Dieses feinsinnige Märchen für Erwachsene erzählt uns leise von der Liebe. Es beginnt, wie viele Märchen beginnen: Ein König greift nach einer Frau aus dem Volke. Genauer gesagt, nach der schönen Schlossgärtnerin. Diese Erzählung in 21 Kapiteln entspinnt sich jedoch anders als erwartet. Sie gibt Rätsel auf, wie sie zuweilen in einer Annäherung zwischen Mann und Frau entstehen. Beispielsweise schließt der König seine Gärtnerin für viele Wochen in einem geheimnisvollen Haus ein, mit der Absicht, dass sie das WARTEN lernen soll. Aber welches Warten meint er, und warum soll sie das lernen? Wir erfahren von der Fluchtkrankheit des Königs, seiner Traurigkeit, der Angst vor der Vergangenheit, einer großen Unlust aufs Regieren und den Folgen daraus. Aus Langeweile wird in ihm die Neugier entfacht. Was arbeitet die schöne Gärtnerin eigentlich im Winter? Was er entdeckt, überrascht ihn und lädt ihn ein. Ganz subtil erzählt die Autorin von einer ungleichen Liebe, die in ihrer Zuwendung wächst und bis ans Grab hält. Die Märchenform ermöglicht Carmen Winter eine freie Assoziation von Alltag, Politik und Umwelt. Die Figuren König und Gärtnerin stehen, gleich einer Fabel, allgemein für Liebende, deren Beziehungsprobleme herausgefiltert und den Menschen der Gegenwart serviert werden. Carmen Winter erzählt mit großer Empathie und ohne Schnörkel in einer klaren, fließenden Sprache. Sehr gelungen und sehr empfehlenswert.
Der König und dieGärtnerin Carmen Winter ISBN: 9783819055935 erschienen bei epubli Taschenbuch, 160 Seiten, 12 €
Unfall mit Rose – Gedichte & Anhänge von Eckhard Mieder
Thersites, den Homer in „Ilias“ als schmähsüchtigen und allgemein verhassten Demagogen entlarvte, steht Pate zu Eckhard Mieders Eröffnung in „Unfall mit Rose“. In seinen neuen Gedichten geht es um Verrat und Krieg, um unrühmliche Sieger, um Dreck und Gewalt und um das todessüchtige Konzert der Welt. Harter Tobak. „Zeitgeist. Kommen. Gehen“ erzählt spitz und süffisant vom Auftritt des immer Gleichen, dem die Leute folgen, „wie die Kinder dem Rattenfänger von H.“. „‘s ist Krieg oder sowas“ der Schnecken, die ihre Häuser zu Markte tragen und nur eine Spur aus Schleim hinterlassen. Dieses 1. Buch der lyrischen Sammlung umfasst nicht nur Gedichte. Sie enthält auch Erlebnisschnipsel aus Mieders Wander-Skizzenbuch, die Reflektionen auf die Welt anstoßen. Eine Steno-Notiz eines Männergespräches und andere Absurditäten. Mieder, der ein Welten-Durchwanderer ist, gestattet sich in „Wind. Geschichte. Zufall“ die Frage, wie er selbst vor den Zeitenwind geraten konnte – taub wie blind. Im Älterwerden rechnen auch die Dichter mit sich und den anderen ab – desillusioniert. Er spricht von der Auslöschung des Menschseins. Durchgängig spürt der Leser die Wut des Schreibers, der genau an diesem Verlust leidet und gefriert. Und immer wieder Worte, die vom Krieg berichten, als wäre er schon überall – und vom dünnen Eis, auf dem wir stehen.
Leutasch im Winter. Einem Alien ins Poesiealbum geschrieben
In manchen Gegenden auf meinem Planeten gibt es mehr Schnee als Glück. Ich vermute dies. Ich weiß es natürlich nicht, weil Schnee Glück bedeuten kann, und dann gäbe es so viel Glück wie Schnee. Exakt.
In manchen Gegenden meines Planeten, die wir lebend nicht betreten, weil wir auf gläsernen Skiern unterwegs sind, bis die Lawine kommt, sind wir vergebens unterwegs gewesen. Ungefähr.
Im 2. Buch der Sammlung „Alte Not…“ gilt es in Reimen zu berühren. Beispielsweise den „Filmriss“ – war da was oder war nichts? Wer weiß. Im 3. Buch „… und leicht ist unser Schritt“ wird es wirklich schwer. In den Anhängen spricht ein Henker Stalins warnend zu seinem Neffen: „Menschen zu erschießen schadet der Gesundheit und der Seele“. Aber der gesandte Neffe will sehen, wie der Onkel richtet und ist zu guter Letzt dessen Scharfrichter. Ein Hörspiel, das unter die Haut kraucht. Jahre später geht es um einen anderen Niedergang: Im Deutschen Theater bewacht der Staatsschauspieler E. in den Wendetagen den Gast H. auf Geheiß des Intendanten. Während E. nachdenklich durch die Kulissen schleicht, bemerkt er, dass Beider Zeit abläuft und gerät in Sorge: „…wer weiß, welche Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden.“ In den verlassenen Bauten eines zerbröselnden Landes sind Männer mit Abrissbirne unterwegs. Die düstere Komödie schaut in den Dreck jener Zeit. Aber da ist eine wirre Gestalt, die so ein Abrisshaus mit einer Flinte bis aufs Blut verteidigt. Und einer der Abrissmänner meint dazu emotionslos: „Schon wieder einer der das Reden lernte Im Knast im Gulag im KZ weiß ich In welcher Hölle hauste der“… Abgeklärtes Wahrnehmen. „Unfall mit Rose“ lässt den Leser betroffen zurück, denn man spürt den großen Atem des Unheils aus den vergangenen Jahrzehnten und weiß indem, nichts wird gut. Aber Mieders Lyrik scheint mir besonders geeignet für die große Scherbenlese dieser Zeit. Petra Elsner
Eckhard Mieder, Unfall mit Rose, Verlag am Park, 2024, ISBN: 978-3-89793-389-7, 17 €
Wenn eine wie Elke Heidenreich über das Altern schreibt, dann ist das nicht ein schlichtes Nachsinnen, sondern das Ausgießen des Füllhorns der Bücherwisserin. Störrisch und kämpferisch, wie sie eben ist, die Heidenreich, erzählt sie uns von sich und ihrem zum Thema Gelesenen. Darüber entsteht ein fiktiver Dialog über Zitate. Spannend ja, aber zuweilen auch schwergewichtig wie ein Gesellschaftsvortrag. Mir sind die Passagen am liebsten, in denen sie über sich selbst schreibt. Wie zu viel Energie, für andere bedrohlich wirken kann. Sie ist eine, die sich mit 81 Jahren immer noch ein Arbeitspensum zumutet, dessen Preis „Erschöpfung und oft eine gewisse Einsamkeit…“ ist. Sie will für sich ein bisschen „Ruhe in eine Welt bringen, in der es keine Ruhe mehr gibt,“ indem sie „weniger, aber alles zu Ende“ liest, hört, sieht. Nicht weglegt, wegzappt, eben ruhig bei der Sache bleibt. Heidenreich reflektiert über Herkunft, Glück, Lebenssinn, Schuld und (sehr wichtig!), dass man sich vor der „Enteignung“ im Alter nur durch Selbstbewusstsein schützen kann. Sie schreibt über selbst gewählte „Einsamkeit als Technik der Leidensabwehr – nicht als Dauerzustand.“ Und unterscheidet zwischen Einsamkeit als Verzicht und Vereinsamung als Verlust. Sehr wahr. Am Ende spricht sie vielen Lesern aus dem Herzen, wenn sie das „Grundgefühl der Überforderung“ der Alten benennt, die uns ab und zu in eine tiefe Niedergeschlagenheit führt. Da muss man sich wieder rausrappeln, auch um wieder gesehen zu werden. „ALTERN“ ist ein reiches, gedankenanstiftendes Essay zum Thema Altwerden in dieser unserer Zeit. (pe)
ALTERN von Elke Heidenreich, Hanser Berlin Verlag, ISBN: 978-3-446-27964-3
War es Glück, dass sich ihre Blicke im Bus berührten, oder stolperten Katharina und Hans am 11. Juli 1986 geradewegs in eine Tragödie? Sie ist Lehrling und 19 Jahre alt, er ist Schriftsteller und Ende 50. Verheiratet und eine Geliebte hat er, aber das interessiert Katharina noch nicht, sie verliert sich in ihrer Liebe zu Hans und er verliert sich in seiner Liebe zu Katharina. Wir schreiben die bleierne Zeit in der DDR. Man hat viel Zeit füreinander, sehr viel Zeit für Musik und Theater, für kultivierte Gespräche mit reichlich geistigen Getränken. Aber Hans ahnt, das wird nicht ewig halten und er würde auch nie seinen gutbürgerlichen Ehestand verlassen. Aber die Lustbarkeiten eines Geheimnisses hat immer zwei Seiten: Licht und Schatten. Bei einem Praktikum in einer anderen Stadt wird Katharina von Hans überraschend verlassen. Er kommt nach Frankfurt an der Oder nur zu ihr, um ihr das in den zehn Rangierminuten der Lok zu offenbaren. Danach fährt er mit dem gleichen Zug zurück nach Berlin. Sie heult sich auf dem Bahnhofsklo die Augen aus. In ihrem Weltenschmerz wird es diese eine Nacht mit einem anderen Mann geben. Doch Hans entschuldigt sich und nimmt die grundlose Trennung zurück. Nur das Schlachtfeld ist schon angerichtet und die Obsessionen beginnen. Das Paar steckt bald im schlecht bewohnbaren Unglück. Hans verlangt ein vollständiges Überein, doch das kann es nicht geben. Er malträtiert die junge Frau regelrecht mit Worten und schlägt mit seinem Gürtel zu. Da möchte man als Leser durchaus austeigen, aber die Autorin zieht einen tief hinein in diese sonderbare Liebesgeschichte, die das Zeitgeschehen zugleich mit messerscharfen Konturen skizziert. Hier nimmt die Handlung dramatische Fahrt auf, als der Spielboden des Landes auseinanderfällt. Am Ende sind alle nur noch frei… Jenny Erpenbeck zieht ungewöhnlich klar, oft nur mit wenigen Sätzen komplexe Erinnerungen aus dem Schlamm der Geschichte. Besonders dafür kann man ihr wirklich dankbar sein. (pe)
Fast vier Millionen Menschen sind zwischen 1991 und 2017 aus dem Osten in den Westen gegangen
„Kosakenberg“, dieses Buch wollte ich unbedingt lesen, denn es erzählt die Geschichte einer Frau, die Anfang der 90er, wie tausendfach andere junge Menschen, ihre alte Heimat verlassen hat. Nur nicht umsehen – dieses Spannungsfeld interessierte mich. Doch ich war enttäuscht von der Heldin Kathleen, einer vollkommen zerrissenen Person, die sich vornehmlich am Statusdenken des Westens orientiert und sich für ihre Herkunft schämt. Ihre belehrenden Auftritte bei Heimreisen verstören und assoziieren ein Fremdsein auf vertrautem Terrain – beiderseits. Es ist, als ob ein allseitiger Vorwurf in jedem Gespräch im Heimatdorf mitschwingt. Und während sich die Fortgegangene als Verräterin fühlt und eine Rückkehr als Niederlage ansieht, schaffen sich die Zurückgebliebenen neue familiäre Ersatzbündnisse. Da ist diese alte Schulfreundin, die nicht mit hinüberwuchs ins Erwachsensein und zur rätselhaften Heileier-Händlerin mutierte. Bauernschlau, patent, rücksichtslos und irgendwie Ersatztochter für Kathleens Mutter. Misstrauisch und eifersüchtig beargwöhnt Kathleen diese neue Beziehung… Hier ist am Ende nicht alles gut. Über den Tod der Mutter hinaus, bleiben die zwei Frauen sich wesensfremd. Ein Haus ist wie eine dritte Haut weiß die leibliche Tochter, und das Elternhaus, das Nadine billig kaufte, trägt seither einen Wasserfleck, als würde es weinen. Die Autorin Sabine Rennefanz schildert uns eine Heldin in der Ferne ohne Mutterboden, die sich ihre Wurzeln wie einen Feind auszureißen versucht, aber darin jämmerlich scheitert. In meinem Magen hinterließ sie nur ein ungutes Gefühl. (pe)
Die Handlung beginnt 1966 in Wien im ärmlichen Viertel um den Karmelitermarkt. Der Tagelöhner Robert Simon hört davon, dass der Pächter der heruntergewirtschafteten Kneipe am Markt aufgibt. Er erfüllt sich einen Traum und verwandelt das schäbige Quartier in ein gepflegtes Café. Von diesem Ort erzählt der Autor Lebensgeschichten. Knapp und konzentriert wie beste Kurzgeschichten, die für sich stehen, aber zusammen eine wunderbare Milieu-Skizze jener Zeit ergeben. Mit Leichtigkeit und einem Schuss Melancholie erzählen all diese menschlichen Auftritte von der Schwere des Lebens. Bittersüß. Ein Roman über das Werden und Vergehen zu etwas Neuem. Empfohlen wurde er mir der Bestseller von meiner Freundin Ines, mir bescherte er wirklich wohligen Lesegenuss. (pe)
Kultverdächtiges Sommermärchen:
Eine mächtige Matrone lässt Wunderlichs Zug nach Norden stoppen und verweist ihn ins märkische Nirgendwo. Liebesschmerz stieß ihn fort aus Berlin, oder war es Anonym, der aus seinem Handy alleswissend funkt? Irritiert stolpert Wunderlich in das Leben von Finke, einem Kneipenclown, der ihn in seine Welt mitnimmt und dort, in einer abgetakelten und verschlampten Ex-Gastwirtschaft, zum folgenschweren Trinken einlädt, um schlussendlich zu verschwinden. Mysteriös. Dafür taucht das Mädchen Toni auf. Und nicht erst mit ihr entfaltet die Autorin Marion Brasch in ihrem zweiten Roman ein skurriles Alltagsmärchen als wunderliche Reise, in der Wunderlich für uns zum Abenteuer und er selbst zum Abenteurer wird. Langsam, aber keineswegs vorhersehbar. Dabei hilft ihm unbewusst ein Hut, den er aus Finkes Quartier mitnimmt. Der tarnt alle Verletzungen, die alten und die neuerlichen, die sich der Mann in unglaublich kurzen Takten zufügt. Aber in Finkes Garten finden Toni und Wunderlich in einer unglaublichen Sommernacht an einem Apfelbaum das sagenumwobene Blauharz. Ein glimmender Stoff, der alle Wunden spurlos heilt, aber das Wissen darum zugleich auslöscht. Es ist eine Freude, wie Marion Brasch uns in dieses Sommermärchen entführt, mit einem feinen Gespür für das Schräge, das Liebenswürdige, das so manchen Aussteiger umweht. „Wunderlich fährt nach Norden“ ist eine wundervoll leichtfüßig und doch auch verstörend erzählte Geschichte eines lebensuntüchtigen Kauzes, der plötzlich das Leben spürt, ohne zu wissen, wohin ihn das führt. Und die Autorin bewahrt für ihn und für den Leser beschützend dieses Geheimnis. Diese magische Sommerreise ist kultverdächtig und so einfach empfehlenswert.
Petra Elsner „Wunderlich fährt nach Norden“, Marion Brasch, S. Fischer Verlag, 19,99 Euro
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Wunderlich fährt nach Norden, Marion Brasch, S. Fischer Verlag, 19,99 Euro
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