Der Zeremonienmeister

Hinter den mittelalterlichen Steinen von Bernau bei Berlin:

Der Museums- und Brigantenchef Bernd Eccarius (Mitte).  Foto: Petra Elsner
Der Museums- und Brigantenchef Bernd Eccarius (Mitte).
Foto: Petra Elsner

Schatz- und Sinnsucher sollte ein Museums-Chef schon sein, aber Degen- und Schwertkämpfer nicht zwingend. Nur für Bernau war und ist dieses Zusammenspiel eine besondere Fügung. Und so beherbergt die Stadt im Steintor nicht nur das weltweit einzigartige „Hussitenmuseum“, sondern auch diesen unikaten Zeremonienmeister dazu: Bernd Eccariuns. Naturgemäß ist ein Museumsleiter auch Sammler, „versucht Lücken zu schließen, nimmt Sachen auf. Aber die größte Entdeckung in meinem Leben waren meine Kinder für mich. Und der größte private Fund war meine jetzige Ehefrau. Dass man so etwas noch einmal findet – einen Einklang – hätte ich nicht gedacht“, gesteht er, immer noch überrascht. Beruflich – im Museum war der Fundus selbst seine große Entdeckung: „Ich kannte das Museum lange nur von außen. Als ich das erste Mal im Steintor war, staunte ich wie groß es ist, und wunderte mich über diese Sammlung, dass es solche Stücke wie diese Rüstungssammlung in Bernau gibt.“
Der Historiker kannte sich damals schon gut mit Rüstungen aus und wusste sogleich: „Das es so etwas anderswo nicht gibt, nur als Nachbildungen.“ Aber Bernau hat die Originale. 1989 wurde Bernd Eccarius hier Museumschef. Was wohl so kommen musste, denn schon während seines Leipziger Studiums, wurde er in seiner ersten Prüfung nach der Geschichte der Hussiten befragt. Eine Dreiviertelstunde lang, aber nie und nimmer hätte er gedacht, dass es mal Thema seiner Arbeit sein würde. Und wie Eccarius dieses historische Zeitenbündel präsentiert – spielerisch und schrankenlos, berührend, mit Esprit und zugleich kraftvoll, das kommt auch nicht von ungefähr, denn in dem Manne mischen sich die gepflegten Talente zu einem schmackhaften Cocktail.
Als Schüler, während seiner Berufsausbildung mit Abitur in Jüterborg, spielte er im Arbeitertheater und im Kabarett. Seine Lust daran kommentiert er jetzt so: „Witz heißt ja, sich geistreich mit einer Sache auseinander zu setzen und auf den Punkt zu bringen.“ Diese Denke hat den Mann begeistert. Er lernte damals Zootechniker, weil der Vater wollte, dass er Tierarzt wird. Aber der gebürtige Bad Freienwalder trat das Tierarztstudium nicht an, ging sogar drei Jahre zur Armee, um so dem Delegierungsverhältnis zu entkommen. Er suchte eigene Wege. Aber während dieser Lehrausbildung hatte er bei Schlossereiarbeiten erstmalig Eisen in der Hand. Von daher stammt sein u.a. handwerkliches Können, ein Schwert zu schmieden. Es zu führen lang auch am Weg zwischen Theater und sportlichen Versuchen. Aber das geschichtliche Interesse war in ihm schon viel früher erweckt: „Mein zweiter Geschichtslehrer war mein erster Judotrainer“, erzählt Eccarius den Teil des roten Fadens, der sich für ihn bis ins Heute spinnt. „Der erste war Jäger. Er hat uns Geschichte in der Natur gezeigt. Steinformation, Hünengräber usw.“ Da war es passiert, „Wau, man läuft übern Acker und findet eine Steinaxt … nicht sonst wo, sondern bei uns um die Ecke. Das sind Schlüsselerlebnisse für den Beginn einer Leidenschaft.“
Es waren die negativen kindlichen Erlebnisse in Museen –  „wo man nichts anfassen durfte und nur stumm zuhören musste“, die ihn Historiker werden ließen. Denn er wollte es anders. „Aber wie macht man Geschichte schmackhaft?“ Das ist sein Thema, und indem kommt der Mann ins Plaudern und erzählt etwas aus der Geschichte des Kaffees. Von einem Kaffeehändler, der die erste Caféstube in Wien eröffnet und beinahe pleite ging, weil niemand das bittere Getränk wollte. „Seine Haushälterin fragte nach dem Warum und meinte schließlich, wenn er nicht schmeckt, muss man ihn schmackhaft machen, etwas hinzutun, was die Leute haben wollen. Gegen die Krümel gibt es das Filtern. Gegen das Bittere nimmt man Honig oder Süßstoff und gibt Sahne hinzu. Damit war die Wiener Melange entstanden, die ihren Siegeszug durch ganz Europa nahm. Und genau so ist es auch mit der Wissensvermittlung. Man muss es den Kindern servieren, wie es ihnen schmeckt.“ Sagt es und lächelt. Schmackhaft machen – das ganze Geheimnis des Zeremonienmeisters, der als Markenzeichen fast immer Basecap trägt.
In bis zu drei Führungen am Tag bietet der Museumschef  Spannendes, Spielerisches und dabei immer etwas zum Mitmachen an. Zu 90 Prozent hängen die Kinder nach zehn Minuten an seinen Lippen, und mancher will dann später mit den Eltern wiederkommen – mehr geht wohl nicht.
Oder doch? Die Außenwirkung des Brigantenlagers während des alljährlichen Bernauer Hussitenfestes ist schon enorm. Eine kraftvolle Komposition zur mittelalterlichen Geschichte mit hohem Erlebniswert. Der Brigantenchef Eccarius immer voran. Das Spielerische hat er in seiner Leipziger Zeit bei den Kaskadeuren gelernt. In Musketierszenen. 1992, als die Hussitenfestspiele wiederbelebt werden sollten, war er mit seinem Sohn in einer Kampfsportgruppe in Wandlitz zugange und fragte einfach ringsherum: „Wollt ihr Fechten lernen?“  Breite Schwerter aus Baustahl entstanden dafür. „Das konnte man auch besser machen, alte, tschechische Kumpels halfen. Eccarius besuchte Seminare, lernte dazu, probierte das historische Fechten, darüber entstand das Bernauer Schwertkämpfertreffen, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Steintor mit Hungerturm in Bernau bei Berlin zum Hussitenfest. Foto: Petra Elsner
Steintor mit Hungerturm in Bernau bei Berlin zum Hussitenfest.
Foto: Petra Elsner

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Das Geheimnis des Wiesenlandes

Ein Umweltmärchen:

In der Stadt Airless lebten blass-blaue Menschen. Über ihren gigantischen Glashäusern spannte sich ein gelber Himmel, in den niemals ein Vogel aufstieg. Alles umher war ohne wirkliches Leben, nur – die Städter wussten es nicht.
Lacky raste unter einen der regenbogenfarbenen Synthetik-Bäume. Eben kickte ihr der Smogmesser am Handgelenk “Atemphase! Achtung! Atemphase!” zu. Wer sich in Airless draußen aufhielt, musste allenthalben Sauerstoff tanken, sonst wurde demjenigen schlecht, und wenig später wuchsen ihm überall eklige, gelbe Beulen. Darauf war niemand sonderlich scharf. Das Mädchen mit den roten Plastiklocken lehnte sich an den Baum, aus dem Luft düste und atmete tief. Wie Windduschen, dachte Lacky. Doch schon signalisierte ihr der Smogmesser: “Ende der Intensivphase! Ende!”, und Lacky zog die Nase aus dem Windkanal.
Sie spähte über den weiten Platz vor ihr. Eine Menge Regenbogenbäume standen dort, der Ort jedoch gähnte menschenleer. Lacky lauschte in die Stille. Sie liebte es, besonders während der staatlich verordneten Tele-Kommunikations-Zeiten, draußen herumzutollen. Meist bekam sie deswegen Ärger. Wenn schon. Festsitzen, wie ihre fernsehgelähmten Eltern, konnte sie einfach nicht. In Airless musste niemand mehr seine Wohnung verlassen. Alle Arbeiten verrichteten Computersysteme. Auch Schulen gab es nicht mehr. Stattdessen: einsame Lehrstunden am Fernsehgerät. Mahlzeiten wählten sich die Wolkenkratzerbewohner aus Automaten-schächten, und um Bekannte zu kontaktieren, benutzte man digitale Systeme. So lebten die Menschen dieser Stadt still und leer. Es gab nichts mehr für sie zu tun. Lacky saß noch, als sich ein alter Mann im flimmernden Mittagsdunst schwerfällig über den Platz schleppte. Plötzlich taumelte er und brach zusammen. Das Kind sprang erschrocken auf und lief so schnell es konnte zu ihm. “Was ist Ihnen?”, stupste Lacky den Alten vorsichtig an. Der Mann japste nur. “Haben Sie Ihre Atempause vergessen?” Das Mädchen blicken zwei müde Augen an: “Atempause?” hechelte der Mann. “Was für eine Atempause? Ich atme immer, ohne Pause.” “Sind Sie nicht aus Airless”, forschte das Kind weiter. “Nein”, brummte der Alte. Jetzt wurde Lacky nervös. “Kommen Sie. Stehen Sie auf! Wir müssen unbedingt unter einen Baum, sonst werden Sie sehr krank.”
“Ich habe keinen Baum gesehen”, blubberte der Mann schroff und röchelte schlimm. Dann hievte er sich auf, und ließ sich von dem Mädchen unter einen Regenbogenbaum schieben. Im Luftstrom wurde es dem Mann besser. “Soweit ist es also mit euch gekommen, dass ihr kitschig-bunte Sauerstoffapparate ‘Bäume’ nennt”, grummelte er kopfschüttelnd. Lacky betrachtete staunend den Mann. Sein Gesicht kam dem Mädchen ausgesprochen merkwürdig vor. Nicht, weil es alt und faltig war. Nein, dass Rosé darin war ungewöhnlich und die kurzen, weichen Fusseln auf seinem Kopf. Sehr seltsam. “Fixier’ mich nicht, als wäre ich ein Weltwunder. Ich bin nur Karl, ein altgewordener Wiesenmensch. Vor vielen Jahren habe ich auch in dieser Stadt gelebt. Als es hier noch echte Bäume gab. Die Luft war damals schon übel, deshalb zog ich fort”, knirschte der Mann.
“Ein Wiesenmensch? Echte Bäume?”, stammelte Lacky verdattert.
“Ach herrjemine”, stöhnte Karl. “Du weißt wohl nichts von natürlichen Dingen, was?” “Natürliche Dinge? Natürlich, weiß ich davon!”, platzte es schulschlau aus dem Mädchen. “Natürliche Dinge sind etwas Kreuzgefährliches. Wir haben alle bekämpft. Die letzte große Schlacht soll gegen die Bäume geführt worden sein. Da war ich noch nicht geboren. Von denen kamen die Pollenwinde, verheerender als die schlimmsten Neujahrsstürme. Die Menschen sollen davon reihenweise entsetzliche Allegieren bekommen haben. Manche sind daran gestorben. Das ist jetzt vorbei.”
“Aha, das habt ihr also geglaubt”, murmelte Karl dunkel und wurde ungewollt heftiger: “Und darüber seid ihr alle Blauhäutige geworden! Die Natur schickt den Menschen ein Zeichen, auf das sie achtgeben auf ihre geschundene Umwelt. Anstatt zu verstehen, bekämpften sie lieber die Zeichensender. Selbst wenn euch die Haare ausgehen, denkt ihr nicht darüber nach. Ihr setzt euch halt nette Perücken auf. Weißt du nicht, Menschen sind nur ein Teil der Natur? Ein Teil vom Ganzen, nicht das Ganze. Merkst du nicht, dass hier etwas fehlt? Das Land aus dem ich komme, ist wieder saftig grün und duftet von allein.
Ja, und die Menschen, die es gesund pflegten sind voller Kraft und milder Güte.” Das Mädchen starrte gebannt auf den Fremden. Solche Worte hatte es noch nie gehört. Doch der Alte schloss jäh: “Ach, was soll’s? Ich will dich nicht weiter verwirren. Du wirst nur Ärger bekommen, wenn du zu viel weißt.” Sodann raffte er sich mit bitterer Miene und ging grußlos. Zu oft schon versuchte Karl die Airlesser für die heilenden Naturkräfte zu interessieren. Vergebens. Lacky zögerte, dann rief sie ihm lauthals hinterher: “Was ist denn Natur? Und wo leben diese Wiesenmenschen?” Aber der Alte drehte sich nicht mehr um.
Zuhause saßen die Eltern festgenagelt vor dem Fernseher als Lacky fragte: “Was ist eigentlich außerhalb der Stadt?”
“Ein Unort, wüstes Gebiet”, antwortete der Vater, ohne den Blick von der Mattscheibe zu nehmen.
“Heißt es Wiesenland? Und duftet es von selbst”, bohrte Lacky.
Die Eltern blickten entsetzt auf. “Wer hat dir so einen Unsinn erzählt?”, fuhr der Vater hoch.
“Ein alter Mann auf dem Platz”, erwiderte Lacky ruhig.
“Diese grünen Spinner können es nicht lassen, unsere Kinder aufzuhetzen”, erregte sich der Vater.
“Alles Lüge, Kind, es gibt keine gesunde Natur mehr. Was sich vor der Stadt noch findet, ist bedrohlich für den Menschen geworden!”
Lacky stocherte beharrlich: “Warst schon einmal dort?”
“Nein. Die Stadtverwaltung hat davon abgeraten.” Womit der Vater nicht weiter darüber sprechen wollte. Das Mädchen fühlte sich allein mit seinen Fragen, und so hallten die Worte des Wiesenmenschens in ihm nach. Die Neugier zwickte und zwackte es. Wie mag es dort aussehen? Ob es dort schöner als hier ist? Wie riecht Grün? Bei Anbruch der Dunkelheit schlich sich Lacky unbemerkt davon. Sie lief durch gespenstische Schluchten, die monströse Schatten warfen. Kein Laut, nur das Klacken ihrer flinken Schritte. Plötzlich mündete der Weg in eine Steinwand. Was verbirgt sie? Lacky’s Herz schlug laut. Sie fingerte die Mauer entlang, tastete auf einmal eine Leiter und kletterte kurzentschlossen hinauf. Unendlich aufgeregt sprang das Kind ins Ungewisse und: landete weich. Wie leise es sich auf diesem Boden ging. Da schnarrte der Smogticker “Atemphase!” in die Finsternis. Einmal lediglich. Das verwirrte Lacky. Sie war erschöpft vom Weg und fragte sich ängstlich, ob es hier Luftduschen gibt? Dann spähte sie angestrengt in die dunkle Nacht. Dort hinten. Das sah wie der Umriss eines Baumes aus. Hastig jagte sie auf das Gebilde zu. Ganz außer Puste hockte Lacky sich an den Stamm und atmete tief. Doch was war das? Kein Luftstrom, nur ein lieblicher Duft und eine Briese, die überall, auf dem flachen Land zu spüren war. Das Kind fühlte sich gut. Die Sommernacht war mild. Der Ticker drohte nichts mehr, und Lacky fiel in tiefen Schlaf. Anderntags weckte ein vergnügtes Gezwitscher das Mädchen. Lacky blinzelte und riss blitzartig die Augen auf. Was war das für eine wunderschöne, grüne Weite?
Ein Gesumme ringsum und der Himmel? Blau? Sie schob sich den roten Plastikschopf zurecht und ging wie durch ein Märchen. Was sie sah, gefiel ihr. Umso weiter sich Lacky von der Stadt entfernte, desto höher und farbenprächtiger wurde das Grünland. Bald begegnete sie den ersten Wiesenmenschen. Sie saßen vor ihrem Holzhaus und frühstückten im Freien. Lacky war fasziniert von diesem Anblick. Die Menschen fragten nicht lange, sie wussten gleich, woher das Kind kam und luden es ein. Überhaupt redeten sie ungewöhnlich viel. Vom schönen Wetter, und dass sie Heu machen werden und sich am Abend mit anderen zum Tanz treffen wollten. Für Lacky waren alle ihre Worte fremd und sonderlich. Die Wiesen-menschen Anna und Paul erklärten nicht viel. Lacky solle zusehen, dann würde sie es schon verstehen. Und so war es.
Beim abendlichen Tanz um ein großes Lagerfeuer, zu dem Musikanten aufspielten, entdeckte Lacky Karl. Der saß mit ein paar anderen alten Zauseln zusammen und spielte Karten. Sie hockte sich mit einem vergnügten “Hallo! Da hab’ ich dich also gefunden.” zu ihm. Karl sah sie erstaunt an: “Wo, verdammt, kommst du denn her?”
“Na, ich wollte wissen, wie dieses Wiesenland aussieht, und da bin ich…” “Ach herrjemine, da hab ich ja was angerichtet. Deine Eltern werden dich suchen.”
“Ich geh’ nicht mehr zurück!”, protestierte Lacky. “Um nichts in der Welt werde ich diesen schönen Ort verlassen.”
“Das geht nicht, Mädchen”, sprach Karl behutsam. “Deine Eltern werden sich sorgen!”
“Meine Eltern haben mir nur Lügen über das Wiesenland erzählt”, schimpfte Lacky trotzig.
“Das kann schon sein”, dämpfte sie Karl. “Aber bestimmt wussten sie es nicht besser. Du hast dich hier umgesehen. Deine Stadt könnte auch wieder begrünt werden, glaube mir. Vor ein paar Jahren noch, war das hier wirklich stinkendes, giftiges Ödland. Verdorben von einer gigantischen Industrie. Einige unermüdliche Menschen haben sich hierher aufgemacht und Jahre dafür gearbeitet, das es wieder lebt. Dabei sind wir auf dieses Geheimnis gestoßen: Alles, was krank ist, braucht Fürsorge. Nicht nur die Menschen. Wer sich um die Natur bemüht, schenkt neues Leben. Der Umwelt und sich selbst.”
“Gut, aber wem soll ich das erzählen? In Airless will keiner so etwas hören. Karl, ich möchte nicht in diese kalte Stadt zurück”, drängelte Lacky. “Es ist leicht, sich ins gemachte Nest zu setzen. Baue selbst eins. Wenn du nicht reden willst, dann tu’ einfach etwas im Stillen. Morgen bringe ich dich zurück zur Stadtgrenze, und bis dahin fällt uns auch ein, was du unternehmen kannst.”
Lacky schluchzte traurig. Aber dann beanspruchte sie Karl mit seinen Geschichten über Gräser und Wiesenblumen derart, dass der Kummer in ihr versiegte und eine unbestimmbare Lust in ihr aufstieg. Die Lust etwas selbst zu gestalten.
Am nächsten Morgen weckte sie Karl quietschvergnügt. “Ich hab’s, Mädelchen.” Er schwenkte dazu einen prallen Beutel über ihrer Nase hin und her.
Lacky richtete sich räkelnd auf und fragte: “Was ist da drinnen?” “Ein Beutel Wiesensaat. Lauter kleine Samenkörner, die in jeder noch so kargen Erdritze aufgehen. Du musst sie nur überall in der Stadt verstreuen, und nach ein paar Tagen gehen sie auf. Sie brauchen nur ab und zu Regen. Blühen die Gräser erst, säen sie sich wieder von selbst aus.” Karl schaute spitzbübisch. “In deiner Stadt weiß doch keiner mehr, was das ist. Man wird die grünen Pflänzchen bewundern und nichts dagegen tun.”
Lacky war neugierig, was geschehen würde. Die zwei machten sich auf den Weg. In Airless war nicht nur die Luft dick. Durch eines der Wohnzimmer donnerte das heftige Wutgewitter zweier Eltern. Sie tobten und fragten nichts. Viele Tage durfte Lacky das Haus nicht verlassen und keiner sprach mit ihr. So saß sie mal traurig, mal trotzig auf dem Balkon und träumte sich in blühende Wiesen und seidigen Wind, als plötzlich ihr Blick auf den Balkonkästen klebte. Ob darin Erde ist? Lacky rupfte die toten Kunstblumen eilig heraus und wirklich: in den Kisten fand sich richtiger Boden. Hart wie Beton. Der aber war schnell gelockert. Darein versteckte das Mädchen eine Handvoll Wiesensamen. Die Tage vergingen träge. An dem Morgen, als die Mutter Lacky wieder freundlich grüßte, ging die Saat auf. Ein Hauch von Grün. Winziges, neues Leben für eine kahle Stadt. Das Mädchen musste sein Glück einfach mit jemandem teilen und zerrte die Eltern auf den Balkon. Da standen sie nun und hörten höchst erstaunt, was das Kind zu erzählen hatte. Indem stieg auch in ihnen eine frohe Hoffnung auf. Am nächsten Tag besuchten sie Karl zu dritt. Nun wollten auch Lackys Eltern die Stadt zu neuem Leben erwecken und nahmen reichlich Saatgut mit, das sie auf all ihren Wegen verteilten.
Wochen später grünte es zart in der ganzen Stadt, und auf Lacky’s Balkon spielte der Wind mit wilden Gräsern und rotem Mohn. Die Menschen bewunderten, was sie sahen und immer mehr fragten und erfuhren von dem genesenen Wiesenland. Karls Geheimnis war in aller Munde, als hätten die Städter nur auf so eine gute Botschaft gewartet. Viele Airlesser wanderten vor die Stadt und holten von dort junge Bäume und blühende Stauden. Es gab augenblicklich wieder viel Arbeit, und die Menschen feierten so manchen Abend auf den grünen Höfen und Plätzen lustige Feste. Ja, die Pflanzen wuchsen langsam unter dem gelben Himmel. Aber sie wuchsen, weil sich die Menschen um sie kümmerten. Und mit der Zeit, nach vielen, vielen Jahren stiegen wieder Vögel auf über Airless’ gelüfteten Himmel.
© Petra Elsner

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Zeichnung: Petra Elsner
Zeichnung: Petra Elsner

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Schräge Vögel in Schwarz-Weiß

… ach, übrigens: Der Schräge Rabenvogel ist mein Maskottchen und wurde über die Jahre zu meiner Marke. Wer es nicht weiß: In meinen Berliner Jahren waren die Schrägen Vögel noch SCHWARZ-WEISS wie diese, erst im Schorfheidewald kam über sie die Farbe:

Schräge Vögel 19 Zeichnung Petra Elsner
Schräge Vögel 19
Zeichnung Petra Elsner

© Petra Elsner
PS: Es ist das einzige sw-Motiv der Schrägen Vögel, dass noch im Atelier wohnt, die anderen sind alle verkauft.

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Schorfheidemärchen für Alt und Jung im Jagdschloss

Petra Elsner liest, Foto: Lutz Reinhadt
Petra Elsner liest,
Foto: Lutz Reinhadt

Groß Schönebeck. Im stilvollen Kaminzimmer des Jagdschlosses Groß Schönebeck wird es am es 22. Februar 2014 romantisch. In meiner Lesung möchte ich die Besucher ab 15 Uhr in eine verzauberte Waldmächenwelt entführen, die man/frau durchaus hinter dem Groß Schönebecker Portal zur Schorfheide finden könnte: Knorrige Baumgestalten, wie sie hinter Schluft am Kurtschlager Damm stehen, geben die Protagonisten zu meinem Kurzkrimi „Die Geistereichen“. „Der Hasenräuber“ schleicht auf leisen Sohlen über den Groß Döllner Koppelberg, um nach seinem Fang zu sehen, und erzählt dabei von Häschern und der Not in den Walddörfern – vorzeiten. Und „Der Alchimist und der Herr der Tautropfen“ erinnert, wie einst das Waldglas gewonnen wurde. Detailgenau und doch märchenhaft verwoben. All diese literarischen Fiktionen könnten auch wahr sein, denn ich bin vor dem Schreiben meiner „Schattengeschichten aus dem Wanderland“, tief in die Geschichte der Schorfheide eingetaucht.

Seit 2008 lebe ich in dieser herrlichen Landschaft und das kam so: Vor gut sechs Jahren, als mein Liebster und ich planten von Berlin aufs Land ziehen, sah ich einen TV-Bericht über die Schorfheide. Er endete im nebelverhangenen Dünenland vor Groß Schönebeck. Dieser Anblick stach mir mitten ins Herz und ich wusste sogleich, in diese Gegend muss ich. Als wir das kleine alte Kurtschlager Haus im Januar 2008 belebten, hing der Nebel bis vor die Haustür und ich dachte, es ist das Revier der Nebelfee. Damit war im Geiste die erste Figur zu den „Schattengeschichten im Wanderland“ erschienen. Aber es musste ein weiteres Jahr vergehen, bevor ich im Winter 2008/09 an den Schattengeschichten zu schreiben begann. Im Ankommen fiel mir auf, das in dieser nordwestlichen Region der Schorfheide kaum regionale Sagen oder Märchen existieren. Die meisten Dörfer sind einfach „jung“, etwa 260 Jahre alt, also wollte ich für die hier lebenden Menschen stimmige Märchen erfinden. Dafür suchte ich nach den Farben und Gestalten dieser Landschaft und fand beispielsweise die Zaunreiter. Es gab sie wirklich. Etwa um 1590 begrenzte das Gebiet oberhalb von Groß Döll, Reihersdorf und Friedrichswalde ein großen Wildzaun (von der Havel bis zur Oder). Als dieser Zaun um 1665 -1670 erneuert werden musste, entstanden unter dem Großen Kurfürsten kleine Orte (Grunewald, Groß Väter, Bebersee) als Ansiedlung von Zaunsetzern. Der Wildzaun wurde von Zaunreitern und Zaunläufern bewacht. Aus diesen historischen Fakten und der modernen Wolfsauffassung des Wildparks Schorfheide wuchs meine Geschichte „Der Wolf und der Zaunreiter“ als eine von 12 solcherart Erfindungen. Mir ging es in diesen fiktiven Geschichten darum, eine Traumlandschaft mit realen Wurzeln zu inszenieren und ein Landschaftsgefühl zu verströmen.

Der Märchenfreund (von 8 bis 108) kann sich also am 22. Februar 2014 ab 15 Uhr im Jagdschloss Groß Schönebeck auf eine spannende Lesung mit regionalem Kolorit freuen. Das Vergnügen kostet 3 Euro Eintritt. Bereits ab 14 Uhr wird in der Touristeninformation Kaffee & Kuchen gereicht.

Karten und Infos unter: Touristinformation Groß Schönebeck, Schloßstraße 6, 16244 Schorfheide, Telefon 033393 65777

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Jagdimpressionen im Schorfheidewald

Mildes Licht fällt in das letzte Blattgelb der Birken und in das Rotbraun der mächtigen Buchen am Trämmersee, als ein Schuss fällt. An der Straße nach Kappe warnt ein Schild „Vorsicht Treibjagd“ und auf der Landstraße nach Schluft auch. Dunst steigt aus den Wiesen an diesem Morgen und zünftige Männer mit orangefarbenen Bändern am Jägerhut durchstreifen den Schorfheidewald. Die Schüsse kommen von den Hochsitzen. Nicht planlos, die Untere Jagdbehörde in Eberswalde gibt die Abschussprojekte der Revierförstereien frei, und daran halten sich die Männer.

Damhisch, Foto: Lutz Reinhardt
Damhisch, Foto: Lutz Reinhardt

Am frühen Nachmittag laden die Jäger die erlegten Tiere von ihren Wagen. Zuschauer und Jäger rücken im Park vor dem alten Jagdschloss in Groß Schönebeck näher zusammen. Was hat er da? Ah, einen Hirsch, einen Achtender, wer hat ihn geschossen? Helfer aus den Nachbarorten schleppen die dampfenden Tierkörper vor die Strecke aus Tannenreisig. Feuer lodern um das Geviert, es riecht süßlich und die Hunde der Jäger wittern das frische Blut. Erst als alle Jäger ihre Beute herangeschafft haben, werden die Strecken gelegt. Zuerst die Hirsche und deren Kühe – das Rotwild, dann das Damwild, Schwarzkittel, Muffel und die drei Füchse.

Strecke wird gelegt. Foto: Lutz Reinhardt
Strecke wird gelegt.
Foto: Lutz Reinhardt

Die Ansitz-Drückjagd in den Revieren beginnt mit der Hirschbrunft in den ersten kalten Septembernächten und endet spätestens Dezember. Acht Monate soll dann das Wild im Wald wieder zur Ruhe kommen. Im Februar, wenn die Termine bundesweit bekannt sind, rufen die passionierten Jäger bereits an und buchen. Die Jagdtage bereichern das Tourismusgeschäft der Region, denn ganz nebenbei  besuchen die Jäger den Wildpark, wandern am Werbellinsee und bleiben über Nacht.

Schorfheidewald hinter Groß Schönebeck Foto: Lutz Reinhardt
Schorfheidewald hinter Groß Schönebeck
Foto: Lutz Reinhardt

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Werknotiz: Reihe Geheimnisse

… das Geheimnis 63 ist fertig …

Geheimnis 63, 60 x 60, Acryl auf Leinwand von Petra Elsner, 2014
Geheimnis 63, 60 x 60, Acryl auf Leinwand von
Petra Elsner, 2014

es ist ein Schwesterbild zu diesem aus dem vergangenen Jahr:

Geheimnis 55 (b), 100 x 80, Acryl auf Leinwand von Petra Elsner
Geheimnis 55 (b), 100 x 80, Acryl auf Leinwand von
Petra Elsner

… und des wird noch so ein 60 x 60-Format geben, bevor ich mich ganz auf die Wasserland-Bilder konzentriere.

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Die Pforte zur Wildnis

Verwunschen schön war sie schon immer, die Schorfheide, mit ihren weiten Eichen-, Kiefern- und Buchenwäldern. Sie ist heute das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands und Teil des UNESCO geschützten Biosphärenreservates Schorfheide – Chorin. Nach dessen Bildung im Jahre 1990, wurde das alte Naturschutzgebiet auf 290 Hektar erweitert und zur Schutzzone I (Kernzone) erklärt. Eine Schutzzone II von 600 Hektar umgibt dieses Totalreservat. Insgesamt 129 161 Hektar hügelige Offenlandschaft, Wälder, Sander, Urstromtäler, mehr als 1000 Moore, etwa 240 Seen und Sölle gehören zum Reservat.

Buchenwald in der Schorfheide. Foto: Lutz Reinhardt
Buchenwald in der Schorfheide.
Foto: Lutz Reinhardt

Ein hoher Wildbestand macht diesen Heidwald bis heute zu einem attraktiven Jagdgebiet. Aber weil das Land immer schon dünn besiedelt war, findet der Naturfreund hier auch viele bedrohte Tierarten wie den Seeadler, Kranich, Reiher, Sumpfschildkröte, Rotbauchunke und Mufflon vor. Viele gut ausgebaute Rad- und Wanderwege ermöglichen es den Besuchern, diese einzigartige Natur zu erleben. Und wer sich nicht allein in diesen großen Wald traut, dem seinen die vielen Themenwanderungen u. a. des Naturparks Barnim (www.grossschutzgebiete.brandenburg.de)  oder der Naturwacht angetragen. Zum Beispiel eine Moorgeister-Wanderung zum Plagefenn, Brandenburgs ältestes Naturschutzgebiet, heute im Herzen der Biosphäre gelegen. Über 100 Jahre ist es schon alt.
Trophäen und Jagdgeschichte:
Die Jagd und deren Auswüchse ist das große Thema des Schorfheidemuseum in Groß Schönebeck. Es war einst Jagdschloss des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und enthält heute eine Exposition über die Geschichte der Wald – und Forstwirtschaft dieser Region. Daneben wird die Jagdgeschichte aller Epochen gezeigt. Der Besucher entdeckt im Schloss wertvolle Präparate und Trophäen einstiger Herrscher ebenso wie Alltagsgegenstände der regionalen Forst und Waldseefischerei. Daneben befindet sich unter diesem Dach eine kleine Dauerausstellung, die sich aus dem Nachlass des Boxers Max Schmeling speist. Im Frühjahr 2009 eröffnet gegenüber dem Schloss eine modernisierte Museumsscheune zum Thema „Jagd und Macht“ eine neue Präsentation, die bisher unbekannte Fakten über das Wirken einst Mächtiger im Jagdgebiet Schorfheide ausstellt.
Wo der Wolf heult:
Hinter Groß Schönebeck öffnet die Natur ihre die Pforte zu ihrer geschützten Sphäre. Vom Bahnhof Groß Schönebeck, den die Heidekrautbahn von Berlin aus ansteuert, führt abseits des Straßenverkehrs ein Wanderweg direkt zum Wildpark Schorfheide. An jedem Tag des Jahres können auf dem 90 Hektar großen Areal von 9 bis 17 Uhr einheimische Wildtiere in natürlichen Großgehegen beobachtet werden. Festes Schuhwerk und ein kleines Fernglas sind empfehlenswert für den zweistündigen Rundgang, auf dem Fischotter, Wollschwein, Landschaf, Wildschwein, Przewalski-Pferd, Englisches Parkrind, Dammwild, Wisent, Elch, Rotwild, Heck Rind, Exmoor Ponny, Mufflon, Waschbär… und natürlich der große Beutegreifer – der Wolf zu sehen sind. Man kann ganz individuelle und altersbezogene Führungen ordern, von der Entwicklung der Haustierrassen bis hin zu den viel gerühmten „Vollmond-Wolfsnächten“. Das Besucherhaus lädt zum Verweilen ein, hier finden sich große Sonnenterrasse, kleiner Streichelzoo und die empfehlenswerte Kräuterküche, die ganztags Wildgerichte zu günstigen Preisen serviert. In den Gasträumen und im Dörfchen mit Kräutergarten, Feuerplatz, Köhlerhütte und Fischräucherei kann auch privat gefeiert werden. Besonders reizvoll und speziell sind die Feste im Wildpark.

Wolf im Wildpark. Foto: Lutz Reinhardt
Wolf im Wildpark.
Foto: Lutz Reinhardt

Weitere nahe Ausflugsziele: Das Kutschenmuseum der Familie Bohm in der Ernst-Thälmann-Straße 4

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Die Schneefrau Luise

Eine Vorlesegeschichte für  kindliche Zwerge:

Als der Schnee schmolz, schmatzte die Wiese vor Nässe, und die dicke Schneefrau Luise schrumpfte. Sie war ein bisschen traurig. Schließlich hatte sie doch heiter und weiß die dunkle Jahreszeit erleuchtet. Aber jetzt, Anfang März, schwächelte sie, und alle schienen darüber froh zu sein.
An ihrem Rocksaum kitzelte sie etwas und stöhnte: „Puh, kannst du nicht ein bisschen rutschen?“ Luise äugte abwärts, es war ein Schneeglöckchen, das ganz erschöpft fragte. Die Schneefrau versuchte es, aber sie klebte fest. „Nein“, sagte sie, „ich bin mit dem weißen Winter verwachsen. Erst wenn er geht, verschwinde auch ich. Aber so lange muss ich hier bleiben, kann nur schmelzen, nicht rutschen.“ „Na, das wollen wir doch erst einmal sehen“, sagte das Schneeglöckchen und bohrte sich durch Luises Rocksaum. Eine große Schneeglöckchenfamilie folgte ihm nach. Und die schob ganz kräftig die dicke Luise an. Plötzlich schlitterte die Schneefrau durch eine noch vereiste Spurrinne durch das ganze Dorf. Ihr Efeukranz verrutschte dabei und die schicke Sonnenblumenbrosche ging unterwegs verloren. Aber Luise staunte, denn schließlich bekam sie jetzt einiges zu sehen. Den grünen Traktor von Bauer Müller, den schnellen Schulbus, rutschende Dachlawinen und eine rote Feuerwehr. Doch überall, wo Luise zum Halten kam, stieß sie wieder und wieder ein weißes Köpfchen an, das rief: „Rutsch ein bisschen!“ Als der Abend kam, war Luise beinahe schon vom milden Winde verweht und hoch oben, aus dem nachtblauen Himmel trompetete der Vogelzug ein Frühlingslied. Da lächelte die schrumplige Schneefrau Luise müde und wusste, es ist Zeit zu gehen.

© Petra Elsner

Die Schneefrau Zeichnung: Petra Elsner
Die Schneefrau
Zeichnung: Petra Elsner

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