Die Kamera (1)

Eine Geschichte entsteht öffentlich:

Die Kamera war ihr perfektes Alibi, an diesem wilden dunklen Ort zu sein, dem Kesselhaus der Kulturbrauerei. Hinter ihr konnte sie unter all den jungen Menschen, die allesamt ihre Kinder hätten sein können, leicht sein. Es war stickig, überfüllt und laut, aber die Frau in den schwarzen Klamotten war in diesem Moment glücklich, wie schon lange nicht mehr. Die Canon gab ihr die Möglichkeit, unauffällig wieder jung zu sein und sei es nur für diese gewisse Zeit. Sie schob die umgedrehte Bierkiste lässig mit dem weißen Leisetreter an der Bühnensohle entlang, um ihrer kleinen Gestalt mehr Höhe geben und sich so einen besseren Sichtraum zu schaffen. Gundermann röhrte „…unter der Fahne der Grünen Armee…“
Klick, klick. Letztes Bild. Sie ging für den Rollenwechsel in die Hocke. Ihr Herz stolperte. Nicht wegen Gundermann. Der Film saß, Klappe zu, Herzaussetzer. Anne dachte seltsam gelassen: schöner Ort zum Sterben. Das Herz fand seinen Takt, sie erhob sich und fotografierte weiter. Das nervte Gevatter Tod. Keinen Respekt, diese Frau?
Hatte sie schon. Nur war sie es müde geworden über all seine Stöckchen zu springen. Was ihm die Spielfreude nahm. Also ließ er jetzt von ihr ab und suchte sich einen anderen Zeitvertreib. Anne zoomte durch das Gedränge und sah durch ihren Sucher, wie hinten rechts eine Gestalt im Bühnennebel zu Boden ging…

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4 Gedanken zu „Die Kamera (1)“

  1. Ein sehr schöner Anfang liebe Petra, ich fühle mich selbst wie im Kesselhaus der Kulturbrauerei dabei, wo man in jüngeren Jahren die eine oder andere tolle Party erlebt hat. Und Gundermann röhrt auf der Bühne.. Wunderbar, eine andere Zeit -fühlt sich beinahe an, wie ein anderes Leben. So lang ist es her. Bin gespannt, wie es weitergeht. Herzliche Grüße Heike

    1. Ja, liebe Heike, eine ganz andere Zeit. Wir aber waren Teil von ihr und das ist doch mal was. Danke für die lobende Ermutigung. Alles, was mich aufbaut, hilft mir gerade, denn wirklich alles geht augenblicklich nur in Zeitlupe, zu schwach… LG, Petra

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