Von Zeitlöchern – Meander, Kapitel 1

Es hat sich geöffnet – das Sommerloch. Das bedeutet für mich meist, in die Latschen anderer Leute zu springen, heißt Urlaubsvertretungen und Lückenbüßer zu sein, denn auch Künstler müssen irgendwie Rechnungen begleichen und dergleichen….

Also: In Ermangelung von Zeit erzähle ich Euch kapitelweise eine gebrauchte Geschichte aus meiner Hand. Sie stammt aus dem Jahre 2006, und auch darin dreht sich alles um DIE ZEIT, die abhanden gekommene. Die Eulenfiktion für Erwachsene heißt: „Meander Memolos Zeitloch“

Meander
Meander

Meander – Kapitel 1:

Meander Memolos zuckte zusammen. Er hatte etwas Wichtiges verlegt oder gar verloren. Der alte Eulenvogel grummelte: „Wie kann einem nur die Schachtel mit dem Zeitgefühl abhanden kommen? Ohne die ist man doch gänzlich aufgeschmissen, weil all den skrupellosen Zeitschindern und Zeitdieben haltlos ausgeliefert. Nein, aber auch!“ Er musste sie unbedingt wiederfinden, denn Meander Memolos war besonders gefährdet. Zu viele Dinge interessierten ihn gleichermaßen. Wenn er sich beispielsweise in ein Thema vertiefte, lenkte ihn bald irgendeine Quellenangabe im Text auf einen ganz anderen Pfad, und die Quelle der Quelle auf den nächsten. So verirrte er sich leicht, und darüber verging die Zeit. Seine Zeit.

Meander Memolos war das ruhelose Faktotum einer altehrwürdigen Universität. Lange schon. Tagein, tagaus schwebte der Vogel durch deren Wandelgänge, hörte von der Empore aus in die Vorlesungen und die mehr oder weniger tiefsinnigen Fachsimpeleien der Studenten auf dem Campus. Jeder kannte ihn, aber keiner bemerkte ihn noch. Das ärgerte ihn ein bisschen – manchmal.

Meanders Quartier unter dem Dach. Zeichnung: Petra Elsner
Meanders Quartier unter dem Dach.
Zeichnung: Petra Elsner

Jetzt jedoch hockte er anderweitig besorgt auf seinem Balken unter dem Dach über dem Uni-Archiv und grübelte, wo sein Verlust stecken könnte. In irgendeiner Zeitnot muss er ihn verlegt haben. Immer tiefer kramte er in seinem Gedächtnis, bis er ganz unmerklich – erst schlingernd, dann stürzend – in jenen Sog geriet, an dessen Ende ein gefräßiges Zeitloch auf ihn lauerte.

Schwarz war es darin, ruhig und leer – bis Meander dort ankam. Der polterte: „Verflixt, wie bin ich nur in diese Finsternis geraten? Keine Feder habe ich bewegt. Was ist das – eine düstere Auszeit, eine Schwarzpause, eine Zeitfalle?“ …

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