WENDE-STRUDEL (3)

Petra Elsner: Echo der Vergangenheit, 70 x100, Acryl auf Karton, 2002
Petra Elsner: Echo der Vergangenheit, 70 x100, Acryl auf Karton, 2002

Daseinspendel:

Ich hatte einen Ort, wo ich Zuhause war. Mit keinem Flecken Erde war ich so verbunden, wie mit dieser flachen, weiten, sandigen Region. Streusandbüchse nannte man sie, weil auf den Böden eigentlich nur Mohrrüben gut wuchsen. Aber auch satte Wiesen gab es hier, tiefe Wälder und romantische Seen zwischen den ländlichen Siedlungen aus Backsteinen, weißgekalkten Mauern und verwittertem Holz. Ein gerader, harter, aber aufrechter Menschenschlag gedieh hier. Etwas stoffelig vielleicht, doch zugänglich. Selbst die aus Schlesien und Böhmen Hergetriebenen, die Gestrandeten vor den Ufern Berlins, blieben nicht lange Fremde, assimilierten schließlich mit diesen Märkern.

Zuhause, darin ist alles, was einen Menschen an eine Gegend bindet – seine Wurzeln. Jeder Zweig seines Selbst’ bekommt von dorther Nahrung.

Mein Zuhause war, gleich der Zeit damals, kein Ideal. Doch ich liebte es, wie man von einem unsymmetrischen Gesicht angezogen und fasziniert sein kann. Neben den irdischen Farben der Mark erinnere ich mich kaum an eine andere, als an das an allem haftende Grau. Selbst die Leute schienen mir etwas davon zu haben, in ihren Gesichtern, ihrer Kleidung, in der Art wie sie gingen und sprachen. Doch ihren Herzen entsprang eine herbe Wärme, und die Umstände ließen sie dichter zusammenrücken denn je. Vielleicht waren es Spielarten der Notgemeinschaft – gleich Geschmähte und Besiegte im letzten großen Krieg, gleichgestellte Habenichtse durch denselben, materiell und immateriell, gleichgemacht durch die neue Ordnung in diesem Splitter Deutschlands. Die sozialen Stände verwischten sich. Der Mangel in dieser zwanghaft geschlossenen Gesellschaft prägte Beziehungen zwischen beispielsweise Handwerkern und Intelligenzlern. Eigenwillige Zweckfreundschaften entstanden. Gibst du mir, verschaff ich dir… Vielleicht aber war dieses Verbundensein miteinander auch mehr als nur ein zwangsläufiges Verhältnis. Denn man konnte vorurteilsfrei überallhin tiefe Beziehungen entwickeln, die nicht traditionellen Standesvorstellungen entsprachen. Sodann erfuhr man viel über den anderen – wenn man wollte. Gleichklang und geistige Beweglichkeit verschafften Einlass in die Nische. Diese sozial gemischten Freundeskreise waren für viele das Salz ihres Daseins. Und der Reichtum dieser menschlichen Beziehungen wog wie ein schwerer Anker.

„Geh’ Du nicht auch noch fort von mir…“, sang im Sommer ‘89 Gerhard Schöne. Warum wohl? Kaum, um das Festgefahrene zu erhalten, sondern hier zu bleiben und es zu ändern. Dass dies machbar ist, dass die sichtbaren und unsichtbaren Verletzungen heilen würden, glaubten viele…

 

Da die Reaktionen auf die Leseproben recht still waren, ist dies der letzte Ausschnitt aus den Wende-Niederschriften. Ich will Euch schließlich nicht langweilen mit vergangenen Zeiten.

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6 Gedanken zu „WENDE-STRUDEL (3)“

  1. Nein, langweilen tun sie nicht, ganz im Gegenteil. Und trotzdem muss ich zugeben, habe ich auch mit meinem Existenzkampf gut zu tun und finde leider recht wenig Zeit mal einfach auszuspannen und Deine Geschichten hier zu lesen. Aber glaube mir, immer wenn ich das getan habe, mir die Zeit genommen habe, war es nie umsonst. Sondern bereichernd und für die Seele ein Gewinn. So auch heute, bin so wieder mehr zur Ruhe und zum Nachdenken gekommen. Und fühle mich wohl, danke Petra. Leute die mit so einem Talent wie Du ausgestattet sind gibt es nicht viele.

  2. Lieber Frank, Du glaubst gar nicht, wie gut mir Deine Zeilen tun. Das Schreiben ist eine ziemlich einsame Angelegenheit, da sind Reaktionen hilfreich, damit frau weiß, ob sie auf dem richtigen Weg ist. Hab vielen, herzlichen Dank dafür.

    1. Das freut mich liebe Petra. Ich versuche mal in dieser Hinsicht aktiver hier zu sein. Ich konsumiere gerne, nun so sollte ich auch zurückgeben, also nicht nur lesen sondern dann auch wenigstens einen Kommentar schreiben.

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