Morgenstunde (154. Blog-Notat)

Morgenstunde hat Gold im Munde und eine fehlende Winterstunde wie Blei im Hintern.

Hier im Norden ist das Grün noch sehr zögerlich, da hab ich mir einfach mal die Schachbrettblüten aus 2018 geborgt.

Hui, was ist das wieder kalt im Flur. Der Imkergatte hat diese Woche die Winterabdeckung von der Treppe zum Bilderspeicher abgenommen, da huscht das bisschen Wärme sofort in den Himmel und der haucht zurück und bläst einem die Gänsehaut unter die Garderobe. Das Ritual heißt alle Jahre Ende März/Anfang April: Frühlingserwachen, Frühjahrsputz, Schäden ausbessern, Bilderkinder wieder auspacken und zum Anschauen aufhängen oder stellen. Zugegeben, jedes Jahr wird das alles ein bisschen schwerer und so hab‘ ich den Text für meine Einladungskarte zu Tag des OFFENEN ATELIERS auch dementsprechend begonnen:

Wie viele Ateliertage wir noch feiern werden, weiß niemand, aber 2019 öffnen wir am Sonntag, dem 5. Mai wieder weit unsere Türen. Von 11 bis 18 Uhr seid Ihr/sind Sie eingeladen in Haus, Hof und Garten nach Bildern und Büchern zu schauen. Dabei kann man sich auf gute Begegnungen freuen, fachsimpeln, plaudern, entspannen. Bei trockenem Wetter lese ich für Euch/Ihnen ab 14 Uhr im Lesegarten eine neue Kurzgeschichte. Gegen 14.30 Uhr gibt die Kurtschlager Samba-Percussion-Band „os velhos sambeiros“ eine Klangprobe ihres Könnens.
2019 ist mein 25. Berufsjahr als freischaffende Künstlerin, lasst es uns feiern!

Die Karte dazu ging diese Woche in Produktion. Der Freund Jörg Metze von Pinguin-Druck hat mir die Druckvorlage erstellt (das hab ich leider nie gelernt…). In der zweiten Aprilwoche werde ich sie wohl versenden können. In all das Gewusel geriet wieder einmal eine Spontan-Idee meines Hausverlages. Die vorhandenen Schräge-Vögel-Motive für einen Kalender 2020 zusammenzustellen und mit Sprüchen zu versehen. Alles wunderbar, nur die Sprüche sollen möglichst Schenkelklopfer sein. Herrje – das ist so gar nicht meins. Meine Frau Mutter hat einst eine für eine Satire-Sendung im Radio Witze gedrechselt. Ich war ihre Testperson und wusste oft nicht, wo ist hier die Stelle zum Lachen. So bin ich also einschlägig vorbelastet. Bei mir werden es wohl eher Schmunzel-Sprüche sein… Mal sehen.

Habt einen schönen Sonntag alle miteinander!

Falsche Federn – eine Kurzgeschichte (Abschnitt 3 – das Ende)

… Herr Weiß lächelte mysteriös und reichte Hanna die Hand zum Aufstieg. Kaum später hockten sie rücklinks auf der Mauer und lugten in den Nebenhof. Es war herbstklamm und der Müll in den Tonnen roch scharf. Die Frau rümpfte die Nase und zischte: „Jetzt spring schon!“ Während sie auf ihren Füßen landeten, fiel die Feder echauffiert zu Boden, aber Herr Weiß bemerkte den Abgang, bückte sich und flüsterte ihr zu: „Du wirst noch gebraucht!“ Danach steckte sie abermals hinter sein Ohr. Vom Souterrain des Seitenflügels warf ein Fenster einen fahlen Lichtstreifen in das Geviert. Dem folgten sie und der Mann klopfte an das beschlagene Fenster. Knarrend, aber wortlos wurde es geöffnet. Ein hagerer Bäcker lehnte missmutig eine Leiter an das innere Fensterbrett und ging dann leicht gebeugt seinen Verrichtungen nach. Hanna sah verdutzt zu, wie gelassen Herr Weiß in diese Backstube stieg. Ihr war es irgendwie unheimlich, doch sie wollte keine Spielverderberin sein, so kletterte sie ihm hinterher. Ein warmes, mehliges, wundervoll duftendes Reich öffnete sich den Nachtgestalten. Der Meister gab steif den Buttler, legte sich dazu eine Stoffserviette über den rechten Arm, verbeugte sich kantig und wies stumm auf einen Tisch mit zwei Stühlen. Dann verschwand er schlurfend im Nebenraum. Hanna glaubte ihren Augen kaum, als der Mann kaum später Schrippen, Butter, Honig und Kaffee servierte. Ohne ein Wort und mit sauerteigartiger Mimik. Als alles platziert war, klatschte er kräftig in die Hände und eine Wolke Mehlstaub ging über dem Paar nieder. Der Meister drehte sich auf dem Absatz, entfernte sich und hinterließ dabei eine feine, frische Mehlspur. Herr Weiß war jetzt weiß und Hanna auch, die Zwei kicherten.

Hanna biss in diese knackig-würzige, feste Schrippe und nickte wohlwollend: „Lecker, was macht das Teil zur Ostschrippe?“
Herr Weiß, bröselte gelehrig vor sich hin: „Na, so ganz echt sind die auch nicht mehr, doch kommen sie dem Original sehr nahe. Nur so miserables Mehl wie damals verwandt wurde, gibt es hierzulande gar nicht mehr. Jenes Mehl war unbehandelt, wurde von Hand geknetet, blieb ohne Backmittel und der Teig ruhte stundenlang – das ergab dieses wunderbare Naturprodukt, das zum Mythos wurde.“
Der Bäcker stimmte nickend zu, als er wieder an den Tisch trat und Kaffee nachschenkte. Plötzlich brummte er: „Na, wo ist es?“
„Wo ist was?“, wollte Herr Weiß wissen.
„Na, das versprochene Etwas aus deinem Stück, mein Lohn für dieses nächtliche Frühstück?“
Herr Weiß griff nach der Feder, pustete das Mehl von ihr ab und gab sie dem fordernden Mann. Der steckte sie sich lächelnd an die Bäckermütze und zog sich zurück. Währenddessen spürte Konstantin Weiß, dass sich der Narr in ihm just in diesem Augenblick davon gemacht hatte. Er wurde unsagbar müde und sein Glanz erlosch. Hanna sah jetzt einen abgetakelten Alten vor sich, der eingeschlafen war. Sie fand, es wurde Zeit dem Schrippen-Abenteuer zu entfliehen. Leise stieg sie aus dem Fenster und kletterte zurück in den Nebenhof. Als sie draußen vor der Tür stand, blickte sie nach der Fassade des verschlossenen Hauses. In großen Lettern war da „Bäckerei Weiß“ zu lesen und der jungen Frau dämmerte es.

© Petra Elsner (Text & Zeichnung)
27. März 2019

Falsche Federn – eine Kurzgeschichte in Arbeit (Abschnitt 2)

… Das seltsame Pärchen schwankte durch die Nacht. Beide hatten reichlich Wein getankt, deshalb stolperten sie zu Fuß auf ihren langen schlaksigen Beinen über das bucklige Gehwegpflaster. Hanna war ein großes schlankes Mädchen, aber Herr Weiß war sozusagen richtig dürr und noch einen Kopf höher gewachsen. Eine echte Latte eben. Die Zwei muteten an, als würde sie der nächste Windstoß mit sich reißen können, aber das täuschte. Doch wegen der Stolperei hatte sich Hanna sicherheitshalber bei Herrn Weiß eingehakt und fragte diesen nun: „Wie schmecken eigentlich Ostschrippen?“
Weiß schnalzte mit der Zunge nach seinen Geschmackserinnerungen: „Na, knusprig, würzig und fest, also nicht so fluffig wie die heutige Industrieware.“
„Aha.“
Die Kleinstadt schlief still. Nur die Häuserwelt starrte mit tiefschwarzen Glasaugen und sah wie Konstantin Weiß eine düstere Toreinfahrt ansteuerte. Die junge Frau ergriff zaghaft seine Hand. Mondlicht fiel in den muffigen Hinterhof. Plötzlich nahm der Theatermann Anlauf und sprang höchst athletisch auf eine der Mülltonne, die dicht bei der Ziegelmauer stand. Von dort oben murmelte er: „Wir müssen ins Nachbarhaus, aber das ist immer verschlossen.“ …

© Petra Elsner (Text & Zeichnung)
26. März 2019

Falsche Federn – eine Kurzgeschichte in Arbeit (Abschnitt 1)

Er trug den Glanz einer Sonne. Und alle, die bei ihm standen, schienen mit ihm zu leuchten, obwohl die Premiere zu „Leonce und Lena“ im Stadttheater schon dem gestrigen Tag gehörte. Es war weit nach Mitternacht, aber im Theaterkeller wurde der schrägste aller schrägen Vögel gefeiert: Konstantin Weiß, der Alt-Mime, hatte einen berauschenden Auftritt hingelegt: Bizarr, verstörend und mit traumversunkenem Klang. Längst hatte der Held des Abends seine Vogelfedern abgelegt und gegen Jeans, Lederjacke und Schiebermütze getauscht, aber irgendwie spielte er immer noch und sie sah ihm dabei zu.
Hanna schmachtete ihn unverhohlen an und Herr Weiß genoss es. Er hätte ihr Großvater sein können, aber die Blicke der Studentin schmeichelten und weckten den Narren in ihm. Als sich das Fest auflöste, fingerte der Mann in seiner Jackentasche nach der welken Feder, die beim Umkleiden aus seinem Kostüm gefallen war. Jetzt steckte er sie hinter sein Ohr und schlenderte ein wenig zu dicht an Hanna vorbei. Dabei spürte er, wie sie die Luft anhielt. Als Hanna wieder ausatmete, drehte er sich noch einmal um und fragte ganz trocken: „Lust, auf frische Schrippen? Echte Ostschrippen?“ Es war drei Uhr morgens und die Blonde nickte staunend.

© Petra Elsner (Text & Zeichnung)
25. März 2019

 

Morgenstunde (153. Blog-Notat)

Kuren – das hört sich eigentlich irgendwie wohltuend an, doch es geht auch anders. Seit zehn Tagen inhaliere ich morgens und abends bei einem Höllenlärm vom Kompressor eine Substanz, die sich in meinem Rachen eher rau anfühlt. Das Mundstück röchelt beim Einatmen und prustet beim Ausatmen Dampfwölkchen, manchmal fliegt von dem Luftdruck auch die Steckkonstruktion des Inhalators auseinander – Entspannung ist anders. Jedenfalls krächzt sie nicht so, wie derzeit meine Stimme. ABER das Inhalieren hilft, ich kann endlich wieder gut atmen, nur körperliche Belastung ist noch nicht. Bei Hochnebel hält es sich eh viel besser am Schreibtisch aus. Und da liegt er nun, der fette Päckchenbrief.

Sein Inhalt – der korrigierte Milchmond-Krimi, fertig für den Versand, ein schönes, stolzes Gefühl. Die 12 Kilometer bis zur Postagentur nehme ich mir allerdings erst Montag vor, es eilt nicht, ich bin exakt in meinem Zeitplan: Fertigstellung und Übergabe an den Verlag bis Ende März 2019. Weil es erfahrungsgemäß dauert (meist Monate!), bis das Teil zwischen Buchdeckeln wieder zu mir kommt, beginne ich, die nächste Kurzgeschichte zu schreiben, da kann, wer will mir nächste Woche wieder absatzweise beim Schreiben zusehen.
Einstweilen wünsche ich Euch ein schönes Frühlingswochenende,

Eure Petra

Morgenstunde (152. Blog-Notat)

Bademäusel im Frühlingsfenster

Heute haben wir mein Manuskript zur Kriminalgeschichte „Milchmond“ aus Kappe zurückgeholt. Es war zur fachlichen Sichtung bei einem Polizeiexperten im Ruhestand, der doch wirklich ein paar schlaue Tipps für mich hatte und überdies auch noch etliche Tippfehler entdeckte. Das ist wirklich hilfreich, denn ich selbst habe so lange über dem Text gebrütet, dass ich inzwischen „korrektur-blind“ bin. Dank also dem Bernd Halle aus Kappe! Am Donnerstag werde ich die Änderungen vornehmen und dann kann ich die Post an den Verlag in Schwedt an der Oder auf den Weg bringen. Wie es dort zeitlich weitergeht ist noch ungewiss. Muss mich derweil in Geduld üben, aber Geduld – ist nicht so meine Stärke 😊.
Dafür war heute noch etwas Zeit, die Werbung für die 6. Kurtschlager Edition ins Atelierfenster zu bringen. Klein aber fein, die Sonntagsspaziergänger werden das Bademäusel aus „Vaters Bademantel“ schon entdecken. Für heute solls genug sein, habt einen entspannten Feierabend!

Morgenstunde: Frühlingssehnsucht (151. Blog-Notat)

Fotos: Petra Elsner

Es ist ein flauer Tag, irgendwie winterschläfrig. Wolkengeschwader kreuzen dustergrau und der Wind pfeift laut um das Haus. In Gedanken spring ich ihm in seinen Nacken und lausche seine windigen Geschichten im Eisperlenschauer. Ihm nach lugt ein Sonnenauge aus dem Wolkenmeer und lässt die Weidenkätzchen tanzen. Ein Wehen, ein Leuchten auf plötzlichem Himmelblau. Der Kopf verreist, während meine Hände am Stehpult kleine Bücher bauen: 16, 17, 18. Die ersten drei sind schon in der Post. Ich sehne mich nach einem milden Frühling….

Kätzchentanz im Blau

Morgenstunde: Die 6. Kurtschlager Edition entsteht (150. Blog-Notat)

Das Layout auf dem Bildschirm

Freitagabend hab‘ ich mich dem Layouten begonnen, das ist wirklich Sisyphusarbeit. Dreimal gemessen, dreimal gezählt und doch dreimal nicht die richtige Lauffolge erwischt. Nach 22 Uhr hatte ich die Schn… voll. Uff. Heute Morgen hab‘ ich noch einmal von vorne begonnen. Es ist eben kompliziert auf einem Faltblatt immer zwei vordere und zwei hintere Seiten zu bedenken. Zumal – wenn man Textstücke umstellt, verrutscht alles und da liegen die Fehlerquellen. Zu guter Letzt hab‘ ich auf einem gefalteten Ausdruck die Korrekturen vorgenommen (z.B.: Text von Seite 7 auf Seite 22…) und nach dieser Ansicht die Dinge auf einer Dateikopie umgestellt. Danach war es fehlerfrei, glaube ich 😊. Nach einem Probestück gab es dafür Gewissheit und inzwischen ist das erste, handgebaute Künstlerheft fertig. Hundert Stück möchte ich für die 6. Kurtschlager Edition bis zum Tag der offenen Tür (5. Mai) fertig haben. Das wird schon 😊.

Der Bausatz:                                             Die Bindung:
 

Das erste Teil ist fertig. Ein handgefertigtes Künstler-Heft kostet 7 Euro und ggf. 85 Cent Versandtkosten

Und hier die ganze Geschichte im Zusammenhang und nicht wie Anfang März  im Blog als Schaffensabschnitte (aber die waren eben 1:1 – live, was man öffentliches Arbeiten nennt):

Vaters Bademantel
Eine Kurzgeschichte für Erwachsene

Es kam ganz anders, als sie es erwartete hatte. Sie war nicht gestorben. Stattdessen gluckste etwas, man könnte auch sagen, es rülpste frech. Wo? Ihr Blick wanderte durch das Weiß des Zimmers: Ein Krankenbett, ein fahrbarer Beistelltisch, ein Stuhl, darauf ihr gestreifter Bademantel. Den hatte sie mitgenommen, als ihr Vater ihn nicht mehr brauchte. Wenn Tine ihn anzog, fühlte sie sich von ihm irgendwie beschützt. Es rülpste wieder und die Frau neigte ihr schmales Antlitz, über dem ein gigantischer Kopfverband thronte, langsam abwärts. Zu der Bademanteltasche, daher schien das Geräusch zu kommen. Aber Tine konnte nicht nachsehen, ihre Arme lagen fest bandagiert neben ihrem langgestreckten, dürren Körper, sie kam sich wie eine Mumie vor.
„Hey, du Rülpser, hast wohl die letzte Flasche von meinem alten Herrn gefunden?“ Tatsächlich hatte Tine den letzten Flachmann, den der Vater nicht mehr hatte trinken können, weil ihn die Chemo innerlich auffraß, nie entsorgt. Nach jedem Waschgang steckte sie ihn wieder in die ausgedröselte Tasche, so war der Mantel perfekt. Und jetzt hatte sich jemand an der Flasche vergriffen?
„Zeig dich, du Rülpser!“ Das Etwas regte sich nicht, es knurrte ärgerlich, kaum später schnarchte es leise und der moosgrüne Bademantelstreifen atmete.
Tine schloss die Augen und träumte sich in den Irrgarten des vergangenen Tages.

Bilderfetzen von ihrem Motorradunfall sausen durch ihr Hirn. Auf der Gegenspur überholt ein Wagen in der Kurve. Vor ihr plötzlich ein Traktor mit Hänger – überbreit, sie kann nicht ausweichen und zieht nach rechts: Scheppern, Rutschen, Fliegen, ein Rapsfeld, überall Gelb und Schmerz.
Als sie wieder zum Stuhl hinübersah, lugte eine blaue Maus aus der Flachmanntasche. Sie schwankte beim Hinauskrabbeln und Tine dachte: Doppelblau. „Hey, du Rülpser, was hast du genommen, dass du so voll blau aussiehst? Und was machst du in meinem Bademantel?“
Die Maus sah zu der Frau mit dem weißen Turban hinüber und kratzte sich verlegen das linke Ohr. Es war jenes, dass ein wenig schlechter hörte. „Dein Mantel? Der alte Badelumpen sah so einladend aus, irgendwie sprittig. Eher wie das Teil von einem alten Säufer und zu dem hätte ich doch gut gepasst – oder?“
Tine lächelte: „Gehörte einem alten Säufer, aber jetzt ist er meiner. Schon ziemlich lange.“
„Sieht man, aber 50er-Jahre-Look ist ja kolossal modern, er musste mir einfach gefallen, auch wenn er schon etwas schäbig ausschaut.“
„Verstehe, und jetzt bist du eingezogen und hoffst, dass ich dir den Flachmann täglich nachfülle?“
„Vielleicht“, säuselte die blaue Maus, „aber das hab‘ ich nicht nötig. Ich bin die Bademaus vom Krankenhaus und habe Zugang zu den medizinischen Alkoholitäten. Zwei Sprühspritzer reichen mir eigentlich am Tag. Der Flachmann war nur ein erfreuliches Fundstück.“
„Und du meinst nicht, ich hätte den noch gebrauchen können?“
„So wie du aussiehst, dachte ich, du rollst gleich einen Gebetsteppich gen Osten aus, so eine braucht keinen Alkohol.“
„Ich kann nicht rollen.“
„Wieso nicht?“
„Meine Arme sind gebrochen.“
„Oh, aber sonst würdest du gen Osten …?“
„Nein!“
„Au, verflixt, dann muss ich dir einen neuen Flachmann besorgen?“
„Nein, ist nicht nötig!“
„Wär‘ aber kein Problem, du hast ja gar keine Vorstellung, wie viele kleine Pullen hier in den Bademänteln schlummern.“
„Doch.“
„Und woher weißt du das?“
„Mein Vater war Säufer.“
„Ach, ja, aber dann hast du bestimmt auch Geduld mit einer blauen Seele?“
„Hab‘ ich.“ Nach diesen Worten fiel Tine wieder in einen langen Schwächeschlaf.

Stunden waren vergangen und niemand hatte das Zimmer 30 auf der 2. Krankenhausebene betreten. Offenbar war das Personal einfach mal dankbar, dass aus diesem Raum nicht alle 10 Minuten der rote Klingelknopf nach ihm rief. Und so hatten die Schwestern im Handtieren mit all den Blutdruckgeräten, Bettpfannen und Kotztüten vergessen, dass die Patientin gar nicht nach ihnen hätte klingeln können, mit zwei Armen im Streckverband. Aber daran dachte gerade gar keiner.

Der blauen Maus wurde es unheimlich, denn die Turban-Frau atmete schwer und ihr Gesicht glühte hochrot. Die Maus nippte die letzte Neige aus dem Flachmann, sozusagen als Mutmacherschlückchen, dann rutschte sie am Bademantelgürtel abwärts und drückte blitzschnell die Rufklingel. Das war der Moment, in dem Oberschwester Vera von ihrer statistischen Dokumentation des Pflegenotstandes aufblickte und erschrak: Herrje, die Nummer 30! Schnellen Schritts war sie über den Flur gefegt und hatte im Nu die kleine Nische zum einzigen Einzelzimmer der Station erreicht, dass nur sehr schweren Fällen vorbehalten war. Hastig griff sie nach der Türklinke und bekam Herzklopfen. Die Frau fieberte und ließ sich nicht wecken. Die Chefschwester drückte ihren Notfallpieper, kaum später stand die Stationsärztin neben ihr. Zitternd hockte die blaue Maus in ihrem Bademantelversteck und hörte nur die Aufregung: „Der Hirndruck steigt! Sie fällt uns in Koma! Sofort auf die Intensiv!“ Metallgitter schepperten, Rollen ratterten, die Tür flog ins Schloss – Stille. Als die Maus über den Taschensaum linste, war das Bett verschwunden.
Die Tür öffnete sich erst wieder mit der Runde der Putzfrau. Dass war die Gelegenheit für die Bademaus, sich neue Gesellschaft zu suchen. Oder vielleicht doch erst mal ins Kellergeschoss, zum Desinfektion-Lager? Wohl besser für ihren Pegel. Es befand sich just dort, wo einst das alte Wannenbad des Krankenhauses war. Ein Ort der Kräuterwasser und Schlammbäder, aber so etwas praktizierte man hier schon lange nicht mehr. Am letzten Arbeitstag der Badefrauen bekam die Maus ihren neuen Aggregatzustand. Und das kam so: Die gekündigten Frauen hatten sich zum Abschied eine Flasche Blauer Würger am Pausentisch geteilt und weinten sich zwischen all ihren Quietscheentchen und dem Bademäuschen aus Gummi die Seele aus dem Leib. Klara hatte nicht mehr so recht den Durchblick, als ihr beim Nachschenken die Flasche aus der Hand glitt und ein Schwall kristallklarer Wodka die Maus traf. Als die Frauen gingen, blieb sie in dieser

hochprozentigen Pfütze zurück und ihre Verwandlung begann. Erst regte sich Leben in ihr, dann kam die Farbe. Seither geisterte sie durch die Zimmer und Flure und wirklich jeder einzelne des Krankenhauspersonals war ihr dabei schon einmal begegnet, aber keiner wagte es, darüber zu sprechen.

Zwei Tage später rollte die Turban-Frau mit ihrem Bett zurück in das Einzelzimmer. Sie schien zu schlafen, während die Schwestern ihr Krankenlager hin und her rangierten. Vera streichelte im Vorbeigehen den hastig atmenden Bademantelstreifen, der sich moosgrün beulte: „Na, Bademäusel, bist du wieder eingezogen und hältst Wache? Das ist gut. Du hast vorgestern der Frau das Leben gerettet, ich bin dir sehr dankbar dafür.“ Vera entschwebte und die blaue Maus grinste breit und glücklich.
„Du hast mir das Leben gerettet – Bademäusel, echt, wie?“, stöhnte die Turban-Frau aus ihren Kissen.
„Ich hab‘ nur den roten Klingelknopf betätigt, mehr nicht!“
„Das war wohl zur rechten Zeit, ich danke dir.“
„Keine Ursache.“
„Wie kommst du denn zu dem schönen Namen Bademäusel? Genauso nannte mich mein Vater in den Ostseeferien?“
Das war die richtige Frage für den kleinen Nager, die ihm noch niemand gestellt hatte. Endlich konnte er jemand in sein großes Geheimnis einweihen. Und so erzählte er ihr aus dem Dunkel der Tasche die seltsame Verwandlungsgeschichte vom Gummibademäusel zur lebendigen, blauen Maus. Die Turban-Frau lauschte interessiert.
„Geht es dir besser?“, fragte die Maus und schaute dazu wieder aus der Flachmanntasche.
„Ja, der Kopf brummt noch ein bisschen, dafür sind die Armbrüche jetzt gut verschraubt. Aber sie würden schneller heilen, wenn ich mein Knochenkraut hätte.“
„Was für ein Knochenkraut?“, fragte die blaue Maus hellhörig.
„Beinwell.“
„Oh, das ist aber sehr, sehr lange her, dass die Badefrauen diese rauen Blätter zum Heilen benutzten“, sinnierte die blaue Maus. Ich wüsste gar nicht, wo man die heute noch herbekäme.“
„Aus meinem Garten“, antwortete die Turban-Frau tonlos. Sie war inzwischen schon wieder sehr schlapp-müde, als sich die Tür öffnete und ein riesiger Mann, gepresst in lack-schwarzes Leder, in den Raum schaute: „Biker-Tine, hallo, lebst du noch?“
„Gerade so.“

„Das wird schon wieder“, druckste der Leder-Mann und sprach stakkato weiter: „Hab‘ dir das Bike gebracht. Steht in der Tiefgarage. Is‘ runderneuert. Versicherung zahlt‘s. Also keine Sorge, hier ist der Schlüssel. Liegt noch was an?“
„Nö, Max, hab alles. Danke fürs Schrauben und Bringen!“ Tine reichte dem Biker-Freund zum Abschied die Hand. Sie sah noch ziemlich zerbrechlich aus, was für den Leder-Mann ein nicht gut auszuhaltender Anblick war. Er verehrte die Biker-Tine als starke Frau, die hingeraffte Turban-Gestalt verstörte ihn nur, also stellte er wortlos den frischlackierten Helm auf den Beistelltisch und verabschiedete sich rasch wieder.
„Biker-Tine“ heißt du also. Ist aber auch ein seltsamer Name,“ fand die blaue Maus als sich die Tür schloss.
„Ist nur mein Spitzname unter Motorradfreunden. Früher, als ich noch im großen Revueballett tanzte, da hieß ich Hüpf-Tine und jetzt bin ich für alle nur noch die Kräuter-Tine.“
„Du kennt dich mit Kräutern aus? Ich auch. Ich weiß alles über Kräuterbäder. Gehört sich so für ein ordentliches Bademäusel.“ Und es begann zu dozieren: „Ein Rosmarinbad wirkt belebend und entzündungshemmend, Thymianbäder sind super gegen allerlei Entzündlichkeiten der oberen Luftwege. Melisse und Lavendel bringen Beruhigung und ein Salbeibad hilft bei unreiner Haut. Aber ach, inzwischen hab‘ ich schon so viel vergessen, weil ich schon lange keine Aufgüsse erlebt habe. Ein Schlammassel ist das, ich bin eine Bademaus ohne Aufgabe,“ seufzte die blaue Maus.

Tine lugte aus ihren Kissen und wirkte dabei überraschend unternehmungslustig: „Ich bin ausgebildete Kräuterpädagogin und könnte schon so ein allwissendes Bademäusel gut gebrauchen. Bei meinen Wochenendkursen im Gartenhaus. Es geht dabei um die richtige Anwendung von herkömmlichen Hausmitteln. Kräuterbäder werden dabei auch bereitet. Im Sommer gibt’s immer die Aufgüsse der besonderen Art: Schwarze Johannisbeere auf Kristallwodka und sowas. Alle möglichen Geist-Sorten“
„Echt!“, staunte die Maus und wurde ganz hippelig. „Du würdest mich mitnehmen und ich könnte in der Flachmanntasche weiterwohnen – ganz offiziell?“
„Wenn du willst. Außerdem müsstest du deine blaue Seele auch nicht mehr verbergen, du weißt ja, mein Vater war Säufer, ich weiß Bescheid.“

Zeichnungen: Petra Elsner

© Petra Elsner
2019

Hinweis zum Urheberrecht: Der Text darf ohne Angabe des Urhebers nicht weiterverwendet oder kopiert werden. Auch das Zitieren von Textstellen bei Veranstaltungen bedarf meiner Genehmigung.

Morgenstunde (149. Blog-Notat)

Foto: Petra Elsner

Verhuschte Tage waren das oder ein Wochenwirken von Murphys Gesetz – alles, was schiefgehen kann, ging schief: Mit dem Auto in Berlin liegengeblieben, erst nach vier Stunden einen Mietwagen bekommen. Die Reparatur sündhaft teuer für das bisschen Seilzug der Schaltung, beim Apotheker das falsche (weil preiswertere) Mittel bekommen, weil da ein Kreuz im Rezept fehlte, vertrage ich nicht, also lasse ich es weg, … x neue Kleinbaustellen im Haus. Die Tage verlieren in dieser Märzwoche ihre Struktur und es wird nichts so recht fertig. Für eine, die sich jahreslang selbst optimierte – als Selbständige – ist das nervig. 25 Jahre freiberufliches Arbeiten machen halt streng, mit sich und bestimmt auch mit anderen. Eigentlich bin ich ja seit anderthalb Jahren dabei, leiser zu treten, aber wie macht man das? Es gelingt mir im Grunde nur da, wo einfach nix mehr geht, weil etwas streikt. Aber selbst dann schleiche ich an den Computer und höre weg … Heute aber will ich noch etwas Schönes schaffen: Ein Layout für die Bademantelgeschichte. Es wird dann die 6. Kurtschlager Edition – handgefertigte Mini-Ausgabe. Wenn das gelingt, bin ich selbst mit dieser fahrigen Woche wieder zufrieden…
Habt ein schönes Wochenende!

Memory 10: Im Winterhaus

Zuerst hing die Ausstellung „Winter im Narrenhaus“ 1996 im Beriner Galerie-Café „Scheinberg“, Immanuelkirchstraße 31, Prenzlauer Berg . Rechts sieht man das Bild „Bruderspiegel“.

Irgendwie muss ich schon vor gut 20 Jahren geahnt haben, dass ich einmal einen guten Lungenarzt brauchen werde. Im Rahmen einer Kunstförderung bot man mir 1998 eine große Ausstellungsfläche im Vivantes Klinikum im Friedrichshain an. Ich durfte mir eine Ebene wählen und endschied mich für die Station 37, den schnee-weißen Flur der Lungenklinik. Es war noch ganz am Anfang meiner künstlerischen Laufbahn, damals spachtelte ich vieldeutige, farbschreiende Figuren und nannte die Reihe „Winter im Narrenhaus“. Es war Sommer, als wir die Bilder aufhängten. Am 2. Juli sollte die Vernissage stattfinden, doch kurz vor Beginn wurde es totenstill. Ein Patient war gestorben. Wir hätten das Ganze am liebsten abgebrochen, aber die Schwestern und Ärzte baten uns zu warten. Zwei Stunden später spielte Margarete Frank auf ihrem Saxsophon leichte Variationen auf die Bilderschau. Es wurde heiter. Bademantelträger linsten aus den Krankenzimmern, schlurfen in Pantoffeln von Bild zu Bild und: LÄCHELTEN. Ein älterer Herr kam auf mich zu, ergriff meine Hand und flüsterte: „Ich habe schon lange nicht mehr so herzhaft gelacht. Vielen Dank.“ So hatte ich es mir vorgestellt, jenen, denen die Panik der Atemnot im Genick sitzt, Freude und Ablenkung zu schenken. Alles gut.

Im Scheinberg 1996 – Petra noch dunkel. Fotos: Lutz Reinhardt

Im Herbst endete die Ausstellung, doch unser Leben war plötzlich haargenau in dieses Mal-Thema geglitten. Es war winterlich und wir waren gerade die Gefoppten, die Narren ohne Glück. Damals schrieb ich als freie Autorin für ein kleines Berliner Baumagazin und mein Liebster (auch selbstständig) machte die Reportage-Fotos dazu. Der Verlag war mit der damaligen Baukrise in die roten Zahlen gerutscht und zahlte schlagartig keine Honorare mehr. Aber er schob ständig neue Aufträge nach und wir waren noch  unerfahrene Freiberufler. Wir hofften und irrten. Monatelang ging es uns echt schlecht. Ein Freund kutschierte uns schließlich die Ausstellungbilder kostenfrei mit seinem Auto nach Hause. Aber zwei passten einfach nicht mehr rein: der große Bruder-Spiegel und der Sterntaler.  Ich hab‘ sie einfach hängen gelassen, gewissermaßen als ständige Leihgabe. Längst wurde das Haus umgebaut und gewiss dümpeln die Teile inzwischen in irgendeinem Abstellraum und warten auf Erlösung. Aber vielleicht auch nicht, vielleicht erfreut sich ja einer still und heimlich an ihnen… Es wär mir recht.