Morgenstunde (547. Blog-Notat)

Der Vormittag gehörte dem wöchentlichen Beutezug. Ich habe das erste fette Suppenhuhn für diese Herbstsaison erstanden. Acht bis zehn Liter feine Hühnersuppe wird es ergeben. Gut die Hälfte friere ich. Das Tropfenwetter kommt mir auch gelegen, da kann ich mich verkriechen und schreiben. Habt ein schönes Wochenende allerseits!

Eine weitere Leseprobe aus “Die Zeit der weißen Wälder”, mein aktuelles Roman-Projekt:

…Es dämmerte als sie ihr Fremdenzimmer aufschloss. Flackerndes Licht zuckte darin. Die Frau trat ans Fenster und sah den Puppenspieler am Feuer hocken. In Jeans und Holzfällerjacke wirkte er nicht so klapprig wie in seinen dünnen Kostümen. Emilia zog sich einen dicken Pullover über und ging in den Hof. Sie wunderte sich ein bisschen, als sie an der Seitenmauer das Wanderhäuschen erblickte.
„Du hier, wie kommts?“
„Gelegentlich habe ich hier einen Stellplatz.“
„Aha. Und, morgen wieder ein Parkplatzspiel bei Helga?“
Er nickte und steckte wortlos eine zweite Kartoffel auf einen Holzspieß und legte sie in die Glut.
Sie saßen im Feuerschein hingen ihren Gedanken nach. Als die Kartoffeln gar waren, reichte er ihr einen Spieß, ein Küchenmesser und eine Schale voll Kräuterquark. Während sie ihre Kartoffel pellte sagte sie: „Ich reise morgen ab.“
Hans, der Täuscher sah verdutzt auf: „Schon alles gefunden, wonach du gesucht hast?“
„Nein, aber die Steine sprechen nicht mit mir.“
„Warum versuchst du es nicht mit den Menschen?“
Sie blickte auf und ihre großen, traurigen Augen schauten ihn ganz ruhig an. Der Puppenspieler war vielleicht sechs, sieben Jahre älter als sie, aber ebenso ausgemergelt. Dieses Magere gab ihr einen speziellen Hinweis: „Manche Menschen verbrauchen sich schneller als andere. Sie brennen an zwei Enden und zerbrechen früh. Meist hinterlassen sie viel Liebe, aber auch einen elenden Schmerz, der nicht weichen will. Solange die Toten reden, sprechen die Lebenden nicht.“
Dass hatte der Mann am Feuer nicht erwartet. „Deine Toten reden auch?“
„Ja, manchmal.“
Emilia stand auf und holte die Flasche Rotwein, die sie noch in Reichenbach gekauft hatte und die beiden Glasbecher. „Die hast du am Samstagmorgen vergessen.“
„Nein, ich habe sie dir hinterlassen. Solche Becher haben Fredi und Harry auch geschliffen. Ich habe noch einige davon.“
Emilia dankte, goss den Wein ein und reichte ihm einen Becher, dabei fiel sein Blick auf ihre Hand und er dachte bei ihrem Anblick: Noch fest, aber schon samtig. Das Leuchten der Haut bevor sie welkt. Er umschloss das Glas und ihre Hand mit seinen beiden Händen. Es war wie eine stille Bitte nach Nähe und Emilia wartete gerührt, bis er seine Hände wieder öffnete. Sie hatte es geahnt, dass dieser Mann ihr etwas bedeuten könnte. Vielleicht. Die beiden tranken und schauten schweigsam dem lodernden Feuer zu. Man wird vorsichtig nach verlebten, verwehten Lieben…

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