WENDE-STRUDEL

Nachdem sich zur US-Wahl die  gesellschaftlichen Eliten so komplett geirrt haben, und immer wieder von Wutbürgern und Abgehängten als ausschlaggebende gesprochen wird, eine undefinierbare Bedenklichkeit nachschwappt, ist es vielleicht besser, erst einmal hier die eigenen Hausaufgaben zu machen. Wie und warum entstehen diese “Schattengewächse”. Durch Misswirtschaft, soziale Härte, mangelde politische Verantwortung im Kontext der ungezügelten Weltwirtschaft und die Arroganz der Macht. Meiner Meinung nach birgt auch der Einigungsprozess der Deutschen solch einen Sprengstoff. Man hat einander damals nicht gut zugehört… Ich habe O-Töne aus meiner damaligen Gedakenwelt. Etwas werde ich hier posten. Wieviel davon liegt bei Euch – für ein Mehr braucht es die Nachfrage.

"Wieder geboren werden", Augsustraße, Berlin 1993
“Wieder geboren werden”, Augsustraße, Berlin 1993

Nachgesetzter Epilog:

Noch vor zwei Jahren war es selten, dass irgendwer wirklich Gehör bekam, der sich kritisch zum Prozess der Deutschen Einheit äußerte. Wer sich vorsichtig vorwagte, stand augenblicklich im Hagel. Es prasselten Vorwürfe von Undankbarkeit über ihn nieder. Wo doch so viel Geld in den Aufbau Ost fließt. Und wo kein Haben, da kein Sagen. Oder aber, man stellte den Rufer in die PDS-Ecke und verunglimpfte ihn zugleich als Ewig-Gestrigen. Wer aber will schon bei den Verlierern sein? Wenngleich, sagt das –zig tausendfache Aufstehen nach dem Fall nicht ungeheuerliches über die innere Kraft von diesen Menschen? Man könnte daraus Mut schöpfen. Oder sind die Zeiten wirklich so satt und sicher, dass man diese Wandel-Geschichten nicht als gesellschaftliche Anregung braucht? Es schien lange so. Also öffneten ohne Getöse sehr bald hier und da im Osten Kneipen mit bewusst zusammengesuchtem DDR-Ambiente. Leise, sich selbst ironisierende Schwatznischen. Im Winter 1995/96 feierten tausende in Ostdeutschland „Ost-Rock-“ und „Kessel-Buntes-Partys“. Die Gazetten nannten es Nostalgietrip. Erneut ein Schuss daneben. Das ist so, wenn vorzugsweise Westdeutsche für Ostdeutsche öffentliche Medienmeinung machen. Ein Klischee mehr ist geboren. Eines, das den Ärger der Ostdeutschen nur mehrt und sie an ihre DDR-eigenwillige „So-nicht-Mentalität“ erinnert. Tonlos wie damals, aber nie ohne Gegenwehr. Am 5. Mai 1996 sagten Ostberliner und Brandenburger zur Länder-Fusion schlichtweg NEIN. Erschütterung zuckte durchs Land. Wie schön, denn ohne Erschütterung gibt es keinen Zweifel. Aber Zweifel ist ein innovatives Moment. Die Ostdeutschen zogen nach dem unglaublichen Leben verändernden Tempo der letzten sechs Jahre einfach die Notbremse. Menschen mit östlicher Erfahrung wissen: das ist ein Zeichen. Ein „So-nicht-Zeichen“. Aber Vorsicht mit schnellen Schlüssen! Es gibt sie nicht, DIE Seelenlage der Ostdeutschen und auch nicht eine einzige Erklärung. Will man wirklich wissen, was los ist, muss man zurückgehen in die Zeit nach der Stunde Null. Wer hat westseits schon wirklich eine kleine Ahnung, was den Ostbürgern mit und nach der Wende widerfuhr?

Nein, diese nachstehenden Notate beanspruchen keine literarische Qualität. Fiktiv sind nur die Namen. Die Begebenheiten und das Bedenken der Zeit sind authentisch. Ich wollte den Strudel fassen. Jene damalige gedankliche Kasteiung und die ungeheure Hatz. Dieses „täglich neu begreifen“ zwischen Schock, Wut, Scham, Aufbruch und Erschöpfung musste ich einfach festhalten. Denn irgendwie war mir ja klar, dass man selbst Teil einer ungeheuerlichen Verwandlung war. Günter Gauss nannte den Prozess für die Ostdeutschen „Kulturschock“. Der vorliegende Text gibt bruchhafte Reflektionen dessen wider. Als distanzloses Zeitdokument auf der Suche nach Halt. Ich habe es nicht aus Sicht der Jahre danach bearbeitet, denn es geht nicht um gegenwärtige Gewissheit. Der O-Ton ist für das Nachempfinden jener Zeit (so das überhaupt geht) wichtiger.

Ganz sicher ist es etwas riskant, die betagten Gedanken unkaschiert in eine Zeit zu legen, in der die Deutschen immer noch durch soziale Befindlichkeiten getrennt sind. Das wird noch Jahrzehnte so sein. Denn ich glaube, man kann seine Wurzeln nicht einfach kappen: Schnitt, Klappe, ein neues Leben. Das Neue wird immer etwas getönt sein vom Alten. Ein völlig normaler Umstand, den man allerdings den Ostdeutschen als Handikap vorwirft. Hier beginnen die Merkwürdigkeiten und Demütigungen. Doch es hilft niemandem materielle und ideelle Krisen totzuschweigen. Man/frau muss sie als deutsches Erfahrungskapital bergen, tabuisiert reißen sie die Gräben nur weiter auf. Deshalb lege ich diese Essays in Ihren Tag. Sie stammen von einer, die einst dachte, dass die Geschichte Deutschland für immer geteilt hat und sind ein Bedenkangebot über anders gewachsene Leben mitten in Deutschland. Damals Anfang der 90er.

Petra Elsner, Mai 1996

Wenn Ihr davon etwas lesen wollt, dann sagt es.

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