Eine Buchbesprechung

Unfall mit Rose – Gedichte & Anhänge von Eckhard Mieder

Thersites, den Homer in „Ilias“ als schmähsüchtigen und allgemein verhassten Demagogen entlarvte, steht Pate zu Eckhard Mieders Eröffnung in „Unfall mit Rose“. In seinen neuen Gedichten geht es um Verrat und Krieg, um unrühmliche Sieger, um Dreck und Gewalt und um das todessüchtige Konzert der Welt. Harter Tobak. „Zeitgeist. Kommen. Gehen“ erzählt spitz und süffisant vom Auftritt des immer Gleichen, dem die Leute folgen, „wie die Kinder dem Rattenfänger von H.“.
„‘s ist Krieg oder sowas“ der Schnecken, die ihre Häuser zu Markte tragen und nur eine Spur aus Schleim hinterlassen. Dieses 1. Buch der lyrischen Sammlung umfasst nicht nur Gedichte. Sie enthält auch Erlebnisschnipsel aus Mieders Wander-Skizzenbuch, die Reflektionen auf die Welt anstoßen. Eine Steno-Notiz eines Männergespräches und andere Absurditäten. Mieder, der ein Welten-Durchwanderer ist, gestattet sich in „Wind. Geschichte. Zufall“ die Frage, wie er selbst vor den Zeitenwind geraten konnte – taub wie blind. Im Älterwerden rechnen auch die Dichter mit sich und den anderen ab – desillusioniert. Er spricht von der Auslöschung des Menschseins. Durchgängig spürt der Leser die Wut des Schreibers, der genau an diesem Verlust leidet und gefriert. Und immer wieder Worte, die vom Krieg berichten, als wäre er schon überall – und vom dünnen Eis, auf dem wir stehen.

Leutasch im Winter.
Einem Alien ins Poesiealbum geschrieben


In manchen Gegenden auf meinem Planeten
gibt es mehr Schnee als Glück. Ich
vermute dies. Ich weiß es natürlich nicht,
weil Schnee Glück bedeuten kann, und dann
gäbe es so viel Glück wie Schnee. Exakt.

In manchen Gegenden meines Planeten,
die wir lebend nicht betreten, weil wir
auf gläsernen Skiern unterwegs sind, bis die
Lawine kommt, sind wir vergebens
unterwegs gewesen. Ungefähr.

Im 2. Buch der Sammlung „Alte Not…“ gilt es in Reimen zu berühren. Beispielsweise den „Filmriss“ – war da was oder war nichts? Wer weiß.
Im 3. Buch „… und leicht ist unser Schritt“ wird es wirklich schwer. In den Anhängen spricht ein Henker Stalins warnend zu seinem Neffen: „Menschen zu erschießen schadet der Gesundheit und der Seele“. Aber der gesandte Neffe will sehen, wie der Onkel richtet und ist zu guter Letzt dessen Scharfrichter. Ein Hörspiel, das unter die Haut kraucht. Jahre später geht es um einen anderen Niedergang: Im Deutschen Theater bewacht der Staatsschauspieler E. in den Wendetagen den Gast H. auf Geheiß des Intendanten. Während E. nachdenklich durch die Kulissen schleicht, bemerkt er, dass Beider Zeit abläuft und gerät in Sorge: „…wer weiß, welche Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden.“
In den verlassenen Bauten eines zerbröselnden Landes sind Männer mit Abrissbirne unterwegs. Die düstere Komödie schaut in den Dreck jener Zeit. Aber da ist eine wirre Gestalt, die so ein Abrisshaus mit einer Flinte bis aufs Blut verteidigt. Und einer der Abrissmänner meint dazu emotionslos:
„Schon wieder einer der das Reden lernte
Im Knast im Gulag im KZ weiß ich
In welcher Hölle hauste der“… Abgeklärtes Wahrnehmen.
„Unfall mit Rose“ lässt den Leser betroffen zurück, denn man spürt den großen Atem des Unheils aus den vergangenen Jahrzehnten und weiß indem, nichts wird gut. Aber Mieders Lyrik scheint mir besonders geeignet für die große Scherbenlese dieser Zeit.
Petra Elsner

Eckhard Mieder, Unfall mit Rose,
Verlag am Park, 2024, ISBN: 978-3-89793-389-7, 17 €

Eine Buchbesprechung

Die im Regenbogen wohnten
von Eckhard Mieder

Gut 30 Jahre nach dem Sommer 1989 stieg der Autor Eckhard Mieder noch einmal hinab in das „labyrinthische Denkgelände“ jener Tage, um mit Abstand diese Zeit zu betrachten. Das war gewagt. Denn natürlich war die Gefahr gegeben, dass eine neuerliche Draufsicht altklug daherkommt. Aber das wäre nicht Mieder, der sich herumquält mit dem Leben und Authentizität herausschälen will. Sein neuer Roman „Die im Regenbogen wohnten“ schafft das perfekt. Er erzählt auf 360 Seiten aus dem Leben einer Ostberliner Abiturklasse und von der Liebe zwischen Vera und dem neuen Mitschüler. Dem bemerkenswerten Gadji, Sohn eines sowjetischen Offiziers. Doch die Zeit und all ihre Gewissheiten geraten mit der Wende ins Wanken. Für Vera, die die Veränderungen eher verstören, sprechen die alten und neuen politischen Akteure mit gleichem Vokabular. Sie ist skeptisch, fast ablehnend gegenüber dem Engagement der Mutter. Ihre Denkunterschiede werden erst später eine neue Sprachmelodie bekommen. Aber dann werden ihr Land und Gadji schon für immer verschwunden sein.

Nicht schon wieder „Wende“, wird der eine oder andere abwehren. Aber es lohnt sich, in den Sog des spannenden Buches zu geraten. Allein deshalb, weil diese dichte Zeit ganz genau aufgebröselt wird. Der Autor hält sich streng an Fakten und so gelingt es ihm, ein neu akzentuiertes Kapitel deutscher Geschichte aus der Sicht junger Erwachsener aufzuschlagen.

©Petra Elsner

Credits:
Eckhard Mieder
Die im Regenbogen wohnten
erschienen im Verlag am Park
Roman, 362 Seiten, Taschenbuch, 23 €
ISBN 978-3-89793-381-1

Eine Buchbesprechung

Der Vogel im Preußenkleid des Igels
Gedichte von Eckhard Mieder

Das neueste Buch von Eckhard Mieder ist ein lyrisches Bündel, in dem der Autor selbst Protagonist in seinen Texten ist. Im Chamäleon-Gewand kann er Vogel, auch Igel sein. Seiten voller heiterem Gezwitscher, dann plötzlich stachlige Absurdität – ein echter Mieder also, der für seine Gedichte-Sammlung schon mal ins „Archiv der Albträume“ griff. Dabei begegnet er Ikarus und Sisyphus, um dann, ganz entspannt Orten die Stimmung abzulauschen. Der Leser begegnet mit „Fresslust gendernden Wespen“, von denen die dickste zur Hummel mutiert. Leichtfüßig, auch hadernd spürt der Dichter der „Rätsellast des Lebens“ nach, vergangenen Zeiten und Reisen nach Island, Schweden, Lappland. „Am Ende der Welt spricht Gott mit Gletscherzungen, Fischschuppen im Haar.“ Von der Schönheit der Natur überwältigt, schenkt er uns Wander-Balladen, witzige Sprachbilder, freche Aphorismen, scharfsinnige Verserzählungen, die wenigen vulgären Sprüche hab‘ ich großzügig überblättert. Nicht meins. Aber gleich dahinter freie Lyrik vom Feinsten mit humoristischer Note im Abgang, wie hier:

„Es gibt eine Stille

Schritte. Ein paar Dutzend Meter
in den Wald. Die Blaubeeren sind
geharkt von Menschen aus
Thailand. Die ausgehobenen Bäume,
braun vor Erde um ihre Wurzeln, ähneln
Bären im Stande launischer Scheu. Das Moos
klumpt zu Buckeln der Trolle.

Morgen ist. Bläue ist. Nicht
ein Vogel unterwegs. In der Nähe
gibt es einen See, in dem die Fische
beim Morgentee sitzen und Knäckebrot
essen. Was der Mensch kann, kann
der Rotbarsch seit langem; frag ihn mal.

Und nichts ist zu hören. Nichts.“

Und zwischen all dem expressionistisch Absurden ein Seitenhieb von West nach Ost:
„…Hab Geduld! Mach uns nicht das schöne Land entzwei
so plötzlich…“

In fast allen Notaten schwingt sie mit, die Liebe zu den Wurzeln, dem Land, das verlassen liegt und der Dichter weit weg, wo „die Sonne untergeht“ im Überdruss versinkt. Nur eine schwache Stimmung vielleicht, denn am Ende spricht er von Liebe und kämpft gegen Salomon um die bessere Hymne den Frauen. Da wagt er sich was und gewinnt (mein Lächeln).

Mieders Gedichte in „Der Vogel im Preußenkleid des Igels“ sind im Verlag am Park erschienen. ISBN: 978-3-89793-357-6, 130 Seiten, Softcover, 15 €

© Petra Elsner

Eine Buchbesprechung

Nach hinten nicht und nicht nach vorne

Der neue Erzählband von Eckard Mieder ist auf der Suche nach dem Grund für die allgegenwärtige Müdigkeit und der Angst vor dem Zeitenwandel. Mit ruhiger Meisterschaft und zuweilen hübsch altmodischen Worten inszeniert der Dichter Kreuzfahrten durch die Abgründe der Seelen seiner Antihelden. Alle stehen im Zeitgestöber und stolpern geradewegs zu ihrem Wendepunkt. Bei der Stadt-Streunerin Ines findet der sich mitten auf einer belebten Straßenkreuzung. Im Polizeibericht heißt es dazu: „Sie ging nach hinten nicht und nicht nach vorne.“ Mieder denkt sich in das Desaster seiner Figuren und lässt den Leser wissen, wo es ins Ungewisse geht. Eine Stimme aus dem Off verrät uns „Das wissen wir nicht…“, und so erfahren wir auch etwas von den Zweifeln des Autors. Wie schon in „Der Lord geht noch einmal auf Sendung“ werden uns absurde und phantastischen Geschichten erzählt, die allesamt präzise das gesellschaftskritische Warum analysieren. Lebensweise und desillusioniert. Die eine schrumpft auf ihren Kern, bis sie verstummt. Ein anderer schaut teilnahmslos auf diese irre Frau, die ihn mit einer Waffe bedroht. Der Schneefall hinter dem Fenster hatte ihn mehr überrascht. Den Kindern des Ameisenvereins wachsen Ameisenköpfe – wohl als letzter Versuch Aufmerksamkeit zu erhaschen? Wahrscheinlich. Ein Aussteiger lebt als Eremit im Wald und begegnet unverhofft seinem früheren Ich. Realität oder Fieberwahr? Wir wissen es nicht. Und auch nicht, weshalb der Leser eines antiquarischen Buches, den Anmerkungen seines Vorlesers verfällt und plötzlich nach Oppenheim aufbricht, um diesen Leser kennenzulernen. Stadtgestalten, denen wir, wenn wir genau hinschauen, überall begegnen können. Irgendwo haben sie die falsche Kurve genommen, einen bizarren Richtungswechsel erfahren und wurden so zu Menschen, die das System ausspuckte. Eckhard Mieder hat sich ihrer mit feinem Gespür angenommen. (pe)

Nach hinten nicht und nicht nach vorne von Eckhard Mieder, ISBN: 978-3-89793-333-0, Verlag am Park, 208 Seiten, Softcover, 16 €