
Einen frohgestimmten Jahreswechsel und ein glückreiches Jahr 2019
wünscht allen Freunden und Lesern des Blogs www.schorfheidewald.de
Petra
ATELIER PETRA ELSNER
Die Dörfer an der Ostseestraße tropften heute vor Nässe. Langsam kamen wir auf der Landstraße Richtung Norden voran. Aber es war wirklich Wurst, denn wir wollten ja nur ein paar Stunden Strandlatschen, damit der Wind den ganzen Stress der vergangenen Wochen mal von unseren Schultern fegt. Als wir eintrafen versank das Himmelgrau im Grau der Ostsee, es nieselte und wehte, aber das war ja klar. Die Strände von Usedom werden gerade für die große Silvesterfete herausgeputzt. Mächtige Partyzelte und kleine Feuer zwischen Ahlbeck und Bansin. Wir erlebten den Abzug der Weihnachtsgäste – eine schier endlose Autoschlange auf der gegenläufigen Inselstraßenseite. Als wir gegen 15 Uhr wieder zurück in die Schorfheide düsten, kam uns die Silvesterkarawane entgegen. Es wird voll auf meiner Lieblingsinsel sein, da bin ich lieber nicht dabei…
Eigentlich hatte ich mich riesig gefreut, wie gut gefüllt heute am 1. Weihnachtsfeiertag das Auditorium im Hotel am Döllnsee zu meiner Lesung war. Aber dann hat die Haustechnik einen guten Lesefluss sabotiert. Erst mit Pfeifen, dann mit Mikroaussetzern. Nach der zweiten Geschichte habe ich das Ding aus der Hand gelegt und einfach ohne gelesen, denn kaum hatte ich die Stimmung wieder aufgebaut, kamen die nächsten Aussetzer. Da muss frau Ruhe bewahren, was nicht so einfach ist.
Ich hatte mir dieses Jahr extra einen neuen Verstärker zugelegt, um solche Misslichkeiten zu vermeiden. Aber das Hotel war ja mit allem ausgestattet… dachte ich und hatte die eigene Technik nicht dabei – wird nie wieder vorkommen. Déjà-vu-Erlebnisse dieser Art brauche ich nicht wirklich. Jedenfalls hat meine Stimme durchgehalten, was ich in jenem Augenblick, als ich das Mikro aus der Hand legte, mir selbst nicht versichern konnte. Bin Lungenkrank und mein Atemvolumen ist daher nicht üppig. Aber es gelang und war also die richtige Entscheidung, Nun denn, jetzt bin ich komplett heiser, doch es ist ja nun auch für mich Weihnachten und ich kann fortan schweigen, bis die Stimmbänder nicht mehr kratzen…
Eine Weihnachtsgeschichte
Die alte Stadtvilla blickte das ganze Jahr über grau und unscheinbar auf den Fluss, doch im Dunkel des Dezembers begann sie zu leuchten. Die Villa wurde von der Familie Adventus mit ihren 24 Kindern bewohnt, die allesamt im Dezember geboren waren. So kam es, dass vom 1. bis zum 24. Dezember an jedem Tag ein anderes der Fenster besonders erstrahlte, weil dahinter ein Fest gefeiert wurde. Jedes dieser Winterkinder war besonders begabt und überraschte mit seinem Talent: Jonas spielte Geige, Emma und Frieda sangen mit glockenklaren Stimmen. Paul zupfte die Laute und Anne die Harfe. Der eine konnte gut Rezitieren, die andere gut Zeichnen, der nächste wunderbar Kochen. Zusammen war es, als wären sie auf die Erde gekommen, um den allerschönsten Abend des Jahres auszustatten. Nur Julius, der am 23. seinen Geburtstag feierte, hatte nichts dergleichen aufzuweisen. Er war stets nur der Zuschauer und strich wie ein Schatten durch das Haus der 24 Fenster.
Der Neid auf seine Geschwister wuchs von Jahr zu Jahr. Besonders auf seinen Bruder Noel, der am 24. geboren war. Mit dessen Jahresfest setzte sich der Advent seinen feierlichen Schlusspunkt und es schien so, als würde die ganze Welt mit Noel feiern, während an Julius Ehrentag alle nur in Eile waren. „Jungs, holt Holz und die Bräter aus dem Keller! Und die Mädchen rupfen die Weihnachtsgänse“, rief die Mutter in den Morgen. Julius saß allein am Frühstückstisch, blies seine Geburtstagskerze aus und schob achtlos die Geschenkschachtel beiseite. Sein Herz krampfte vor Zorn, wieder überschatteten die Vorbereitungen für den Heiligen Abend sein Fest. Während er die Stufen zum Kellergewölbe abstieg, kamen ihm schon die Brüder schwer beladen entgegen. Nur Noel hangelte noch am hohen Wandregal nach dem letzten Bräter. Er hatte ihn gerade erwischt und wollte absteigen, da kippte das klapprige Kellermöbel. Der Bräter schepperte vor Julius Füße, während der Bruder ohnmächtig unter dem Regal lag. Julius griff sich kurzerhand das Gefäß, verschloss die Kellertür, löschte das Licht und lief so schnell er konnte in die Küche, wo er ungesehen den Brattopf abstellen konnte. Eine diebische Freude stieg in dem Jungen auf, diesmal würde das Fest der Liebe ausfallen, und niemand würde die Auftritte der Geschwister brauchen. Erst am Abend fiel Noels Abwesenheit auf. Wo er nur stecke? Niemand hatte ihn in den vergangenen Stunden gesehen. Die Eltern durchsuchten Haus und Garten, ohne Erfolg. Noel war inzwischen zu sich gekommen und fror auf dem nackten Steinboden. Warum lag er hier im Dunkeln? Hatte ihn Julius eingeschlossen? Er konnte es kaum glauben, was hatte ihn nur dazu getrieben? Eifersucht? In seinem Kopf hämmerten die Gedanken und der Schmerz vom Sturz.
Draußen schlug die Turmuhr Mitternacht. Noel hatte sich in einen Jutesack gehüllt und versuchte zu schlafen. Plötzlich wippte ein winziger Funken durch das Dunkel. Noel blinzelte und lächelte: „Du bist ein Weihnachtslicht, nicht wahr?“
„Ja, ich bin gekommen, ein Herz zu erwärmen!“
Noel murmelte: „Mir ist zwar kalt, aber mein Herz braucht dich nicht. Ich kenne da ein anderes, dass dich dringend nötig hat.“ Der Funken nickte und flog durch einen Lüftungsschlitz in die Nacht. Julius lag schlaflos in seiner Dachstube. Längst war sein Neid einer mulmigen Unruhe gewichen, denn das Verschwinden Noels hatte nun auch den Abend verdorben. Keiner dachte auch nur daran, mit ihm ein Stündchen zu feiern, alle suchten nur nach dem Bruder. Etwas flackerte an seinem Fenster. Julius rieb sich die Augen und lief langsam auf das Flämmchen zu. Er öffnete das Fenster und die kleine Lichtgestalt schwebte in den Raum. „Oh, wer bist du?“, fragte er staunend.
„Ich bin ein Weihnachtslicht und gekommen, dein Herz zu erwärmen.“
Der Junge nörgelte: „Mein Herz?“
Das Flämmchen nickte: „Du musst verstehen lernen, dass ein Talent nichts ist ohne einen Zuschauer. Darin bist du einzigartig und wirst von all deinen Geschwistern gebraucht.“
„Meinst du wirklich?
„Ja, natürlich!“, antwortete das Weihnachtslicht. „Jeder hat seine Aufgabe im großen Kanon des Lebens, du wirst ein geliebter und viel beachteter Zuschauer sein, wenn du deinen Neid ablegst.“ Julius staunte. „Soll ich dir leuchten?“, fragte das Flämmchen und wippte zur Tür. Der Junge folgte ihm in den Keller. Noel schlief als sein Bruder in sacht weckte: „Bitte verzeih mir, ich war so neidisch auf dich, dass ich dir den Glanz deines Tages nicht mehr gönnte. Das Weihnachtslicht hat mein Herz berührt und meinen Sinn verändert.“ Noel lächelte versöhnlich und mit dem Weihnachtsmorgen begann eine neue Zeit im Haus der 24 Fenster, in dem wirklich jeder ganz besonders war.
© Petra Elsner
Es ist der dunkelste Tag des Jahres: Wintersonnenwende auf der Nordhalbkugel der Welt. Schon nach Sonnenaufgang dämmert es an diesem regnerischen 21. Dezember 2018. Die Sonne, so man sie denn zu sehen bekommt, hat heute um 12.07 Uhr ihren tiefsten Stand im Jahr erreicht. Astronomisch gesehen, beginnt mit dieser Sonnenwende der Winter und die Dunkelzeit nimmt fortan wieder ab. Aber weil das so lange dauert, haben wir uns von unserer Bergtour einen kleinen Herrnhuter Stern mitgebracht, der nun unsere Weihnachtszeit beleuchtet. Es ist eben die schöne Zeit der Rituale mit dem Licht. Klimatisch gesehen beginnt für mich der Winter mit dem Ende der Gartenarbeit und schließt mit der Blüte der Schneeglöckchen. Doch hier im Norden kann letzteres auch schon mal nur eine Augenweide sein, während wir noch in Froststarre verharren. Im Englischen benennt man die Wintersonnenwende auch „Mittwinter“, das kommt meinem Jahreszeitengefühl am nächsten. Man muss eben abwarten, was die Zeit bringt. Ich werde schreiben und dabei das Dunkel in mir hinterfragen…
Wir haben Schnee gesehen! In der Schorfheide war es nicht. Dafür tourten wir wiedereinmal ins westliche Erzgebirge. In Chemnitz war noch alles grün, aber nach der Autobahnabfahrt Hartenstein in Richtung Aue („Willkommen im Schacht“) lag schon mal Puderzuckerschnee. Auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt nach Annaberg-Buchholz wurden wir richtig für den mobilen Einsatz belohnt: 10 Zentimeter Weiß soweit das Auge schaut. Diese Anblicke und die abendliche Lichterfahrt zurück, haben uns nun endlich auf die Weihnachtszeit eingestimmt. Das Fest kann also kommen. Wer noch ein Bücher-Bilder-Geschenk sucht, kann gerne bei uns klingeln, es wird Dir/Ihnen geöffnet… 🙂
Zum Beispiel gibt es ganz aktuell seit vergangener Woche diese „Mini-Lektüre“ mit meinem kleinen Apfelkönig …
Am Heiligen Abend nahm sich der kleine Schutzengel Jonathan frei. Er spendierte Axels sonderbarem Weihnachtsbaum – einer kahlen Birke – noch drei Engelshaare, dann verdrückte er sich grußlos auf leisen Pantoffelsohlen. Axel bemerkte Jonathans Abwesenheit nicht sogleich, als Weihnachtshasser war er eigensinnig mit dem Pulsieren seiner Feiertagslaune beschäftigt. Eine Stunde vor dem Schutzengel ging Luise. Nicht so lautlos wie Jonathan versteht sich, sondern ausgesprochen demonstrativ. Sie war es, die als x-te Festbaum-Alternative jenen nackten Winterbaum erfand und aufstellte. Die Frau bewaffnete sich mit einer Klebstoffpistole und schmückte das kahle Geäst mit Nüssen und Früchten aus. Während sie die erste weiße Kerze montierte, zischelte Axel giftig: „Total verkitscht. Musst Du denn unbedingt diesen kommerziellen Scheiß mitmachen?“ Luise atmete tief aus und schien dabei irgendwie zu schrumpfen, als wollte sie in Deckung gehen. Dann aber fasste sie sich ein Herz. Schließlich war diese extrem-spartanische Weihnachtsdekoration ihr letzter Versuch, Axels Weihnachtsphobie nicht herauszufordern. Dieses Jahr würde es den obligatorischen Heilig-Abend-Krach nicht geben, denn Luise sehnte sich nach feierlichem Frieden. Ganz gleich, was sie in den vergangenen Jahren zu diesem Fest ausprobierte – immer ging es schief. Selbst wenn sie statt einer Gans schlicht Spagetti mit Tomatensoße auftischte, waren es am Ende die Serviettenmotive – güldene Sterne -, die Axel auf die Palme trieben. Luise huschte in den Flur, schlüpfte in ihren Mantel und rief nur noch: „Pflege du mal schön deine Weihnachtsmeise, ich geh!“ Die Wohnungstür fiel theatralisch ins Schloss, dann war es still. Gruselig still. Axel wunderte sich zunächst, er hatte doch noch gar nicht richtig losgelegt, weder Weihnachtskugeln zertöppert, noch radikal-feudalistische Debatten losgetreten, er hatte noch nicht bösartig die Weihnachtsgeschenke der Schwiegermutter zurückgewiesen und Luise echt spießbürgerliche Ambitionen vorgeworfen. Aber gut, wenn die Frau unbedingt unter einem Weihnachtsbaum singen will, soll sie doch.
Axel hockte sich vor seinen Computer und dachte, vielleicht könne er ja virtuell mit jemandem herumstänkern. Aber sein Postfach gähnte vor Leere, kein Mensch bedachte Axel noch mit Weihnachtsgrüßen, selbst sein Apotheker hatte ihn aus seiner Adresskartei gestrichen. Kein Wunder, niemand mag auf herzwarme Grüße (selbst wenn es sich dabei um versteckte Eigenwerbung handelt) Antworten wie: „Ich verbitte mir diese schwülstigen Belästigungen, Du Cocacola-Idiot!“ empfangen. Kurzum: Mit Axel spielte an diesem Abend niemand mehr, und just das machte den Mann dann doch nervös. Noch nie war er am Heiligen Abend allein gewesen. Es war ihm nicht wirklich klar, dass er im Grunde diesen Weihnachtshass nur leben konnte, wenn ihm beim Hassen jemand zusah, er sozusagen Publikum für seine schlechte Laune brauchte. Jetzt hatte er keines. Indem er sich dieser Umstände gewahr wurde, fand er Weihnachten allein eigentlich noch schlimmer als den ganzen Budenzauber.
Dem Manne fröstelte, es war eben jener Moment, der ihn spüren ließ, dass selbst Jonathan von seiner Seite gewichen war. Axel fühlte sich plötzlich mager und schutzlos. Er stand vor Luises im Grunde doch sehr schöner Baumkreation und fand die drei Engelshaare. Ein himmlisches Geschenk, für ihn, den Ungläubigen? Er besah sich die hauchdünnen Fädchen aus purem Gold und wusste, es war so: Er, der Weihnachtshasser Axel, bekam in dieser Heiligen Nacht eine Chance geschenkt. Lange starrte der Mann aus dem Fenster in die dunkle Nacht und überlegte, dann öffnete er die Fensterflügel, warf die Engelshaare in die Finsternis und rief ihnen vom 10. Hochhausstockwerk hinterher: „Ich wünsche mir Luises Rückkehr, einen Festtagsbraten und ein gutes Leben!“ Während er noch ein schwaches Echo seiner eigenen Worte empfing, schloss es an der Haustür …