Reportagen aus dem Schorfheidewald: Die Mitmenschliche

Annette Flade, 1950 als Kind einer Bäckerfamilie in Wittenberge geboren, studierte an der Humboldt Universität zu Berlin. 1973 heiratet sie Stephan Flade und absolvierte 1976 ihr 2. Theologisches Examen. Zwei Töchter hat das Paar herangezogen und einen Sohn adoptiert. Foto: Petra Elsner
Annette Flade, 1950 als Kind einer Bäckerfamilie in Wittenberge geboren, studierte an der Humboldt Universität zu Berlin. 1973 heiratet sie Stephan Flade und absolvierte 1976 ihr 2. Theologisches Examen. Zwei Töchter hat das Paar herangezogen und einen Sohn adoptiert.
Foto: Petra Elsner

Als vor drei Jahren Stephan Flade als Pfarrer in den Pfarrsprengel Groß Schönebeck eingeführt wurde, bemerkte das Dorf sehr schnell: Hier kommen eigentlich zwei. Denn Annette Flade war ebenfalls Pastorin, nur ohne Anstellung. Doch es war ganz klar, das die ehemalige Ausländerseelsorgerin (neun Jahre in Potsdam) und Entwicklungsarbeiterin (drei Jahre in Indonesien) nicht einfach die Hausdame in der Schlossstraße 9 geben würde. Dazu war in ihrem eigenen Leben zu viel geschehen. Eine, die Folteropfer betreute und für ein globales Miteinander auf Augenhöhe unterwegs ist, würde die Gedanken und Füße nicht stillhalten können. Denn diese Erfahrungen und Einsichten vertreiben die Behaglichkeit aus jedem Seelenwinkel. Es sind die großen Lebensunterschiede nebenan und in der Welt, die Annette Flade ruhelos machen. Und natürlich die Frage: Wie geht man mit ihnen um? 2006 hat sie in dem Buch „Geht dem Flüchtling mit Brot entgegen“ die Essenz ihrer Wahrnehmungen zusammengefasst. Keine leichte Kost.
Jetzt in der Schorfheide scheint alles kleiner gegriffen und hat doch einen großen Atem. Sie hat gemeinsam mit anderen Frauen das Lädchen „Solidario“, einen Eine-Welt-Laden eröffnet und meint dazu: „Viele Dörfer haben heute schon keinen Laden oder keine Gastwirtschaft als Kommunikationsmittelpunkt mehr. Aber so ein  Kirchenlädchen ‚Solidario’, mit kleinen, feinen Geschenkartikeln, Kaffee, Tee und Schokolade zu fair gehandelten Preisen, könnte theoretisch problemlos in jedem zweitem Dorf entstehen. Man hätte stundenweise einen Ort, um miteinander über das alltägliche Leben, Gott und die Welt im Gespräch zu sein.“
In Groß Schönebeck ist das indes so. Immer freitags von 16 – 19 Uhr schließt eine der Solidario-Frauen den Laden im Gemeindehaus auf und ist dort nicht lange allein. Man kommt um guten Kaffee zu kaufen oder ein schönes Tuch für die Freundin, ein kleines Spielzeug für ein Kind. Dabei kann man nicht nur ein paar Euro loswerden, sondern manche stille Sorge oder eine Verabredung treffen. Das Lädchen belebt das Dorf ebenso wie die „Offene Kirche“ im Sommerhalbjahr.
Seit dem Frühjahr 2010 hat sich um Annette Flade eine Gruppe von etwa zehn Gemeindemitgliedern gesammelt, die vom Mai bis September die schöne Immanuelkirche des Ortes für Besucher offen hält. Garantiert interessant für Jagdschloss- und Museumsgäste, die nun nicht mehr nur den imposanten Putzbau mit quadratischem Feldsteinturm, Fachwerkaufsatz und Schweifhaube von außen bestaunen müssen, sondern auch einen Blick auf den hölzernen Kanzelaltar, ionische Säulen, umlaufende Empore … werfen und dabei Preußische Geschichte erleben können. Draußen vor der Tür wartet dazu samstags und sonntags von 13 bis 17 Uhr ein Kaffee- (fair gehandelt) und Kuchentisch auf  Touristen und Dorfbewohner. Die Gemeindefrauen backen und laden zur Geselligkeit vor der Kirchenpforte. Kuchen gibt es gegen Spenden und für ärmere Dorfbewohner gänzlich kostenfrei. Offenen Herzens, nicht als Almosen.
Die Schönebecker hatten wohl ein gutes Gespür, welch menschliches Geschenk die beiden Flades für sie seien werden, als sie sie begrüßten. Obgleich – man wundert sich immer noch, wo die beiden Pastoren überall auftauchen ohne zu missionieren. Zu Geburtstagen, Jagdhornblasen, Festen …  Denn natürlich geht es zuerst einmal um das alltägliche Leben im Dorf. Um das Brückenbauen über historische Brüche und ein waches Gespür für den Wandel der Zeit, auch um den demografischen.
Annette Flade scheut sich nicht, heikle oder gar pure Angstthemen anzutasten. Krankheit und Sterben. „Man braucht ja nur vor die Tür zu treten, da sieht man die Probleme der Überalterung im ländlichen Raum.“ Es hilft gar nichts wegzusehen, und weil das Sprechen darüber vielen erst einmal schwer fällt, hat die Pastorin ein Denkangebot über bewegte Bilder angeschoben. Der interne, aber kirchenoffene Kinoabend „KINTOPP“ lebt aus-schließlich von Lebensthemen und ist dennoch gut besucht! Im Winterhalbjahr jeden ersten Donnerstag im Monat, 19 Uhr.
Kaum zu glauben, was das Paar alles in seiner kurzen Lebenszeit in der Schorfheide alles angeregt und inszeniert hat: Sommerausstellungen in der Winterkirche und die Konzerte „Schorheideklänge“, den Kintopp und das Solidario-Lädchen, das Gedenken, der von den Nazis ermordeten Pfarrersfamilie Wagner …  und Annette Flade wirkt nicht, als wollte sie leiser treten. Zu munter und herzbewegt ist sie unterwegs.

Kontakt: Jeden Freitag von 16.00 bis 19.00 Uhr im Gemeindehaus, Liebenwalder Str.54 (gegenüber der Kirche) im Obergeschoss. Andere Absprachen sind möglich unter 033393/341 oder 559.

Ein halbes Jahr waren die Flades nach ihrer Rückkehr aus Indonesien gewissermaßen arbeitslos und wohnten bei Freunden im Prenzlauer Berg, bevor sie seit dem 3. Februar 2010 das Licht im Pfarrhaus Groß Schönebeck anknipsten. Hier im Bild packen Sie ein Geschenk aus. Annette sagt über die zurückliegende Zeit: „Wir wussten, dass das Weggehen einfacher ist, als das Zurückkehren. Das hört man, stellt es sich aber nicht so dramatisch vor. Die Anstrengungen wirken bis heute nach.“ Foto: Petra Elsner
Ein halbes Jahr waren die Flades nach ihrer Rückkehr aus Indonesien gewissermaßen arbeitslos und wohnten bei Freunden im Prenzlauer Berg, bevor sie seit dem 3. Februar 2010 das Licht im Pfarrhaus Groß Schönebeck anknipsten. Hier im Bild packen Sie ein Geschenk aus. Annette sagt über die zurückliegende Zeit: „Wir wussten, dass das Weggehen einfacher ist, als das Zurückkehren. Das hört man, stellt es sich aber nicht so dramatisch vor. Die Anstrengungen wirken bis heute nach.“
Foto: Petra Elsner

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Reportagen aus dem Schorfheidewald: Der Steinmystiker

Vom Rhein nach Friedrichswalde und den Wölfen nah:

Bildhauer Lutz Kittler aus Friedrichswalde, Foto: Lutz Reinhardt
Bildhauer Lutz Kittler aus Friedrichswalde,
Foto: Lutz Reinhardt


Es hätte auch Frankreich werden können, wenn nicht Sigrid über die Broschüre „Wölfe in Brandenburg“ gestolpert wäre. Und so frohlockte sie, wedelnd mit dem Heft in der Hand: „ Lutz, wir müssen nicht nach Frankreich, wir ziehen in den Osten Brandenburgs.“ Und das taten sie 2003 auch, denn das Paar wollte ihr neues Leben in einem Landstrich beginnen, indem der Wolf noch oder wieder Zuhause ist. Es suchte eine spezielle Qualität von Natur, mit der sie eins sein wollten bis ans Ende ihrer Tage. Die fand sich in Friedrichswalde in der Schorfheide.
Lutz Kittler (65) hat es schon immer mit den Steinen und den Tieren des Waldes. Seit Kindesbeinen. Einen Hirsch vom Hochsitz aus bestaunen. Ergriffen von der Erhabenheit der Natur, wollte er ein künstlerisches Abbild dieser andächtigen Emotionen schaffen. 1947, als Kind einer ostpreußischen Flüchtlingsfamilie, wurde Lutz Kittler in Bad-Sachsa im Südharz geboren. In ärmste Verhältnisse. Es wundert nicht, dass er herangewachsen nicht sogleich seinen künstlerischen Ambitionen beruflich folgt, sondern Tiermedizin studiert und promoviert. Als Tierarzt wird er 25 Jahre lang eine selbstständige Praxis in Siegburg bei Bonn führen. Nebenher schafft er seine Skulpturen aus Basaltlava. Grenzsteine zwischen Alltag und Kunst. Vornehmlich tempel- oder altarähnliche Formen. Aber irgendwann war es genug. Denn dort, wo die Kittlers mit ihren zwei Söhnen lebten, acht Kilometer vom Rhein entfernt, waren sie umzingelt von verkehrstechnischem Lärm und Smog. Dort wollten sie einfach nur noch weg. Und der Tierarzt zog unter seinem alten Berufsleben einen Schlussstrich.
Wenn man heute die Friedrichswalder Dorfstraße passiert, winkte noch vor zwei Jahren eine lebensgroße Holzskulptur in Kittlers Skulpturenhof. Die wegweisende Holzgestalt ahmte die Chefin des Anwesens nach: Sigird Ryll-Kittler (61). Die studierte Kunstmanagerin kümmert sich um die Inszenierung des Hofes und anderer Kunstorte der Gemeinde. Die hölzerne Skulptur war ein „Einzelstück“ (inzwischen wurde sie leider geklaut), denn stilistisch geht der Bildhauer andere Wege: Klarer, reduzierter, archaisch-spirituell. Ganzjährig stehen seine Werke im Wind und Wetter der Schorfheide, setzen Moos an und werden wieder eins mit dem Landschaftsbild, dem sie handverwandelt entsprangen: Ein Kranichpaar, ein Hirschgötzen, verschiedenstes Blattwerk, Vogelstelen … und Motive aus dem Schmelz von Tier und Mensch zu einem Wesen. Chimären. Die erzählen allesamt die Geschichte vom Einssein mit der Natur. Geschaffen aus (fasst) ewigem Granit schärfen sie den Blick des Betrachters auf die Friedrichswalde umgebende Biosphäre. Und es scheint, dass der Ruf der UNESCO-geschützten Wildnis wieder einmal Menschen ins Land zog, die hierher passen, als wären sie schon immer da gewesen: Bodenständig und voller Liebe.
Neun Jahre siedeln die Kittlers jetzt schon im Brandenburgischen. Haben aus dem maroden Gehöft eine kleine Perle geschaffen. Zwischen all der Steinkunst schnattern Gänse, schnurren die Katzen und hinter Kunstscheue und Werkplatz blöken die Schafe, bewacht vom Hund namens Löffel. Der Skulpturengarten ist indes zum künstlerischen Erlebnisort für Einheimische und Touristen gewachsen. Dort veranstalten sie mit anderen Bildhauern Freilandausstellungen, die die interessierte Szene aus dem weiten Rund anlockt.
Es war anfänglich nicht klar, ob die Kunst das Paar wirtschaftlich auch tragen würde. Notfalls hätte der Doktor wieder lebende Tiere verarztet, aber dessen sinntiefe Arbeiten passen gut unter den Brandenburger Himmel und finden nicht nur Anklang, sondern auch Käufer.

Lutz Kittler hinter seinen  Arbeiten aus Granit, Foto: Lutz Reinhardt
Lutz Kittler hinter seinen Arbeiten aus Granit,
Foto: Lutz Reinhardt

Kontakt: SKULPTURENHOF, Dorfstraße 113, 16247 Friedrichswalde, Telefon: 033367/54773, E-Mail: info@skulpturenhof.de

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Reportagen aus dem Schorfheidewald: Die Alphafrau

„Zickenliebe“: „Ich verteile meine Liebe ganz gerecht auf alle Tiere, auch auf die kleinen Ziegen“, erklärt Imke Heyter. Wer den Wildpark besucht, für den empfiehlt sich festes Schuhwerk und ein Fernglas. Der Rundgang dauert mindestens 2 Stunden. Ganztägig gibt’s hier im Restaurant warme Küche., Foto: Lutz Reinhardt
„Zickenliebe“: „Ich verteile meine Liebe ganz gerecht auf alle Tiere, auch auf die kleinen Ziegen“, erklärt Imke Heyter. Wer den Wildpark besucht, für den empfiehlt sich festes Schuhwerk und ein Fernglas. Der Rundgang dauert mindestens 2 Stunden. Ganztägig gibt’s hier im Restaurant warme Küche.,
Foto: Lutz Reinhardt

Imke Heyter, Chefin des Wildparktes Schorfheide in Groß Schönebeck

Wer neben der Alphafrau steht, spürt sie, ihre gute Energie und ahnt, mit ihr kann man Bäume ausreißen, und auch – was Imke Heyter will, wird sie bekommen. Als ich ihr das erste Mal Ende der 90er Jahre begegnete, war noch ihr Vater Dr. Frank Heyter Chef des jungen Wildpark Schorfheide in Groß Schönebeck und sie seine Assistentin. Da war sie noch eine Zarte und mehr Staunende als Wissende. Anfang der Neunziger hatte der Vater mit ihr vor einer weiten landwirtschaftlicher Brache gestanden, und ihr seine Vision umrissen: Dort kommen die Wisente hin, dort die Exmoor Ponnys … und dort die Elche. Die wurde ab 21. April 1996, nach dem 1. Spatenstich, langsam Wirklichkeit. Inzwischen hat Imke Heyter Tourismus in Westfalen studiert und anschließend noch beim Jugendreiseveranstalter Reiseverkehrsfrau gelernt. Seit ihr Vater in Rente 2005 ist, führt sie den Park in seinem Sinne weiter.
Fast schwerelos klingt es, wenn die Imke von ihrer Aufgabe schwärmt: „Für mich ist es der schönste Arbeitsplatz der Welt, ich möchte nicht tauschen, auch wenn man sehr gebunden ist. 365 Tage im Jahr ist der 100 Hektar große Wildpark für die Besucher geöffnet. Da übernimmt man Tag und Nacht Verantwortung für die Tiere, alle Angestellten und nicht zuletzt auch für die Besucher. Man lebt es, oder man lässt es, etwas dazwischen gibt es nicht. Trotz Freude und Spaß an der Arbeit, geht es nur mit einem wirklich guten Team. Ich habe Mitarbeiter, die mit Leib und Seele dabei sind, und nicht streng auf die Uhr gucken. Alle sind fest angestellt. Ich halte nichts davon, Mitarbeiter im Winter zu entlassen. Wir sind hier in der strukturschwachen Region des Barnims, da hängt an jedem, der noch Arbeit hat, meist eine ganze Familie. Es gibt fast keine Fluktuation, wer sich bewährt, der bleibt.“
Seit 18 Jahren macht sich der weitläufige und unglaublich schöne Wildpark einen Namen in der Region. 80 Prozent der Gäste kommen aus Berlin, die Brandenburger immer, wenn sie Besuch haben. Anders ist es bei ihren sehr besonderen und fantasievollen Festen, da kommen auch die Einheimischen. Seit 2009 machen die Vollmondwolfsnächte von sich reden. Die Termine sind meist ausgebucht, deshalb gab und gibt es Zusatztermine auch über die kalendarischen Vollmondnächte hinaus. Imke lächelt: „Wölfe heulen nicht nur bei Vollmond, sie heulen selbst bei Tag. Aber ein bisschen Glück gehört dazu. Wir möchten ein authentisches Naturerlebnis bieten. Unser Angebot ist das europäische Wildtier, welches hier früher mal heimisch war oder wieder ist – präsentiert in einem natürlichen Großgehege. Das ist unsere Marktlücke aus der wir eigenwirtschaftlich agieren.“
Der Wildpark lebt von den Eintrittsgeldern und von dem, was die Gastronomie mit ihrer speziellen Wild- und Kräuterküche im Besucherhaus erwirtschaftet, denn die Chefin versteht es, die Park-Idee auszukleiden: Mit Spezialführungen für jedes Alter, Streichelzoo, Waldspielplatz, Kräutergarten, Fischräucherei usw. „Die attraktivsten Tiere sind zurzeit natürlich die Wölfe. Es sind vornehmlich die großen Beutegreifer, die die Besucher locken. Ich selber verteile meine Liebe ganz gerecht auf alle Tiere. Meine Favoriten sind schon Elche, Wölfe, Luchse, aber alle anderen auch“, verrät Imke Heyter
Die gebürtige Eberswalderin schwärmt: „Brandenburg aber ist meine Heimat, und ich finde es extrem schön. In den sechs Jahren, in denen ich in Westfalen lebte, habe ich erst festgestellt, WIE schön Brandenburg ist. Und ich finde es wichtig, dass die Leute in der Region bleiben und nicht alle abwandern.“ Auch deshalb arbeitet Imke Heyter raumgreifend an ihren Projekten, aber schauen Sie doch einfach selbst einmal nach den wilden Tieren in Groß Schönebeck.

Wildpark Schorfheide, Prenzlauer Straße 16, 16244 Groß Schönebeck, Tel: 033393 65855, Infos im Internet unter: www.wildpark-schorfheide.de

 

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Drei Landkreise teilen sich die Schorfheide

Das berühmte Waldgebiet Schorfheide ist heute Teil des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin. Kaum 60 Kilometer nördlich von Berlin öffnet sich hinter Groß Schönebeck, dem sogenannten „Tor zur Schorfheide“, eine atemberaubende Waldlandschaft. Die Schorfheide berührt drei Landkreise: Barnim, Uckermark und – oft vergessen – Oberhavel. Genauer: die Schorfheidedörfer Kurtschlag und Kappe (das „Kleine Tor zur Schorfheide“) gehören ebenfalls dazu. Der wild-romantische Winkel bei den Rabenbergen liegt fast vergessen in einer alten Moorniederung hinter dem Trämmersee und dem Zehdenicker Hauptgraben. Wer von Berlin kommend in sein Navi „kürzeste Strecke“ nach Kurtschlag eingibt, wird über das Barnimer Dörfchen Schluft geführt. In Schluft findet sich noch eine nahrhafte Quelle: Der Landgasthof „Zur Linde“ ist eine urige Wirtschaft, wie man sie heutzutage kaum noch vorfindet: Einfach, herzlich, ehrlich. (Nachtrag 2017 – inzwischen auch geschlossen!)
Von dort geht es sechs Kilometer über den Kurtschlager Damm, ein gewölbtes Kopfsteinpflaster, dass für tiefer gelegte Autos nicht befahrbar ist. Aber wer Zeit hat, kann bei Tempo 30 wunderbare Geistereichen ansehen oder stoppen und Pilze sammeln gehen. Hinter dem Entenparadies beginnt Oberhavel. Sichtbar ist das nicht, Landschaft kennt keine politischen Grenzen … Wer schneller mit dem Auto unterwegs sein will, wählt besser den längeren Weg über die L 100 von Groß Schönebeck bis zum Hotel Döllsee, dann links durch das uckermärkische Groß Dölln, weiter bis Kurtschlag oder Kappe.

Ungefähre Karte vom Bioshärenreservat Schorfheide-Chorin, Strichzeichnung: Petra Elsner
Ungefähre Karte vom Bioshärenreservat Schorfheide-Chorin, Strichzeichnung: Petra Elsner

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Baumhirsch im Zauberwald

Zuwachs im Kunstwald

Zauberhaftes Licht fällt in diesen Tagen in Siegfried Haases Kunstwald zwischen Kurtschlag und Klein Dölln. Jogger und Spaziergänger  werden an diesem Ort immer wieder aufs Neue überrascht und entschleunigt. Denn die Kunst- und Spaßobjekte verleiten, inne zu halten, sich selbst und die wundersame Natur des Schorfheidewaldes zu spüren. Mit ein bissen Glück betritt ein Reh die Stille.
Indes hat der Walderlebnisort Zuwachs bekommen. Bildhauer Lutz Kittler aus Friedrichswalde spendierte ihm eine ganz besondere Skulptur. „Baumhirsch“ nennt er sie. Das Objekt ist zugleich Ruhebanke, wie Initiator Haase

Siegfried Haase und Lutz Kittler im Zauberwald. Foto: Lutz Reinhardt
Siegfried Haase und Lutz Kittler im Zauberwald.
Foto: Lutz Reinhardt

im Foto vorführt. Es lohnt sich, mal wieder vorbei zu schauen. Der Einstieg erfolgt hinter der Bushaltestelle von Klein Dölln, weiter über die Bücke vom Döllnfließ, dann rechts am Fließ entlang, wo der Biber einst seine Wasserburgen baute, der ist jetzt allerdings zum Eichendamm umgezogen.

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Reportagen aus dem Schorfheidewald: Die Weitsichtigen vom Turm

Richard Hurding und Sarah Phillips auf der Plattform: Das BIORAMA-Projekt in Joachimsthal verbindet Kunst, Design und Tourismus mit der Natur. Die Aussichtsplattform auf dem Wasserturm ermöglicht eine unverbaute Sicht auf den Grimnitzsee, den Werbellinsee und die umgebende Landschaft. Foto: Petra Elsner
Richard Hurding und Sarah Phillips auf der Plattform: Das BIORAMA-Projekt in Joachimsthal verbindet Kunst, Design und Tourismus mit der Natur. Die Aussichtsplattform auf dem Wasserturm ermöglicht eine unverbaute Sicht auf den Grimnitzsee, den Werbellinsee und die umgebende Landschaft. Foto: Petra Elsner

Als sie den Blick aus einer angestrengten Arbeit nahmen, war es genug. Denn eigentlich sind sie zwei Weitseher, der Schotte Richard Hurding (51) und die Engländerin Sarah Phillips (50). Und nicht erst, seit sie von ihrem Turm in den Schorfheidewald schauen.
Immer schon verband Richard Hurding modernes Design mit Ökobau. Ende der 90er Jahre entwarf der Designer die erste Innenausstattung eines Londoner Ladens komplett nach ökologischen Gesichtspunkten. Damals waren Energiesparlampen neu. Aber wegen der seinerzeitigen Wirtschaftskrise, kamen sie auf diesem Gebiet nicht voran. Deshalb ging der Mann 1994 nach Hongkong arbeiten. Die ganz frische Beziehung zu Sarah, die als der Managerin in London blieb, erfuhr somit einen frühen Härtest. Ein Jahr später folgte Sarah ihrem Richard nach. Aber 1997 zog es das Paar zurück nach London. Dort bauten sie sich eine Fabriketage zum Loft um. Richard arbeitete als Mitarbeiter für gutes Geld in einem Architekturbüro, Sarah in einem Design-Geschäft. Nach drei Jahren planten sie den Ausstieg und waren glücklich, als plötzlich die Immobilienpreise explodierten. Die Zwei wären auch ohne diesen Umstand in die Welt gegangen, aber so war es leichter.
2001 zogen sie den Schluss-Strich unter ihre Londoner Zeit, in der sie sich unter „ganz reinen, aggressiven kapitalistischen Bedingungen verdingen mussten“, wie es Hurding heute nennt. „Das war wirklich unangenehm! Und außerdem – es war nicht mehr unser London“, erzählt er. So verkauften sie die Fabriketage und tourten: Drei Monate Lissabon, drei Monate Barcelona, drei Monate Berlin, drei Monate Schanghai … Es sollte mehr als nur eine Atempause werden. Fortan wollten sie selbstbestimmt leben und etwas Eigenes, Bleibendes schaffen. Die Entscheidung fiel schwer, „denn überall war es irgendwie großartig“, schwärmt Sarah immer noch.
2002 saß Richard, einst Radsportler, auf seinem Rad und schruppte Kilometer von Berlin aus nach Joachimsthal. Da sah er ihn, diesen alten Wasserturm auf dem grünen Hügel zwischen Grimnitz- und Werbellinsee. Und als er von diesem Turm in die Landschaft sah, ahnte er, dass jenes bezaubernde Eiszeitszenario der neue Lebensmittelpunkt sein könnte: „Ich dachte auch, hier könnte man eine Brücke zwischen meinem Ökobau und Sarahs Kultur schlagen“ verrät Richard und sie setzt hinzu: „Aber ohne die Vorsilbe „UNESCO“ wäre es nicht in Frage gekommen.“ Es ging nicht nur um die Schönheit, sondern vor allem um die Bedeutsamkeit des Blicks in die Weite des UNESCO Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin.
2003 kam die Entscheidung für Joachimsthal. Das Hügelland haben sie gekauft. Für den Turm bekamen sie von der Stadt einen Erbbaupachtvertrag. Der Ausbau des Wasserturmes war ein Abenteuer. Er war als Einsteinmauerverbund gebaut. Um ihn für das Wohnen und für den Besucherverkehr auf dem Dach stabil zu machen, wurde von innen ein zweiter Turm hochgezogen. Darin lebt und arbeitet heute das Paar auf ganz minimalistische Weise. Das Opulente ist der Rundumblick und das Sonnenlicht des ganzen Tages.
Die Aussichtsplattform erreicht der Besucher über einen zusätzlich errichteten Aufzugsturm, der wie ein Spaceshuttle an dem historischen Bauwerk sitzt. Verbunden sind die beiden Gebäude durch eine Wendeltreppe, deren Konstruktion so viel Leichtigkeit suggeriert, dass dem einen oder anderen schon etwas schwindelig beim Aufstieg wird. Die Gestalt entwarf Architekt Frank Meilchen.
2006 wurde die Aussichtplattform in 21 Meter Höhe für Besucher geöffnet. Das von Sarah und Richard gegründete BIORAMA-Projekt wurde nun erstmals erlebbar. Genauer gesagt, seither (stand 9. August 2013) haben 100 000 Menschen die Eiszeitlandschaft aus einer neuen Perspektive erfahren. „BIORAMA“ – das ist ein Kunstbegriff und was er meint, erklärt sein Erfinder: „Wir wollen den Gästen mit unserem 360-Grad-Panorama den großen biologischen Schatz dieses Waldgebietes näher bringen“. Und dieses Sensibilisieren gelingt Ihnen auch.

Kontakt: Am Wasserturm 1, 16247 Joachimsthal
Telefon: 033361 64931, BIORAMA-Pojekt

Der Wasserturm von Joachimsthal: Die BIORAMA-Aussichtsplattform ist immer von Ostern bis 31. Oktober, Donnerstag bis Sonntag sowie an Feiertagen, von 11.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. Foto: Lutz Reinhardt
Der Wasserturm von Joachimsthal: Die BIORAMA-Aussichtsplattform ist immer von Ostern bis 31. Oktober, Donnerstag bis Sonntag sowie an Feiertagen, von 11.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. Foto: Lutz Reinhardt

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Reportagen aus dem Schorfheidewald: Ein Überraschungskünstler für das Ufo im Märchenwald

Als Bernd Kanzow (50) sich im Dezember 2009 das Tagungszentrum der Wirtschaft, Hubertusstock 2, ansah, war ihm schnell klar, es würde nicht einfach sein, dem futuristischen Bau Leben einzuhauchen. Seiner Frau erzählte er von einem „Ufo im Märchenwald“. Knorrige Eichen blickten stumm auf den Ankömmling aus Hannover, der sich fasziniert im milchigen Dunst den Schorfheidewald grün vorstellte. Es gefiel ihm, was er tagträumte. Fortan besaß das „Ringhotel Schorfheide – Tagungszentrum der Wirtschaft“ einen neuen Chef. Einen, der nicht auf austauschbare Beliebigkeit, sondern auf Charakter, Charme und regionalen Touch setzt. Das ist durchaus gegen den Strom, denn die meisten Hotelketten vereinheitlichen ihr Erscheinungsbild und auch kulturelle Angebote sind oft zentralgesteuert.
Inzwischen ist Bernd Kanzow mit Frau und Tochter nach Prenden gezogen und zum Brandenburger geworden. Immer noch schwärmt er „Ich finde: Das Ringhotel Schorfheide ist ein superschönes Haus in einer Spitzen-Lage. Die hohen Fenster machen das Gebäude transparent. Jahreszeiten werden im Haus sichtbar. Es wirkt nie trüb, weil es mit und in der Natur lebt.“
Der nüchterne Stil entspricht durchaus der Art des gebürtigen Norddeutschen. Aber Kanzow spürte, „dem Haus fehlte die Seele.“ Das zu ändern, wurde zur Hauptthema für den gestandenen Hotelier. Jetzt wohnt in jedem der 55 Gästezimmer Hotelelch Hubert, ein wonniges Kuscheltier. Auf den Nachtischen laden Schorfheidemärchen zur Gute-Nacht-Geschichte ein. Unverwechselbare Details.
Die Wandelhalle hatte sich bei manchen Gästen den bissigen Spitznamen „Sing Sing“ erworben. Bernd Kanzow lacht schallend, nein, ein amerikanisches Zuchthaus solle man hier nie wieder assoziieren. Regionale Künstler kamen nun mit Dauerausstellungen ins Spiel. Ihre Bilder belebten auffällig den Ort und förderten zugleich die Kommunikation der Anwesenden. Derzeit dekorieren Banner mit Waldmotiven die Halle – warme Akzente, die aber nicht den klaren Stil des Hauses brechen.
„Mit dieser Belebung verändern sich auch die Zielgruppen“, verrät der Hotelier. „Plötzlich kommen Familien hierher, um Hochzeiten und andere private Feste zu feiern. Mit der Lage des Hauses, dem Park, der Nähe zum Werbellinsees und natürlich unserem Restaurant „Von Hövel“ mit Kamin, Bar und Terrasse – das passt hervorragend zu Familienvergnügen. Unterhalb der Woche buchen uns wie immer Seminar- und Tagungsgäste, das ist unser Hauptgeschäft.“
Darüber hinaus hat der Hotelchef eine bemerkenswerte Erlebniskultur entwickelt: In die eigens für Gäste geschaffene Kochwerkstatt wird zu Kursen und Kochaktionen eingeladen. Einzigartig ist das Geocaching auf Segways. Drei Stunden geht es dazu durch die Schorfheide. Man muss unterwegs Bogenschießen, Golfen, Rechenaufgaben lösen, Schätze finden. Aber auch das Restaurant bietet spannende Inputs: Reisen durch die Welt der Weine oder Cocktail-Kurse. Das spezielle Wissen vermittelt Kanzow höchst selbst. Auch einen Knigge-Kurs zauberte er aus dem Ärmel, darin geht es um das Auffrischen von guten Tischmanieren.
Womit auch immer der Gast dieses Vier-Sterne-Hauses überrascht wird, er wird vom Chef des Hauses oder seinem Assistenten persönlich geleitet. Das ist es, was die Gäste schätzen. „Klar, macht mir das auch Spaß mit einem Segway durch die Gegend zu düsen, aber darum geht es nicht, sondern um das sich kümmern“, erzählt der Überraschungskünstler. „Den Gästen einen persönlichen Kick geben.“ Und diese persönliche Betreuung ist nachhaltig, denn die Gäste sprechen darüber und kommen wieder. Für die Zukunft wünscht sich der Neu-Brandenburger: „Das die vielen Highlights der Region unter einem Dach gebündelt werden und nicht als kleine Königsreiche vor sich hindümpeln.“ Konzentriert für den guten Ruf zu arbeiten nennt er das und weiß, es wird noch etwas dauern.

Kontakt: Ringhotel Schorfheide Tagungszentrum der Wirtschaft, Hubertusstock 2, 16247 Joachimsthal, Telefon: 033363 505

Hotelchef Bernd Kanzow: „Ich bin ein Mensch, der sein Haus prägen muss. Im letzten Hotel in Niedersachsen war ich nach zehn Jahren fertig. Das Haus hatte einen super Status erreicht, es war alles getan. Deshalb suchte ich eine neue Herausforderung und kam nach Brandenburg.   Foto: Petra Elsner
Hotelchef Bernd Kanzow: „Ich bin ein Mensch, der sein Haus prägen muss. Im letzten Hotel in Niedersachsen war ich nach zehn Jahren fertig. Das Haus hatte einen super Status erreicht, es war alles getan. Deshalb suchte ich eine neue Herausforderung und kam nach Brandenburg.
Foto: Petra Elsner

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Reportagen aus dem Schorfheidewald: Der Heide-Rebell

Waldskulpturen 2012-kl

Waldskulpturen von Siegfried Haase

Er setzt schon einmal den Stein des Anstoßes, der Siegfried Haase aus Groß Dölln. Jenem Dorf im Schorfheidewald, dem man nachsagt, hier wurden einst die neugeborenen  Söhne auf den Dachfirst gesetzt, um ihre Zukunft vorher zu sehen: Fällt er nach vorn, wird er ein Wilddieb, fällt er nach hinten, wird er ein Holzdieb. Kein Wunder, in „Hungerdölln“ waren die beruflichen Perspektiven nie üppig. Der Boden, auf dem man hier siedelt, ist so mager, dass selbst die zwei Döllner Bauern zu DDR-Zeiten nicht in eine LPG gepresst wurden. So kam es, dass Haases Vater ein freier Bauer blieb und der Sohn unangepasst aufwuchs. Mit dieser „unsozialistischen“ Herkunft konnte man damals leider auch nicht Förster werden, wie er es gern wollte. Vielleicht erklärt sich daher seine Affinität zum berüchtigten Döllner Wildererkönig Georg Schäfke. Über ihn hat ein Buch mit herausgegeben  und  2007 hat er zusammen mit ein paar anderen Döllnern, diesem Wilddieb einen  Gedenkstein am Koppelberg gesetzt. Das gefiel nicht jedem. Auch das findet der Mann in Ordnung.
Er war lange weg, der Siegfried Haase, wegen der Lehre zum BMSR-Techniker, der Arbeit und der Familie in Berlin. Sein Haar ist schon in den 80ger Jahren grau geworden, als die Russen in Dölln seinen Vater überfuhren. Damals ließ man ihn von Amts wegen nicht zurückkehren in sein Elternhaus.* Er musste sich wahrlich ein kleines Sommerhaus unter schwierigen Bedingungen aufbauen, um die Wochenenden und den Urlaub in der Schorfheide verbringen zu können. Ohne die Heide leben, dass wäre für den Naturfreund nicht gegangen.
Haase ist mit 60 Jahren und in Altersteilzeit gegangen. Viel Zeit verbringt er seither in Groß Dölln. Und keine Minute hat er sich seither  gelangweilt. Auf dem geerbten Hof werkelte er schon Jahre lang in den umfunktionierten Ställen. Dabei wuchs er, inspiriert vom Metallbildhauer R. Pfeiffer und Bildbänden von Andy Goldsworthy langsam zum Metallkünstler heran. Getrieben von einer herzerfrischenden Spiellust und einem sensationellen Mutterwitz. Sein verwunschen wirkender Garten ist ein Refugium für all diese spöttischen Objekte. In seinen Inszenierungen aus Gartenforke, Radnabe, Felgen, Speichen, Federn…ist fast immer ein schräger Vogel mit von der Partie. Auch nicht verwunderlich, denn Haase ist Freizeit-Ornithologe. Er macht sich Gedanken um das Ganze und um das Detail. Dabei denkt er gern quer und anders als andere. Jetzt fragt er sich gerade, wie man am besten eine Landschaft „aufladen“ kann. Und meint damit, sie spannender, reizvoller, anziehender, wertvoller zu gestalten.
Gemeinsam mit dem Zehdenicker Bildhauer Uwe Thamm kam ihm ein Überraschungswald in den Sinn. Da es sein Wald ist, der da im Kurtschlager Gebiet liegt, musste er keinen fragen, konnte einfach loslegen. Hinter den Wiesen zum Döllnfließ, bei Klein Dölln, zieht die Waldkante einen schönen Bogen. In ihm finden sich bizarre „Burkusseln“, also krummwüchsige, vielarmige Bauerkiefern, die geradezu zum künstlerischen Spiel einladen. Hier haben Haase und Thamm einiges für den Wanderer und Jogger versteckt: Aufgehängte, vom Biber angespitzte Klanghölzer, anderswo ein Stuhlnest am Stamm,  weiter hinten lenkt ein Wanderbaum den Weg in die Wolken. Ein Hahn und dort ein Pfau… verstecken sich hoch oben im Geäst – erst auf den nächsten Blick sichtbar. Am Boden begegnet man aus Todholz einem Gnom, unweit einem Zweiten … Der parkähnliche Überraschungswald wächst immer weiter. Und Haase meint: „Es geht uns hier um Kunstobjekte aus natürlichen und anderen vergänglichen Materialien. Oder anders gesagt, den Vorgang des Verfalls gehört mit zur Kunst.“ Solche Kunst übt einen ähnlichen Reiz auf ihn aus, wie der morbide Charme verfallender Häuser, „wenn es denn nicht das eigene ist“, witzelt er. Anlass für dieses Gestalten, ist das Nachdenken über das Entstehen und Vergehen anzuregen, aber auch der Spaß, den man dabei hat. Materialien dafür sind absterbendes Holz, Steine, Leder, rostiges Metall, aber es könnte auch Papier sein. Ein Foto hält die Idee für die Ewigkeit fest. Der Rest verweht irgendwann als Rost mit dem Wind,  wird Humus oder vom Regen fort gespült. Auf keinen Fall aber kommt unverrottbarer Plastikmüll zum Einsatz.
Haase will keinen sogenannten Kunstpfad initialisieren, der dann massenweise beschritten wird. Es soll eher zugehen, wie beim Pilze suchen. Die ersten, die ihre Waldfantasien entdecken, sollten seiner Ansicht nach die Einheimischen sein, die vielleicht den Kopf schütteln, sich wundern, kichern, stolz darauf sind und es deswegen weiter erzählen. Den Ort weiter zu beleben, lädt Haase seither Künstlerkollegen und ähnlich Denkende ein. Ihre Ideen müssten sie dann selbst umsetzen. Es darf nichts kosten, und es gibt kein Geld dafür.
Neulich traf der Künstler im Wald den Jäger und Naturwächter Rudi Christian aus Kurtschlag. Der scherzte: „Na, wie viel Kunst verträgt dein Wald?”, und Haase antwortete: „Ihr möbliert den Wald mit Hochsitzen, und wir hängen dazu die Bilder …“

Kontakt Kunstwald: Siegfried Haase, Kleine Dellenstraße 9, 17268 Templin OT Groß Dölln, Mail: siegfried.haase@freenet.de

*Zu DDR-Zeiten, wurde der Wohnraum von einer staatlichen Wohnraumlenkung, auch der private, mit Einquartierungen belegt, wenn er ein bestimmtes Maß überschritt.

Siegfried Haase aus Groß Dölln mit seiner Arche. Foto: Petra Elsner
Siegfried Haase aus Groß Dölln mit seiner Arche. Foto: Petra Elsner

Eine weitere Reportage aus dem Schorfheidewald hier

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Vom Sambasyndrom im Schorfheidewald

Die Trommeln hallen aus dem Buschdorf in den Schorfheidewald und erzählen vom unbändigen Frohsinn. Der hat überhaupt kein Alter und so kam es wohl, dass Kurtschlags Trommler 18 Spieler im Alter zwischen 15 und 80 Jahren vereint. Und wer ihnen zuhört, der ist mitgerissen.
Alles begann mit zwei Zugereisten. Von Thüringen, über Berlin ins 300-Seelen-Dorf Kurtschlag. Sie bewohnen seit 1997 das Rosenhäuschen nicht nur im Sommer, wie anfänglich vor 17 Jahren. Die Berliner, jetzt Zehdenicker Rechtsanwältinnen Patricia Virgiels (46) und Sabine Kupfer (60) spielten seinerzeit zum Ausgleich bei „Brincadeira“, den Trommlern vom FEZ in der Berliner Wuhlheide mit. Einmal im Jahr verlebten jene ein Probenwochenende auf dem Lande. Man konnte das Gemeindezentrum kostenlos nutzen. Als Dankeschön spendierte „Brincadeira“ eine öffentliche Probe dem Schorfheidedorf. Fein gemacht, kamen viele und wippten fasziniert mit.
1995 las Patricia in der Zeitung, dass die VHS einen Wochenendkurs im Conga-Trommeln anbot. Dorthin rief sie ihre innere Stimme. Aber es dauerte noch bis 1998, da entdeckte sie die Samba-Gruppe „Stick’n Rainbow“ auf einer Berliner Straße. An die dockte der Trommelneuling an, während die Akkordeon spielende Sabine nur zusah. 2001 warb die Gruppe „Brincaderia“ aus dem FEZ um Zuwachs. Und dorthin kam nun auch Sabine mit, denn zu Haus hatte ihr Patricia längst beigebracht, was sie gelernt hatte. Urlaubsfortbildung über die Landesmusikakademie auf Small Percussion, Spielfreude bei Conga-Workshops, afrikanische Djembes … All das und die wöchentliche Donnerstagsprobe im FEZ, brachte sie musikalisch voran. Weltweit mischen sich derweil die Samba mit dem Tango, mit Kubanischen Rhythmen und Balkanmusik zu einem sich immer wieder neu erfindendem Globel-Sound. Spannend.
Als 14 Kurtschläger vor gut vier Jahren meinten, eine Samba, genauer eine Bahia, zum 260. Jahrestag des Dorfes, auf Parkett legen zu wollen, wuchs die Herausforderung für Patricia und Sabine gewaltig. Plötzlich standen die zwei Spielerinnen vorne und lernten nun zu unterrichten. Altersgerecht. Beispielsweise einen anderen Rhythmus für Erika Asmus und ihre Rocar zu finden, damit die Kraft der damals 79-Jährigen ausreicht. Zu schwierig – dieses sportliche: Datschdadatschdadatsch. Herauskam ein langsameres Datschdadatsch, dass Erika schafft und bei Laune hält.
Es sollte eigentlich nur der Jubiläumsbeitrag des ortsansässigen Kulturvereins sein, aber plötzlich waren alle von der Samba infiziert. Detlef Brünnich stellte sich als Naturtalent heraus. Beinahe alle anderen brauchten gelegentlich Einzelunterricht, damit das eine Stück, innerhalb eines halben Jahres, auch klappt. Geprobt wurde einmal pro Woche. In Auftrittsnähe alle zwei Tage. Es wurde schließlich (unterstützt von „Brincaderia“) ein Bombenerfolg. Was Wunder, dass die Kurtschlager Trommler Lust auf mehr hatten und einfach weiter übten. Die Instrumente waren bis dahin geliehen. Jetzt wurden eigene erworben, Auftrittsgarderobe auch, denn Auftritte gibt es nun öfter: Bei den Kulturwochen in Zehdenick, im Feriendorf am Groß Väter See …
Die Chefinnen hatten es geahnt. Wegen der vielen Zeit, die an dieser musikalischen Sozialarbeit dran hängt – hatten sie erst Skrupel. Aber der Reiz, in dieser ungewöhnlichen Formation zu spielen, war dann doch größer. Im Winter mischten Sabine und Sohn Oliver (37) für jeden Spieler Lern-CDs ab. Die Stücke, die einzelnen Stimmen … Wieder ein Wochenende voller Freizeitarbeit.
Sie nennen sich „Os Velhos Sambeiros”, zu Deutsch: Die alten Sambaspieler. Aber inzwischen ist auch der 15-jährige Kevin Batorsik dabei, der mit seiner Oma nach dem Dorffest dazu kam. Der spielt die Surdo, die brasilianische Basstrommel. Als 19-Jährigen hatten Sabine und Patricia Tobias Steddin eingesammelt, während er im Dorf Zeitungen austrug. Wissend, der spielt schon lange Schlagzeug im häuslichen Keller allein und für eine Mädchenband. Tobi wunderte sich, „wie schräg die Töne kommen“. Das hinzukriegen, war selbst für ihn nicht leicht, aber fesselnd. Inzwischen studiert er weit weg. So ist ganz klar: „Os Velhos Sambeiros sucht immer Nachwuchs – gleich welchen Alters.
Nach nur einem Jahr hatten die Kurtschläger Sambaspieler fünf endlos variierbare Stücke drauf: den Opener, Samba-Duro, Samba-Reggae, Bajao und den Funk, längst können sie mehr. Aber den Funk, den liebt besonders die 73-jährige Sieglinde Imm. Die kleine Frau lächelt bei ihrem Rattatatam auf der kleinen Trommel überglücklich – ganz vorne im Rampenlicht. Nein, leicht viel ihr das Rhythmusfinden nicht, aber sie genießt das lustvolle Gemeinschaftsspiel und die anderen auch.

2-Die Kurtschlager Trommler-kl

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Reportagen aus dem Schorfheidewald: Von Brunchkonzerten und Kräuterwissen

Vorab bemerkt: Diese Geschichte ist Legende, die Schulzes  werden am 15. August 2016 die Schorfheide verlassen.

 

Kappe (2013): Es gibt Dörfer in Brandenburg, die sind so klein und doch bärenstark. Mag es daran liegen, dass allein der Gedanke, irgendwann zu verschwinden, die Menschen umtreibt, und sie zu Rufern in der Zeit heranwachsen. Kappe, das „Kleine Tor zur Schorfheide“, gehört mit seinen schlapp 150 Bewohnern dazu. Als ihre Backsteinkirche 2009 dem Verfall preisgegeben wurde, trat das Paar vom Schulze-Hof auf den Plan und gründete 2010 den Förderverein Kapper Cappe e. V.. Seither gibt es an diesem abgelegenen Ort sommerwärts die exklusive Brunchkonzerte mit Kammermusikern der Deutschen Oper zu Berlin. Die Speisen sind ebenso erlesen wie die Musik. 18 Euros zahlt der Gast für diesen Hochgenuss und füttert damit zugleich die Kasse für den neuen Kirchturm. Weil es aber rund 50 Jahre dauern würde, auf diese Weise das Geld einzuspielen, kümmert sich Christian Schulze (68) um geförderte Finanzierung und Sponsoren. Doch damit die Gäste kommen, um immer öfter auch zu bleiben, drehen Karin (57) und Christian Schulze am ganz großen Rad.
Seit 1982 bauen die zwei ehemaligen Berliner am Schulze-Hof. Vor drei Jahren zogen sie ganz aufs Land. Heute beherbergt ihr romantisches Kneipp-Gästehaus 12 Ferienbetten, ein Kräuter- und Geschenkelädchen und Erlebnisgarten der besonderen Art. Die Montessori-Erzieherin Karin hat ein Händchen für schöne Arrangements in Haus und Garten, und als Kräuterkundige auch für gesund machende Speisen.
Karins Fabel für Kräuter spürte sie früh, heute meint sie: „Dieses Kräuterwissen ist unser Kulturgut, wir sollten es nicht umkommen lassen.“ Und deshalb gibt die Frau ihre Erfahrungen bei ihren Kräutertagen anderen weiter. Aber die kompromisslose Hinwendung zum gesunden Leben begann, als ihr Mann an Krebs erkrankte, und nur noch eine vage Lebenserwartung von zehn Jahren von seinen Ärzten vorausgesagt bekam. Das ist 27 Jahre her. Karin war nach dieser Diagnose und Operation klar: „Wir müssen in unserem Leben alles ändern.“ Zuerst hieß es für das Paar und die zwei Söhne auf Schweinefleisch zu verzichten. Nach dem Konzept von Dr. Reckeweg. „Mit der Ernährung fällt und steht man“, erklärt sie, „und ich habe schon lange als Erzieherin darauf geachtet, dass die Kinder möglichst wenig Konservierungsstoffe zu sich nehmen. Anfänglich gab es einen Aufschrei, als ich das in der Kita und Zuhause umstellte. Aber ich musste nun auch genau gucken, was ich stattdessen Schmackhaftes auf den Tisch brachte. Damals war das noch ganz schwierig. Dann entdeckte ich im Gesundbrunnencenter Truthahn, der für uns zur Alternative für das Schweinefleisch wurde.“ Sie ist davon überzeugt, dass es ihrem Mann das Leben gerettet hat und so trägt sie den Gedanken weiter. Ein Kräuterlehrgang brachte Frau Schulze zu Kneipp, wonach sich ihre Ferienanlage zum das Kneipp-Gästehaus wandelten. Überall im Garten finden sich Studienhinweise – ein grünes Ferienseminar. „Kneipp passte einfach zu uns“, meint Christian und erläutert: „Gesundheitskonzept heißt immer: Einklang von Seele, Ernährung und Bewegung. Da darf man auch nichts weglassen, es ist eine Einheit. Und Kneipp hat noch zwei Komponenten dazu: die Ordnungs- und Wassertherapie. Wenn das funktioniert, dann hat man eine gute Aussicht, ein hohes Alter zu erreichen.“
Gewiss. Mit solchen Auffassungen und Haltungen ist man gelegentlich für seine Umwelt auch anstrengend. Ständig ändert sich so der äußere und dörfliche Beistand, denn das Anliegen des Cappe-Vereins weiter in Schwung und auf hohem Niveau zu halten, kostet Kraft.
Karin findet: „Immer dabei etwas Neues, Gutes anzubieten, damit die Leute zu den Konzerten kommen, dabei etwas für sich entdecken können, um es mit in ihr Leben zu nehmen – das ist unser Anspruch.“ Deshalb gibt es neben dem Konzert satte 62 Gerichte beim Brunch. Dazu eine Kräuterecke, einen Wildkräuterplatz mit Informationen und Material, zwei, drei Tische allein mit Kräutergerichten. Christian verrät: „Unsere weitgereisten Musiker, die ja umsonst spielen, sagen über den Brunch, so etwas hätten sie noch nirgends gesehen und es überträfe alles. Der Kern ist meine Frau selbst. Bei den Helfern ist sie verschrien als perfekt. Aber sie lässt nicht locker, dirigiert das Herrichten, Zuordnen, Beschriften, manchmal gibt es darüber auch Krach.“
Als sie den Brunch ohne Schwein formulierten haben die Leute im Dorf „Um Gottes Willen gerufen!“ gerufen. Doch Karin blieb fest und eindeutig. Viele dachten, das ginge gar nicht, aber es geht. Es gibt leckere Aufstriche, Salate, Desserts, Eintöpfe, Kuchen, Truthahn … und es kommen immer mehr Konzerthörer in das kleine Dorf im Schorfheidewald. Da auch für sie die prächtige Tafel gedeckt werden will, werden 2013 Spendenbüchsen für das gute Essen aufgestellt, was wohl jeder verstehen kann.

Porträt-kl

Kontakt: Schulze-Hof, Kapper Dorfstraße 37, 16792 Zehdenick, OT Kappe, Telefon: 03307 315110; Förderverein: www.kapper-kirche.de

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