Morgenstunde (439. Blog-Notat)

Es gab mal eine Zeit, in der die Sprache ein Korsett trug, endlose Präambeln. Stoisches Bewahren von Wortgebilden, die immer gleich verwandt wurden, um nur nichts falsch zu machen, anzuecken, nicht an Dogmen zu rühren. Man hat mir einst als Jugendredakteurin in der DDR vorgeworfen, ich entpolitisiere Texte. Doch es war nur meine Antwort auf die Seelenlosigkeit, die schlussendlich in die bleierne Zeit führte. Seit 10 Monaten erleben wir dieses C in jedem Kontext. Kaum eine Nachricht beginnt anders, kaum ein Mensch, den man vor ein Mikrofon holt, erzählt uns etwas wirklich Neues. Die Litanei wird religiös anmutend runtergebetet, mit dem Ergebnis: das Zuhören zerrinnt. Ich denke, während ich das wahrnehme: Gebt Euch mehr Mühe, verdammt! Sprache ist ein hohes Gut, man kann mit ihr Menschen gewinnen …oder verschrecken… und natürlich viel mehr. Am Morgen vor dem Shutdown spricht der Bundespräsident eindringlich im Tonfall, ja, aber die immer gleichen Worte. Wo ist die Fantasie geblieben? Shutdown – das Herunterfahren des Landes, Lockdown – das Verschließen von Orten. Allein, wenn man diese Umstände und ihre Folgen bedenkt, würden die Metaphern fließen. Dazu müsste man sich aber die Lebenszustände der Menschen, für die Politik agieren will, genauer betrachten und dem bürokratischen Monster gehörig in den Hintern treten. Denn wie kann es sein, dass die beschossenen Novemberhilfen erst im Januar bei den Menschen ankommen sollen, die mit dem Teil-Lockdown abermals im Berufsverbot stecken? Was für eine grenzenlose Gleichgültigkeit steckt in diesem Zustand. Da geht hinter vielen Fenstern nach und nach das Licht aus, weil ein Softwareprogramm nicht gelingt? Armes Deutschland, unfassbar! Das Bürokratiemonster lähmt und vernichtet Existenzen: Menschen.
Meine Güte, das Leben tickt nicht in juristisch standfesten Logik-Sätzen! Es läuft nicht fehlerlos, es braucht vor allem in dieser Menschheitskrise VERTRAUEN, ZUTRAUEN, MITMENSCHLICHKEIT, RESPEKT und vor allem nicht das unterirdische Lied der Mittelmäßigkeit, sondern HÖCHSTLEISTUNGEN (damit ist nicht Aktivismus gemeint!). Deutschland – der Klassenbeste in der Welt, scheinbar lange her, augenblicklich mutet es eher wie eine Mogelpackung an.

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2 Gedanken zu „Morgenstunde (439. Blog-Notat)“

    1. Ja, darum geht es ja auch, liebe Gerda, man kann die Dinge einfach besser sagen, vielfältiger, herznaher, klarer… Ich habe viele Bilder zum Thema Tod gemalt – in hellsten Farben, die zum Herantreten verlocken, zum angstreien Nachdenken führen und so Zugang schaffen… Abendgrüße von Petra

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