Kann man drauf Anstoßen! Nach schlapp vier Wochen ist meine Niederschrift “Morgenstill” mit offenem Ende abgeschlossen. Wie in den letzten Jahren zum Klausur-Schluss gibt es nun das nächste hangefertigte Künstler-Heft. 36 Seiten nicht ganz leichte Kost. A5-Format, illustriert. Das Heft im schönen Naturpapier ist für 10 € zzgl. Versand nur bei mir zu haben. Bestellung bitte via Mail unter: elsner@schorfheidewald.de mit Angaben zu Deiner/Ihrer Adresse.
Wovon handelt dieser szenische Altersmonolog? Vom Spüren des Alters, von dessen Zorn und dessen Milde, von der inneren Einkehr und der wachsenden Gelassenheit, die doch allenthalben vom Schmerz durchbrochen wird. Es ist der Versuch, sich einzulassen auf das Altwerden, den schwindenden Atem und den alltäglichen Verlusten. Es ist eine leise, melancholische Niederschrift, von außen nach innen, im Schatten der Ruhe.
Die dritte Woche ist ins Land gegangen, ich bin auf Seite 20 angelangt. Gestern habe ich das Konzept zu „Morgenstill“ erweitert. Als mir meine Freundin Ines, nach dem Korrekturlesen der zweiten Wochenarbeit schrieb: „Ich gebe zu: ich hab mir beim Lesen ein Glas Sekt eingeschenkt, um meine Stimmung nicht allzu trübe werden zu lassen…“ Hm, das war dafür der Stein des Anstoßes, denn selbst wenn die Niederschrift vom Älterwerden sehr beladen daherkommt, soll sie einen doch nicht in die Tiefe reißen. Nur kann ich es nicht leichter machen als es ist, aber ich kann etwas Aufbauendes dazusetzen. Lyrik und ein Altersmärchen zum Beispiel wie das „Das versteckte Dorf“. Ich hoffe, so wird es verdaulicher, denn Ines schrieb ja auch: „Deine Geschichte geht mir sehr nahe. Schreib weiter. Das ist toll was du machst. Deine Aufzeichnungen stimmen nachdenklich, entsetzt, traurig, lassen einen zur Flasche greifen – aber vor allem ‚fordern‘ sie auf, über sich selbst nachzudenken, sich selbst ehrlicher zu reflektieren, abzuwägen zwischen der eigenen Geschichte und deren Tragik und den (Lebens)Geschichte all der Anderen, die einem lieb und ans Herz gewachsen sind. Empathie ist das Zauberwort. Ein Begriff, der langsam ausstirbt. Ich bewundere Dich für die Gabe, dass du Deine Geschichte zu Papier bringen kannst…“ Sie macht das auch gut, die Ines: Ein Wink mit der Zaunlatte und aufbauende Ermutigung hinterher. Ich mach dann mal weiter…😊
Dieses tagelange Regengrau macht dämmrig. Seit fünf Tagen lese, schreibe und zeichne ich. Von allem kleine Portionen, weil‘s schläfrig macht – dieses Tröpfchengrau. Gestern hat mich eine Ami-Krake angezapft. Man konnte auf dem Dashboard (Arbeitsfläche des Blogs) regelrecht zusehen, wie im Sekundentakt Unmengen von Seiten unter amerikanischer Flagge angeklickt wurden (Siehe Statistik unten). KI! Für gewöhnlich besuchen meinen Blog am Tage etwa 400 Leute, davon vielleicht 50 immer den jüngsten Beitrag. Den KI-Klau kann ich ja eh nicht verhindern, aber einen literarischen Stoff, an dem ich vielleicht nächsten Winter noch schreiben könnte (mein Altersmonolog schreibt sich nicht leichtfüßig…), den sollte ich wohl nicht mehr halbfertig in die virtuelle Welt werfen. Wenn eine Maschine einfach klaut, wie soll ich noch Herr meiner Ideen sein? Also beweisen können, dass es meine sind? Adé Urheberrechte!
Bestimmt gebe ich das Klausurergebnis 2024 wieder als handgefertigtes Künstler-Heft heraus, vielleicht dann mit Fortsetzungen im nächsten Jahr. Dass muss ich noch bedenken. Den Anfang von „Morgenstill“ hatte ich ja schon im September unter einer Morgenstunde gepostet, der also ist in der Welt, aber die neuerlichen Seiten werde ich hier nicht veröffentlichen, solange der Text nicht fix und fertig ist. Ach, ich fühle mich geplündert. Der Blog war und ist für mich eine Möglichkeit, mein Schaffen unter die Leute zu bringen. Wirtschaftliche Grenzen zu überspringen, denn was nützt die schönste Geschichte, wenn man sie nicht zu lesen bekommt? Die Kleinstauflagen bringen es nicht. Ich schreibe ja nicht für die Nachwelt, sondern für mich und Dich und Dich da draußen in der Welt. Bin einigermaßen ratlos…
Das Aufhängen und Ausrichten der 49 Bilder in der VB brauchte zwei Tage, das Abhängen und Verpacken nur anderthalb Stunden. Der Liebste hat mir die meisten Wege abgenommen, denn ich hatte mal wieder einen wirklich klapprigen Tag. Zuhause gings weiter: Auspacken, die großen Bilder hinauf auf die Empore, die Kisten mit den kleinen ins Atelier. Dort herrscht kurzweilig Chaos. Eine Wand ist abends fertig behängt, die anderen zwei kommen heute dran. Damit ist der Ausflug dieser Bilder Geschichte. Abends haben wir das eine verkaufte Bild zu S. gebracht und den Akt mit zwei Schoppen Weißen besiegelt. Sehr angenehm. Die anderen Ansagen, die währen der Vernissage fielen, haben sich zerstreut, warum auch immer. Mancher braucht bei solchen Anlässen seinen Auftritt. Ein nicht so schönes Spiel mit den Erwartungen, aber sowas überrascht mich nicht mehr. Es gab in einigen Berliner Ausstellungen Leute, die Rote Punkte (ein Kaufversprechen) auf die am meisten besprochenen Arbeiten kleben ließen und sich dort nie wieder gesehen wurden – ein arges Spiel, weil es natürlich andere Möglichkeiten blockierte. Meide die lauten Selbstdarsteller! Die Woche hatten wir Krauses mal wieder im Dorf, die ihre alten Bindungen pflegten. Bei uns waren sie auch, und ich erzählte vom Beginn meines Altersmonologs, den ich nicht veröffentlichen wollte. Edeltraut fand, gerade solche offenen Texte, die die Hiebe des Lebens nicht aussparen, möchte sie lesen. Ich werde also nochmal darüber nachdenken und Euch eine Leseprobe hier servieren. Was meint Ihr, ist das zu heftig?
Morgenstill – ein Altersmonolog
Über dem Schnee ein Blinzeln. Sie schaut wieder nach mir, dachte Anne, während sie vorsichtig ihre Schritte zum Briefkasten auf den verharschten Schnee setzte. Vierzig Jahre lang ist sie nur noch ein Licht irgendwo in manchen Tagen. Vielleicht ist dieses leuchtende Zwinkern der späte Trost für den frühen Verlust, sinnierte Anne schon am Morgen. Nachts schickte der Traum sie abermals auf die Suche nach ihr, der lebensschönen Mutter. Ein Verwirrspiel. Welche Tür schleppte sie da traumschwer mit sich? Wohin gehörte sie, und weshalb konnte sie sie nicht einfach abstellen und weg- oder hindurchgehen? Seltsam. Wer bitte geht schon mit einer Tür spazieren – in einer zeitlosen Stimmung? Rolltreppen rauf und runter. Hinein in einen überfüllten Zug, eine Bahnstation lang, dabei verschnaufen. Dann wieder hinaus mit der Tür über Brücken, Plätze und Treppen hinauf auf einen Turm. Einen brüchigen mit morschen Stufen. Oben knattert eine Flagge im Wind. Anne schleppt sich durch abgehetzte Traumwege, als wäre sie auf der Flucht zwischen Himmel und Erde. Analog. Im wirklichen Leben würde sie so einen Turm nicht mehr erklimmen können. Atemnot. Das machte sie nicht traurig, die Berge waren ihr nie so wichtig wie das Meer. Also dachte sie trotzig: Wenn du nicht auf den Berg raufkommst, dann geh‘ nicht hin. Nur irgendwann sind es nicht nur die Berge. Sie spürte inzwischen deutlich, wie sie zurückblieb. Fern der Zeit der anderen. Dann erst kommt die wahre Stille. Sie nahm die Zeitung aus dem Briefkasten, dabei zog ihr Blick einen Halbkreis über die Dorfstraße. Niemand in Sicht. Nur die drei Raben im Birkenwipfel trotzten stumm der Kältestarre. Anne schlich zurück ins Haus zu ihrem Morgenkaffee. Die Zeitung riecht nach Schnee, dachte sie, während sie das Blatt aufschlug. Markiger Einheitsbrei, grummelte sie beim Überfliegen der Headlines. Überall diese Angstmache: „Schneewalze droht!“; „Gefährliche Wetterwoche!“; „Unwetterartiger Schneefall!“; „Polarwirbel schickt extreme Kälte!“ „Meine Güte, es ist Winter, da kommt sowas vor“, murmelte Anne, bevor sie am Kaffee nippte. Diese mediale Panikmache ist destabilisierend. Gesellschaftlich und gesundheitlich. Sie hatte sich schon vor einer ganzen Weile von dem lauten Getöse der Anderen zurückgezogen. Das war leicht, wegen der Corona-Lockdowns. Aber später, als alle wieder das Leben feierten, wurde es schwerer, sich den Leuten komplett zu entziehen. Jenen, die stets und ständig etwas von ihr verlangten und undankbar nach ihrer Lebenszeit griffen. Eher aus Notwehr, doch mit schlechtem Gewissen ging sie auf diesen Rückzug und erntete dafür sehr viel Unverständnis. Doch sie hatte keine Energie mehr zu verteilen. Mit der Zeit begriff Anne, dass diese schwierige Abkehr sie heilte. Von innen. Nur die wenigen, denen sie wirklich etwas bedeutete, klopften zaghaft an die Tür oder schrieben ihr eine Postkarte. Absichtslose Zuneigung. Für diese Menschen blieb sie offen und in einem leisen Gespräch bei einer Kanne Tee. In ihrem 69. Lebensjahr trug Anne schwer an den Spuren ihrer Vergänglichkeit. Bisher hatte sie geschrieben und gezeichnet, als gäbe es kein Morgen. Jetzt spürte sie die Schmerzen ihrer Pergamenthaut, die die Medikamente als Nebenwirkung bescherten. Und auch diese gnadenlose Muskelschwäche. Ihr Körper – ein wüstes Land, ihre Seele – dunkelschön. Anne spielte nun auch sprachlich mit dem Dunkel: Dunkelstrom, Dunkelland, Dunkelzeit. Koketterie? Nein, nein, sie hatte in ihren Bildern schon immer den Tod in leuchtenden Farben kommen lassen. Sozusagen verkleidet. Anne wollte das Schweigen brechen und die Versuchung anstiften, sich mit ihm auseinanderzusetzen, damit er einen nicht mehr überrollen kann. Ihr hatte es den Boden entzogen, damals, als die Mutter starb. Das Schneeblinzeln war tröstlich an diesem Morgen. Anne legte die Zeitung beiseite und dachte, die werde ich abbestellen. Wer braucht schon Hofberichte und das zusammengekehrte Elend dieser Welt? Keiner. Seit der Corona-Krise wird dieses furchtsame Unterhaken gegen den Diskurs immer deutlicher. Aber dieses Gleichschalten höhlt die Demokratie aus. Sie hatte nur noch wenig Zeit und zu wenig Energie und begann den schmalen Rest von beidem zu beschützen. Die Frau umarmte nicht mehr das ganze Leben, mit seinen Bindungen und Fallstricken, um es zu verbessern. Sie ließ die Leinen los; und siehe da, es wurde still, unheimlich still. Erst beklemmend, dann entspannend. Denn Anne hatte nicht schon wieder für ein bisschen Wertschätzung ihre Energie verschleudert. Sie wohnte noch in ihr und es schien, als würde aus der Abstandsuche etwas anderes wachsen: Liebe…
Stimmen von Facebook:
Petra Wolf
Liebe Petra, bitte mehr davon! Dein Altersmono log spricht mir so aus der Seele, nur leider finde ich nicht diese wunderbaren Worte. Das ist keineswegs zu heftig, auch wenn es ganz schön an die Substanz geht. Aber du beschreibst das Lebensgefühl vieler Menschen unserer Generation, bei denen die Kräfte nachlassen. Mir geht es gerade ähnlich. Übrigens auch die Situation beim morgendlichen Zeitungskaffee. Früher ein beliebtes, unverzichtbares Ritual, heute eher enttäuschend und verzichtbar. Liebe Grüße zu dir
Antwort: Liebe Petra W., oh, ich danke Dir so sehr für Deinen Zuspruch. Ich denke ja auch, dass wir eine Generation sind, die anders altert als ihre Vorgänger, vielleicht ist es deshalb wichtig sich gegenseitig zu ermutigen. Es scheint mir, als verlange die Gesellschaft zusehens: Schön, fit bis an die Bahre… Liebe Grüße
Die erste Seite zu meinem Altersmonolog ist geschrieben und deshalb gab es gestern diese „heilige“ Handlung: Den Lesemappenbau. „Morgenstill“ wird eine verdichtete Selbstvergewisserung, aus der, wenn überhaupt, ich hier nur mal ab und zu eine Passage zeigen werde. Ich weiß noch nicht, wo es mich hinführt, spüre aber, es tut mir gut. Die Wortfindung in der Geschichtenwerkstatt – ein Grund aufzustehen, egal, wie es mir gerade geht. Ich habe in meinem Leben fast ausschließlich zielführend gearbeitet, diesmal nicht. Ich versuche zu schlendern, denn es geht nicht mehr darum, noch ein Buch abzuliefern. „Morgenstill“ ist ein in Zeilen gepresstes Nachdenken über das, was mich gerade umtreibt, mehr nicht – eine Tagesverrichtung, wie Kochen oder Staubwischen…
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