Eine Buchbesprechung

Nach hinten nicht und nicht nach vorne

Der neue Erzählband von Eckard Mieder ist auf der Suche nach dem Grund für die allgegenwärtige Müdigkeit und der Angst vor dem Zeitenwandel. Mit ruhiger Meisterschaft und zuweilen hübsch altmodischen Worten inszeniert der Dichter Kreuzfahrten durch die Abgründe der Seelen seiner Antihelden. Alle stehen im Zeitgestöber und stolpern geradewegs zu ihrem Wendepunkt. Bei der Stadt-Streunerin Ines findet der sich mitten auf einer belebten Straßenkreuzung. Im Polizeibericht heißt es dazu: „Sie ging nach hinten nicht und nicht nach vorne.“ Mieder denkt sich in das Desaster seiner Figuren und lässt den Leser wissen, wo es ins Ungewisse geht. Eine Stimme aus dem Off verrät uns „Das wissen wir nicht…“, und so erfahren wir auch etwas von den Zweifeln des Autors. Wie schon in „Der Lord geht noch einmal auf Sendung“ werden uns absurde und phantastischen Geschichten erzählt, die allesamt präzise das gesellschaftskritische Warum analysieren. Lebensweise und desillusioniert. Die eine schrumpft auf ihren Kern, bis sie verstummt. Ein anderer schaut teilnahmslos auf diese irre Frau, die ihn mit einer Waffe bedroht. Der Schneefall hinter dem Fenster hatte ihn mehr überrascht. Den Kindern des Ameisenvereins wachsen Ameisenköpfe – wohl als letzter Versuch Aufmerksamkeit zu erhaschen? Wahrscheinlich. Ein Aussteiger lebt als Eremit im Wald und begegnet unverhofft seinem früheren Ich. Realität oder Fieberwahr? Wir wissen es nicht. Und auch nicht, weshalb der Leser eines antiquarischen Buches, den Anmerkungen seines Vorlesers verfällt und plötzlich nach Oppenheim aufbricht, um diesen Leser kennenzulernen. Stadtgestalten, denen wir, wenn wir genau hinschauen, überall begegnen können. Irgendwo haben sie die falsche Kurve genommen, einen bizarren Richtungswechsel erfahren und wurden so zu Menschen, die das System ausspuckte. Eckhard Mieder hat sich ihrer mit feinem Gespür angenommen. (pe)

Nach hinten nicht und nicht nach vorne von Eckhard Mieder, ISBN: 978-3-89793-333-0, Verlag am Park, 208 Seiten, Softcover, 16 €

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