„Großmutter, was hast Du für große Ohren…“ – so fühlte ich mich gestern, nach den vielen, vielen Glückwunsch-Telefonaten. Es ging den ganzen Tag so und während ich sprach oder lauschte, landeten wieder weitere Gratulanten auf der Box. Einzig in der Kaffeezeit mit unseren Nachbarn, klingelte es nicht so ununterbrochen, danach hab ich den Liebsten auf ein Feierabendbier weggeschickt, wir kamen eh zu nix… Jedes Jahr wird es schlimmer mit den Anrufen, auch wenn sie herzlich gemeint sind, sie sind einfach zu lang und besetzen komplett den Tag. Es gab Zeiten, da fand man die Glückwünsche im Postkasten vor (drei hatte ich davon diesmal noch) und konnte sich still daran erfreuen, später noch einmal nachlesen und sich in der Feierzeit ganz seinen Gästen bzw. der Familie zuwenden. Als der Liebste zurückkam saß ich knülle mit den „großen“ Ohren auf dem Sofa und schaltete nur noch die Doku „Wir Ostdeutschen“ von Lutz Pehnert ein, das hätte ich wahrscheinlich sonst nicht gemacht… ABER da hätte ich dann doch etwas verpasst, denn DAS ist der einzige Filmbericht, den ich bisher über die ostdeutschen Befindlichkeiten gesehen habe, der es haarscharf tritt. Es ist der Versuch mit unbelasteten Protagonisten glaubhaft zu erklären, dass eine ganze Gesellschaft plötzlich vor dem Nichts stand, ohne gute Aussichten, mit schwerem Autoritätsverlust der Elternschaft und in der Berufswelt und was das bedeutete und wie es nachwirkt, das erzählt diese empfehlenswerte Doku. Ich selbst hatte 1992 als ich die Nachrichtenbilder von dem rechtsradikalen Mopp vor der brennenden Unterkunft vietnamesischer Vertragsarbeiter in Lichtenhagen sah, begonnen, mein Wissen aufzuschreiben. In Form eines Jugendromans mit zwei Helden aus der linken und der rechten Szene. Ich war zur Wende Print-Jugendredakteurin, kannte mich in beiden Lagern aus und glaubte, die Brisanz des Themas müsste doch hinreichendes Interesse auslösen. Aber nee: „Müssen wir Sie kennen, Frau Elsner?“, war eine gedehnte Frage eines westdeutschen Entscheiders. Mussten und wollten sie nicht. Das Buch erschien nicht in Deutschland. Was hatte die Ostdeutsche auch schon zu sagen, allein die Griechen fanden es wichtig genug, übersetzten den Stoff und brachten das kleine Buch heraus. Wir haben alle diese oder jene Geringschätzung oder Ablehnung erfahren und eben das wirkt nach – lange.
Ich bin jedenfalls froh, dass es diesen Filmbericht gibt, er ist ein Anfang ehrlicher und nicht tendenzieller Analyse. Danke dafür.
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