Morgenstunde (211. Blog-Notat)

Spätes Mädchen auf dem Kunstmarkt Pankow 2019. Foto: Lutz Reinhardt

Was hatten wir am Wochenende für ein Glück. Es war der perfekte Stadtschlendertag. Nicht zu warm und trocken. Heute Landregen, lang erwartet. Herrlich. 10.30 Uhr hatte ich die Strapazen weggeschlafen, nur das Plätschern auf dem Fensterbrett ließ mich noch ein bisschen dösen und den zwei Kunstmarkttagen in Pankow nachspüren. Naja, der Markt an sich zeigt leichte Auflösungserscheinungen. Zu lange schon zaudern die Entscheider mit ihren Wandelwünschen und so wird eben neuerdings so spät die Wahl des Veranstalters getroffen, dass ein Teil der Künstlerschaft sich längst andere Schauplätze gesucht hat. Jedenfalls fehlten 17 Kunst-Aussteller, das war spürbar. Dennoch, für uns war es ein gelungener Auftritt mit guten Geschäften. Zwei Bücherkisten haben sie mir leer gekauft, Kalender und drei Originale (darunter das jüngste „Hafenlicht“!). Sehr ermutigend. Aber darüber hinaus trafen wir so viele Freunde und Bekannte, dass es zuweilen zu viel wurde und ich nicht wusste, wem ich zuerst meine Aufmerksamkeit zuwenden sollte. Beim Feierabendgetränkt in unserer alten Stammkneipe (Wins) beglückten uns Gäste, die einen wunderbaren Abend herbeizauberten, den man dort auch nicht immer erleben konnte. Die Euphorie trug uns weit in die Nacht. Herrliches Geplauder. Das Wunderbarste an diesen zwei Tagen war überhaupt dieses viele Sprechen. Ich war sehr bald heiser. „GeloRevoice“ zum Lutschen empfahl mir Stefan, der Dozent, am Stand – ja, hilft der Stimme gut. Reden, debattieren, lästern, schnattern, witzeln, beraten – herrje, wie mir das hier auf dem Lande fehlt und die schrägen Stadtkauze natürlich auch. Eine todkranke Uraltfreundin schleppte sich an den Stand, für ein Lächeln und gute Worte, der Herr Direktor vom Kriminaltheater holte sich gespannt meinen Krimi, ein Pankower Maler und Fotograf brachte mir eine Marktfoto aus dem Jahre 2000 (die Frau mit dem schwarzen Pagenkopf, war mal ich…😊). Es gab am Wochenende von allem alles, wunderbar, dieses Lebensgefühl muss ich nun wieder für ein Jahr konservieren…

Petra Elsner 2000 auf dem Pankower Kunstmarkt. Foto: Jörg Degraa

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Der Schlafwandler (3)

Öffentliches Arbeiten an einer Kurzgeschichte:

Der Schlafwandler  (der Schluss)

Heiligabend wollte Adam Leichtfuß abermals die Stunden zwischen Nacht und Tag im Blauen Licht verbringen. Als er die Tür öffnete, waren zwei Musiker gerade dabei ihre Gitarrensaiten zu stimmen. Gleich würden sie ein bluesiges Hauskonzert geben, als leidenschaftliches Geschenk an die eingeschworene Gemeinschaft. Sie waren alle da, wie immer, nur etwas wohlgenährter. Die meisten Gäste hatten den frühen Abend mit ihren zerbröselten Familien verbracht. Jetzt begann der private Teil ihres Weihnachtsfestes. Eingetaucht in dieses unschlagbar warme Kerzenlicht der Wirtschaft. Dieser milde Schein, der alles schönte. Jede Falte erschien sanfter und jeder Lebenskummer auch. Frauen waren hier gleichermaßen auf der Jagd wie Männer, aber Adam mochte keinen speziellen Apfel kosten, er liebte sie alle, nur meistens platonisch. So konnte er jede mit seinen lächelnden Augen verführen und sie in kluge Gespräche verwickeln: Wie schwarz ist das Dunkel des Vergessens? Solche Fragen machten jedes zarte Wesen stumm und er, Adam, konnte plaudern und fabulieren bis ins Morgengrauen. Er nannte es für sich nur – sprechen üben, aber es war viel mehr als das. In dem Korrektor erwachte ein verschollener Poet mit lautem Fernweh. Der Winter verging. Eines Tages hatte Adam Leichtfuß etwas Geld zusammen, um sich aufzumachen in die Weiten der Welt. Der stille Schreibtischheld riss seine tiefe Wurzel aus der Zeit und machte sich auf einen unbestimmten Weg.

© Petra Elsner
29. August 2019

 

Das Wins in den 90er Jahren.

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Der Schlafwandler

Guten Morgen allerseits, es entsteht gerade wieder eine neue Kurzgeschichte und Ihr könnt wieder live mitlesen.
Hier kommt der 1. Abschnitt zu:

Der Schlafwandler (1)

Eines Abends saß er einfach da, an diesem Drei-Ohren-Tresen im Blauen Licht an der Winsstraße. Die kleine Kneipe hieß eigentlich Fiasko, später Café Winsenz. Da aber Brauereiverträge vergänglich sind, und deren Werbelampen trotzdem weiter leuchten, wurde der Name des einstigen Lieferanten einfach mit Verdünnung ausgewaschen und das Lampenglas blau gestrichen. Schon bald nannte die Nachbarschaft das etwas verruchte Etablissement „Blaues Licht“. Dort bestellte sich der Neuzugang einen Schoppen trockenen Rotwein und wusste schon nach dem ersten Schluck: der macht Kopfschmerzen. Szenekneipen hatten seinerzeit kein gutes Händchen für Weine. Billiges wurde schlicht teuer verkauft, wer es trotzdem trank, war selber schuld. Während sich der Mann gegenüber gerade einen Sambuca anzündete und dem Rotweintrinker dabei mephistohaft zunickte, ahnte Adam Leichtfuß, dass er eben das richtige Quartier gefunden hatte. Ein Wohnzimmer für nächtliche Abschlaffstunden und ein Ort zum Sprechen. Den brauchte der Mann unbedingt, denn sein einsames Tageswerk am Schreibtisch entlockte ihm keinen einzigen Ton, vielleicht gelegentlich einen Seufzer über verquaste Sätze, mehr nicht. Wenn er abends das Haus verließ, um ein bisschen durch den Kiez zu schlendern, hatte er gewöhnlich noch nicht ein einziges Wort gesprochen. Insgeheim fürchtete er, er könnte es verlernen. Adam Leichtfuß war freiberuflicher Korrektor, den alle möglichen Verlage zu sich riefen, denn er war gewissermaßen der König der Korrektoren. Doch das wussten nur die andern. Leichtfuß war immer klamm, denn fürstlich entlohnt wurde er für seine Dienste eben nicht. Er griff in seine Hosentaschen, doch, die paar Klimpermünzen würden noch für einen zweiten Schoppen reichen, das beruhigte ihn für den Moment. Sein Blick wanderte hinauf zur Decke, die mit Zeitungsseiten tapeziert war, die Wände trugen so ein schäbiges undefinierbares Blaugrüngrau. Irgendwie erinnerte die Kneipeninszenierung an eine altväterliche Hausratsauflösung: Alte Bembel, eine Tuba vor einem goldgerahmten Spiegel, eine Bahnhofsuhr, die auf fünf vor 12 stand. Es war hier überhaupt nichts schön, nur schön-schräg und wie es aussah, passten auch die Gäste zu dem staubigen Interieur. Nur der Holztresen mit den drei angewachsenen Tischohren entsprang der Moderne. Der Wirt dahinter schaute allerdings finster, als hätte er am liebsten jeden einzelnen Stammgast noch vor dem nächsten Getränk gemeuchelt. Heute war seine Laune besonders übel, dazu schob er die großen Schnäpse mit einem Schlitterschwung über den Tresen, als befände er sich in einem alten Westernfilm. Alle kannten das – ein Spiel, in dem der Tresen-Mann die Hauptrolle auslebte, allein Adam Leichtfuß staunte noch. Als er seinen zweiten Schoppen Rotwein zu sich zog, flüsterte seinen Lieblingsspruch von Charles Bukowski dem Sambuca-Mann zu: „Man muss erst einige Male sterben -…“ und schlief ein, mitten im Satz, die Hand am Glas, von jetzt auf gleich. Nach etwa zwei Stunden erwachte Adam Leichtfuß und vollendete seinen Satz, als wäre keine Sekunde vergangen „…, um wirklich leben zu können.“ Das verwunderte den Sambuca-Trinker: „Bitte was?“…

© Petra Elsner
27. August 2019

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