Kamerafahrt durch die Seele

Aus gegebenem Anlass: Unser Freund Andi ist gestorben,
stelle ich hier eine Filmrezension ein, die ich seinerzeit über das Bruderprojekt schrieb.

Es gibt kleine Filme, die entpuppen sich am Ende als riesengroß. Einen solchen, konnte man auf der 55. Berlinale in der Sektion „Forum“ entdecken: Thomas Heises Dokumentarfilm „Mein Bruder“:
Kamerafahrt für durch einen a
temberaubenden grau-grünen Canyon der französischen Pyrenäen. Vorsichtig geht es über halsbrecherische Serpentinen begleitet von einem trotzigen Blues, bis die Bewegung langsam vor einem Abgrund stoppt. Im Tal zeigt sich milchig das Dorf Bugarach. Hier lebt seit einem Jahr Andreas, der Bruder des Regisseurs. Der 50-jährige Koch aus dem Prenzlauer Berg kam nach zwei Herzinfarkten und fünf Bypässen zum Sterben hierher. Unter das Dach seines Ostberliner Jugendfreundes Micha und dessen Frau Yvonne. Andreas kocht für sie und Pensionsgäste. Dazwischen raucht er und trinkt sein Bier.
Küchengespräch zwischen den Brüdern. Andreas ist frisch verliebt. In Vanina, die Frau des Hufschmiedes mit drei halbwüchsigen Söhnen. Der Filmer legt seinem Bruder ein Foto vor. Es zeigt Micha und ihn beim Charité-Fasching. Andreas lächelt und will wissen, woher Thomas das hat. Der schweigt und der Bruder ahnt dunkel: ah, aus der Akte. Mitten in die beschauliche Idylle platzt altes Leben. Micha, der einst wegen Rowdytum in der DDR im Knast saß, kam vorzeitig wieder heraus. Der Preis: Er wurde IM und bespitzelte fortan Thomas und Andreas und denen Vater, den Philosophieprofessor Wolfgang Heise.
Anders als andere Annäherungen an das Thema Schuld und Sünde, Verrat und Vergebung, fragt dieser intensive Film leiser, vielschichtiger. Keine harten, passend machenden Schnitte. Die Bilder laufen geduldig weiter, auch wenn Andreas und Micha nicht mehr sprechen. Erst im wortlosen Mimenspiel beider werden Schmerz und Hilflosigkeit gegenüber dem Unabänderlichen deutlich. Michas Selbstekel wird glaubhaft und auch Andreas Versöhnungspose. Der sagt schließlich: Es sei einfach, zu behaupten, nie und nimmer hätte man so etwas gemacht. Er wisse es nicht, war nie in der Lage. Und geht nach der xten Zigarette wieder seinen alltäglichen Verrichtungen nach. Während ihm die Bilder dabei nachdenklich folgen.
Dem sonst so spröden Filmer Heise ist mit „Mein Bruder“ mehr als ein subtiles Porträt einer Freundschaft und ihrem finstersten Bruch gelungen. Im epischen Fluss schwingen Themen wie Lebenslust, Liebe, Abschied vom Leben und die Sprachlosigkeit unter – nur scheinbar – grundverschiedenen Brüdern mit. Diese tiefer liegenden Schichten entschlüsseln sich dem Betrachter erst nach und nach. Ähnlich wie Nicolas Philiberts Dokfilm „Sein und haben“ schaut „Mein Bruder“ herzwarm tief in die Seelen der Protagonisten, die vor der Kamera agieren, als wäre sie überhaupt nicht da. Großartig! (pe)

Kari von Andi. Zeichnung: pe
Kari von Andi. Zeichnung: pe

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Kochkünstler (15)

Ein Koch kommt selten allein. Jedenfalls in Berlin. Wo einer ist, taucht bald der nächste auf – divenhaft, denn Köche sind Künstler. In unserer Kneipe waren es seinerzeit plötzlich vier. Seither sind paradiesische Verhältnisse im Szene-Klüngel ausgebrochen. Kulinarisch gesehen. Aber Kultstatus hatte nur einer:
Mein Kochfreund Andreas war einst widerwillig Sohn eines berühmten Philosophen, dann Bibliothekar, aus Opposition Waldarbeiter, Krankenpfleger, Koch, Kneiper, Aussteiger und Lebemann. Heute streut der eher unfreiwillige Privatier lukullische Geschenke wie Perlen unters Volk und sammelt dabei Seelen. Schöne, traurige, schwache, manchmal auch reiche. Wenn der Kurze, Runde im Kiez auftaucht, ist sein Fanclub nicht weit. Vier, fünf allein stehende späte Mädchen. Andi steht und bleibt allein und hat doch alles, was Mann braucht. Seit ein paar Jahren ist er aus den Profiküchen verbannt. Der Kochstress und das viel zu gute Leben haben ihm fünf Bypässe und zwei Herzinfarkte beschert. Trotzdem kann der Mann das exzessive Nachtleben nicht lassen. Zu schön sind die Auftritte bei Kerzenlicht, die nett servierten Histörchen, die glänzenden Augen der Zuhörerinnen. Mit jedem Kuba Libre versprüht der Fastfünfziger Charme vom Feinsten. Anders, wenn er kocht. Dann kann er schon einmal ein wenig altväterlich wirken. Einmal hantierte er für ein Fest in unserer Küche und bat dazu um Handwerkszeug. Genervt prustete er: „Das nennst du ein Messer?“ Dem köchlichen Entsetzen folgte der mild-nachsichtige Spruch: „Weißt du, wenn du einmal 50 Euro übrig hast, gehen wir ein ordentliches Messer kaufen. Dann hast du ‘was fürs Leben.“ Zwei Jahre lang habe ich mir den Spruch immer wieder angehört. Jetzt haben wir ein „Messer fürs Leben“, und Andreas bekehrt indes den nächsten Kiezbewohner vom „Kaisermesser“ zur „Profischneide.“
Berühmt ist Andreas nicht nur für seine herzhaften Salate. Die aber haben es mir besonders angetan. Nie aß ich bisher einen Mohrrübensalat, der nussig-kräftig-herb und nicht schlabberig-rübensüß schmeckt: Ein absolutes Salat-Highlight, das ich einfach nicht mehr missen wollte. Da man aber bei dem launigen Köchlein nie weiß, wann sein letztes tollkühnes Stündlein schlägt, musste ich einfach das Rezept erfragen (in der Hoffnung, dass seine Freunde es lange noch nicht „Andis Gedächtnissalat“ nennen müssen!):

Andis Mohrrübensalat:
Mohrrüben in Essigwasser so lange kochen, bis sie gerade noch Biss haben. In streichholzstarke Längsstreifen schneiden, die anschließend in etwa 4 cm lange Stücken. Salzen, pfeffern, viel (unbedingt) glatte Petersilie, gehackter Knoblauch, halbe Wallnüsse und Öl. (Rassig herb!)

Und es gibt noch einen bemerkenswerten:

Andis Linsensalat:
Teller-Linsen in blankem Wasser aldente kochen. Abkühlen lassen, Zwiebeln, Schluppen, glatte Petersilie, marinierten Paprika samt Flüssigkeit, Pfeffer grob, Zucker, Kräuter der Provence, Knoblauch mit Salz verstampft, Mandeln, Nüsse, Balsamico und Olivenöl. (Rustikal und preiswert!)

Kochkünstler Zeichnung: Petra Elsner
Kochkünstler
Zeichnung:
Petra Elsner

aus “Die Mappe meiner Großmutter”, hangebundenes, limitiertes Künstlerbuch.

PS: Leider ist Andreas inzwischen wirklich verstorben.

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