streckte sich. Sie musste raus in den Garten, abschalten – und nicht mehr diesem Dunkel nachspüren.
Lichtmess. Vogelgezwitscher. Ein Blütenhauch. Erstes Sonnenlicht nach grauen Wolkentagen. Irgendwo ein Lachen unter freiem Himmel. Lea Morgenstern lief blinzelnd über ihr Winterland. Die Gedanken waren angezündet und wollten nicht schweigen. Mitte der 90er. Verschwundene Zeit. Sie hat gezerrt an einem, erinnerte sie sich.
Nebelkerzen
Das Paar neben Bo reizte schon eine ganze Weile seine professionelle Spürnase. Eigentlich wollte der Skandalschreiber nur seine eben gelieferte Seelenstory mit einem doppelten Ramazotti aus Hirn und Magen treiben. Doch so müde und abgelaufen er auch an diesem lausigen Berliner Novemberabend war; ein Abschalten wollte ihm nicht gelingen. Es lag nicht allein an den Wortfetzen der zierlichen Frau neben sich am Tresen. Der aufreizende Schlitz in ihrem schwarzen Seidenkleid legte ein Bein frei, das die Chemie des Mittfünfzigers keck animierte. Süße Spätlese. Aber wenn die so weiter schluckt – Fallobst, dachte sich Bo. Er rutschte mit seinem Ellenbogen, auf dem sein wirrer Lockenkopf im Doppelkinn parkte, zu nah an ihren Rücken und fing sich einen scharfen, respekteinflößenden Seitenblick ein. „Is ja schon gut, Lady, keine Aufregung“, raunte Bo und hob ergebend beide Würstchenhände. Dann starrte er scheinbar teilnahmslos in sein Glas und murmelte: „Zickige Tussi.“ Die politische Sprache der Frau irritierte Bo. „Nachtgespräche“ mit prominenten Wendetypen wollte sie führen: Gregor Gysi, Tamara Danz, Friedrich Schorlemmer… deren Wende-Visionen festhalten. Der Sportstyp mit den graumelierten Schläfen hob bedeutsam seine buschigen Brauen und bestellte noch ein Glas Sekt für das mögliche Abenteuer. Wenn sie doch nur nicht so viel über Politik reden würde, dachte er arg strapaziert. Doch die Frau sprach und sprach, als hätte sie Jahre geschwiegen. Sie war dem Dienstreisenden aus Köln gleich in der Café-Bar am Zoo aufgefallen. Einen lebenshungrigen Eindruck versendete die hübsche Frau um Ende Dreißig. Offenbar hockte sie schon eine Zeitlang am Tresen, da witterte der Mann leichte Beute. Die aber hatte sich über die Frage: „Kommen Sie etwa aus dem Ostteil?“, in eine distanzierte Tante verwandelt. Er wünschte sich den koketten Ausgangspunkt der Begegnung zurück und griff unmissverständlich nach ihrer Hand. Doch die Frau zuckte zurück, zahlte und verschwand. Ärgerlich stieg sie in die S-Bahn, und dachte, hier befindet man sich ja sofort auf dem Fleischmarkt. Sie hasste die grelle West-City. Nach dem Stopp Friedrichstraße wurde die Stadt dunkler. Lea Morgenstern nahm einen tiefen Atemzug: Zuhause. Gefühlte Sicherheit.
Ihre Wohnung in Karlshost roch immer noch nach den Vormietern, die diesen Ort vor ein paar Monaten nach Frankfurt am Main verlassen hatten. Sie riss das Küchenfenster zum Hof auf und atmete die zirpende Sommernacht. Der Tag in Dahlem bei dieser Verlegerin, die mit dem Geld ihres senilen Mannes nur so um sich warf, war ihr ins Gemüt gefahren. Er kratzte an ihrem Selbstwertgefühl. Lea hatte der Frau für ein paar Sonderausgaben von „Kessel Buntes“ wirklich feine Texte geliefert. Als sie heute die druckfrische Erstausgabe zu sehen bekam, las sich das alles, als wären die Geschichten durch einen Zerhacker gerauscht. „Ja, eure Ostschreibe mussten wir leider erst unserem Blattstil anpassen…“ Wenigstens hatte Lea einen Hunderter nach Hause gebracht, aber das tröstete nicht. Sie war viel zu vertrauensselig auf verschlungene Wege geraten.
Diese alte Freundin, die so scheinbar hilflos auf ihrem Sofa schluchzte, dass sie nicht weiterwüsste. Lea zeigte ihr, welche Schritte sie gehen könnte: Ein passendes Thema finden, Konzept oder Exposé dazu entwickeln, ein, zwei Probestücke schreiben und mit alledem einen Verleger suchen. Dummerweise gab sie ihr, der Literatin mit dem einen Gesprächsband aus DDR-Zeiten, auch ihr neuestes Exposé „Fallen & Aufstehen – Frauenporträts aus Ostdeutschland“ zur Anschauung, während sie neuen Kaffee kochte. Ein halbes Jahr später rief diese Dahlemer Verlegerin bei Lea Morgenstern an: „Sie kennen doch Frau M, wissen Sie, wo diese Frau steckt? Sie hat mir einen Buchtext versprochen, den ich inzwischen beworben habe, und nun liefert sie nicht. Es geht um abgewickelte Ostfrauen.“ Ach herrje, dachte Lea an das Häufchen Elend auf ihrem Sofa. Die hat doch echt ihr Projekt gekupfert und war nun ergebnislos abgetaucht. Offenbar hatte die Frau unterschätzt, wie viel Arbeit in so einem Porträt-Band steckt. In ihrer Ratlosigkeit fragte die Verlegerin noch, ob Lea nicht mithelfen könnte, das Buchprojekt zu retten. Sie sagte zu, behielt aber für sich, dass sie selbst verraten und bestohlen worden war. Was für Zeiten. Sie hatte ihr sicheres Gespür für den Gang der Dinge verloren und tapste unbeholfen durch die Stadtlandschaft.
Das Rauschen des Asphalts hatte nachgelassen. Heißer Sommer in Berlin, da war die Stadt tagsüber beinahe leise. Lea Morgenstern saß auf ihrem großen Gründerzeitbalkon, der wie ein Gartenzimmer anmutete und schrieb. Seit dem Winter wohnte sie hier; die Vierraumwohnung in Karlshost war für sie allein zu teuer geworden. Die Frau hatte sich von ihrem Mann getrennt und ihn zurück zu seiner Mutter geschickt. Nach zwei Jahren Umschulung war er einfach nicht bereit, bei den „Kapitalisten zu arbeiten“. Blank liegende Nerven, die die Restliebe erstickten.
Diese zwei Zimmer im vierten Stock, am Rande des Prenzlauer Berges, passten jetzt besser zu ihren unsteten Einkünften. Sie gönnte sich den kleinen Luxus, jeden Morgen beim Griechen an der Ecke einen Kaffee zu trinken und dabei die üppige Zeitungsauslage zu studieren. Dabei entdeckte sie eine Anzeige, in der ein Fachredakteur gesucht wurde. Sie fuhr in die Stadt am Rhein und bekam eine Honorarstelle. Ihre Hausbau-Reportagen aus dem Osten wurden sehr bald deutschlandweit wahrgenommen. Wie sie diese Bauplätze zum Erlebnis machte und Emotionen weckte, das gefiel. Bisher schrieben für diese Branche vor allem Bauingenieure. Lea brachte ihr journalistisches Handwerk mit, das war etwas vollkommen anderes. Die sperrigen Fakten lagerte sie in Info-Kästen aus, und schon las sich das Unterfangen geschmeidig. Ein Jahr später fragten auch andere Fachzeitschriften nach ihr. Es war also ein bisschen Sicherheit bei Lea Morgenstern eingezogen. Das machte zwar noch keinen Urlaub möglich, doch eine Woche Auszeit wollte sie sich gönnen, um sich auszuruhen. Vielleicht ein Märchen schreiben. Sich wegdenken. Im Existenzstress der vergangenen Monate war sie fahrig geworden und auf 48 Kilo abgemagert. Wahrscheinlich rauchte sie auch einfach zu viel und schlief zu wenig.
Berlin erlebte derweil italienische Nächte. Nachts fiel die Temperatur kaum unter 25 Grad. In den Biergärten flossen die geistigen Getränke, als gäbe es kein Morgen, und ein Stimmengemurmel und Gelächter schwappte von den Balkonen und aus den Freisitzen der Szenekneipen hinüber ins Dunkel. Manche Nacht zog die Hitzewallung der Stadt Lea Morgenstern hinein in das bunte Treiben. Für ein paar Stunden die Sorgen vergessen. Sie trank ihren Rotwein und sah dem Treiben zu: den Rosen- und Schmuckverkäufern. Wie die Single-Damen ihre Auftritte inszenierten, während sie die Interessenten checkten. Dazwischen die abgelaufenen Zeitungsverkäufer, einer, der schüchtern Öko-Märchen anbot, und die herrlich schillernden Straßenmusiker, die die Herzen tanzen ließen. Überall leuchtende Gesichter. In diesen Nächten war Berlin ein Traum für Großstadtfantasien aller Art. Lea ersann sich daraus ihr Urlaubs-Märchen und bemerkte, dass kreative Auszeiten ihr guttaten.
Trau, schau, wem.
Dieses Schillern in der Nacht täuschte Lea Morgenstern aber nicht über die Risiken, die sie tagsüber einging. Kein Rat nirgends. Niemand ihn ihrem Umkreis arbeitete jemals freiberuflich. Wen fragen? Sie hatte eine Seite umgeschlagen und sah auf ein leeres Blatt. Alle beruflichen Verbindungen waren nach der Wende zerbrochen, und neue Bündnisse ließen sich kaum schmieden. Das Wort „Seilschaft“ machte es anrüchig. Während Westdeutsche Jobs im Osten übernahmen und ungeniert ihre Netzwerke ausbreiteten, wurstelten die ostdeutschen freien Kollegen jeder für sich allein. Sie trauten einander nicht mehr und verbündeten sich stattdessen mit Leuten aus Köln oder Hamburg. Es war gegen Lea Morgensterns Naturell, aber sie wuchs in dieser Zeit zum beruflichen Einzelgänger und sprang im Frühsommer 1993 ohne Sicherheiten in die Selbständigkeit. Vielleicht hätte sie besser beim Arbeitsamt auf eine Umschulung gewartet? Vielleicht wäre es dann leichter gekommen. Wer weiß.
„Trau, schau, wem?“ wurde zu ihrem Richtfaden. Lea Morgenstern führte Listen über ihre Erwerbs- und Zukunftsarbeit. Darunter standen die Aufträge und Projekte. Wer bezahlte wie vereinbart, wer war sittenwidrig, wen musste sie mahnen, wer zahlte nie. Sie sortierte aus. Alles, was sie in diesen Tagen schrieb, jede Ideenskizze, jeden Befindlichkeitszustand, Briefe, Konzepte und ihre Artikel sammelte sie auf einem Stapel. Wenn der drei Zentimeter hoch war, verpasste sie ihm ein Deckblatt und ließ ihn im nächsten Copy-Shop binden. Bei 70 Arbeitsstunden pro Woche kam viel, sehr viel Papier zusammen, doch diese Arbeitstagebücher halfen ihr, sich selbst zu vergewissern. Sie zeigten ihr, dass die Dinge vorankamen.
In ihrem Kopf nistete noch der Gedanke, den ihr zu tiefsten DDR-Zeiten ein alter Kollege einpflanzte: „Kontinuität ist das Geheimnis des Erfolgs.“ Dass der nur bedingt stimmte, musste Lea Morgenstern in der Neuzeit bitter erfahren. Nach ein paar guten Jahren fiel Ende der 90er eine Rezession wie ein Raubtier über die Baubranche her. Nie erlebt. Ungewissheit auf allen Seiten. Wie gingen in dieser Krise nun Verlage und Autoren miteinander um? Einige Fachblätter machten dicht, andere fusionierten oder sparten extrem. Manche ostdeutsche Fachzeitschriften-Verleger trieben skrupellos ihre freien Mitarbeiter in die Not, indem sie Aufträge vergaben und diese monatelang nicht bezahlten. Da war sie wieder, die Angst unterzugehen. Sie heizte den Ofen mit Lenins Gesamtausgabe. Mietschulden entstanden, und nicht gezahlte Krankenkassenbeiträge machten Arztbesuche unmöglich. Es ging ihr schlecht. Die Realität kennt keine gute Pointe.
Die lange Winternacht wollte nicht enden. Sie kroch wieder aus ihrer Schlafkammer. Draußen schneite es. Lea Morgenstern öffnete die Balkontür und rauchte. Die Kälte kroch ihr unter den Bademantel, aber ein Gedanke ließ sie nicht los. Neulich traf sie für ein Künstlerporträt in der Lausitz einen Maler, der mit Asche und Wasser von den Höfen im Abraum-Gebiet malte. Sein Heimatdorf war für den Kohleabbau vorgesehen. Es war schon leergezogen, aber dieser Mann schrie malend seinen Verlustschmerz auf die Leinwand. Das hatte sie beeindruckt. Sie hatte vor ihrem Studium eine grafische Lehre absolviert, und jetzt, tief in dieser Nacht, ahnte sie, es würde ihr helfen, wenn sie wieder malen würde. Nachts, ohne Zwänge. Sie holte ein paar große Müllsäcke herbei, legte damit das lauwarme Wohnzimmer aus, rollte darüber Packpapier und goss sich etwas alte Holzbeize in ein Schraubglas. Einen Ringpinsel, den sie noch vom Malern übrighatte, tauchte sie in die braune Tunke. Die pure Emotion führte ihr die Hand, und der Schmerz, sich wieder benutzt und ausgenommen zu fühlen, trieb aus ihrem Inneren wurzellose Gestalten hervor. Und dann die Närrin: eine Pierrette mit gefallener Maske, die sie „Verlorenes Lachen“ nannte. Willkommen, du Schöne, sprach sie mit ihr morgens um vier. In der nächsten Nacht entstanden ein Fährmann, ein Sensenmann, die Sonnensucher, Seelensurfer, Winterschläfer, Schattenfänger und immer wieder Narren… Sie fühlte, wie sie nachts beim Malen zu leuchten begann und ein Bilderkosmos entstand. Morgens rollte sie die Blätter zusammen und schrieb oder recherchierte nüchtern, was zu schreiben war. Ohne diese wilde Malerei wäre sie nicht durch diese Zeit gekommen, und das Existentielle sah man diesen Bildgestalten an.
Kein Jahr später begann sie in Szenekneipen auszustellen, und hier wuchs ihr ganz langsam ein neuer Freundeskreis zu: Dichter, Maler, Musiker, Orgelbauer, Therapeuten, selbstständige Kleinunternehmer, Wirte, die eigentlich Schauspieler waren, Dramaturgen, Synchronsprecher, Tänzer, Clowns, Fotografen, ratlose Arbeitslose und Trinker. In den Kneipen zwischen Immanuel Kant- und Winsstraße traf sich das bunte Völkchen. Leute ohne Wurzeln.
Im folgenden Regensommer entdeckte Lea Morgenstern im Baumarkt neben der braunen Holzbeize auch sonnengelbe Trockenbeize. Wieder reiste sie im Kopf in die fiktiven Ferien, und das mangelnde Sonnenlicht gab ihr den Anstoß zu heiteren Cartoons auf sonnengelben Grund. Die Protagonisten: Schräge Vögel, eine Art Fabelwesen, als Stellvertreter für die Marotten der Stadtmenschen. An diesen Gute-Laune-Cartoons richtete sie sich auf. Ihre erste Marke war geboren. Unverkennbar.
Sie hatte an einer Anthologie zu Trennungsgeschichten mitgewirkt, woraus sich einige Lesungen ergaben. Eines Morgens im Juli 1999 klingelte das Telefon, einer dieser Geschichtenschreiber war dran, um ihr eine Tür zu öffnen. In Frankfurt an der Oder wurde ein Redakteur für ein Wochenblatt und die Kinoseite der Tageszeitung gesucht. Die Stelle war nicht ausgeschrieben, Lea sollte da einfach mal anrufen, sagen von wem der Tipp käme. Er selbst habe darauf keine Lust. Lea zögerte nur kurz. Eigentlich war sie sich für ein Wochenblatt zu schade, aber da war ja noch die Kinoseite, und hatte sie eigentlich eine Wahl? Eher nicht, ihre Misere war schlimm genug. Sie bekam schlussendlich nicht die Festanstellung, aber einen Jahres-Honorar-Vertrag für ebendiese Redakteursarbeit. Elf Monate später hatte sie alle ihre Schulden getilgt. Sie erhielt den nächsten Jahresvertrag. Es würden 18 in Folge werden.
Die erste zehn Jahre nach der Wende waren schwer. Auf angestammtem Boden wurde alles Vertraute ausgetauscht. Jede Eintrittskarte, jedes Formular, jedes Recht, jeglicher Umgang. Die Ostdeutschen befanden sich in einem Prozess, der sie überforderte, diskreditierte und gedemütigt zurückließ; Verwundete, nicht mehr die stolzen Menschen, die gerade noch ein ganzes System und die Berliner Mauer stürzten.
Lea Morgenstern folgte nicht mehr jeder hehren Idee. Sie musste sich selbst beschützten. Das war die Warte, von der aus ihre alte Gabe – die Dinge kommen zu sehen – wieder zum Vorschein kam. Weitsicht gibt es nicht im Strudel. Die Frau erkannte nun die Schnorrer und Seifenblasenträger und ging ihnen aus dem Weg.
2000 zog sie in eine schöne, große Atelierwohnung im Wins-Kiez. Alles wurde schlagartig heller, auch ihre Bilder. War es das Millennium oder die Rückkehr ihrer pantheistischen Ideen? Sie wusste es nicht, als sie mit dieser flirrenden Bilder-Reihe begann. Die schaute in verschiedene Welten und Zeiten. Die Figuren darin traten als Zeichen des permanent Göttlichen in allem und jedem auf. Weiß-gelbe Sujets, lichte Mystik. Sie, die Malerin, könnte sich inmitten dieser großen Leinwände doch eigentlich auch leicht und hell fühlen, aber Lea Morgenstern hatte sich verändert. Sie war hart und streng geworden, arbeitete uferlos und fand kaum noch Menschen, die ihr ähnelten.
Solche wie sie waren kaum sichtbar; und Menschen in Anstellung, mit Urlaubs-, Kranken- und Weihnachtsgeld, verstanden ihre Existenzbedingungen nicht. Wenn sie krank würde, fiele sie ins Nichts. In ihrer Furcht vor solchen Umständen schloss sie eine Versicherung gegen die schlimmsten 28 Krankheiten ab. Die war nicht billig, aber sie ließ sie ruhiger schlafen. Doch sie wusste inzwischen auch, dass alle paar Jahre eine neue Krise zuschlagen würde. Nichts war wirklich von Dauer, außer das Mitmenschliche. Das aber war in den Wirren der letzten Jahre fast untergegangen. Lea ging es jetzt wirtschaftlich besser, sie konnte wieder abgeben und sich um andere kümmern, wie schon vor der Wende. Aber nachts, in ihren Träumen, eilte sie über die Trümmerfelder ihres Lebens und suchte einen Namen, ein Gesicht. Immer wurde sie kurz vor dem Erwachen verlassen. Die Seele weiß nichts von Systemwechseln.
Sie brauchte Zeit für Menschen. Endlich. Und plötzlich war es ganz leicht, abends im Blauen Licht beim Wein auf andere einzugehen. Meist kam da zusätzliche Arbeit auf sie zu: „Besprichst du mir meinen Dok-Film?“, „Kannst du ein Cover zeichnen?“, „Würdest du Texte für meinen Werbefilm schreiben?“ … Über diese Freundschaftsdienste wuchsen feste Bindungen… Geben und Nehmen, nur so entsteht mit der Zeit ein neues Netzwerk. In diesem Füreinander fand Lea Menschen, die ihr ähnelten – und auch einen neuen Mann. Heute weiß sie, es war ihre intensivste Lebenszeit.
Heiligabend traf man sich nach 23 Uhr im Blauen Licht, wo alle miteinander ein großes Buffett ausrichteten, und die Musiker unter den Stammgästen bis 4 Uhr morgens Irish Folk und Rockballaden spendierten. Das letzte Mal würden sie mit allen so feiern. 2007. Die Schlüssel zum alten Häuschen in der Schorfheide hatten sie bereits. Die letzte Mieterhöhung machte dem freiberuflichen Paar eindeutig klar: mit dem Älterwerden würden sie diese großzügige Stadtwohnung nicht halten können. Sie mussten gehen, um ihr Alter zu sichern.
Das dritte Leben
„Sie doch nicht!“ erwiderte die Post-Bankerin ein bisschen zu laut. „Freiberuflern gewähren wir keinen Hauskredit.“ Die Banken hielten selbst einen guten Erwerbsnachweis nicht für sicher. Und da hatten sie natürlich Recht. Honorarverträge schicken einen auf eine Art Seiltanz, denn sie sind leicht kündbar. Eine Intrige vom Blattchef gegen seinen Stellvertreter im Stammhaus führte dazu, dass die freie Frau Morgenstern als Bauernopfer ihre Kinoseite einen Monat vor dem Umzug aufs Land verlor. Das kappte ihre Einkünfte schon mal um ein Drittel. Gott sei Dank hatte eine Vor-Ort-Bank ein Einsehen und finanzierte zu 70 Prozent den Hauskauf, den Rest regelte Lea Morgenstern über Privatkredite. Für die Wochenblattproduktionen fuhr sie nun drei Wochentage in die Lokalredaktion nach Eberswalde. Mit dem Auto quer durch diesen großen Märchenwald. Vorbei am Großen Döllnsee und dem grünen Wuckersee hinüber nach Joachimsthal und von dort weiter mit der Regionalbahn. Wunderschöne Landschaftsblicke. Es war nicht verwunderlich, dass die Frau sehr bald ihre Schorfheidemärchen erfand, um der Region Geschichten zu schenken und vielleicht später Lesungen zu geben.
Die Finanzkrise der Banken, die im September 2008 auch in Deutschland spürbar wurde, verdarb ihre ersten Lese-Ideen. Um die Krise zu stemmen, wurden die öffentlichen Mittel für die Kultur eingedampft. Es gab kaum noch zahlende Veranstalter im ländlichen Raum. Lea Morgenstern hatte sich verrechnet, und was sie auch nicht bedacht hatte: in einem dünn besiedelten Flächenland gibt es sehr wenige Menschen, die zu Lesungen kommen. Wieder wurde es wirtschaftlich eng, doch sie hatte längst gelernt, mit wenig auszukommen.
2009 fand sie einen Kleinverleger in Mecklenburg-Vorpommern, der ihre ersten illustrierten Regionalmärchen herausbrachte. Einen Vorleseort musste sie sich zunächst selbst schaffen und gestaltete dafür ihren Lesegarten. Märchenstelen aus Lattenrahmen mit Textbannern flatterten darin, und aus dem Efeu lugten Geschichtenplatten. Hier gab es Gartenlesungen für Sommergäste. Nichts für Regenwetter. Und wenn sie mal keinen Verleger fand, fertigte sie von Hand illustrierte Künstler-Hefte. Es blieb ein auszehrendes Leben. Krankheiten schwächten sie, aber Lea Morgenstern arbeitete weiter. Lange Ferien kannte ihr drittes Leben nicht.
Die Stille flüsterte: schlaf. Aber das Pfeifen in den Ohren wollte den Schlaf nicht kommen lassen. Sie stand auf, wie sie immer aufgestanden war. Weich in den Knien, doch mit jedem Schritt schob ihr Wille den schwachen Körper an. Im Garten duftete die zweite Rosenblüte. Von den Essigrosen pflücke sie sich eine Handvoll Blütenblätter, trug sie in die Küche, schnitt das bittere Gelb heraus, gab sie in eine Glaskanne, dazu ein Salbeiblatt und übergoss alles mit heißem Wasser. Sie wartete zehn Minuten auf den Rosenblütenblättertee, der Herz und Seele leicht machen sollte. Das hoffte sie bei jedem bedächtigen Schluck. War es noch Sommer oder schon Herbst? Viel Braun mischte sich bereits in das Laub der Bäume, deren Blätter welk zu Boden fielen. Seit Wochen war kein Tropfen Regen gefallen, deswegen goss sie die Pflanzen nun auch in dieser Morgenstunde, bevor sie an ihren Schreibplatz ging. Heute würde sie nur Worte sammeln, denn sie wusste noch nicht, wie es weitergehen soll. Sie hatte ihre Kraft in den letzten großen Text fließen lassen, nun war sie weg. Für ein Weilchen oder auch länger.
Wortfetzen wehten aus dem nahen Wald, und ihre Kopfgestalten tuschelten: „Seht ihr sie, unsere Geschichtenmutter? Sie hat uns alle erfunden, aber wir wärmen sie nicht.“ Lea Morgenstern nickte und dachte, es hilft ja nichts, ich muss weitermachen. Die letzte Passage ihrer Lebensreise würde sie durch diesen großen Wald führen. Einen ohne räuberische Wegelagerer, die sind längst in die Städte gezogen, dort ist die Menschenjagd leichter. In diesem Geschichtenwald wehen noch Stimmen derer, die gehört werden wollen. Und während sie das dachte, huschten ihre Fingerkuppen für ein weiteres Märchen über die Tastatur: Der Flusswächter stieg vor ihrem inneren Auge aus dem Nebel überm Döllnfließ. Das Dorf, indem sie nun lebte, war froh darüber.
Es ist irgendwie sonderbar, dass die Menschen dazu neigen, den Kreativen spezielle Namen zu verpassen. Wenn Lea Morgenstern Blätter für einen Eulenkalender zeichnete und vielleicht auch noch einen zweiten, galt sie fortan als die Eulenfrau. Schrieb sie Märchen, nannte man sie die Märchentante. Aber wie passt das zu ihren kritischen Alltagsgeschichten, ihrem preisgekrönten Krimi und ihrer abstrakten Malerei? Wenn sie auf ihrem Blog politische Kommentare schrieb, nannte man sie eine Freidenkerin. Die Frau passte einfach nicht in eine Schublade. Wie auch, wenn eine über 35 Jahre all ihre Möglichkeiten nebeneinander – oder auch nebenher – auslebte.
Dennoch kam sie nicht weit, denn ihre politischen und sozialen Ahnungen verharrten im Privaten der Frau Morgenstern. Sie schrieb Bücher, die aber kaum über die Uckermärkische Landesgrenze hinauskamen. Regionalverlage bedienen meist nur die angestammte Leserschaft. So blieb sie eine Autorin im gesellschaftlichen Randschatten. Gefühlt wirkungslos. Treibmittel für ihre Notate war die allgegenwärtige Unfähigkeit der politischen Akteure, zu erkennen, was kommen würde. Was aus den überheblichen Siegerposen im Deutschen Vereinigungsprozess, der Flüchtlingskrise, der Finanzkrise, den politischen Fehlern in der Corona-Zeit, der Energiekrise und den unsozialen Transformationen… folgen würde. Diese mangelnde Weitsicht und das allgemeine Schöngucken regten sie auf, und wenn sie nicht die passenden Worte fand, schuf sie grafische Figuren, die ihrem Frust Gestalt gaben: Den Sinnsucher mit Pestmaske beispielsweise. Frau Morgenstern wollte eine unabhängige Stimme sein, doch im Politik-Chaos der letzten Jahre wuchsen ihre Systemzweifel: Gerät das Land aus lauter Selbstgerechtigkeit seiner Demokraten in den Wahnsinn des Totalitären? Auf jeden Fall aus den Fugen.
Am Rande ihres Lebens wusste Lea Morgenstern, man würde sehr bald die Bedrängnisse der Ostdeutschen in der Nachwendezeit vergessen. Vielleicht werden später einmal die Kinder über diese Vergangenheit etwas in der Schule erfahren, als eine Fußnote der Geschichte. Sie glaubte nicht mehr, dass sie wirklich in das Blau am Grunde des Steinbruchs eintauchen werden, um zu erkunden, wie es den Menschen damals erging. Dieses Wissen könnte krisenfest machen.
Die ersten 10 Klausurtage sind vergangen. Die Novelle wächst. Im zweiten Teil der Klausur, werden eine Handvoll Kurzgeschichten entstehen. Gestern hatte ich dafür eine Geschichtenidee, die ich Euch zu diesem Wochenende als Lesekostprobe servieren möchte… bis demnächst wieder 😊
Das Grammophon in der Nacht
Er wohnte in dem Eckhaus mit dem besonderen vietnamesischen Spezialitätenladen. Dort, im vierten Stock, hatte er sein Versteck, ein Labyrinth aus Büchern und schönen, alten Dingen. Niemand durfte es betreten, denn wäre zufällig ein Statiker dort hineingekommen, es hätte ihn der Schlag getroffen. Es war die Zeit, in der so mancher sich einen Whirlpool in das frischsanierte Bad stellte und damit rasch mal eine Etage tiefer landete. Im Prenzlauer Berg herrschte vor den Grundsanierungen der Hausschwamm im Gebälk. Weil einst die Leute aus jedem Bau-Container das entsorgte Holz klauten, um sich daraus vielleicht ein Hochbett zu bauen. Der Schwamm durfte also auch in den Dielen von Karl Wunderlich stecken, doch der Mann hielt die Gefahr geheim. Schon immer verführte den Herrn Wunderlich dieser Hang zum Sammeln in eine leise Zeit. Zwischen all den Bücherstapeln bis unter die Gründerzeitdecke, tickte die Uhr langsamer als draußen vor der Tür. Ein Ort der Stille, an dem alles noch seinen Wert hatte, weil er die Dinge schätzte.
Der Wohn-Kietz war im Umbruch und plötzlich bemerkte Karl Wunderlich, dass alle seine Bekannten verzogen waren, selbst seine alte Stammkneipe hatte geschlossen. Er fühlte sich inzwischen sehr allein. Nun trug es sich zu, dass auch besagtes Eckhaus eine Nobelsanierung bekommen sollte. Man forderte den Mieter nicht nur einmal auf, den Umzug vorzubereiten. Aber Karl Wunderlich versteckte sich und öffnete niemandem. In einer warmen Mainacht öffnete er seine Balkontür und stellte sein Grammophon unter den freien Himmel. Es war weit nach Mitternacht als er die erste Schellackplatte auflegte: Heinz Rühmann und Hans Alberts knisterten mit „Jawohl, meine Herr’n“ über die Balkonbrüstung. „Ich hab dich und du hast mich“ trällerte und pfiff Ilse Werner anschließend und plötzlich tanzte ein Pärchen auf der Straßenkreuzung. Die Nostalgie der Töne lockte Nachtschwärmer herbei. Junge Menschen, die regelrecht verzückt waren von der schrulligen Stimmung. „Bitte leg noch was auf!“ riefen sie dem Mann auf dem Balkon zu. Karl Wunderlich lächelte, winkte scheu den Leuten zu und kaum später leierte Lale Andersens „Lilli Marleen“ durch die Nachtluft. Unterdessen rollte eine Polizeistreife heran. Karl Wunderlich hob den Tonarm von der Platte und schloss seine Balkontür. Die Tänzer drehten sich in einen Kuss und tummelten sich dann, als wäre nichts gewesen.
In der nächsten Nacht rief eine kleine Menschentraube nach ihm: „Hallo, Grammophon-DJ, leg uns ne Scheibe auf! Bitte!“ Warum nicht, dachte Karl und zog seine Kiste mit den 20er Jahre-Platten auf den Balkon. Diesmal tönte frecher Schlager-Swing über die Brüstung. „Wer hat nur den Käse zum Bahnhof gerollt“, dann „Mein Papagei frisst keine harten Eier“. Die Magie der Geräusche lud Passanten ein, zu verweilen. Das ging einige Nächte so weiter und endete immer damit, dass eine Polizeistreife heranrollte. Ganz langsam, damit die Szene Zeit hatte, sich zu zerstreuen. Niemand hatte sie gerufen, aber auch die Uniformierten waren verzückt von diesem hübsch altmodischen Flashmob.
Doch die Zeit drängte. Karl Wunderlich musste raus aus der Wohnung und sich kümmern. Nachts reagierte er nicht mehr auf die Rufer. Er packte völlig verstört Kartons, als es an der Wohnungstür klingelte. Zaghaft öffnete er. „Herr Wunderlich, wollen Sie mit Ihrem Grammophon zu unserem Hoffest kommen? Es wäre uns eine Freude.“ Karls Augen leuchteten, aber er winkte zugleich ab. „Es geht nicht. Ich muss morgen umziehen und weiß gar nicht, wie das gehen soll.“ „Wieso?“ fragte der junge Mann. Der Sammler gestattete ihm einen kleinen Einblick. „Ach herrje, das ist wirklich viel! Aber was solls, bestellen Sie ruhig den Transporter, ich besorge Leute, die das runtertragen und auch wieder rein in das neue Quartier, wenn Sie nächsten Samstag zu uns kommen.“ Karl Wunderlich nickte aufgeregt und sehr erleichtert. Es kam, wie versprochen. Wunderlichs gigantischer Umzug wurde vollbracht. Zu seiner Freude, denn das Ausweichquartier entpuppte sich als Ladenwohnung, aus der Herr Wunderlich nach ein paar Wochen ein magisches Antiquariat der Bücher und Töne zauberte. Mit rotem Canapé und Messingteetischchen im Fenster. Ein Geheimtipp und ein Ort, an dem manche Nacht ein Käse zum Bahnhof gerollt wird.
eine frohe Weihnacht, Lebensglück und Gesundheit wünsche ich Euch allen und danke für die Begleitung und das Interesse an schorfheidewald.de. Das vierte Krisenjahr infolge neigt sich und wir sind wohl alle müde von den negativen Ereignissen. Halten wir für die Festzeit inne und kümmern wir uns umeinander. Eure Petra
PS: Wir haben seit gestern Abend leider zwei rote Teststreifen…
Die Weihnachtsgeschichte für 2024
Heimlichkeiten
Ende November zog Florian Bender in diese Kleinstadt mit S-Bahn-Anschluss. Damit sparte er auf seinem Pendelweg nun zwei Stunden Fahrzeit. Aber noch spürte er nichts von dem Gewinn. Dieses tägliche ins Morgendunkel treten und aus dem Abendschwarz heimkehren machten den jungen Mann unglaublich müde, dass er nachlässig die Schuhe vor der Wohnungstür abstreifte und von dort direkt auf das Schlafsofa fiel. Der Umzug und der Schichtdienst im Labor machten ihm schwer zu schaffen. Ein paar Tage später zündete der Advent ein sanftes Lichtermeer in der Stadt an. Auf der Kunsteisbahn drehten Jugendliche ihre Runden. Florian lockte ein winziger Adventsmarkt in den Stadtpark. Am Glühweinstand drängte sich eine Menschentraube. Aber gut, er hatte ja Zeit. Und wie er da so wartend stand, das Duftgemisch aus gerösteten Mandeln, Zuckerwatte und Wein in sich aufnahm, erinnerte er sich lächelnd an den kleinen Markt, den man in seinem Heimatdorf alljährlich der Gemeinschaft spendierte. „Pur oder mit Schuss?“, fragte eine helle Stimme unter der viel zu großen roten Kapuze. „Äm, pur bitte“, antwortete Florian und sah dabei in zwei fröhliche Augenlichter. Einen Moment nur, dann schob man ihn schon weg vom Ausschank. Er schlürfte langsam seinen Glühwein und schlenderte über den bunten Markt. An einem Lichterstand kaufte er sich einen kleinen roten Adventsstern, damit ging er heim.
Als Florian am nächsten Morgen die Tür zum Treppenhaus öffnete, steckte ein Tannenzweig mit Strohstern in seinen Schuhen. „Wer macht denn sowas?“, murmelte er und sah sich ratlos um. Schläfrige Stille im Haus, kein Laut. Jeden Morgen steckte fortan etwas anderes in seinen Schuhen: Schuhputzcreme, ein Putzlappen, Weihnachtstee, eine Apfelsine mit aufgemaltem lächelndem Gesicht. Am 6. Dezember fand er, obwohl die Schuhe ungeputzt waren, einen Schokoladennikolaus darin. Es folgten Nüsse, Plätzchen, Brillentücher, Lebkuchengewürz und ein handgeschriebenes Weihnachtslied. Der Mann war irritiert und zugleich wundersam berührt. Irgendjemand spielte heimlich den Wichtel, nur wer? Die Tage vergingen, und im Haus duftete es inzwischen hinter fast jeder Tür nach Weihnachtsbäckerei. In Florian machte sich so eine schöne Erwartung auf das Fest breit. Er würde Heiligabend in sein Dorf fahren, um mit Freunden und den Eltern zu feiern. Dafür schlenderte er noch einmal über den Adventsmarkt, um ein paar kleine Geschenke auszusuchen. Auf der Bühne spielten Kinder der Grundschule eine Weihnachtsgeschichte, als Florian den Plätzchenstand entdeckte. Diesmal schenkte die Wichtelfrau mit der viel zu großen Kapuze keinen Glühwein aus. Sie stand am Plätzchenstand und funkelte ihn an. „Wer hat die gebacken?“, erkundigte er sich. Sie erzählte ihm, dass sie diese mit der Klasse 4 b nach einem Rezept ihrer Großmutter gefertigt habe. „Möchten Sie ein Plätzchen probieren?“ Florian kostete: „Hm, lecker, fein-nussig und nicht zu süß. Ich nehme gerne drei Tütchen.“ Während er zahlte, rief es vom Stand gegenüber: „Hey, Lea, kannst du mal schnell kommen? Wir brauchen hier die Weihnachtsfrau!“ Florian sah ihr neugierig nach. An jenem Stand wurden Strohsterne gebastelt, und die helfenden Hände reichten einfach nicht aus. Mit hochroten Wangen nahm sich die Frau mit der viel zu großen Kapuze der Sache an. Weihnachtsfrau, sinnierte Florian und dachte: wie schön. Im Vorbeigehen wehten seine Worte durch das Kinderstimmengewirr am Sternestand: „Gefällt mir, was Sie hier tun!“ Lea sah strahlend zu ihm auf, aber da zerrte bereits wieder ein Mädchen an ihr herum: „Zeig doch mal…!“ Fünf Uhr morgens öffnete Florian leise die Tür, denn er hoffte, endlich diesen Wichtel zu entdecken. Aber nein, wieder nicht. Diesmal steckten in seinen Schuhen zwei Plätzchentüten. Genau die Gleichen, die er gestern auf dem Adventsmarkt erworben hatte. Plötzlich ahnte er, wer hier den Wichtel gab. Er stieg hinunter zu den Briefkästen und fand den Namen: Lea Winter. Sieh an, die Weihnachtsfrau hat hier ihr Quartier.
Lea Winter schlich in aller Früh vor die Einraumwohnung ihres neuen Nachbarn, dem sie hier noch nie begegnet war. Sie steckte ein paar handgestrickte Socken in die Schuhe und dachte bei sich: Schuhe vor der Haustür, was für eine blöde Marotte. Vielleicht merkt er es, wenn ich die Latschen nach dem Fest nicht mehr füttere. Als sie sich umdrehte, sah sie ein Päckchen an ihrem Türknopf baumeln. Ein roter Stern verbarg sich darin und ein Zettel mit der Botschaft: „Vom Wichtel der Weihnachtsfrau – wünsche frohes Fest!“
Meine letzten Schutzengel bekamen gestern noch ihren Silberdraht, dann flutschten sie in die Tüte. Mal sehen, wen sie demnächst begleiten. Engel kann man nie genug haben…
Eine meiner etwas längeren weihnachtlichen Geschichten schrieb ich 2022 öffentlich hier im Blog – eine Handvoll Kapitel über Tage verteilt. Jetzt stelle ich die Geschichte für Euch komplett ins Netz:
Kerzen in der Stadtbahn
1969: Das Licht flackerte wie ein Sehnsuchtsfunken als das Teenie-Mädchen aufstand. Die Stadtbahn bremste. Als sie anhielt stieg Irene aus dem Wagon, aber nur um in den dahinterliegenden zu huschen. Doch auch dieser war menschenleer. Sie richtete ihr weißblondes Kurzhaar im Fensterspiegel. Keine einzige Seele war in dieser Heiligen Nacht unterwegs. Irene zog die Packung Baumkerzen und das Feuerzeug aus ihrer Manteltasche, nahm sich eine Kerze, zündete den Docht an, tropfte etwas Wachs auf das Fensterbrett und stelle das Licht in die Nacht. Wo seid ihr nur? Offenbar steckte der Lastkahn der Eltern irgendwo auf der Elbe im Eis fest. Sie konnte es nur vermuten, aber das gab es schon manches Jahr. Heimkehr aus dem Internat und kein Feuer im Ofen, im Kühlschrank nur Licht. Es gab Heilige Nächte, in denen wollte die kindliche Irene vor Einsamkeit sterben, aber heute fühlte sie sich stark genug, das ungewisse Alleinsein zu ertragen. Sie wusste nicht, ob ihr das wirklich gelingen würde. „Nächster Halt: Baumschulenweg“ krächzte die Ansage des Zugführers durch den Lautsprecher. Irene stieg abermals um in den nächsten Wagon. Im hintersten Eck entdeckte sie einen älteren Herrn, der gerade Glühwein in den Becher seiner Thermoskanne goss. Als er aufblickte, stand sie noch. Er winkte sie zu sich. „Auch ‘nen Schluck, ich habe noch einen zweiten Becher dabei?“ Irene nickte, ließ sich auf den Sitz gegenüber fallen. Sie blicke in das zerfurchte Gesicht des Mannes und fragte sich still: Wie viele Jahre mochten in diesen Gräben stecken? Wortlos stellte sie eine brennende Kerze auf das Fensterbrett. Dazu murmelte der Alte, „Kokeln in der Bahn ist verboten“ und schlürfte an seinem Becher Glühwein. „Und Saufen in der Öffentlichkeit wird auch nicht gern gesehen“, maulte Irene zurück. „Stimmt,“ sprach der Mann und fuhr sich nachdenklich durch das borstige Silbergrau in seinem Gesicht. „Aber allein Trinken, ist nicht gut für die Seele. Eben dachte ich noch, ich hätte eine zum Anstoßen gefunden. Komm, auf die Heilige Nacht!“ Er prostete Irene zu und sie erwiderte schweigend. Der Wein dampfte und stieg ihr in die Nase. Schon mit dem ersten Schluck spürte sie einen Anflug von Rausch. Sie hatte mittags etwas gegessen, jetzt war es später Abend. Der Alte sah ihre Einsamkeit und auch, dass sie im Grunde zu jung war, durch die Nacht zu stromern. „Darf ich fragen, warum du allein unterwegs bist?“ Irene hob ihre Lieder: „Meine Eltern sind Schiffer. Sie stecken irgendwo mit ihrem Kahn fest. Passiert schon mal. Und Sie, warum sind Sie Weihnachten allein?“ Der Alte murrte: „Passiert immer wieder. Die Frauen bleiben nicht lange bei mir.“ „Warum? Zuviel Glühwein?“ „Quatsch. Zuviel Arbeit, ich bin Monteur, wenn du verstehst.“ „Hm. Da ist es wohl besser, Paare sind gemeinsam unterwegs, wie meine Eltern.“ „Und warum kümmerts keinen, dass du allein bist heute Nacht?“ „Es weiß wohl einfach keiner.“ „Weiß man in diesem Land nicht immer alles?“ „Kann sein.“ „Und was sagt das Amt zu sowas?“ Irene sah den Mann verkniffen an und schnauzte: „Das geht Sie gar nichts an!“ Sie blies die Kerze aus, erhob sich ruckartig und stieg ohne zurückzusehen beim nächsten Halt aus…
Ostkreuz. Der obere Bahnsteig hinter dem Wasserturm lag gebogen, dunkel und menschenleer. Das machte Irene keine Angst. Es war etwas anderes, dass sie augenblicklich angefallen hatte: dieses Gefühl, verlassen zu sein, für immer. Es schlich sich über Irenes Gänsehaut vom Rücken hinauf bis unter die Kopfhaut, um in den Schläfen laut zu pochen. „Wo seid ihr?“ rief sie leise, fast jammernd in die Nacht. In ihrem Kopf hämmerte der Gedanke: Abgehauen, übers Eis in den Westen. Sie stieg die Treppen hinab zu den unteren Gleisen und am anderen Bahnsteigsende wieder hinauf. Dort nahm sie die nächste Bahn heimwärts. Würde sie die Nacht aushalten? Sie fühlte sich elend als sie in ihre Straße einbog. Es war eisig kalt und der Schnee knirschte unter ihren Schritten. Der viergeschossige Neubau lag im Dunkel, als sie die Haustürschlüssel aus der Manteltasche zog. Ein Glimmen auf einem der Balkone verriet, da rauchte einer und blies Kringel in die Nacht. Als Irene in der zweiten Etage ankam stand ein Mann vor der Wohnungstür: „Bitte nicht erschrecken, ich habe nur ein Telegramm abzugeben.“ Irene nickte und nahm das Kuvert. „Danke, ich kenne Sie gar nicht, wohnen Sie schon lange hier?“ „Entschuldigung, ich hätte mich vorstellen müssen: Kurt Kronberg. Bin gerade erst gegenüber eingezogen. Aber durch diese Tür habe ich noch keinen gehen sehen.“ „Meine Eltern sind Binnenschiffer.“ „Verstehe. Na, dann, frohe Weihnachten.“ „Ihnen auch.“ Irene schloss auf und huschte in die Wohnung. Sie Atmete tief und riss das Telegramm auf: Wir stecken bei Hamburg fest. Geld liegt im Brotkasten. Halte durch, Mutti! Tränen verschleierten ihren Blick. Sie lehnte an der Tür und rutschte nun weinend in die Hocke. Das Telegramm fiel zu Boden. Schließlich stand sie auf, legte Kohlen im Ofen nach und stocherte in den Küchenschränken nach etwas essbarem. Drei Tütensuppen: Ochsenschwanzsuppe, Brühnudeln und Gemüseeintopf fanden sich und im Tiefkühler steckten ein halbes Brot und ein Stück Butter. Damit käme sie über Weihnachten. Essen hält Leib und Seele zusammen und Irene wollte nicht in dieser schrecklichen Einsamkeit untergehen. Sie entschied sich für die Brühnudeln. Zum Essen schaltete sie die Nachrichten im Schwarz-Weiß-Fernseher an und hörte:
Stillstand in der Binnenschifffahrt: Der anhaltende Frost in weiten Teilen Deutschlands hat fast alle Wasserstraßen zufrieren lassen. Selbst Eisbrecher schaffen es nicht mehr, die Fahrrinnen frei zu halten. Die Verluste für die Binnenschiffer lassen sich im Augenblick noch nicht abschätzen.
Irene löffelte die dünne Brühe mit den dicken Eiernudeln und grübelte: Bei Hamburg. Im Westen! Wenn so ein Kahn erst mal eingefroren ist, das könnte dauern. Sie sprang auf und schaute im Brotkasten nach: 100 Mark. Für Irene war das viel Geld. Ihr monatliches Taschengeld betrug 20 Mark. Jetzt aber musste sie damit über die Weihnachtsferien kommen und zurück ins Internat. Es würde reichen. Beruhigt ging sie zurück zu ihrem Suppenteller. Wie sollte sie diese Zeit alleine aushalten? Sie muss sich unterhalten, um diese Stille zu füllen. Irene holte sich die Baumkerzen und eine Flasche Rotwein aus der Speisekammer und kochte sich einen Punsch mit Zimt und Nelken. Ein Glas gestatteten die Eltern zu Weihnachten.
Sie stellte sich vier Kerzen auf, holte die Geschenke für Vater und Mutter herbei, legte sich Stift und Schreiblock zurecht und goss sich ein Glas Punsch ein. Irene prostete den imaginären Eltern zu und schrieb: „Frohe Weihnachten! Wo immer ihr seid. Könnt ihr mich hören ihr Lieben?“ „Wir hören dich Kind. Im Herzen sind wir bei dir.“ „Ich weiß, Mama. Macht euch keine Sorgen, ich schaffe das.“ Irene schluchzte, denn sie spürte, dass es nicht stimmte, was sie gerade sagte, aber sie fühlte, ein Rollenspiel könnte ihr guttun. Und so schrieb sie diesen Dialog und sprach dabei die Worte mit verstellten Stimmen. „Du musst nicht so stark tun, mein Kind. Wir wissen, dass diese Situation für dich schlimm ist. Trink einen Schluck, er hilft dir zu entspannen.“ „Mach ich, Vati. Prost! Wie geht es auf dem Kahn?“ Die Stimme des Vaters räusperte sich: „Em, es geht. Noch haben wir es warm, aber ich glaube, wir werden beobachtet.“ „Wie jetzt?“ „Na, vielleicht denkt man sich, die stecken im Eis fest, das ist eine gute Gelegenheit zu türmen, wenn du verstehst, was ich meine.“ „Du meinst, die Stasi denkt das?“ „Ja. Die trauen doch keiner Seele. Pass auf dich auf mein Kind und lass dir nichts erzählen. Wir würden dich niemals zurücklassen. Ja, es gab solche Fälle, und wahrscheinlich haben wir deshalb diesen Schatten am Ufer bekommen, aber du kannst dich auf uns voll verlassen.“ „Das weiß ich doch.“ „Und warum sorgst du dich dann?“ „Na, wer weiß schon genau, was der andere denkt und wohin ihn das führt.“ „Kindchen!“ „Ja, Vati? Ich sorge mich halt und ich bin nicht gerne allein.“ „Weiß ich, deshalb machen wir uns ja Sorgen.“ Im Fernseher flimmerte „Die Feuerzangenbowle“. Irene legte den Stift beiseite, goss sich einen zweiten Punsch ein und kuschelte sich in eine Decke auf dem Sofa. Der Film lenkte sie ab und das Getränk machte sie schläfrig.
Am ersten Weihnachtsfeiertag weckte sie das Sendeschlussrauschen des Fernsehers. Sie sprang vom Sofa und schaltete das nervende Gerät aus. Zuerst legte sie Kohlen auf das letzte Glimmen im Kachelofen. Das Wohnzimmer roch nach abgestandenem Punsch. Sie füllte den Rest in eine Flasche und verschloss sie mit einer Gummikappe. Bestimmt ließe der sich noch einmal aufwärmen. Während Irene die Fenster weit öffnete, um zu lüften, schepperte die Wohnungsklingel. Niemand stand vor der Haustür, aber am Türknauf hing ein roter Stoffbeutel mit weißen Punkten und es war ihr, als ob ein Hauch in den Wohnungsflur wehte. Seltsam, bestimmt war es nur ein Luftzug zwischen offenem Fenster und dem Treppenhaus. Aber es war kein Luftzug.
Er hatte sich verspätet, Irenes Schutzengel. Er war nie wirklich so pünktlich, wie er sollte. Auch unter den Engeln gab es nachlässigere Gewächse. Doch glücklicherweise hatte das Mädchen die Heilige Nacht allein überstanden und nun war er an ihrer Seite. Unsichtbar saß er im Sessel in der Leseecke und wachte. Irene lugte in den duftenden Stoffbeutel, frische Schrippen und eine Streuselschnecke. Wunderbar! Sie liebte diese tellergroßen Schnecken. Das Mädchen schloss das Fenster und sah, unten auf dem Gehweg schlenderte Herr Kronberg. Ob er den Beutel an die Tür gehängt hatte? Egal. Irene frühstückte und sprach mit vollem Mund mit dem Schreibblock: „Moin, moin, schmeckts Euch auch?“ Wieder räusperte sich die väterliche Stimme und erklärte: „Deine Mutter hat Früchtebrot gebacken. Ist köstlich wie jedes Jahr.“ „Oh, Mann, Früchtebrot! Aber stellt euch mal vor, heute Morgen hat mir jemand ganz frische Schrippen und eine Streuselschnecke an die Tür gehängt – in einem wunderschönen Stoffbeutel.“ „Du weißt nicht von wem die sind und isst sie?“ „Ja, Mama, sei nicht so vorwurfsvoll. Es hat nur jemand an mich gedacht. Vielleicht der nette Herr Kronberg, der nebenan eingezogen ist.“ „Die Wohnung nebenan ist unbewohnt. Gesperrt wegen Rohrbruch, der den ganzen Fußboden ruiniert hatte. Dieser Herr Kronberg ist -,“ die Mutterstimme brach ab und Irene trieb ein Verdacht hinaus aus der Wohnung. Sie sprang die Treppe hinauf in den dritten Stock und klingelte bei Familie Krause. Die Nachbarin öffnete: „Ah, Irene. Frohe Weihnachten.“ „Ja, frohe Weihnachten. Frau Krause, ich will nicht stören, nur eine Frage: Ist in der Wohnung neben uns ein neuer Mieter eingezogen?“ Die Krause schüttelte den Kopf. „Die Wohnung muss erst saniert werden. Wenn da einer reingeht, dann ist er vielleicht von der Versicherung oder ein Klempner.“ Irene setzte düster nach: „Oder – einer von der Firma.“ „Wer weiß“, murmelte Frau Krause verhalten. „Ist sonst noch was?“ „Nein danke.“ Die Tür schloss sich wieder und Irene, wusste plötzlich nicht, was sie tun sollte. Wut stieg in ihr auf. Der hatte sie einfach frech angelogen. Sie klingelte Sturm bei Kronberg, aber niemand öffnete.
Sie hastete zurück in die elterliche Wohnung zu ihrem Blockdialog. Sie schrieb und sprach: „Mama, ich glaube, der Kronberg ist mein Schatten!“ „Und von dem nimmst du Brötchen an?“ „Sie sind von mir“, flüsterte der Engel. Irene sah erschrocken in die Leseecke. Dort war nichts. „Werd‘ ich jetzt irre, wer spricht da?“, schrie sie in den Raum. Da schimmerte der Engel in seiner Gestalt. Lessig saß er da in einem grünen Kapuzenmantel. Braune Locken fielen bis zu seinen schmalen Schultern und er schaute mit einem sanftmütigen Blick, der Irene an ihren Lieblingsbeatle George Herrison erinnerte. „Mir wurde gesagt, mit Streuselschnecken kann man dich trösten. Ich bin Raphael und werde über Weihnachten Dein Schutzengel sein.“ Für Irene war das im Augenblick alles ein bisschen viel. Missgestimmt fragte sie barsch: „Und, wo warst du gestern?“ „Ich hatte verschlafen.“ „Die Heilige Nacht?“ „Ja.“ „Na sowas.“ „Wenn ich störe, bleibe ich unsichtbar. „Ja, bitte.“ Der Engel atomisierte sich und Irene tippte mit dem Stift auf ihren Schreibblock: „Vati, Mama, ich bin nicht mehr allein. Ich habe jetzt einen Schatten und einen Engel.“ Der Schreibblock schwieg.
Sie musste raus. Abends fuhr Irene wieder S-Bahn und sprang von Wagon zu Wagon. Sich an Leuten sattsehen und ihnen Kerzenlicht spendieren. Diesmal war es schwieriger ihre Weihnachtslichter unbemerkt aufzustellen. Himmel und Menschen waren unterwegs und schleppten Geschenke von A nach B. Doch Irene fand stets diesen kleinen unbemerkten Moment oder war da wer, der sie abschirmte? „Raphael?“ flüsterte sie. Der Engel stand direkt neben ihr und lächelte. Und da noch einer, der sie beobachtete. Dieser Kurt Kronberg. Als sie ihn entdeckte, kam er auf sie zu und reichte ihr wieder ein Telegramm. „Sie sind wohl unter die Briefträger gegangen?“ zischte ihn Irene an. Dann las sie unter Freudentränen: „Komme morgen mit dem Zug, Mama“. Der Schatten verschwand, der Engel aber begleitete sie durch die Nacht.
In den nächsten Tagen kommt die neue Poolplane und wir hoffen doch sehr, dass diese dann dicht hält… Derweil kühle ich mich immer mal wieder im Atelier ab und fertige dabei die neuen Künstler-Hefte. Auf jeden Fall wissen wir jetzt, wie man so einen Pool auf- und zurückbaut. Nur ist das doch eine echte körperliche Anstrengung, die man nicht alle Tage braucht. Möge der Sommer noch ein bisschen bleiben… und mein Kopf nicht mit Destruktivem besetzt sein. Inzwischen flimmern bei uns via TV die Olympischen Spiele, die Aufregung über das gespielte und getanzte Thema „Liebe und Inklusion“ bei er Eröffnungsfeier hat sich erst einmal gelegt. Aber der blau bemalte Körper des Schauspielers Philippe Katerine, der den griechischen Gott Dionysos verkörperte, beleidigt immer noch mein geistiges Auge. Man kann auch schlicht zu dick auftragen, bei der künstlerischen Interpretation des französischen Rechtes auf freie Liebe. Alle an einem Tisch? Ja, nur was soll immer dieses spezielle, aufdringliche Gehabe.
An einem nebelverhangenen Morgen waren sie auf einmal da, die drei weißen Raben. Sie krächzten in den Dunstschleiern – unbemerkt. Niemand ahnte, weshalb sie kamen und was sie suchten. Doch mit ihrem Eintreffen schien der Nebel über dem Land festzustecken. Tage, Wochen, Monate. Die Menschen darunter verblassten zu durchsichtigen Gestalten und verströmten fortan eine schwere Stille. Kein Vogel sang, und keine Blume blühte. Die drei Raben wachten stumm über dem verborgenen Geschehen. Eines Tages zog ein furchtloser Narr durch das Land unter dem Nebel. Er trug bunte, schillernde Gewänder und einen Schalk im Nacken, der vor Frohsinn nur so sprudelte. Sein Antlitz aber war weiß wie Schnee. Die Raben krächzten unheilvoll: „Zieh weiter, sonst verlierst du deinen Leichtsinn und all deine Farben!“ Doch der Narr spottete: „Na, ihr Weißputzer! Fällt euch so gar nichts Besseres ein, als das Leben zu bleichen und zu verschleiern? Was habt ihr nur für trostlose Talente.“ Da geschah etwas Merkwürdiges: Die Raben sangen mit tiefer, klangvoller Stimme: „Wir verbergen die Menschen doch nur vor dem Elend der Welt.“ Der Narr wunderte sich: „Ach, ihr seid also Beschützer? Aber meint ihr wirklich, das stille, bleiche Leben sei schön? Seht, wie traurig und schwach die Nebelmenschen sind.“ Der Narr zog sich seine bunte Kapuze vom Haupt und schrie: „Schaut her, ist dieses Gesicht nicht leeres Weiß? Eure Schleier beschützen nicht, sie laugen aus. Alle Farben, alle Kraft und Energie. Ich bin in einem Nebelland geboren, aber als ich diese bunten Kleider fand und anzog, wuchs in mir der Mut zum Wagnis. Den brauchen die Menschen zum Leben wie Wasser und Brot.“ Die weißen Raben schwiegen, und sie dachten an die Zeit, als sie noch schwarz-blaue Federn trugen. Damals waren sie die Rufer in der Zeit. Sie warnten vor Eindringlingen oder holten notfalls Hilfe. Ein Sehnen nach diesem wachen Dasein stieg in ihnen auf, und während sie das bedachten, überzog ein Edelschwarz ihr Gefieder und der Nebel senkte sich. So war der Blick frei für all die Gefahren, die da kommen wollten…
Erika Schlenzig:Märchen mit brisantem Inhalt. Ein Mutmacher. Selbstwertgefühl stärken, Pläne schmieden, Einmischen, verändern und nicht lähmen lassen. Jeder kann seine Welt bunter gestalten und Andere motivieren.
Iris Go:So sollten viele Menschen denken und sich gegen Unmut und Schwere wappnen und auch rebellieren. Frei sein und sich nicht unterbuttern lassen. Danke Petra für diese Gedanken.
Karin Segura:So wahr, befreien wir uns immer wieder aus dem aufsteigenden Nebel.
Das Schreiben an „Morgenstill“ entfaltet sich langsam, aber seid vorgewarnt, es ist keine leichte Kost. Das Alter eben. Der Imkergatte hat die ersten sechs Seiten gesichtet und nickte zustimmend. Er weiß, was für ein wilder Ritt das für mich ist. Inzwischen habe ich 12 Manuskriptseiten und ein neues Initial. Das erste hat zu sehr den Initialzeichnungen zum Klausur-Thema 2023 geähnelt. Es brauchte etwas anderes. Aber Sonntag und heute am Montag war mir nach leichter Kost und so entstand ein kleines Märchen, dass ich Euch in den Tag lege… Machts gut alle miteinander. Bis zum Lebenszeichen in der nächsten Woche…😊
Die Blättertrolle
Im Efeu wisperte es als sie vor die Tür trat und schimpfte: „Schon wieder Blätterwetter!“ Ihr Häuschen stand im harten Westwind. Der wehte, gleich welche Jahreszeit, welkes Laub aus der Landschaft über das Hoftor. Alle zwei Tage sah es deshalb so aus, als wäre der Hof ewig nicht gefegt worden. Den Herrn Regen störte das nicht weiter, aber Frau Sonne hatte es gerne ordentlich. Also schlurfte sie zur Besenecke, kehrte einen Eimer voll Kräusellaub zusammen und brachte es auf den Kompost im Garten. Das war der Moment, in dem Frau Sonne zufrieden zurück ins Haus ging. Aber draußen vor der Tür wehte der Wind weiter und es dauerte keine Handvoll Minuten, da sah es aus wie zuvor. Doch das lag nicht allein am Wind. „Roll, roll, Blättertroll!“ juchzte es aus dem Wurzelgeflecht. Es waren Blättertrolle, die dort in der Dämmerung auftauchten. Sie kletterten hinauf zur Efeukrone, um sich ein schönes Blattsegel zu pflücken. Dann schwebte einer nach dem anderen zu Boden und rollte dort mit drei, vier Purzelbäumen die Landung sacht ab. Was für ein schönes Spiel! Aber plötzlich schauerte es mächtige Graupelkörner. Die trafen das Flugblatt des letzten Blattseglers, der nun jäh zu Boden stürzte. Er fiel genau vor Frau Sonnes Füße, die gerade nach dem heftigen Wetter sah. „Wer bist du denn?“ Der kleine Kerl knöpfte sich das zerfledderte Blatt von den Hosenträgern und stammelte: „Ich bin ein zugezogener Blatttroll. Wir wohnen jetzt in deiner Hecke.“ „Schön, schön, dass ihr da seid“, meinte Frau Sonne. „Das Segeln bereitet bestimmt viel Freude, und dem Efeu macht euer Gezupfe auch nichts weiter aus. Aber ihr seid hier auf dem Dorfe, da räumt man seine Hinterlassenschaften gefälligst selbst weg, sonst werden wir keine Freunde!“ Der Troll schlug beschämt die Augenlider nieder, doch seine Winzigkeit berührte das Herz von Frau Sonne. „Schon gut, schau, dort steht der Blättereimer,“ murmelte sie wohlwollend. Da griff sich der kleine Troll sein kaputtes Segel, steckte es in den Blättereimer und alles war gut. Text & Zeichnung: Petra Elsner
Am Rande der offenen Weite, doch schon im Dämmerstreifen des großen Waldes lag ein mattes Dorf in der Heide. Zwölf geduckte Häuser mit zwölf alten Menschen darin. Früher war es ein blankgeputztes, quirliges Dorf. Als aber die Jungen Arbeit in der Ferne suchten, blieben nur die Alten zurück. Überall fehlte es an kräftigen Händen. Ihre Gärten verwilderten und aus dem Wald kroch das Moos über Wege und Dachsteine. Mit dem Moos rückte der Wald näher und näher, und bald schon spannte er ein grünes Zelt über die Häuser am Anger. Im Altendorf störte das keinen, im Gegenteil, denn jetzt wuchsen Pilze und Blaubeeren vor der Haustür. Aber da war noch etwas, dass einen jeden der Zwölf frohen Herzens den Tagen vertraute: Sie hörten die Bäume sprechen. Von der Kraft, die in allem ruht. Manchmal saßen die Alten stundenlang reglos am Teich im Dämmerblau und lauschten dem Baumgeflüster vom Sein und nicht mehr sein. Spannende Gedanken kamen ihnen dabei. „Jeder von uns ist etwas Leben von der Ewigkeit“, raunte der Zwölfte in die Runde. „Habt ihr das auch gehört? Ist doch viel schöner gedacht, als immer nur über das Alter zu seufzen.“ Die Anderen nickten zustimmend. „Aber ein bisschen mehr Kraft, um die Stube forsch zu fegen, wäre schon schön!“, murmelte der Elfte und der Zehnte fand: „Ein bisschen Hilfe beim Holzhacken käme mir zupass.“ Der Neunte rieb sich seine zittrigen Hände: „Ja und beim Hühnerstall Ausmisten auch.“ So ging es noch ein kleines Weilchen hin und her, bis sie die Dunkelheit nach Hause schickte. Unter der Bank am Teich regte sich etwas. Ungesehen schlich sich nun eine winzige, grüne Gestalt aus dem Dorf in den Hochwald.
Am nächsten Morgen waren alle Stuben gefegt, das Holz gehackt und der Hühnerstall ausgemistet. Ui, da staunten die Zwölf. Wer mag das alles nur verrichtet haben? War es ein Puck oder ein Troll oder gar zwei? Irgendwer hat jedenfalls Hand angelegt und dafür wollten sie danken. Zum Abend stellten sie alle ein Schälchen Brei neben ihre Eingangstüren. Anderntags waren die Näpfe leer. So ging das alle Nächte, was die Zwölf sich abends wünschten, wurde wahr und ihr Leben wurde ein bisschen leichter.
Eines Tages im späten Herbst rauschte der Ostwind in den Wipfeln der Bäume ein stürmisches Winterlied. Die Grünlinge froren in ihrer Laubhütte und waren beunruhigt. „Ob sie uns aufnehmen werden“, fragte der älteste Gefährte in den Kreis der Grünlinge. „Schon immer war unser kleines Volk Wächter der Waldhäuser. Das können die Zwölf aber nicht wissen, weil ihr Dorf gerade erst zu einem Walddorf gewachsen ist. Wir haben aber keine Zeit, denn wenn der harte Frost kommt, brauchen wir ein warmes Lager. Aber ihr wisst, wir dürfen nicht selbst darum bitten.“ Der kleinste Grünling meinte: „Wir sollten die Bäume fragen, ob sie für uns sprechen. Die Alten hören auf sie.“
Die Zwölf wärmten sich gerade an einem Kartoffelfeuer und berieten sich, was vor dem Winter noch zu tun wäre. Hochnebel verdämmerte das Tageslicht und es sah so aus, als würden die Bäume schweben. Auf einmal erhob sich ein knorriger Gesang. Mysteriös, wie aus einer anderen Welt. Die Alten vernahmen erstaunt die Legende von den Grünlingen, die in der warmen Zeit die Waldbewohner beschützten. Im Winter aber, würden sie erfrieren, wenn man sie nicht ins warme Haus bittet. „Oh, rief der Zwölfte aufgeregt, „jetzt wissen wir endlich, wer uns auf so wundersame Weise geholfen hat. Natürlich werden wir sie zu uns nehmen, oder?“ Die Alten waren sich einig und riefen wie mit einer Stimme so laut sie konnten: „Grünlinge, kommt zu uns!“ Da zeigten sie sich. Und fortan beschützten sie einander, jeder zu seiner Zeit.
Karin Segura schrieb: „Das waren auch so meine Gedanken, Reinhard. Einander Herzenswärme schenken, gut dass die Grünlinge daran erinnern.“
Jana Weinert schrieb: „Ach, was bist Du für eine Liebe. So ein herzerwärmendes kleines Märchen hinzuzaubern. Dankeschön. Ich werde es gleich mal meiner greisen Mutter vorlesen.“
Barbara Liebrenz schrieb: „Wunderschön und so hoffnungsvoll voll Liebe.“
Iris Go schrieb: „Es ist ein zu Herzen gehendes wunderbares Märchen mit spürbarer Liebe.“
Karla Schmook schrieb: „…es ist ein wunderschönes Märchen, so aktuell und so positiv.“
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