Sonntagsmärchen

Die drei weißen Raben

An einem nebelverhangenen Morgen waren sie auf einmal da, die drei weißen Raben. Sie krächzten in den Dunstschleiern – unbemerkt. Niemand ahnte, weshalb sie kamen und was sie suchten. Doch mit ihrem Eintreffen schien der Nebel über dem Land festzustecken. Tage, Wochen, Monate. Die Menschen darunter verblassten zu durchsichtigen Gestalten und verströmten fortan eine schwere Stille. Kein Vogel sang, und keine Blume blühte. Die drei Raben wachten stumm über dem verborgenen Geschehen.
Eines Tages zog ein furchtloser Narr durch das Land unter dem Nebel. Er trug bunte, schillernde Gewänder und einen Schalk im Nacken, der vor Frohsinn nur so sprudelte. Sein Antlitz aber war weiß wie Schnee. Die Raben krächzten unheilvoll: „Zieh weiter, sonst verlierst du deinen Leichtsinn und all deine Farben!“ Doch der Narr spottete: „Na, ihr Weißputzer! Fällt euch so gar nichts Besseres ein, als das Leben zu bleichen und zu verschleiern? Was habt ihr nur für trostlose Talente.“
Da geschah etwas Merkwürdiges: Die Raben sangen mit tiefer, klangvoller Stimme: „Wir verbergen die Menschen doch nur vor dem Elend der Welt.“
Der Narr wunderte sich: „Ach, ihr seid also Beschützer? Aber meint ihr wirklich, das stille, bleiche Leben sei schön? Seht, wie traurig und schwach die Nebelmenschen sind.“ Der Narr zog sich seine bunte Kapuze vom Haupt und schrie: „Schaut her, ist dieses Gesicht nicht leeres Weiß? Eure Schleier beschützen nicht, sie laugen aus. Alle Farben, alle Kraft und Energie. Ich bin in einem Nebelland geboren, aber als ich diese bunten Kleider fand und anzog, wuchs in mir der Mut zum Wagnis. Den brauchen die Menschen zum Leben wie Wasser und Brot.“
Die weißen Raben schwiegen, und sie dachten an die Zeit, als sie noch schwarz-blaue Federn trugen. Damals waren sie die Rufer in der Zeit. Sie warnten vor Eindringlingen oder holten notfalls Hilfe. Ein Sehnen nach diesem wachen Dasein stieg in ihnen auf, und während sie das bedachten, überzog ein Edelschwarz ihr Gefieder und der Nebel senkte sich. So war der Blick frei für all die Gefahren, die da kommen wollten…

© Petra Elsner, März 2024

Stimmen auf Facebook:

Erika Schlenzig: Märchen mit brisantem Inhalt. Ein Mutmacher. Selbstwertgefühl stärken, Pläne schmieden, Einmischen, verändern und nicht lähmen lassen. Jeder kann seine Welt bunter gestalten und Andere motivieren.

Iris Go: So sollten viele Menschen denken und sich gegen Unmut und Schwere wappnen und auch rebellieren. Frei sein und sich nicht unterbuttern lassen. Danke Petra für diese Gedanken.

Karin Segura: So wahr, befreien wir uns immer wieder aus dem aufsteigenden Nebel.

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Klausurwoche 2

Das Schreiben an „Morgenstill“ entfaltet sich langsam, aber seid vorgewarnt, es ist keine leichte Kost. Das Alter eben. Der Imkergatte hat die ersten sechs Seiten gesichtet und nickte zustimmend. Er weiß, was für ein wilder Ritt das für mich ist. Inzwischen habe ich 12 Manuskriptseiten und ein neues Initial. Das erste hat zu sehr den Initialzeichnungen zum Klausur-Thema 2023 geähnelt. Es brauchte etwas anderes. Aber Sonntag und heute am Montag war mir nach leichter Kost und so entstand ein kleines Märchen, dass ich Euch in den Tag lege… Machts gut alle miteinander. Bis zum Lebenszeichen in der nächsten Woche…😊

Die Blättertrolle

Im Efeu wisperte es als sie vor die Tür trat und schimpfte: „Schon wieder Blätterwetter!“ Ihr Häuschen stand im harten Westwind. Der wehte, gleich welche Jahreszeit, welkes Laub aus der Landschaft über das Hoftor. Alle zwei Tage sah es deshalb so aus, als wäre der Hof ewig nicht gefegt worden. Den Herrn Regen störte das nicht weiter, aber Frau Sonne hatte es gerne ordentlich. Also schlurfte sie zur Besenecke, kehrte einen Eimer voll Kräusellaub zusammen und brachte es auf den Kompost im Garten. Das war der Moment, in dem Frau Sonne zufrieden zurück ins Haus ging. Aber draußen vor der Tür wehte der Wind weiter und es dauerte keine Handvoll Minuten, da sah es aus wie zuvor. Doch das lag nicht allein am Wind.
„Roll, roll, Blättertroll!“ juchzte es aus dem Wurzelgeflecht. Es waren Blättertrolle, die dort in der Dämmerung auftauchten. Sie kletterten hinauf zur Efeukrone, um sich ein schönes Blattsegel zu pflücken. Dann schwebte einer nach dem anderen zu Boden und rollte dort mit drei, vier Purzelbäumen die Landung sacht ab. Was für ein schönes Spiel! Aber plötzlich schauerte es mächtige Graupelkörner. Die trafen das Flugblatt des letzten Blattseglers, der nun jäh zu Boden stürzte. Er fiel genau vor Frau Sonnes Füße, die gerade nach dem heftigen Wetter sah. „Wer bist du denn?“ Der kleine Kerl knöpfte sich das zerfledderte Blatt von den Hosenträgern und stammelte: „Ich bin ein zugezogener Blatttroll. Wir wohnen jetzt in deiner Hecke.“ „Schön, schön, dass ihr da seid“, meinte Frau Sonne. „Das Segeln bereitet bestimmt viel Freude, und dem Efeu macht euer Gezupfe auch nichts weiter aus. Aber ihr seid hier auf dem Dorfe, da räumt man seine Hinterlassenschaften gefälligst selbst weg, sonst werden wir keine Freunde!“ Der Troll schlug beschämt die Augenlider nieder, doch seine Winzigkeit berührte das Herz von Frau Sonne. „Schon gut, schau, dort steht der Blättereimer,“ murmelte sie wohlwollend. Da griff sich der kleine Troll sein kaputtes Segel, steckte es in den Blättereimer und alles war gut.
Text & Zeichnung: Petra Elsner

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Ein Sonntagsmärchen

Nun ist es geworden…😊

Das versteckte Dorf

Am Rande der offenen Weite, doch schon im Dämmerstreifen des großen Waldes lag ein mattes Dorf in der Heide. Zwölf geduckte Häuser mit zwölf alten Menschen darin.  Früher war es ein blankgeputztes, quirliges Dorf. Als aber die Jungen Arbeit in der Ferne suchten, blieben nur die Alten zurück. Überall fehlte es an kräftigen Händen. Ihre Gärten verwilderten und aus dem Wald kroch das Moos über Wege und Dachsteine. Mit dem Moos rückte der Wald näher und näher, und bald schon spannte er ein grünes Zelt über die Häuser am Anger. Im Altendorf störte das keinen, im Gegenteil, denn jetzt wuchsen Pilze und Blaubeeren vor der Haustür. Aber da war noch etwas, dass einen jeden der Zwölf frohen Herzens den Tagen vertraute: Sie hörten die Bäume sprechen. Von der Kraft, die in allem ruht. Manchmal saßen die Alten stundenlang reglos am Teich im Dämmerblau und lauschten dem Baumgeflüster vom Sein und nicht mehr sein. Spannende Gedanken kamen ihnen dabei. „Jeder von uns ist etwas Leben von der Ewigkeit“, raunte der Zwölfte in die Runde. „Habt ihr das auch gehört? Ist doch viel schöner gedacht, als immer nur über das Alter zu seufzen.“ Die Anderen nickten zustimmend. „Aber ein bisschen mehr Kraft, um die Stube forsch zu fegen, wäre schon schön!“, murmelte der Elfte und der Zehnte fand: „Ein bisschen Hilfe beim Holzhacken käme mir zupass.“ Der Neunte rieb sich seine zittrigen Hände: „Ja und beim Hühnerstall Ausmisten auch.“ So ging es noch ein kleines Weilchen hin und her, bis sie die Dunkelheit nach Hause schickte. Unter der Bank am Teich regte sich etwas. Ungesehen schlich sich nun eine winzige, grüne Gestalt aus dem Dorf in den Hochwald.

Am nächsten Morgen waren alle Stuben gefegt, das Holz gehackt und der Hühnerstall ausgemistet. Ui, da staunten die Zwölf. Wer mag das alles nur verrichtet haben? War es ein Puck oder ein Troll oder gar zwei? Irgendwer hat jedenfalls Hand angelegt und dafür wollten sie danken. Zum Abend stellten sie alle ein Schälchen Brei neben ihre Eingangstüren. Anderntags waren die Näpfe leer. So ging das alle Nächte, was die Zwölf sich abends wünschten, wurde wahr und ihr Leben wurde ein bisschen leichter.

Eines Tages im späten Herbst rauschte der Ostwind in den Wipfeln der Bäume ein stürmisches Winterlied. Die Grünlinge froren in ihrer Laubhütte und waren beunruhigt. „Ob sie uns aufnehmen werden“, fragte der älteste Gefährte in den Kreis der Grünlinge. „Schon immer war unser kleines Volk Wächter der Waldhäuser. Das können die Zwölf aber nicht wissen, weil ihr Dorf gerade erst zu einem Walddorf gewachsen ist. Wir haben aber keine Zeit, denn wenn der harte Frost kommt, brauchen wir ein warmes Lager. Aber ihr wisst, wir dürfen nicht selbst darum bitten.“ Der kleinste Grünling meinte: „Wir sollten die Bäume fragen, ob sie für uns sprechen. Die Alten hören auf sie.“

Die Zwölf wärmten sich gerade an einem Kartoffelfeuer und berieten sich, was vor dem Winter noch zu tun wäre. Hochnebel verdämmerte das Tageslicht und es sah so aus, als würden die Bäume schweben. Auf einmal erhob sich ein knorriger Gesang. Mysteriös, wie aus einer anderen Welt. Die Alten vernahmen erstaunt die Legende von den Grünlingen, die in der warmen Zeit die Waldbewohner beschützten. Im Winter aber, würden sie erfrieren, wenn man sie nicht ins warme Haus bittet. „Oh, rief der Zwölfte aufgeregt, „jetzt wissen wir endlich, wer uns auf so wundersame Weise geholfen hat. Natürlich werden wir sie zu uns nehmen, oder?“ Die Alten waren sich einig und riefen wie mit einer Stimme so laut sie konnten: „Grünlinge, kommt zu uns!“ Da zeigten sie sich. Und fortan beschützten sie einander, jeder zu seiner Zeit.

© Petra Elsner, 7. Januar 2024

Ich bekam zum Märchen auf Facebook ein paar Stimmen:

Reinhard Gundelach schrieb: „Wunderschönes Märchen. Danke! Erwärmte mich gerade.“

Karin Segura schrieb: „Das waren auch so meine Gedanken, Reinhard. Einander Herzenswärme schenken, gut dass die Grünlinge daran erinnern.“

Jana Weinert schrieb: „Ach, was bist Du für eine Liebe. So ein herzerwärmendes kleines Märchen hinzuzaubern. Dankeschön. Ich werde es gleich mal meiner greisen Mutter vorlesen.“

Barbara Liebrenz schrieb: „Wunderschön und so hoffnungsvoll voll Liebe.“

Iris Go schrieb: “Es ist ein zu Herzen gehendes wunderbares Märchen mit spürbarer Liebe.”

Karla Schmook schrieb: “…es ist ein wunderschönes Märchen, so aktuell und so positiv.”

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24 Tage im Advent

Das waren sie, die 24 bebilderten Tage im Advent 2023.
Allen Lesern von schorfheidewald.de wünsche ich mit dieser  Weihnachtsgeschichte eine besinnliche und friedliche Weihnacht
und eine stimmungsvolle Festzeit. 

Eure Petra

Das Wunderweiß

Der Wind pfiff um das dunkle Waldhaus. Karl schlug den Kragen hoch und warf sich missmutig den leeren Jutesack über die Schulter. Wie kann man nur am Heiligen Abend schlapp machen, dachte er grummelnd. Der Rentner war lange Jahre Chef der Weihnachtsmannzentrale gewesen und sprang inzwischen nur noch ein, wenn Not am Manne war. Doch das geschah neuerdings regelmäßig. Karl fühlte sich ausgenutzt. Sein Weihnachtsmannkostüm war ihm längst zu eng geworden und kniff unter der Winterjacke. Er stieg in sein Auto und steuerte die Zentrale an, um dort die Geschenke für seine Vertretungstour zu übernehmen.
Am Waldrand winkte ein gebeugter Mann und gab ihm zu verstehen, doch bitte anzuhalten. „Ist was geschehen?“ fragte Karl, als er hielt. „Verzeihung, können Sie mir den Weg nach Hause zeigen? Ich hab ihn leider vergessen.“ „Ach herrje“, antwortete Karl und öffnete die Beifahrertür: „Steigen Sie nur ein, ich bringe Sie.“ Er ahnte, dass der alte Mann aus dem Feierabendheim am Stadtrand kam und ihn die Weihnachtsstimmung in eine längst vergangene Zeit gerufen hatte, deren Spur sich aber im Nichts verlief. Ein Weilchen später hielt Karl vor dem Altenheim und zeigte auf das festlich erleuchtete Portal: „Könnte es hier sein?“. Der Alte nickte froh und ließ sich bis ans Haus begleiten. Als er sich von Karl verabschiedete, drückte er ihm eine winzige Schachtel in die Hand und verschwand im Haus. Der Rentner legte sie auf den Rücksitz und sputete sich, denn er war spät dran. Vor der Zentrale trat der neue Chef von einem Bein aufs andere: „Wo bleibst du denn, Karl?“ Der lud ruhig die Geschenke in den Jutesack, nahm den Adresszettel an sich und fuhr mit einem „Frohe Weihnachten noch!“ vom Hof der Zentrale.
Wo auch immer er an diesem Abend in seinem Weihnachtsmannkostüm erschien, freute man sich auf den Mann mit den Geschenken. Dennoch beschwerten sich auch einige: „Schnee hast du uns wieder nicht gebracht!“ „Der Klimawandel!“, antwortete er stets entschuldigend und dachte bei sich: Mach ich das Wetter? Aber einmal dieses herrliche Wunderweiß in die Heilige Nacht zu bringen, das wäre doch was. Nachdem er den letzten Auftritt hinter sich hatte, stieg er müde in sein Auto und erinnerte sich an die kleine Schachtel des Alten. Er fingerte nach ihr, bekam sie aber nicht zu fassen. Also stieg er noch einmal aus und holte die Schachtel vom Rücksitz. Sie sah ein wenig schmutzig und abgegriffen aus, aber Karl war dennoch neugierig, was sie verbarg. Den ganzen Abend hatte er Geschenke ausgetragen; an ihn hatte leider niemand gedacht.  Oder vielleicht doch? Er hob den Deckel an und fand darunter etwas Weißes, Stoffliches. Es leuchtete ganz magisch, und es sah aus, als würde es atmen. Vorsichtig zupfte Karl daran, und plötzlich entfaltete sich blitzschnell ein wehender Mantel, der in der Nacht hing. Ein weißer Weihnachtsmantel, dachte der Mann verwundert. Er zog ihn an und staunte. Dort, wo er stand, rieselte augenblicklich echter Schnee aus dem Gewand! Helle Freude stieg in Karl auf, der nun in die Nacht schlenderte, um der Stadt das strahlende Wunderweiß zu bringen.

©Petra Elsner

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24 Tage im Advent

Der Brezelzwerg war lange Zeit nur als weihnachtliche Textmarke gedacht. Doch heute bekommt er eine kleine Geschichte spendiert:

Die Zauberbrezel

In der Weihnachtsbäckerei hing über der Tür eine große Laugenbrezel in der ein Weihnachtszwerg stand und über das heilige Naschverbot vor dem Fest wachte. Die Versuchung war für alle Gesellen groß. Seit Wochen wuchsen Berge von Plätzchen, Stollen, Pfefferkuchen und Schokoladenherzen durch ihr handwerkliches Geschick. Und ein Duft hing in der der großen Backstube, der tagein, tagaus die Naschversuchung anstiftete. Es war wirklich schwer zu widerstehen. Aber wem das nicht gelang, den warf der Bäckermeister ohne Lohn aus seiner Anstellung. Das wusste der kleine Brezelzwerg. Als wieder einmal ein Nascher ertappt und auf die Straße geworfen wurde, regte sich Mitleid in ihm. Er überlegte, wie er den emsigen Gesellen beistehen könnte. Als die Nacht kam stieg er hinunter in die stille Backstube und rief alle Weihnachtszwerge zusammen: „Lasst uns Zauberbrezeln backen! Sie sollen den Gesellen helfen, das Naschverbot einzuhalten, damit keiner mehr vor dem Fest seinen Job verliert.“ Gesagt, getan. Die Zwerge buken herzhafte Brezeln, die winzig klein und unsichtbar waren und einfach schmolzen, wenn man sie auf die Zunge legte. Mit dem Schmelz war aller Appetit verschwunden. Anderntags sah der Brezelzwerg wie sich einer der Gesellen kaum noch beherrschen konnte. Er sprang ihm bei und drückte ihm eine Zauberbrezel in die Hand. „Leg sie auf die Zunge und dein Heißhunger wird verschwinden.“ Doch der Meister sah die Übergabe. „Zeig her, was hältst du in deiner Hand!“, schrie er und eilte herbei. Der Geselle zögerte, denn er spürte ja, dass er etwas in der Hand verbarg. Schließlich öffnete er sie und staunte ebenso wie der Meister. „Nichts? Willst du mich foppen?“ „Nein, nein, der Zwerg hat mir nur einen Morgengruß in die Hand gegeben,“ flunkerte er erleichtert. Als der Meister sich abkehrte, legte sich der Geselle die Zauberbrezel auf die Zunge und alles war gut. Fortan, brauchte es nur einen bittenden Blick hinauf zum Brezelzwerg, um eine helfende Zauberbrezel zu bekommen.

© Petra Elsner, am 20. Dezember 2023 geschrieben

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Creas Funkenspiel

Sie lag im Laub der Zeit. Wie lange wusste sie nicht. Doch jetzt kitzelte Sonnenlicht ihre grünen Haarspitzen – und da war noch etwas. Jemand hatte sie gerufen? Seit Jahren fragte niemand mehr nach Inspirationen, denn es herrschten Einfalt und strenge Gebote. Crea schob ihr wirres Haar aus der Stirn und erhob sich verschlafen aus den Knisterblättern: „Ist da einer, der das furchtlose Denken sucht? Das genüssliche Gedankenspiel, das aus dem Gleichklang ausschert, um Neues zu entdecken? Dann will ich aufstehen und dir zuhören.“ Crea suchte mit stechendem Blick nach dem Rufer, sah aber nichts. Sie wollte sich schon zurück in den Blätterteppich fallen lassen, da trat ein Mädchen mit dünner Stimme aus der Deckung einer dicken Eiche. „Ich suche die singende Lebensschönheit. Es muss sie einst gegeben haben, wo ist sie hin, weißt du das, wilde Crea?“ „Wieso nennst du mich ‚wild‘?“ „Weiß nicht, die Leute sprechen so von dir. Sie sagen noch anderes über dich, was ich mich nicht traue, auszusprechen.“ „Ach so, die Leute, die braven, fügsamen. Sie werden sich niemals aus der festen Umarmung des Gleichmaßes lösen. Nie können sie erleben, was für ein schönes Funkenspiel das ist. Aber ihr habt ja jetzt die Künstlichen, die für euch dichten und singen.“ „Ja, stöhnte das Mädchen, „alles ohne Seele, ohne Mitgefühl und vor allem ohne Überraschung.“ „Oho, da steht ein kluges Mädchen vor mir!“ Crea zwinkerte ihm zu und klopfte sich dabei die letzten Blätter aus dem Kleid. Dann hob sie drehend ihre Hände, und plötzlich tanzten Feuerfunken in der Luft. Das Mädchen staunte, und Crea sprach: „Man kann Inspiration nicht lernen. Es braucht einen berührenden Anstoß, und etwas wird in dir klingen. Was das ist, wirst du spüren, und dem musst du nachgehen, es pflegen, wie eine Zimmerpflanze. Crea drehte sich nun mit ausgestreckten Armen, und aus den Funken wurde ein Feuerkreis und schließlich eine Fontäne, aus der die Funken wie Tropfen zu Boden fielen. Einige trafen das Mädchen, das sich dabei seltsam offen fühlte, als würde es tiefer in die Welt blicken können. Das war der Moment, in dem Creas Spiel erlosch und sie zurück in den Blätterteppich sank. Das Mädchen ging auf einem anderen Weg nach Hause, und auf einmal trug es eine wundersame Idee mit sich.

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Niesel im Regenbogenlicht

Er sprang über den Feldweg und blieb ungesehen. Das war der Gestalt aus unzähligen Tröpfchen wichtig. Niesel war ein Wetterkobold, der nur erwachte, wenn es nieselte. Doch Niesel fühlte sich ungeliebt und manchmal gar verachtet. „Es ist Ostern und schon wieder dieser Niesel!“, hörte er die Wanderer murren. Da duckte er sich weg und fühlte sich schlaff und schmutzig. „Fiese Suppe!“, schimpfte ein anderer, und Niesel wurde noch grauer als er ohnehin schon war. Warum die Leute immer so eine schlechte Laune bekamen, wenn er es so fein regnen ließ. Er liebte seinen sanften Sprühregen, der das Leben vorsichtig betupft und streichelt, doch offenbar war der Tröpfchen-Kobold ganz allein mit dieser Freude. Eines Tages ergab es sich, dass durch die Wolkendecke ein Windstoß fuhr und aus dem Grau ein Sonnenstrahl stach, der just den Niesel auf der Wiese traf und all seine Tröpfchen in Regenbogenfarben zum Leuchten brachte. Und wie der da so stand in all diesen Farben, wurde er gesehen, und wirklich jeder bemerkte auf einmal, wie schön der Niesel war. Das geschah nur ein einziges Mal, doch seither wissen jene, die diesen Zauber erlebt hatten; der Niesel kann leuchten, wenn ein Licht auf ihn fällt.

© Petra Elsner

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Die Wolkenflüsterer

Die Wolkenflüsterer

Im Dunkel der Zeit, weit hinter den Sternen der Milchstraße, liegt ein Land im Nirgendwo. Es ist ein heller, friedlicher Ort. Hier singen die Stimmen jener, die die Erde verlassen haben, das erlösende Lied. Auf Ewigkeit. Nur die Wolkenflüsterer kennen den Weg dorthin. Das wusste Lilly vom Vater, der ihr auch sagte, wenn sie der Mutter etwas übermitteln wolle, sollte sie es den Wolkenflüsterern erzählen. Sie würden die Nachricht zu ihr tragen. Aber die Wolkenflüsterer schwiegen. Vielleicht war ihre Stimme nicht laut genug, deshalb stieg Lilly hinauf auf das Flachdach des Mietshauses. Es war ein grauer Regentag, man glaubte die Wolken mit der Hand greifen zu können. Da stand sie nun und rief so laut sie konnte: „Wolkenflüsterer! Ich habe eine Nachricht für meine Mutter im Land hinter den Sternen der Milchstraße, sie fehlt mir so. Sie soll nach Hause kommen!“
„Ist nicht das richtige Wetter“, raunte eine Stimme hinter ihrem Rücken. Auf der Sonnenbank des Dachgartens hockte ein alter Mann im Regencape und rauchte Pfeife.
Lilly ging neugierig auf ihn zu: „Wie meinst du das? Es ist doch wolkengrau, soweit der Himmel reicht.“
„Eben. Kein Wolkenzug. Nur in denen verstecken sich die Wolkenflüsterer. Komm wieder, wenn die Haufenwolken bei Schönwetter ziehen.“
„Ach, ich glaube, es gibt sie gar nicht – die Wolkenflüsterer,“ murmelte Lilly und hockte sich neben den alten Mann. „Wolken fliegen doch nicht durchs All ins Land hinter den Sternen der Milchstraße. Sie umkreisen nur unsere Erde.“
Der Mann nickte bedächtig: „Das stimmt schon, aber sie sind ja keine Wolken, sie sind ihnen nur ähnlich, die weißen Wünschesammler. Es ist ihr Flüstern, das durch Raum und Zeit dringt.“
„Meinst du wirklich?“
„Ganz sicher. Nichts geht verloren im Universum, sofern es nicht von Schwarzen Löchern geschluckt wird.“
Lilly schwieg ein Weilchen, dann fragte sie: „Hast du schon mal einen Wolkenflüsterer gesehen?“
„Oh, ja, so einige. Sie wirken zwar bedrohlich, aber sie sind ganz friedliche Giganten. Du musst allerdings wissen, dass sie nur Nachrichten mitnehmen, die auch erfüllt werden können. Das musst du bedenken, kleines Mädchen.“ Mit diesen Worten erhob sich der Mann und verließ den Dachgarten.

Oh, das ist schwer, dachte Lilly: ‚Nachrichten ‚die auch erfüllt werden können‘. Sie wusste ja schon, Verstorbene können nicht zurückkehren. Sie haben ihren Körper wie ein Kleid abgelegt, nur ihre Seele schwingt weiter. ‚Fern von uns oder auch in unseren Herzen‘, hatte der Vater gesagt. Lilly überlegte tagelang, wie sie ihren Wunsch formulieren müsste, damit die Wolkenflüsterer ihn erhören würden. Das war nicht einfach, denn sie musste dafür annehmen, dass die Mutter nicht wiederkehren würde. Doch bei diesem Gedanken musste Lilly weinen. Sie stieg wieder hinauf zum Dachgarten. Das Wetter trug diesmal Sonnenglanz, und weiße Wolkenberge durchkreuzten den blauen Himmel. Die Sonnenbank war leer. Ein leichter, warmer Wind trocknete ihre Tränen. Doch auf einmal hielt Lilly den Atem an: zwischen den Wolkenbergen entdeckte sie einen Wolkenflüsterer. Sie stand auf und winkte ihm: „Hi, du guter Wünschesammler. Bitte trage einen Gruß zu meiner Mutter. Sie wird immer in meinen Herzen bleiben. Aber ich wünschte, ich hätte mehr Lebensmut.“ Der Wolkenflüsterer drehte ganz gemächlich sein weißes, wolkiges Haupt zu ihr und nickte. Als die Sonne schon tief stand, fegte eine jähe Böe einen kleinen Rosenstrauch vor Lillys Füße. Es war so eine schöne rosa Sorte, wie sie die Mutter liebte. Ihr Duft ließ Lilly endlich lächeln. Sie pflanzte ihre Mutterrose in den Dachgarten, und die Blüten schenkten ihr fortan Trost.

© Text & Zeichnung: Petra Elsner
 

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Der Bessere

Mein kürzestes Märchen:

Der Bessere saß auf einem Thron aus Lorbeerblättern. Er hatte sich hübsch glattrasiert und mit Leuchtfarben bemalt. Er strahlte förmlich selbstverliebt, als er herab auf seine aschfahlen Boten sah. Sie blickten mit müden Augen und borstigen Hängewangen zu ihm auf. Einer aber wagte sich, ein Lorbeerblatt aus dem Tron zu zupfen, womit das ganze Herrschaftsmöbel ins Rutschen kam…

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Das Klausur-Ende

Zum Abschluss meiner Winterklausur 2023 entstand auch dieses Jahr ein handgefertigtes Künstlerheft im A5-Format. Die Novelle umfasst 40 Seiten und sucht nach der wenig wahrgenommenen Entwicklungsgeschichte vieler Menschen nach der Wende in Ostdeutschland. Im Westen glaubte man damals, die besondere Spezies der Ostdeutschen würde rasch assimilieren, doch es entstand mit der Zeit eine neue Selbstgewissheit. Auf literarische Weise, nicht als realer Bericht, stöbert die Geschichte einige Gründe auf.

Die handgebundene Novelle „ZEITSCHATTEN oder Die verschwundene Geschichte“ kann in meinem Atelier für 10 € erworben werden, bei Bestellung über Mail (petraelsner@gmx.de) zzgl. Porto.

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