Milchmond (22)

Öffentliche Winterschreibarbeit zu der Kriminalgeschichte “Milchmond” von Petra Elsner.

… Nachmittags im Dorfkrug. Anna und Bernd Uhlig sahen Julie beim Löffeln der Täubchensuppe zu. Die stand nicht auf der Karte, Anna verteilte diese feine Suppe ausschließlich an geliebte Kranke im Dorf und Julie war geliebt und krank vor Kummer. Ihre Hausärztin fand das auch und hatte sie mit einem Krankenschein versorgt. Morgen würde sie die Formalien für die Beerdigung anpacken, allein der Gedanke daran, legte ihr Steine auf die Schultern. Die junge Frau schwieg und weil der Wirt die betretene Stille nicht aushielt, erzählte er, was da neulich geschehen war oder besser gesagt, was er davon noch wusste: „Sie haben mir alle Jagdwaffen abgenommen.“ Julie blickte stirnrunzelnd auf und der Wirt murmelte leise, fast unverständlich weiter: „Ich weiß auch nicht, was da in mich gefahren war, dass ich besoffen mit der Flinte in den Wald ging. Tresen-Koller oder erstes Delirium, keine Ahnung. Ich weiß nur noch, dass der Förster-Franz am Vorabend von einem weißen Hirsch erzählt hat, den er zwischen Schluft und Kappe gesehen hatte.“
Anna schüttelte ihren Kopf: „Du weißt doch, dass man einen Weißen nicht jagen darf. Der Göttliche steht dem Tode nahe.“
Uhlig nickte: „Er soll etwa da aufgetaucht sein, wo man Laura fand.“
Julie sah auf und sprach dunkel: „Immer, wenn es keine Klarheit gibt, munkelt das Dorf alte Legenden. Ich weiß nicht, wie ich das finden soll, aber sag mal Bernd, kennst Du die Legende vom Milchmond?“
Der einschlägig belesene Wirt kratzte seinen kahlen Kopf: „Hm, ja, doch, da gab es eine, die man sich erzählte, als der Wolf in der Schorfheide noch zugange war. Es muss vor 1850 gewesen sein, denn aus dieser Zeit stammen die letzten Hinweise auf ein Wolfsrudel in der Region. Die Legende vom Milchmond erzählt von einem weißen Wolf, keinem arktischen Wolf, sondern ein mystisches Mondwesen, das seine Braut meuchelt. Wahrheit oder Legende, die Dinge verweben sich manchmal. Es war die Zeit, als ein Zirkus über Land zog, der menschlichen Kuriositäten zur Schau stellte. Darunter auch einen vollkommen behaarten Menschen, den sie Wolfsmann nannten.  Das las ich im Tagebuch meiner Urgroßmutter. Sie hat beinahe alles aufgeschrieben, was man ihr am Tresen erzählt hatte. Ob die Leute aus solch‘ bizarren Anblicken eine Mär machten, oder ob es wirklich damals einen speziellen Mord in der Heide gab, der diese Geschichte hinterließ – ist mir nicht bekannt.“ Uhrigs Augen leuchteten, denn bei solchen Histörchen war er ganz in seinem Element. Auch er hatte unterm Tresen ein Notizbuch, indem er Kneipengeschichten niederschrieb, die er mit schelmischen Blick gelegentlich leise vortrug. Nur für spezielle Freunde, nie in großer Runde.
Draußen hupte Dörte Sandig. Sie hatte das Licht in der Wirtschaft gesehen, stoppte ihren Jeep, parkte ein und stiefelte über den Kopfsteinpflasterdamm. „Teestunde?“, pustete sie als sie den Raum betrat. „Nee, Märchenstunde“, antwortete Anna.
„Worum geht’s?“
„Um die Legende vom Milchmond.“
„Ach herrje, meint Ihr eine alte Sage bringt Licht ins Dunkel? Dann doch wohl eher echte Spuren und ein Wolf war, soweit ich weiß, nicht dabei“, kommentierte Dörte den seltsamen Denkansatz. Sie hockte sich zu Julie, nahm sie in den Arm und fragte flüsternd: „Was machst Du eigentlich da draußen alleine auf der Bank in der Winternacht?“
„Nichts, rauchen und Sterne gucken.“ …

 

© Petra Elsner
Februar 2018

Hinweis zum Urheberrecht:

Der Text darf ohne Angabe des Urhebers nicht weiterverwendet oder kopiert werden. Auch das Zitieren von Textstellen bei Veranstaltungen bedarf meiner Genehmigung.

Alle in dieser Kriminalgeschichte vorkommenden Namen, Personen, Organisationen, Orte sind erfunden oder werden rein fiktiv benutzt. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Geschehnissen, Orten oder Personen, lebend oder tot, sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

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Blätter zur Kriminalgeschichte “Michmond”

Der Weiße zur Legende vom Milchmond.
Zeichnung: Petra Elsner

Zwei Illustrationen zu Milchmond sind am heutigen Sonntag entstanden, eine zeige ich: Den weißen Wolf.  Schönen Sonntagabend allerseits!

 

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Milchmond (12)

Öffentliche Winterschreibarbeit zur Kriminalgeschichte “Milchmond” von Petra Elsner

… Am Freitagabend brannte im Dorfkrug endlich wieder Licht. Eisiger Ostwind blies den ersten Frost in die Heide. Julie schlotterte innerlich auf dem Nachhauseweg. Ein Glühwein wäre jetzt nicht schlecht. Als sie die Holztür zur Wirtschaft öffnete, schlug ihr Stimmengewirr, Zigarettenqualm und der Mief von Frittieröl entgegen. Es war schon nach 22 Uhr, da dröhnten die einschlägigen Verdächtigen lauter, als zu Beginn der feierabendlichen Zapfparty. Halb Sandberg drängelte sich im Krug, denn natürlich wollten alle wissen, was mit Bernd Uhling los war, bevor ihn die Polizei kassierte und er für schlapp 24 Stunden verschwand. Aber der Wirt schwieg. Mit fester Mimik füllte er die Gläser und servierte sie wortlos. Stumm und steif wie ein englischer Butler. Das stachelte die Neugier des Walddorfes noch mehr an und so begann die Gerüchteküche langsam zu blubbern. Die Vorruhestandszwillinge hatten bereits den achten Korn, als der Ältere, Klaus, leise vor sich hin lallte: „Zu viele Körner und Kröten geschluckt, da kann man schon mal rasten.“ Und der Jüngere, Konrad, laberte ihm ins Ohr zurück: „Was heißt hier Kröten, dem hat nur ne fette Laus zu lange auf der Leber gesessen.“ „Leber war auch irgendwie dabei. Die plätscherte ein Hirsch-Delirium vom Feinsten“, lästerte Anton Müller im Flüsterton hinter vorgehaltener Hand den Zwillingen zu. Die Drei grinsten einander vielsagend an, dann klopfen sie weiter ihren trödeligen Skat. Am Nebentisch debattierten die Forstarbeiter mit den Jägern über den Rückgang des Rehbestandes und die Waldbauern hockten mit Dörte Sandig am nächsten Tisch zusammen. Die hatten ihre Wildkameras miteinander auswertetet. Holzdiebe hatten sie keine entdeckt, aber zwei Wölfe bei Grunewald. Durchreisende oder ein Paar, das war hier die aufgeregte Frage, die in der vorgerückten Stunde im Geplätscher der geistigen Getränke langsam ersoff.
Juli hatte sich auf das Bankstück neben dem Ausgang gehockt und schlürfte ihren Glühwein. Hier würde sie es heute nicht mehr lange aushalten. Zu voll, zu laut, zu spät für alles….

© Petra Elsner
Februar 2018

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Milchmond (10)

Foto: Petra Elsner

… Alfons Reichelt lächelte väterlich, als er seinem jüngeren Freund die Tür öffnete: „Du wirst es nicht glauben Otto, ich bin gestern einem Wolf begegnet. Einem Einzelgänger. Ich stand auf einer kleinen Anhöhe bei der Eichenheide und schaute still ins Land, da hörte ich ihn hecheln. Er überquerte vor mir den Weg, blieb stehen, warf mir einen scheuen Blick zu, dann zog er seiner Wege.“ Ein Leuchten husche über die Blicke der Herren. Die Begebenheit passte einfach super zu ihrem Thema „Die Schorfheide – Wolfserwartungsgebiet“. Beide Männer versuchten künstlerisch diesem Szenario nachzugehen. Der eine mit Fotos und Texten, der andere mit Skulpturen in Stein gehauen. Dass die Reichelts vor zehn Jahren vom Rhein nach Friedrichswalde zogen lag daran, dass Dora Reichelt bei ihren Besorgungen über die Broschüre „Wölfe in Brandenburg“ stolperte. Zurück daheim wedelte sie mit dem Teil und frohlockte: „Alfons, wir verbringen das Alter nicht in Frankreich, wir ziehen in den Osten Brandenburgs.“ Das taten sie dann auch, denn das Paar wollte seinen letzten Lebensabschnitt in einer Landschaft beginnen, in der der Wolf noch oder wieder Zuhause ist. Es suchte genau diese spezielle Qualität von Natur, mit der es eins sein wollte bis ans Ende ihrer Tage. Dass Alfons zu alle dem noch einen neuen Freund fand, war das größte Glück des Bildhauers. Otto Ehrenburg schätzte Reichelts Gespür für Wildnis und Steine und verstand seine handverwandelten Chimären. Ganzjährig stehen die Bildwerke in Wind und Wetter auf seinem Skulpturenhof, setzen Moos an und werden wieder eins mit dem Landschaftsbild der Schorfheide, dem sie entsprangen: Ein Kranichpaar, Hirschgötzen, verschiedenstes Blattwerk, Vogelstelen und Motive aus dem Schmelz von Tier und Mensch. Es sind Grenzsteine zwischen Alltag und Kunst. So blieb der Zugezogene kein Fremder. Er passte hierher, als wäre er schon immer hier gewesen, bodenständig und voller Liebe. Jetzt dachten die zwei Männer über eine gemeinsame Ausstellung nach. Der Wolf im Zeitspiegel. Sie wussten, so ein Stoff provoziert…

 

© Petra Elsner
Februar 2018

 

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Alle in dieser Kriminalgeschichte vorkommenden Namen, Personen, Organisationen, Orte sind erfunden oder werden rein fiktiv benutzt. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Geschehnissen, Orten oder Personen, lebend oder tot, sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

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Saisonstart im Wildpark

Imke Heyter, Chefin des Wildparks Schorfheide – Mit langem Atem für den Erhalt der heimischen Arten:

Imke Heyter bei den sechs Luchsen: „Brandenburg aber ist meine Heimat, und ich finde es extrem schön. In den sechs Jahren, in denen ich in Westfalen lebte und studierte, habe ich erst festgestellt, WIE schön Brandenburg ist. Ich finde es wichtig, dass die Leute in der Region bleiben und nicht alle abwandern.“ Auch deshalb arbeitet Imke Heyter raumgreifend an ihren Projekten. Fotos (3): Lutz Reinhardt
Imke Heyter bei den sechs Luchsen: „Brandenburg aber ist meine Heimat, und ich finde es extrem schön. In den sechs Jahren, in denen ich in Westfalen lebte und studierte, habe ich erst festgestellt, WIE schön Brandenburg ist. Ich finde es wichtig, dass die Leute in der Region bleiben und nicht alle abwandern.“ Auch deshalb arbeitet Imke Heyter raumgreifend an ihren Projekten.
Fotos (3): Lutz Reinhardt

Was andere Menschen nur bestaunen, lebt Imke Heyter (43). Mit jeder Faser ihres Seins, schafft sie für den Wildpark Schorfheide in Groß Schönebeck. Beharrlich, unnachgiebig, leidenschaftlich. Seit ihr Vater Dr. Frank Heyter 2005 in den Ruhestand wechselte, führt sie den Park in seinem Sinne weiter.

Die nachhaltige Vision des Begründers nahm vom 21. April 1996 mit dem 1. Spatenstich langsam Gestalt an – das ist bald 20 Jahre her. Grund genug zum Feiern, denn seither macht sich der weitläufige und unglaublich schöne Wildpark einen guten Namen selbst über die Grenzen der Region hinaus.

60 Prozent der Gäste kommen aus Berlin, 35 aus Brandenburger. Anders ist es bei ihren sehr besonderen und fantasievollen Festen, da kommen besonders die Einheimischen. Seit 2009 machen die Vollmondwolfsnächte von sich reden – ungebrochen bis heute. Die Termine sind meist auf Monate ausgebucht. Deshalb gab und gibt es Zusatztermine auch über die kalendarischen Vollmondnächte hinaus.

Imke Heyter lächelt: „Wölfe heulen nicht nur bei Vollmond, sie heulen selbst bei Tag. Aber ein bisschen Glück gehört dazu. Wir möchten ein authentisches Naturerlebnis bieten. Unser Angebot ist das europäische Wildtier, welches hier früher mal heimisch war oder wieder ist – präsentiert in einem natürlichen Großgehege. Das ist unsere Marktlücke, aus der wir eigenwirtschaftlich agieren.“

Bei den lustigen Ottern: Der Wildpark beherbergt ausschließlich Wildtierarten, die in der Schorfheide heimisch sind, wie beispielsweise Wolf, Fischotter, Rotwild, Damwild, Schwarzwild, Muffelwild und Tiere, die bei uns in freier Wildbahn bereits ausgestorben sind, wie Wisent, Elch und Przewalski-Pferd. Außerdem züchten wir seltene, vom Aussterben bedrohte Haustierrassen wie z. B. Englische Parkrinder, Rauhwolliges pommersches Landschaf, Exmoorpony`s und Wollschweine.
Bei den lustigen Ottern: Der Wildpark beherbergt ausschließlich Wildtierarten, die in der Schorfheide heimisch sind, wie beispielsweise Wolf, Fischotter, Rotwild, Damwild, Schwarzwild, Muffelwild und Tiere, die bei uns in freier Wildbahn bereits ausgestorben sind, wie Wisent, Elch und Przewalski-Pferd. Außerdem züchten wir seltene, vom Aussterben bedrohte Haustierrassen wie z. B. Englische Parkrinder, Rauhwolliges pommersches Landschaf, Exmoorpony`s und Wollschweine.

Der Wildpark lebt von den Eintrittsgeldern und von dem, was die Gastronomie mit ihrer speziellen Wild- und Kräuterküche im Besucherhaus erwirtschaftet. Die Chefin versteht es mit der zupackenden Hilfe ihrer 15 Angestellten, die Park-Idee auszukleiden: Mit Spezialführungen für jedes Alter, Streichelzoo, Waldspielplatz, Kräutergarten, Fischräucherei und anderem mehr. „Die attraktivsten Tiere sind zurzeit natürlich die Wölfe. Es sind vornehmlich die großen Beutegreifer, die die Besucher locken. Ich selbst verteile meine Liebe ganz gerecht auf alle Tiere. Natürlich sind meine Favoriten Elche, Wölfe, Luchse aber alle anderen auch“, verrät sie.

In der heutigen Zeit, in der die Welt und das Leben vieler ungewiss ist, sieht die Frau in dem Arial Wildpark auch eine Nische, in der Mitmenschlichkeit noch gelebt wird. Ein unbezahlbares Gut. Hinzu kommt diese spannende Aufgabe. Imke schwärmt: „Für mich ist es der schönste Arbeitsplatz der Welt, ich möchte nicht tauschen, auch wenn man sehr gebunden ist. 365 Tage im Jahr ist der 100 Hektar große Wildpark für die Besucher geöffnet. Da übernimmt man Tag und Nacht Verantwortung für die Tiere, alle Angestellten und nicht zuletzt auch für die Besucher und Tierpaten. Man lebt es, oder man lässt es, etwas dazwischen gibt es nicht. Trotz Freude und Spaß an der Arbeit, geht es nur mit einem wirklich guten Team. Ich habe Mitarbeiter, die mit Leib und Seele dabei sind. Alle sind fest angestellt. Ich halte nichts davon, Mitarbeiter im Winter zu entlassen. Wir sind hier in der strukturschwachen Region des Barnims, da hängt an jedem, der noch Arbeit hat, meist eine ganze Familie. Es gibt fast keine Fluktuation, wer sich bewährt, der bleibt.“

Die Lux-Familie wartet auf die Fütterung.
Die Lux-Familie wartet auf die Fütterung.

20 Jahre ist eine lange Zeit. Da sind neue Gehege gewachsen und auch ein Abenteuerspielplatz für Kinder. Inzwischen gilt es verwitterte Zäune und Dächer zu erneuern. Letztes Jahr wurde das Wisentgehege neu angelegt. Imke Heyter wird nicht müde, Fördermittel zu beantragen und abzurechnen. Ohne das käme die Privatinitiative nicht voran. Zu den Feierlichkeiten am 21. April hat sich Ministerpräsident Dietmar Woidke angesagt. Eine eher interne Feier für die Macher des Wildparks ist geplant. Ein Wochenende später bedankt sich der Wildpark bei all seinen Fans und Dauergästen mit einem Wochenendeinlass zum Kinderpreis. Aber zuvor wird zum Osterfest geladen. Der symbolische Saisonstart wartet wieder von K-Freitag bis Ostermontag mit offener Wolfsnacht, Osterfeuer und dem ganzen üppigen Unterhaltungsprogramm auf, dass die Fangemeinde so sehr liebt. Sie dürfen gern auch mit von der Partie sein. (pe)

Wildpark Schorfheide, Prenzlauer Straße 16, 16244 Groß Schönebeck, Tel: 033393 65855, weitere Infos im modernisierten Internetportal: www.wildpark-schorfheide.de

 

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Der Wolf und der Zaunreiter

Eine Leseprobe aus meinen Schattengeschichten:

In den Bäumen schwiegen die Vögel, und der Wald färbte sich tiefschwarz, als entlang des großen Zaunes ein Reiter seinem Pferd die Sporen gab. Er kam vom Fluss im Osten und wollte längst an der westlichen Waldkante sein, denn er fürchtete sich vor dem Beutezug der Wölfe. „Hoh, hoh“, trieb er seinen müden Gaul an. Schnee stiebte auf, und verholzte Zweige brachen darin und scheuchten einen Wolf aus seiner Deckung. Der Einzelgänger sprang über den Pfad, das Pferd scheute, und der Zaunreiter fiel.
Als der Mann wieder zu sich kam, fühlte er ein warmes Fell an seinem Bauch und einen flachen Atem. Entsetzt erkannte er den Wolf, dessen Blut sich mit seinem im Schnee mischte. Das Herz des Mannes trieb die Angst an, doch der Wolf schaute nur mit unscharfem Blick auf, dann leckte er die Wunde des Reiters. Lange lagen sie so schweigend unter den Sternen und wärmten einander.
Auf einmal fragte der Wolf mit dünner Stimme: „Warum wachst du über diesen mächtigen Zaun?“
„Damit das Wild nicht auf die Äcker des Nachbarfürsten springt.“
„Verstehe, wir sollen nur deinem Fürsten in die Lappen, Netze und Fallen gehen“, raunte das Tier. „All die Hirsche, Rehe, Auerochsen, Elche, Wisente, Bären, Schwarzkittel, Luchse und wir Wölfe sollen diesem einen Fürsten gehören? Auch die Otter, Biber, Kraniche, Reiher und die Adler hoch in den Lüften über den Luchen und Mooren?“
Der Mann nickte nur stumm und dachte, es sind immer die mächtigsten Fürsten, die den großen Wald des Wanderlandes beanspruchen. Er hatte sich etwas gesammelt und riss nun aus seinem Hemd zwei Streifen. Damit verband er den blutenden Lauf des Wolfes und seine eigene Schulterwunde. Er wusste, hätte sich der Wolf nicht zu ihm gelegt, wäre er längt erfroren. Und doch konnte er kaum glauben, was ihm widerfahren war.
„Fürchtest du dich noch?“, fragte der Wolf. Der Mann schüttelte verlegen seinen Kopf. „Warum auch, ich jage keine Menschen, aber vor dem Bären solltest du dich in acht nehmen. Das Märchen vom Menschen fressenden Isegrim hat der Fürst erfunden, damit ihr nicht seinen Wald plündert und immer hübsch auf dem vorgeschriebenen Wege bleibt.“
Der Zaunreiter staunte, und dachte bei sich, dass könnte so sein. Die Worte des Wolfes stutzten endlich dem Schrecken dieser Nacht die Flügel.
Das Pferd war unterdessen in das Dorf des Zaunreiters getrabt und alarmierte die Bauern, Köhler und die einfachen Zaunläufer. Ihre Fackeln leuchteten indes wie ferne Irrlichter in der Nacht. Der Wolf witterte schon zeitig ihr Herannahen, aber vom Blutverlust geschwächt, konnte er sich nicht erheben. Der Zaunreiter spürte jetzt die Angst des Wolfes. „Fürchte dich nicht, ich werde dich beschützen, flüsterte er ihm müde ins Ohr.“
Als die Männer des Dorfes den Verunglückten endlich fanden, schliefen der Zaunreiter und der Wolf friedlich eng beieinander. Ungläubig und mit angstvollem Blick sahen sie auf das Bild, als Mann und Tier sich regten. Der Zaunreiter legte den Arm um den Wolf und stöhnte: „Er ist mein Retter und bleibt unbehelligt.“
Die Männer murrten, aber hievten dennoch Mann und Tier auf ein Pferd. Der Zaunreiter war als Grenzgänger angesehen im Dorf und seine Meinung zählte. Und so kam es, dass bald niemand mehr sich vor dem Wolf fürchtete.  Als das Tier gesund war, entließ der Mann es wieder in den Wald. Aber jeden Tag wartete fortan der Wolf am Waldrand auf den reitenden Wächter und begleitete ihn treu auf seinem Grenzpfad fad zwischen den Flüssen.

(Aus meinem Buch “Schattengeschichten aus dem Wanderland” – Schorfheidemärchen, erschienen 2010 im Schibri-Verlag ).

Neu erschienen: 2018 bei der Verlagsbuchhandlung Ehm Welk in Schwedt an der Oder als Märchensammlung (30 Texte) unter dem Titel “Die Gabe der Nebelfee”

PS: Weil oft falsch verstanden, noch einmal erklärt:
Meine Schorfheidemärchen sind KEINE Sammlung aus der Welt der Sagen, sie sind meine literarischen Erfindungen – der Zeit und der Landschaft abgelauscht.

 

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