Falsche Federn – eine Kurzgeschichte in Arbeit (Abschnitt 2)

… Das seltsame Pärchen schwankte durch die Nacht. Beide hatten reichlich Wein getankt, deshalb stolperten sie zu Fuß auf ihren langen schlaksigen Beinen über das bucklige Gehwegpflaster. Hanna war ein großes schlankes Mädchen, aber Herr Weiß war sozusagen richtig dürr und noch einen Kopf höher gewachsen. Eine echte Latte eben. Die Zwei muteten an, als würde sie der nächste Windstoß mit sich reißen können, aber das täuschte. Doch wegen der Stolperei hatte sich Hanna sicherheitshalber bei Herrn Weiß eingehakt und fragte diesen nun: „Wie schmecken eigentlich Ostschrippen?“
Weiß schnalzte mit der Zunge nach seinen Geschmackserinnerungen: „Na, knusprig, würzig und fest, also nicht so fluffig wie die heutige Industrieware.“
„Aha.“
Die Kleinstadt schlief still. Nur die Häuserwelt starrte mit tiefschwarzen Glasaugen und sah wie Konstantin Weiß eine düstere Toreinfahrt ansteuerte. Die junge Frau ergriff zaghaft seine Hand. Mondlicht fiel in den muffigen Hinterhof. Plötzlich nahm der Theatermann Anlauf und sprang höchst athletisch auf eine der Mülltonne, die dicht bei der Ziegelmauer stand. Von dort oben murmelte er: „Wir müssen ins Nachbarhaus, aber das ist immer verschlossen.“ …

© Petra Elsner (Text & Zeichnung)
26. März 2019

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Falsche Federn – eine Kurzgeschichte in Arbeit (Abschnitt 1)

Er trug den Glanz einer Sonne. Und alle, die bei ihm standen, schienen mit ihm zu leuchten, obwohl die Premiere zu „Leonce und Lena“ im Stadttheater schon dem gestrigen Tag gehörte. Es war weit nach Mitternacht, aber im Theaterkeller wurde der schrägste aller schrägen Vögel gefeiert: Konstantin Weiß, der Alt-Mime, hatte einen berauschenden Auftritt hingelegt: Bizarr, verstörend und mit traumversunkenem Klang. Längst hatte der Held des Abends seine Vogelfedern abgelegt und gegen Jeans, Lederjacke und Schiebermütze getauscht, aber irgendwie spielte er immer noch und sie sah ihm dabei zu.
Hanna schmachtete ihn unverhohlen an und Herr Weiß genoss es. Er hätte ihr Großvater sein können, aber die Blicke der Studentin schmeichelten und weckten den Narren in ihm. Als sich das Fest auflöste, fingerte der Mann in seiner Jackentasche nach der welken Feder, die beim Umkleiden aus seinem Kostüm gefallen war. Jetzt steckte er sie hinter sein Ohr und schlenderte ein wenig zu dicht an Hanna vorbei. Dabei spürte er, wie sie die Luft anhielt. Als Hanna wieder ausatmete, drehte er sich noch einmal um und fragte ganz trocken: „Lust, auf frische Schrippen? Echte Ostschrippen?“ Es war drei Uhr morgens und die Blonde nickte staunend.

© Petra Elsner (Text & Zeichnung)
25. März 2019

 

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