Morgenstunde (651. Blog-Notat)

Irgendwie hat es mir keine Ruhe gelassen – die alleinige virtuelle Veröffentlichung von „Die Zeit der weißen Wälder“.  Denn es gibt immer noch so viele Menschen, die nicht mit einem Computer, Tablet oder Smartphon umgehen und das Lesen vom Blatt oder Buch vorziehen. Und ja, natürlich entsteht dabei eine gänzlich andere Stimmung als vor einem Bildschirm. Grundsätzlich hat sich nichts an meiner Entscheidung – die Novelle nicht zum klassischen Buchdruck zu führen – geändert, aber ich habe eine Lösung gefunden: Die handgefertigte, limitierte Künstlerausgabe. Also habe ich diese Woche ein Layout auf Naturpapier entwickelt und die ersten fünf Hefte mit je 48 Seiten gedruckt und gebunden. Ein Heft kostet 10 € (zzgl. Versand). Endlich kann ich innerlich mit dem Stoff abschließen und der Kopf ist frei für Neues…

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Morgenstunde (561. Blog-Notat)

Moin allerseits! Keine Zeit, der Garten ruft nach einer letzten Kurzgrasfrisur im Jahr, also ran an den Rasenmäher… Ich spendiere derweil ein weiteres Stückchen aus “Die Zeit der weißen Wälder”, meinem aktuellen Romanprojekt:

…Im Anrufbeantworter steckten nur Notrufe von Herzog, die Emilia nach ihrer Ankunft in der Heide ignorierte.  Sie hing das Sonnenblumenbild von Fredi über ihrem Schreibtisch auf. Platzierte die geschliffenen Becher auf dem Küchentresen und legte die Künstlerbroschüre aus dem Reichenbacher Museum zu ihrem Leseplatz und suchte nun nach dem Schlüssel für das Nebengelass. Den Schuppen im Hof hielt sie seit Jahren verschlossen. Nichts darin schien von Bedeutung zu sein. Aber das stimmte sogar nicht. Sie hatte sich den Dingen nur entzogen. Während sie die Metalltür aufschloss, begann ihr Herz schneller zu schlagen und sie fühlte, am liebsten wäre sie jetzt nicht allein. Aber da war niemand, aber auch das stimmte nicht, denn als sie eintrat in den Raum aus Kistentürmen, spürte sie sie. Ein Anflug, ein Hauch von Nähe und in Emilias Kopf flüsterte es: „Endlich kommst du!“.  Als die Mutter starb und sie das Häuschen erbte, hatte sie es vollkommen entkernen lassen und grundsaniert: Neue Heizung, neues Bad, neue Fenster und Türen, neue Dielen, das Dachgeschoss ausgebaut und das Wohnzimmer zum Dachgeschoss geöffnet. Das geduckte Haus bekam so Weite und modernen Schick. Kurz vor der Corona-Krise verließ Emilia Bach Berlin und zog allein in den Norden Brandenburgs. Da hatte gerade Marks Sabbatjahr begonnen und sie konnte nicht ahnen, dass er niemals nachziehen würde.
Durch Corona-Regeln lernte sie im Dorf nach ihrem Zuzug niemanden wirklich kennen. Die Menschen blieben verborgen in ihren Bauernkaten, keine Chance für ihre Aufnahme ins Dorfleben.  Es gab einfach keins mehr. Hier ein grüßendes Zuwinken, dort ein sorgenvoller Blick, mehr wurde ihr nicht zuteil.
Alles, was zuvor in dem Mutterhaus steckte und von Wert war, hatte die Erbin in diesen Schuppen umgelagert, oder besser gesagt versenkt. Denn sie betrat diesen Abstellraum seither nicht mehr. Die Dinge störten, verströmten eine andere Art zu leben, die ihr gefährlich schien. Die Krise verschärfte diesen Eindruck sogar noch.
Die Künstler – die Unrelevanten, die man einfach verhinderte, viele bis sie aufgaben. Manche brachten sich lautlos um. Berufsverbot, das kannte Emilia nur vom Hörensagen. In den alten Ländern betraf das Beamte, die beispielsweise Mitglied in der verbotenen DKP waren. In der DDR bekamen etliche systemkritische Künstler Berufsverbot. Aber im geeinten Deutschland wegen einer Seuche? Warum die Künstler? Warum nicht dann auch die Profisportler? Die Politiker meinten wohl, auf Kunst ließ es sich am leichtesten verzichten. Das hatte Emilia empört. Und diese Empörung war es wohl gewesen, die sie auf ihre unwirkliche Suche trieb. Die Suche nach den abgeschnittenen Wurzeln.
Wo anfangen? Emilia strich mit der flachen Hand über die Kisten und las die Aufschriften: „Bücher“, „CD’s“, „Belege“, „Manuskripte“, „Fotos“, „Zeichnungen“. Unmengen Kisten mit „Illustrationen“. Die Mutter war keine schnelle Zeichnerin, aber eine emsige. Emilia erinnerte sich, dass an einem Neujahrsmorgen, an dem die meisten Menschen noch verkatert in den Federn dösten, die Mutter schon wieder an ihrem Zeichenplatz saß und arbeitete: Neujahr, 9 Uhr morgens. Dieses permanente Arbeiten, diese strenge Disziplin, die von Sylvia Bach ausging, hatte Emilia abgeschreckt sich auf ihre Talente einzulassen. In Gedanken sah sie die Mutter zeichnend am Schreibtisch. Gebeugt, mit konzentriertem Blick und um den Mund: ein Lächeln. Es ging Liebe von ihr aus. Es war eine besondere Art des Lächelns, eine, die das innere Glück nach außen kehrt. Ebendiese Aura hatte Emilia auch bei Hans während seines Puppenspiels gesehen. Ein Leuchten…”

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Morgenstunde (547. Blog-Notat)

Der Vormittag gehörte dem wöchentlichen Beutezug. Ich habe das erste fette Suppenhuhn für diese Herbstsaison erstanden. Acht bis zehn Liter feine Hühnersuppe wird es ergeben. Gut die Hälfte friere ich. Das Tropfenwetter kommt mir auch gelegen, da kann ich mich verkriechen und schreiben. Habt ein schönes Wochenende allerseits!

Eine weitere Leseprobe aus “Die Zeit der weißen Wälder”, mein aktuelles Roman-Projekt:

…Es dämmerte als sie ihr Fremdenzimmer aufschloss. Flackerndes Licht zuckte darin. Die Frau trat ans Fenster und sah den Puppenspieler am Feuer hocken. In Jeans und Holzfällerjacke wirkte er nicht so klapprig wie in seinen dünnen Kostümen. Emilia zog sich einen dicken Pullover über und ging in den Hof. Sie wunderte sich ein bisschen, als sie an der Seitenmauer das Wanderhäuschen erblickte.
„Du hier, wie kommts?“
„Gelegentlich habe ich hier einen Stellplatz.“
„Aha. Und, morgen wieder ein Parkplatzspiel bei Helga?“
Er nickte und steckte wortlos eine zweite Kartoffel auf einen Holzspieß und legte sie in die Glut.
Sie saßen im Feuerschein hingen ihren Gedanken nach. Als die Kartoffeln gar waren, reichte er ihr einen Spieß, ein Küchenmesser und eine Schale voll Kräuterquark. Während sie ihre Kartoffel pellte sagte sie: „Ich reise morgen ab.“
Hans, der Täuscher sah verdutzt auf: „Schon alles gefunden, wonach du gesucht hast?“
„Nein, aber die Steine sprechen nicht mit mir.“
„Warum versuchst du es nicht mit den Menschen?“
Sie blickte auf und ihre großen, traurigen Augen schauten ihn ganz ruhig an. Der Puppenspieler war vielleicht sechs, sieben Jahre älter als sie, aber ebenso ausgemergelt. Dieses Magere gab ihr einen speziellen Hinweis: „Manche Menschen verbrauchen sich schneller als andere. Sie brennen an zwei Enden und zerbrechen früh. Meist hinterlassen sie viel Liebe, aber auch einen elenden Schmerz, der nicht weichen will. Solange die Toten reden, sprechen die Lebenden nicht.“
Dass hatte der Mann am Feuer nicht erwartet. „Deine Toten reden auch?“
„Ja, manchmal.“
Emilia stand auf und holte die Flasche Rotwein, die sie noch in Reichenbach gekauft hatte und die beiden Glasbecher. „Die hast du am Samstagmorgen vergessen.“
„Nein, ich habe sie dir hinterlassen. Solche Becher haben Fredi und Harry auch geschliffen. Ich habe noch einige davon.“
Emilia dankte, goss den Wein ein und reichte ihm einen Becher, dabei fiel sein Blick auf ihre Hand und er dachte bei ihrem Anblick: Noch fest, aber schon samtig. Das Leuchten der Haut bevor sie welkt. Er umschloss das Glas und ihre Hand mit seinen beiden Händen. Es war wie eine stille Bitte nach Nähe und Emilia wartete gerührt, bis er seine Hände wieder öffnete. Sie hatte es geahnt, dass dieser Mann ihr etwas bedeuten könnte. Vielleicht. Die beiden tranken und schauten schweigsam dem lodernden Feuer zu. Man wird vorsichtig nach verlebten, verwehten Lieben…

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