In der dritten Klausurwoche

Morgenstunde ( 772. Blog-Notat)

Es geht nur sehr langsam vorwärts. Jeden Tag nicht mehr als 20, 25 Zeilen. Immer wieder nachdenken, wird das auch gut erzählt? Ist es nicht zu schwer… Putzt es den „blinden Fleck“ unter dem so viele im Osten leben und lebten? Ich bin nicht sicher, taste mich voran. Das Versenken in jene Zeit kostet Energie und dann ist heute plötzlich der Himmel aufgerissen, man möchte draußen sein, aber für mich ist es zu eisig.

Die nächsten Zeilen zur Geschichte:

…Immer noch diese mangelnde Empathie, dachte Elias, der den Wortwechsel gehört hatte. Der Mann, der da dem Düsseldorfer Produzenten kurz in die Parade fuhr, hatte 1992 sein Referendariat in Saarbrücken gemacht. Jörg Goldmann hörte täglich, wie dort die Lehrerkollegen über die unterbelichteten Ossis herzogen. In ihrer Wertigkeitsskala standen die nur knapp über den Flüchtlingen. Da war er wieder, der „Herrenmensch“, der aburteilte, Kraft seiner Wassersuppe. Eines Tages wurde der Referendar Goldmann von einem Kollegen befragt, warum sein Englisch so dürftig sei, woraufhin er antwortete: „Mein Russisch ist besser.“ Der Kollege sprach nie wieder ein Wort mit dem enttarnten Ostdeutschen. Aber dieser kalte Krieger war wenigstens zu Hause geblieben, andere kalte Krieger gingen mit Buschprämie in den Osten, führten sich wie Besatzer auf und evaluierten oder kauften sich die Aufstiegswege frei. Natürlich gab es auch andere, freundliche, zugewandte neue Nachbarn, nur die fielen nicht so auf. Denn tendenziell glich dieser Aufbruch gen Osten einer lauten, aber unblutigen Landnahme. Die Besiegten schickte man zum Arbeitsamt oder in den vorzeitigen Ruhestand. Diese Landnahmen kamen und kommen in Wellen immer wieder. Im hippen Berliner Prenzlauer Berg verschwanden zuerst die Alten. Aus dem avantgardistischen Kiez wurde nach und nach ein teures gutbürgerliches Wohnviertel. Künstler und weniger Betuchte zogen in den 2000er Jahren in die Platte am Stadtrand oder gleich aufs Land. Aber auch dort sind sie nicht sicher. Denn den permanenten Umbau der Lebensverhältnisse regelt das Geld, und das muss hecken… Elias Kühn zahlte. Er hatte genug Wein und genug von diesen Gedanken.

Am späten Vormittag erwachte er eingerollt unter der Sofadecke. In den Ohren das Rauschen der Erinnerung. Nicht an den gestrigen Abend. Er hatte wieder von ihm geträumt. Wie er da hing in seiner Scheune. Unter seinen Füßen eine leere Flasche Korn und seine Lebenszeugnisse: Der Abi-Abschluss aus dem Jahr 1960, sein Diplom als ML-Lehrer, Arbeitsverträge und diese eine Kündigung. Allesamt rot durchstrichen. Kein weiteres Wort. Einfach nichts. Der Vater hatte sich für den Abgang aus seiner Geschichte entschieden. Das neue Leben hatte er erst gar nicht versucht. Als im Fernseher die jubelnden Menschen auf der Mauer sah, hat er sich einen großen Weinbrand eingeschenkt und gemeint: „Das wars.“ Der Glanz verschwand aus seinen Augen, sie waren schlagartig leer. Ein Jahr später, exakt am 9. November 1990, nahm er sich den Strick. Der Anblick jagt seither als Schauer durch seine schlechten Träume, vor allem, wenn er zu viel Rotwein hatte. Du darfst dich nicht so gehen lassen, Kühn, schimpfte er innerlich. Mit Klamotten nächtigen. Man, geht gar nicht!
Der frühe Tod des Vaters und der seltsame Wandel der Stiefmutter, die 1991 vom FDJ-Zentralrat direkt in ein Brandenburger Finanzamt wechselte, hatten in ihm einen unbändigen Freiheitswillen ausgelöst. Er ertrug einfach solche Sprüche nicht, wie die seines Germanistik-Profs: „Ach, Sie kommen von daher, wo gleich das Licht ausgeht.“ Elias Kühn wollte sich sehr bald nicht mehr von jedem, der von der anderen Seite der Elbe kam, anpinkeln lassen, und so wurde er freier Journalist und Sachbuchautor und hielt sich mit seiner Schreiberei einigermaßen über Wasser.

Zerknirscht von der Nacht ließ er sich ein Vollbad ein.
Im warmen Wasser entspannte er sich langsam, aber er spürte etwas, was sich lange schon auf seine nackte Winterhaut gelegt hatte und sich nicht wegspülen ließ: Einsamkeit. Der Mann fühlte sich zurückgelassen. Die meisten Ostdeutschen meinten, wenn sie von Freiheit redeten, wohl eher Reisen und Wohlstand. Das hatte er irgendwie anders verstanden. Freiheit war für ihn immer auch Wagnis, denn wer unangepasst leben wollte, der musste es auch verantworten. Wohlstand war nicht seine Realität. Er hatte schwer damit zu schaffen, nicht unterzugehen, denn es gab einfach keinen gewachsenen Beistand. Im Grunde waren alle, die er aus dem abgewickelten Land kannte, verschwunden.  Im Westen, oder in den neu zu schaffenden Institutionen abgetaucht: den Arbeitsämtern, den Krankenkassen, dem Bafög-Amt… geduckt in Sicherheit. Ja, er hatte im Blauen Licht mit der Zeit eine Ersatzfamilie gefunden. Einen wilden Menschenmix. Aber niemand von diesen Leuten hatte zusammen mit ihm vor der Abi-Prüfung gezittert, die erste Fete gefeiert, im Singeklub gemeinsam geträllert oder Trauer durchlitten, wenn schon wieder einer abgehauen war. Keiner von denen war bei ihm und erinnerte sich noch daran, wie es war an seiner Seite, woran sie damals glaubten und an was sie nicht mehr glaubten. Er war müde von den vielen Erklärungsversuchen bei Ost-West-Begegnungen. Man verstand einander nicht. Er hatte einst bei Diego Viga gelesen: „…einmal Gedachtes kann niemals ungedacht werden, was eingegangen ist in den Menschengeist, wirkt fort…“ Das war ihm Trost. „Aber irgendwie verschwindet es schon“, murmelte der Mann und blies in den Seifenschaum, so dass der flockte und zerplatzte. Es fiel ihm schwer sich aus der Nachdenklichkeit zu erheben, doch er musste, denn er hatte eine Verabredung mit Maja, die ihm Illustrationen zeigen wollte…

Foto: Lutz Reinhardt

2. Klausurwoche

Morgenstunde (771. Blog-Notat)

Die zweite Klausurwoche neigt sich und änderte wieder einmal ALLES, denn eigentlich wollte ich ja kurze Geschichten schreiben und nun ziehen mich die Gedanken wieder in eine andere Zeit. Wenn heutzutage irgendein Schlamassel geschieht, ist der meist gehörte Spruch „Aber lassen Sie und nach vorne schauen…!“ Die Analyse der Geschehnisse wird zumeist übergangen, als der Schnee von gestern abgetan, ABER mir hat man mal beigebracht, dass die Zukunft nicht gut gestaltet werden kann, wenn man die Vergangenheit nicht verstanden und verarbeitet hat. Und das sehen wir ja heute sehr gut. Beispielsweise in: Der Osten tickt in seiner angestammten Bevölkerung anders und das hat Gründe. Nur deshalb gehe ich in manchen meiner realen Geschichten in die Anfänge zurück. Die 90er Jahre. Aber eines ist auch klar, dieses Sezieren fährt einem in die Magengrube. Aber gut, ich habe mich eingelassen auf „Die verschwundene Geschichte“. Sie wird eine etwas längere Erzählung werden. Den Übergang zum Fortgang habe ich und tippe dann mal weiter…

…Die Männer tranken schweigend. Eine seltsame Stimmung hatte sich ihrer bemächtigt, die Schwermut der Verlierer, als Hardy eintraf und ihre Reise nach innen mit seiner Herzensgüte unterbrach. Er schob seine Mandoline unter den Tresentisch und grinste verschmitzt aus seinem müden Gesicht, als hätte er gerade einen guten jiddischen Witz gehört. Aber es war nur eine Vorfreude auf das, was gleich geschehen würde. Hardy bestellte drei Pils und kaum, dass sie gezapft waren, schneiten Claudi, die singende Geige, und Andi mit dem Bandoneon herein. Hardy nahm noch einen schnellen Schluck und sprach mit Rundblick in die Kneipe. „Öffentliches Probenende. Ihr seid dabei, wir haben ein neues Lied.“ Das gab es dann und wann und die allermeisten mochten die Klezmer- und Weltmusik der Aufwindmusiker. Die Gespräche hielten inne – für ein Lied, wie wehender Schmerz mit schalkhaftem Abgang. Die Kneipe tobte und klatschte. Der Produzent in der Kneipenecke lächelte wohlwollend und sagte zu seiner Begleitung: „Die sind so gut, aber leider nicht biegsam, und sie kleiden sich, als wären sie arm. Sehr schade, so kommen die nie groß raus.“ „Sie sind arm,“ zischte der Mann zu seiner Rechten und setzte nach: „… und zu stolz, um sich jemals wieder zu verbiegen.“…

 

Morgenstunde (770. Blog-Notat)

Manchmal braucht man einen Schubser. Als ich gestern das erste Klausurstück – das kleine Kammerstück „Die verlorene Geschichte“ – online stellte, meinte der singende Micha auf Facebook:

Liebe Petra, das ist der Anfang eines Romans. Den will ich lesen!
Und ich antwortete: Lieber Micha, sollte eigentlich eine Kurzgeschichte sein…
Er erwiderte: Ich weiß. Aber da wabert was. Da wird ein Bogen gespannt. So wie es jetzt ist, wird der Bogen wieder abgesetzt. Aber schieß mal den Pfeil! …

Hm, da er hat wohl meine Abkürzung bemerkt und ja, ich wüsste, wie es weitergeht… werde die letzten zwei Sätze streichen, stattdessen den Gedanken weiterführen und nun wohl monatelang daran weiterschreiben (ohne einen passenden Verlag zu haben, versteht sich) … das Märchen vom Schneeglöckchenlicht, das ich eigentlich als 2. Klausurstück erfinden wollte, muss warten. Oh je, das kann ja heiter werden…, aber Micha hat mir ja zum Trost eine Kiste Wein versprochen. Trockenen Weißen bitte 😊
Tschüss alle miteinander, ich tauche wieder ab in meine Winterklausur.

KLAUSUR 2023

Morgenstunde (769. Blog-Notat)

Der neue Chatbot ChatGPT ist der neueste heiße Scheiß. Darin schreibt eine KI auf Wunsch Gedichte und Geschichten… und ich frage mich: Soll sich der Mensch das Denken abgewöhnen? Buchzusammenfassungen serviert zu bekommen, ohne selbst jemals in die Schulschwarte geschaut zu haben? Ich dachte immer, KI sollte das Leben erleichtern, aber nicht das Leben an sich abkürzen. Schon heutzutage lesen immer weniger Menschen, da fragt sich der Autor schon hier und da: Wer wird das noch lesen? Aber wenn ich heute sehe, da spuckt eine KI – eine Art Transformer – in Windeseile eine Geschichte aus (zugegeben, keine wirklich hinreißenden, aber immerhin), brauchen wir dann noch Literaten und Dichter? „network error“ heißt es oft bei der noch kostenlosen Nutzung, weil der Chatbot der Firma OpenAI wegen der weltweiten Zugriffe einfach überhitzt ist. Puh. Nein, ich will und werde in keine Sinnkriese stürtzen. Professoren, deren Klausuraufgaben von ChatGPT brillant und sekundenschnell gelöst werden, stellen sich selbst ja auch nicht infrage. Während die Nutzer mit der KI in den Dialog treten, ziehe ich mich auf den alljährlichen Monolog zurück. Heißt, ich beginne meine  Winterklausur und wünsche Euch derweil eine gute Zeit, Eure Petra

Zwischenrufe:
Nach der 1. Klausur-Woche: Dreieinhalb Seiten sind geschrieben. Trotz Wasserrohrbruch, der uns drei Tage immer wieder aus dem Rhythmus warf. Gestern und heute wurden zwei Schmuckstücke am Zeichenplatz fertig: das Anfangsinitial und eine Textabsatzmarke…

Morgenstunde (768. Blog-Notat)

So, Feierabend! Die letzte Zeichnung ist abgeliefert. FMs Kolumne erzählt hier von einem umtriebigen LKW-Fahrer, der zwei Jahre Koch in einem japanischen Kloster war und nun, im Älterwerden, für sich einen Landsitz und auskömmliche Arbeit sucht. In einem Traum erschien ihm sein ehemaliger Zen-Meister, der ihm „Bokushingusuzume“ zuflüsterte, was so viel wie „Kackende Spatzen“ heißen soll (ich weiß, nicht sehr appetitlich, aber ich hab‘ es nicht erfunden und es stimmt auch nicht, denn der Google-Übersetzer meint: Bokushingusuzume hieße „Boxen Spatz“ – nun denn…). Unter diesem Namen macht der Typ Helmut schließlich einen Gasthof in der Uckermark auf, in dem er gelegentlich auch japanisch kocht. Soweit der Kern der Geschichte. Aber der Autor musste mich beraten, denn es fiel mir einfach nicht das Rechte ein. Nach seinen Tipps kam nun heute dieses Blatt zustande, womit die Schräge-Vögel-Reihe für „Georgs Landleben“ abschließt. Ist auch gut so, mein rechter Arm mault schon wieder, was nach insgesamt 16 Zeichnungen im Januar 2023 nicht so verwunderlich ist. Ich bin gespannt, was aus dem Seitenbündel entstehen wird. Die 14 Blätter sind meinerseits eine reine Option in die Zukunft.
Für die nächsten Tage gilt es, eine neue Geschichten-Idee zu entwickeln. Sie wird vorerst nicht im Blog auftauchen… Ein paar Geheimnisse müssen schließlich sein😊…

Morgenstunde (767. Blog-Notat)

Es ist Freitagabend und eben habe ich diese 13. Zeichnung fertigbekommen. Sie steht zu einem Text von FM, in dem der Held, ein Dichter (was sonst), in Ermanglung eines ruhigen Arbeitszimmers, beim Holzhacken nicht nur Scheite spaltet, sondern auch Textideen und die gewissermaßen wie Scheite stapelt, bis er sie gebrauchen kann… Morgen ist Zeichenpause, Augen ausruhen.
Der Liebste macht Fortschritte. Er ist nicht schmerzfrei, aber seit gestern Nachmittag sitzen wir wieder beieinander, schauen uns in die Augen und spielen zum Nachmittagskaffee Backgammon. Das ist eine echte Verbesserung von Lebensqualität 😊 im jungen Jahr. Womit ich abtauche in den Feierabend. Habt ein schönes Schneewochenende allerseits!

Morgenstunde (766. Blog-Notat)

Foto: Lutz Reinhardt

Eisig draußen. Eine kleine Gartenrunde gedreht, dann rasch wieder ins Häuschen, am Kaffeepott aufwärmen. Eine sehr dichte Zeichenwoche neigt sich. Die 12. Vignette ist eben fertig geworden. Sie erzählt von einem Luftikus, der ständig skurrile, aber alphabetisch geordnete Pläne macht, die sich allerdings sehr schnell wieder in Luft auflösen… Kenn jeder eine/einen 😊. Den zu bebildern hat Laune gemacht. Zwei Motive sind für die Schräge-Vögel-Reihe zu FMs Texten noch zu finden… Wie immer, wenn es gegen Ende geht, fehlt was – der Grafikkarton ist ausgegangen, also bestellen und auf schnellen Versand hoffen, denn ich will fertig werden, mir ist nach eigenen Texten. Ich werde auf meine alten Tage, wohl kein wirklicher Teamplayer mehr werden, auch wenn ich‘s immer mal wieder versuche…

Morgenstunde (765. Blog-Notat)

Foto: Lutz Reinhardt

Nörglerischer Sonntag. Nach einer grauen Regenwoche erste Schneeglöckchen und Licht in Sicht. Der Dachs ist auch schon wach, oder hat sich gar nicht erst zur Winterruhe hingelegt. Er stöbert jedenfalls sichtbar herum, aber ich habe ja in „Der wilde Garten“ meinen Frieden mit ihm gemacht. Vielleicht.
Tag 15 im Jahr und der Liebste steht immer noch beim Essen, man könnte wegen der seltsamen Kommunikationspose Genickstarre bekommen. Aber Männer lieben es ja wohl, wenn Frauen zu ihnen aufschauen 😊. Jedenfalls konnte er gestern schon einen ersten Waldspaziergang unternehmen, dennoch, es klemmt irgendwo und der Schmerz mit seinen Einschränkungen macht dumpfe Laune. Wenn die Luft zu dick wird, gehe in Garten harken, das hilft die Fassung und den Sonntagsfrieden zu wahren… Nachmittags werde ich ein Sammelpassepartout für die sechs Märchenzeichnungen aus der ersten Januarwoche schneiden – für eine mögliche Ausstellung, noch unbestimmt.

Morgenstunde (764. Blog-Notat)

„Landstarre“ bezeichnet in FMs Text einen von bürokratischen Hürden traumatisierten Zugezogenen. Nach etlichen Tagen erwacht der in der Geschichte aus seiner Reglosigkeit mit einer Idee, und das ist der Moment, für den ich gestern diese Zeichnung fand. Hach, geschafft! Und eine weitere abends, aber ich werde hier nicht alle Serienschritte vorführen, ist ja eine Auftragsarbeit, zu der noch weitere acht Teile vor mir liegen… Aber heute nicht, der Himmel hat aufgerissen, da will ich Sonne aufs Haupt haben und werde statt zeichnen, im Garten eine der Kopfweide beschneiden…
Schönes Wochenende allerseits!

Morgenstunde (763. Blog-Notat)

Zeichenzeit. Der Dauerregen (so sehr wir auch das Wasser brauchen) er drückt mit seinem Dämmerlicht aufs Gemüt. Also versuche ich mich mit den Schrägen Vögeln aufzuheitern. Zu den Martens-Kolumnen Rollentausch und ländliches Grüßen ist mir, wie man sieht, was eingefallen, aber wie zum Teufel zeichnet man „Landstarre“? Ein Rätsel für den Tag.