Zunehmende Beunruhigung

Eine Buchbesprechung

Über allem schwebt ein Zweifel. „Du wirst nicht viel erfahren“, erklärt der Dichter gleich zu Beginn. Von absurden Begegnungen jedoch schon: Dem wiederkäuenden Alligator, Wolkentieren, einem Raben aus Kunststoff. Den kann man alles fragen (immerhin), ohne Antworten zu erwarten in einer Silvesternacht. Wir befinden uns im neuen Mieder-Buch. „Zunehmende Beunruhigung“ nennt er es. Ein Titel, wie aus der Zeit gepflückt für Gedichte, die eigentlich geistreiche Assoziationen sind zu einem Flohmarktbummel, städtische Miniaturen, durchwebt von Poesie. Ein bisschen abgeklärt, wie es das Älterwerden mit sich trägt. Mit 71 Jahren steht ihm das zu.
Eckard Mieder ist der poetische Meister des Moments. Er sieht eine Szene, und seine Gedanken führen das Bild ins philosophisch Absurde. Ein Gedankenspiel um essenzielle Menschheitsfragen; nach Sinn und Unsinn, Liebe und Tod, Lust und Vergänglichkeit. Oder aber: Fundsachen wie die „Pfotenpiloten“, eine seltsame Werbung zum Reinschnüffeln. Alltagsgeschichten. Das Sokratische über das Wissen und Nichtwissen durchzieht Mieders Abwägungen und Miniaturen, verabschiedet Träume und Verluste: „Mein Kontinent verliert seine Vögel…“; „die Aufrichtigen fehlen in der Zeitung.“ Wir erleben wölfische Gedanken über gefräßige Vorlieben und spüren die Gefahr, gefressen zu werden- ein Fabelbild. Daneben wehende Erinnerungen auf Schlittschuhen, Jahreszeitenbilder wie Flashbacks bevor der Schlaf kommt. Gelebte Poesie, die auch von folgenreichen Irrtümern erzählt:

Lebendige Irrtümer

Denen du über den Weg traust,
überließest du nicht mal dein Portemonnaie;
obwohl es leer von Geld ist und bewohnt
von einem ungültigen Perso, einem
getrockneten Blatt (Rose?) und mit
einem aus der Gosse gehobenen Abriss
aus einer Zeitung, die nur ihr Datum
noch lesen lässt: 4. Oktober 1990.

Aber die du nicht kanntest, obwohl du mit ihnen
trankest und an Ufern in die verschleierten
Himmel schautest – denen überschriebst du
Hab und Gut und wundertest dich, dass dir
niemand von ihnen aufmachte, als du
an die Tür deines einstigen Hauses klopftest
Und von draußen hörtest, wie sie
feierten und lobpreisten sich selber;
nicht mal dein Name fiel.

Ja, man kann noch viel erfahren in Mieders neuem Gedichtband, der melancholisch von beunruhigenden Abschieden spricht.

Petra Elsner

Zunehmende Beunruhigung, Gedichte von Eckhard Mieder, ISBN: 978-3-89793-329-3, Kartoniert, Paperback, verlag am park, Preis: 15 €

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Eine Buchbesprechung

Der Vogel im Preußenkleid des Igels
Gedichte von Eckhard Mieder

Das neueste Buch von Eckhard Mieder ist ein lyrisches Bündel, in dem der Autor selbst Protagonist in seinen Texten ist. Im Chamäleon-Gewand kann er Vogel, auch Igel sein. Seiten voller heiterem Gezwitscher, dann plötzlich stachlige Absurdität – ein echter Mieder also, der für seine Gedichte-Sammlung schon mal ins „Archiv der Albträume“ griff. Dabei begegnet er Ikarus und Sisyphus, um dann, ganz entspannt Orten die Stimmung abzulauschen. Der Leser begegnet mit „Fresslust gendernden Wespen“, von denen die dickste zur Hummel mutiert. Leichtfüßig, auch hadernd spürt der Dichter der „Rätsellast des Lebens“ nach, vergangenen Zeiten und Reisen nach Island, Schweden, Lappland. „Am Ende der Welt spricht Gott mit Gletscherzungen, Fischschuppen im Haar.“ Von der Schönheit der Natur überwältigt, schenkt er uns Wander-Balladen, witzige Sprachbilder, freche Aphorismen, scharfsinnige Verserzählungen, die wenigen vulgären Sprüche hab‘ ich großzügig überblättert. Nicht meins. Aber gleich dahinter freie Lyrik vom Feinsten mit humoristischer Note im Abgang, wie hier:

„Es gibt eine Stille

Schritte. Ein paar Dutzend Meter
in den Wald. Die Blaubeeren sind
geharkt von Menschen aus
Thailand. Die ausgehobenen Bäume,
braun vor Erde um ihre Wurzeln, ähneln
Bären im Stande launischer Scheu. Das Moos
klumpt zu Buckeln der Trolle.

Morgen ist. Bläue ist. Nicht
ein Vogel unterwegs. In der Nähe
gibt es einen See, in dem die Fische
beim Morgentee sitzen und Knäckebrot
essen. Was der Mensch kann, kann
der Rotbarsch seit langem; frag ihn mal.

Und nichts ist zu hören. Nichts.“

Und zwischen all dem expressionistisch Absurden ein Seitenhieb von West nach Ost:
„…Hab Geduld! Mach uns nicht das schöne Land entzwei
so plötzlich…“

In fast allen Notaten schwingt sie mit, die Liebe zu den Wurzeln, dem Land, das verlassen liegt und der Dichter weit weg, wo „die Sonne untergeht“ im Überdruss versinkt. Nur eine schwache Stimmung vielleicht, denn am Ende spricht er von Liebe und kämpft gegen Salomon um die bessere Hymne den Frauen. Da wagt er sich was und gewinnt (mein Lächeln).

Mieders Gedichte in „Der Vogel im Preußenkleid des Igels“ sind im Verlag am Park erschienen. ISBN: 978-3-89793-357-6, 130 Seiten, Softcover, 15 €

© Petra Elsner

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