Eine neue Kurzgeschichte in Arbeit:
Sie sprang nicht wirklich über den Fluss, es war nur ein Gedankenwechsel: Was wäre, wenn? Kann man ein heiteres Naturell wiedererwecken? Betty Kellermann sah matt dem Fluss der Infusion zu und zählte die Tropfen wie Schafe. Wo nur war ihr diese unbekümmerte Art abhandengekommen? Und wie kam sie in dieses imaginäre Korsett, an dessen Schnürbändern so viele zogen, jahrelang, bis ihr den Atem stockte. Das war jetzt und sie wusste, es geht ums nackte Leben. Aus dem Kalender riefen Termine nach ihr, aber Betty Kellermann war kaltgestellt, sie würde nirgendwo hingehen, vielleicht niemals mehr. Aber noch wollte sie kein Asyl im Nachthimmel, sie hatte einfach noch nicht den richtigen Stern für sich gefunden.
Hinter ihren geschlossenen Augen stand sie an diesem reißenden Fluss, einem grünen Wasser mit Schaumkronen. Jemand rief ihr vom anderen Ufer zu: „Komm zu dir!“ Es war eine kleine Gestalt im roten Kleidchen mit schwarzem Samtkragen und semmelblondem Seitenzopf. Das Mädchen lief auf Spitzenschuhen mit rosa Schleifenbändern das Ufer entlang und tanzte mit den Schmetterlingen. Ein Pas de deux der Träume, wild und schön. Plötzlich betrat ein grauer Mann aus einem Seitenpfad das Ufergrün und sah auf das Mädchen mit dieser herablassenden Attitüde, die Betty Kellermann sehr gut kannte. Ihr ganzes Leben lang hatten Männer Frauen genauso angesehen und sie damit verhindert. Sie schaute abermals über den Fluss. Das Kind zog die Tanzschuhe aus und warf sie in die starke Strömung…
© Petra Elsner
7. Juli 2019
Views: 643