Morgenstunde (859. Blog-Notat)

Das Aufhängen und Ausrichten der 49 Bilder in der VB brauchte zwei Tage, das Abhängen und Verpacken nur anderthalb Stunden. Der Liebste hat mir die meisten Wege abgenommen, denn ich hatte mal wieder einen wirklich klapprigen Tag. Zuhause gings weiter: Auspacken, die großen Bilder hinauf auf die Empore, die Kisten mit den kleinen ins Atelier. Dort herrscht kurzweilig Chaos. Eine Wand ist abends fertig behängt, die anderen zwei kommen heute dran. Damit ist der Ausflug dieser Bilder Geschichte. Abends haben wir das eine verkaufte Bild zu S. gebracht und den Akt mit zwei Schoppen Weißen besiegelt. Sehr angenehm. Die anderen Ansagen, die währen der Vernissage fielen, haben sich zerstreut, warum auch immer. Mancher braucht bei solchen Anlässen seinen Auftritt. Ein nicht so schönes Spiel mit den Erwartungen, aber sowas überrascht mich nicht mehr. Es gab in einigen Berliner Ausstellungen Leute, die Rote Punkte (ein Kaufversprechen) auf die am meisten besprochenen Arbeiten kleben ließen und sich dort nie wieder gesehen wurden – ein arges Spiel, weil es natürlich andere Möglichkeiten blockierte. Meide die lauten Selbstdarsteller!
Die Woche hatten wir Krauses mal wieder im Dorf, die ihre alten Bindungen pflegten. Bei uns waren sie auch, und ich erzählte vom Beginn meines Altersmonologs, den ich nicht veröffentlichen wollte. Edeltraut fand, gerade solche offenen Texte, die die Hiebe des Lebens nicht aussparen, möchte sie lesen. Ich werde also nochmal darüber nachdenken und Euch eine Leseprobe hier servieren. Was meint Ihr, ist das zu heftig?

Morgenstill – ein Altersmonolog

Über dem Schnee ein Blinzeln. Sie schaut wieder nach mir, dachte Anne, während sie vorsichtig ihre Schritte zum Briefkasten auf den verharschten Schnee setzte. Vierzig Jahre lang ist sie nur noch ein Licht irgendwo in manchen Tagen. Vielleicht ist dieses leuchtende Zwinkern der späte Trost für den frühen Verlust, sinnierte Anne schon am Morgen. Nachts schickte der Traum sie abermals auf die Suche nach ihr, der lebensschönen Mutter. Ein Verwirrspiel. Welche Tür schleppte sie da traumschwer mit sich? Wohin gehörte sie, und weshalb konnte sie sie nicht einfach abstellen und weg- oder hindurchgehen? Seltsam. Wer bitte geht schon mit einer Tür spazieren – in einer zeitlosen Stimmung? Rolltreppen rauf und runter. Hinein in einen überfüllten Zug, eine Bahnstation lang, dabei verschnaufen. Dann wieder hinaus mit der Tür über Brücken, Plätze und Treppen hinauf auf einen Turm. Einen brüchigen mit morschen Stufen. Oben knattert eine Flagge im Wind. Anne schleppt sich durch abgehetzte Traumwege, als wäre sie auf der Flucht zwischen Himmel und Erde. Analog. Im wirklichen Leben würde sie so einen Turm nicht mehr erklimmen können. Atemnot. Das machte sie nicht traurig, die Berge waren ihr nie so wichtig wie das Meer. Also dachte sie trotzig: Wenn du nicht auf den Berg raufkommst, dann geh‘ nicht hin. Nur irgendwann sind es nicht nur die Berge.
Sie spürte inzwischen deutlich, wie sie zurückblieb. Fern der Zeit der anderen. Dann erst kommt die wahre Stille.
Sie nahm die Zeitung aus dem Briefkasten, dabei zog ihr Blick einen Halbkreis über die Dorfstraße. Niemand in Sicht. Nur die drei Raben im Birkenwipfel trotzten stumm der Kältestarre. Anne schlich zurück ins Haus zu ihrem Morgenkaffee. Die Zeitung riecht nach Schnee, dachte sie, während sie das Blatt aufschlug. Markiger Einheitsbrei, grummelte sie beim Überfliegen der Headlines. Überall diese Angstmache: „Schneewalze droht!“; „Gefährliche Wetterwoche!“; „Unwetterartiger Schneefall!“; „Polarwirbel schickt extreme Kälte!“ „Meine Güte, es ist Winter, da kommt sowas vor“, murmelte Anne, bevor sie am Kaffee nippte. Diese mediale Panikmache ist destabilisierend. Gesellschaftlich und gesundheitlich. Sie hatte sich schon vor einer ganzen Weile von dem lauten Getöse der Anderen zurückgezogen. Das war leicht, wegen der Corona-Lockdowns. Aber später, als alle wieder das Leben feierten, wurde es schwerer, sich den Leuten komplett zu entziehen. Jenen, die stets und ständig etwas von ihr verlangten und undankbar nach ihrer Lebenszeit griffen. Eher aus Notwehr, doch mit schlechtem Gewissen ging sie auf diesen Rückzug und erntete dafür sehr viel Unverständnis. Doch sie hatte keine Energie mehr zu verteilen. Mit der Zeit begriff Anne, dass diese schwierige Abkehr sie heilte. Von innen. Nur die wenigen, denen sie wirklich etwas bedeutete, klopften zaghaft an die Tür oder schrieben ihr eine Postkarte. Absichtslose Zuneigung. Für diese Menschen blieb sie offen und in einem leisen Gespräch bei einer Kanne Tee. In ihrem 69. Lebensjahr trug Anne schwer an den Spuren ihrer Vergänglichkeit. Bisher hatte sie geschrieben und gezeichnet, als gäbe es kein Morgen. Jetzt spürte sie die Schmerzen ihrer Pergamenthaut, die die Medikamente als Nebenwirkung bescherten. Und auch diese gnadenlose Muskelschwäche. Ihr Körper – ein wüstes Land, ihre Seele – dunkelschön.
Anne spielte nun auch sprachlich mit dem Dunkel: Dunkelstrom, Dunkelland, Dunkelzeit. Koketterie? Nein, nein, sie hatte in ihren Bildern schon immer den Tod in leuchtenden Farben kommen lassen. Sozusagen verkleidet. Anne wollte das Schweigen brechen und die Versuchung anstiften, sich mit ihm auseinanderzusetzen, damit er einen nicht mehr überrollen kann. Ihr hatte es den Boden entzogen, damals, als die Mutter starb. Das Schneeblinzeln war tröstlich an diesem Morgen.
Anne legte die Zeitung beiseite und dachte, die werde ich abbestellen. Wer braucht schon Hofberichte und das zusammengekehrte Elend dieser Welt? Keiner. Seit der Corona-Krise wird dieses furchtsame Unterhaken gegen den Diskurs immer deutlicher. Aber dieses Gleichschalten höhlt die Demokratie aus. Sie hatte nur noch wenig Zeit und zu wenig Energie und begann den schmalen Rest von beidem zu beschützen. Die Frau umarmte nicht mehr das ganze Leben, mit seinen Bindungen und Fallstricken, um es zu verbessern. Sie ließ die Leinen los; und siehe da, es wurde still, unheimlich still. Erst beklemmend, dann entspannend. Denn Anne hatte nicht schon wieder für ein bisschen Wertschätzung ihre Energie verschleudert. Sie wohnte noch in ihr und es schien, als würde aus der Abstandsuche etwas anderes wachsen: Liebe…

Stimmen von Facebook:

Petra Wolf

Liebe Petra, bitte mehr davon! Dein Altersmono log spricht mir so aus der Seele, nur leider finde ich nicht diese wunderbaren Worte. Das ist keineswegs zu heftig, auch wenn es ganz schön an die Substanz geht. Aber du beschreibst das Lebensgefühl vieler Menschen unserer Generation, bei denen die Kräfte nachlassen. Mir geht es gerade ähnlich. Übrigens auch die Situation beim morgendlichen Zeitungskaffee. Früher ein beliebtes, unverzichtbares Ritual, heute eher enttäuschend und verzichtbar. Liebe Grüße zu dir

Antwort: Liebe Petra W., oh, ich danke Dir so sehr für Deinen Zuspruch. Ich denke ja auch, dass wir eine Generation sind, die anders altert als ihre Vorgänger, vielleicht ist es deshalb wichtig sich gegenseitig zu ermutigen. Es scheint mir, als verlange die Gesellschaft zusehens: Schön, fit bis an die Bahre… Liebe Grüße

Visits: 371

Die Heimkehr der Bilder

Bilderzimmer: Sagenillustrationen
Bilderzimmer mit Sagenillustrationen

Die Schätzchen sind wieder Zuhause. Gestern haben wir die lange Sommerausstellung im Gemeindezentrum von Groß Schönebeck abgehängt. Sie lief vom 21. Mai bis 26. September – eine lange Zeit. Das Wiedersehen ist ein bisschen so, als wenn die Kinder monatelang unterwegs waren, dann endlich sieht man sie wieder und freut sich – wie herrlich sie sind …

Bilderfahnen und Leinwände im ersten Raum.
Bilderfahnen und Leinwände im ersten Raum.

Visits: 844