Die Hitze unterm Sonnenhut – eine Sommerlochgeschichte (der Schluss)

… Als der erste Landregen fiel, rückte der Mann das ranzige Küchenbuffet in die Mitte des Raums, um es aufzuarbeiten. Es war so ein schönes altes Möbel, wie es auch seine Großmutter hatte, mit Glasdosen für Mehl, Zucker und Salz; einer Lochkonsole für Hühnereier und einer Eieruhr mit Glocke. Der Vogel saß auf den Schrank und sah ihm bei seinen Verrichtungen zu. Plötzlich wirbelte das Tier mächtig Staub auf. Mit einem vergilbten Blatt im Schnabel hüpfte der Vogel an die Schrankkante und tschilpte aufgeregt als wollte er sagen: Sieh, ein Schatz! Wahlberg nahm es ihm verwundert ab und las: „Steglitzer Nussbissen“. Der Mann lächelte und murmelte: „Ein altes Plätzchenrezept, wie schön.“ Backen war seine Freizeitleidenschaft, mit der er die Kollegen oft verwöhnte. Aber für wen sollte er hier backen? Der Vogel tschilpte, flog zum Radweg und wieder zurück. „Du meinst für die Radtouristen?“ Der Mann sprach mit dem winzigen Federball und es schien, der tat es auch. Vielleicht gar keine schlechte Idee.  Wie oft hatte er auf dem Weg hierher einen Hungerast gehabt und keine Kneipe oder ein Lebensmittelgeschäft in Sicht – so einen süßen, knusprigen Kraftspender würden ihm die Leute bestimmt abnehmen.  Er sollte es versuchen.
Am nächsten Tag fuhr er mit dem Bus nach Prenzlau und besorgte einen Großeinkauf. Abends begann er zu backen. Zum Ausstechen nahm er einfach eine Tasse, so entstand der nussige Taler, der auf seiner Zunge alle Geschmacksknospen kitzelte. Einzel schob er das Gebäck in kleine Tüten, die er mit einem Etikett „Stegelitzer Nussbissen, 1 Keks für 50 Cent“ versah.  Morgens platzierte er die Tüten und eine Geldbüchse auf einem wackligen Klapptisch am Radweg. Gegen Mittag waren alle 50 Tüten vergriffen. Volltreffer, dachte er bei sich und begann die nächste Ladung zu backen.

Stegelitzer Nussbissen

Fortan fertigte Alexander Wahlberg Nussbissen. Schon bald kamen sogar Anfragen mit der Post, ob man nicht zum Weihnachtsfest diese Herrlichkeit bestellen könnte. Das ließ hoffen. Im Dorf munkelten die Alten, solche Nussbissen habe es bereits vor Jahrzehnten bei der einstigen Hausbesitzerin Anna-Marie gegeben. Es hieß auch, der Wahlberg hätte seine Stadtwohnung aufgegeben und würde bleiben, wie so viele alte Berliner. Das stimmte.
Der Sommer verging. Als sich die Zugvögel sammelten, wurde auch der kleine blaue Vogel unruhig. Es zog ihn nach Süden und Wahlberg blieb in den Herbststürmen allein zurück. Bis eines schönen Oktobertages der Bus vor seinem Häuschen hielt und eine rundliche Frau in blauen, wehenden Kleidern ausstieg. Wahlberg werkelte gerade im Garten und sah verblüfft auf, als sie über den Zaun rief: „Hätten Sie vielleicht Verwendung für eine gute Bäckerin? Man hat mir im Dorf gesagt, Sie könnten Hilfe gebrauchen?“ Wahlberg zog seinen Hut, kratzte verlegen seine Glatze und meinte nur: „Könnte sein.“

Zeichnungen: Petra Elsner

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© Petra Elsner
Juli 2018

Hinweis zum Urheberrecht: Der Text darf ohne Angabe des Urhebers nicht weiterverwendet oder kopiert werden. Auch das Zitieren von Textstellen bei Veranstaltungen bedarf meiner Genehmigung.

 

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Die Hitze unterm Sonnenhut – Sommerlochgeschichte (4. Passage)

… Niemand würde ihn noch einmal aufhalten oder doch? Wovon würde er zukünftig  leben (?), hämmerte es unter seinem Sonnenhut. Ja, er hatte einen Notgroschen gespart, aber der würde nicht lange reichen. Was dann? Während er Kilometer strampelte, sorgte er sich uferlos.
In der Dämmerung kam Wahlberg bei seinem alten Katen an. Der Ausbau vor Stegelitz lag gleich neben dem Radweg und bei einer Bushaltestelle. Doch als er die quietschende Gartenpforte geöffnet hatte, sah der müde Mann: Das Gemäuer erstickte förmlich im Grün. Aus dem Dach wuchsen kleine Birken und wilder Wein hatte das Häuschen vollkommen umschlungen. Unheimlich wild mutete es an, wer statt seiner wohl darin inzwischen lebte? Die Nacht verbrachte er lieber in seiner Hängematte unter dem Blätterdach der beiden Walnussbäume, die er vor gut zwanzig Jahren nach seinem Hauskauf gepflanzt hatte. Der Vogel tapste in dieser milden Mondnacht vom Hemdkragen in den Sonnenhut, der sich ruhig mit jedem Atemzug auf Wahlbergs Bauch auf- und niedersenkte.

Zeichnug: Petra Elsner

Das Haus lebte mit allerlei Getier. Blindschleichen, Mäuse, Ameisen, Spatzen, selbst ein Fuchs schien hier ab und zu Quartier zu nehmen. Tagelang hatte Wahlberg damit zu tun, es auszufegen und zu putzen, das Dach zu dichten und die Wände weiß zu kalken. Die Hauswasserversorgung lief wieder, und auf sein Pappschild an der Gartenpforte: „Ich pflege für Sie Ihren Computer!“, hatte bereits der erste Kunde reagiert. Wahlberg war mit seinem Start zufrieden. Der Vogel schlief weiter nachts in seinem Sonnenhut, tagsüber brauchte ihn sein Kahkopf, um darunter die Gedanken zu sortieren…

© Petra Elsner
Juli 2018

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Hitze unterm Sonnenhut – eine Sommerlochgeschichte (3. Passage)

… Auf der Wellenschaukel, einem waldgesäumten Asphaltband, das über die Sander der Schorfheide sprang, kam der Mann das erste Mal so richtig ins Schnaufen. Aber dann, er glaubte kaum seinen Augen, schoss er in der Abfahrt auf zwei Hirschkühe zu. Sie sahen ihn kommen und rührten sich nicht. Wahlberg bremste scharf, dass es hinter ihm staubte, dann standen sie sich Auge in Auge gegenüber. Sekundenlang. Die Hitze wölbte sich unter seinem Sonnenhut, als die Tiere zu tänzeln begannen und schließlich davonsprangen. Der heller lichte Tag sah den Mann hochrot und sprachlos, dass hätte er in Berlin nie erlebt.
In Eichhorst gönnte er sich am Werbellinkanal eine Pause, holte sich dazu ein Fischbrötchen und sah von einer Parkbank aus dem ruhigen Schleusenbetrieb zu. Der Vogel auf seiner Schulter schien in seiner Angststarre zu verharren, bis zu jenem Augenblick, als Wahlberg ihm ein paar Brötchenkrümel vor den Schnabel hielt. Gierig hackte der Vogel zu und tschilpte leise, blieb aber fest am Hemdkragen hocken. Offenbar hatte er einen Begleiter bekommen, aber noch rund 50 Kilometer lagen vor ihnen.
Auf dem Berlin-Usedom-Radfernweg überholten den Mann mit dem blauen Vogel sogar die ältesten Rentner mit ihren schicken e-bikes. Sein Drahtesel stammte noch aus dem Land, das keine Sollbruchstellen kannte. Es hatte jahrelang im Keller auf diese große Ausfahrt gewartet und trug seinen Besitzer langsam, aber immer weiter in den Norden in das Land der 590 Seen und seiner Träume. Lange hatte sich der Mann nach ihm gesehnt, jetzt war er zu sich selbst aufgebrochen…

 

© Petra Elsner
Juli 2018

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Sommerloch-Geschichte (1)

(Wie diese Kurzgeschichte entsteht, könnt ihr live mitlesen, heute die erste Passage.)

Die Hitze unterm Sonnenhut

Zeichnung: Petra Elsner

Mit der ersten S-Bahn entfloh er den Stadtsteinen und stieg in Karow in die Heidekrautbahn, die ihn nach Groß Schönebeck brachte. Von dort folgte er der L 100. Noch war der Morgen frisch, aber die Wärme fiel sehr bald vom Himmel und zwickte auf seiner roten Kopfhaut. Der Mann stülpte sich einen Strohhut auf die heiße Glatze und radelte weiter Richtung Norden. Unter dem Hut dümpelte die Ansage seines Ex-Chefs: „Sie brauchen morgen nicht mehr so früh aufzustehen, ihr Vertrag läuft aus, und ich werde ihn diesmal nicht erneuern.“ Alexander Wahlberg konnte es nicht fassen. Er war 63 Jahre alt, 18 Jahre schuftete er für diese Firma, mit 18 Jahresverträgen als freier Mitarbeiter und dieser junge Schnösel schnitt ihm einfach die Lebensader ab. Einfach so. Zwar war seit Jahren klar, dass man erst mit 67 Jahren in Rente gehen dürfe, aber wen interessierte das schon. Allerorten freie Stellen in Brandenburg nur eben nicht für die Ü60er. Wahlberg sagte kein Wort, er wandte sich ab und ging, denn er wollte auf keinen Fall seine Tränen zeigen. Aufgewühlt dachte er bei sich: Das ist das Ende. Nachts schlief er schlecht und stand am Morgen auf, wie er jeden Morgen aufgestanden war, nur nahm er einen anderen Weg. Richtung Norden. Ab in die Uckermark, zu dem brüchigen Katen, den er vor Jahren für ein Spottgeld erstanden hatte. Als Sommersitz, nur war er nie wieder dorthin gekommen.  Keine Zeit…

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Morgenstunde (75. Blog-Notat)

Eine meiner Zeichungen zu meinem Sommerbuch “Vom Duft der warmen Zeit”. Ich hatte heute keinen Fotoapparat dabei.

Einmal Prenzlau und zurück durch die wunderschöne Uckermark: Stahlblaue Seen, klare Luft zaubert über uns ein sagenhaftes Himmelblau, Stockrosen in Fülle in den Vorgärtchen, Weizenfelder gesäumt von Kornblumen, wilder Margerite und Mohn. Ein Traum von welligem Land in den Morgenstunden. Jetzt, wieder zuhause könnte der Tag richtig gut weitermachen, will er aber nicht, mein Liebster liegt unter der Küchenspüle, die Armatur tropft sinnflutartig. Das senkt schlagartig die Stimmung. Wir sind „begeistert“, aber bedacht, uns nicht gegenseitig anzupflaumen. Defekte Technik nervt uns beide und der, der hilflos schraubt, sucht gerne einen Blitzableiter. Nun denn, ade schöner Morgen… kein Tag für hochfliegende Gedanken.

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