Morgenstunde (1112. Blog-Notat)

Die letzte Rose im Hof….

Zweigeteilte Tage: vormittags Weinschnitt, nachmittags zieht das Leben nach innen. Der Regen macht uns schläfrig. Noch so einen Schneideinsatz, dann haben wir den Wildwuchs des Weinstocks wieder im Griff. Es war ein schönes Hand-in-Hand-Arbeiten mit dem Liebsten, meine Energie hatte eine ungewöhnliche Hochform. Ich staune immer noch über die irren Schwankungen. Ansonsten habe ich dieser Tage das Thema für meine Winterklausur 2026 gefunden: Es sollen Miniaturen (Kurzprosa) zu meinen gestalteten Lyrikblättern entstehen.  Nie mehr als 800 Zeichen, so dass zum Bildformat auch ein Textquadrat entsteht. So ist der Plan.
Hier ein Probestück, etwas in der Art soll es werden:

Lebensschönheit

Als ich Kind war, gab es sie noch, die Lebensschönheit. Gemeint ist nicht die Schönheit der Natur, sondern der Gang des Lebens mit diesen berührenden Momenten, von denen ein Menschenleben zehrt. Die Langsamkeit an einem Sonntag schon beim Frühstück. Der mit geerbtem Porzellan gedeckte Tisch, frische Brötchen, Eier im Glas, heiße Schokolade und Kaffee, das ausgedehnte Plaudern miteinander. Keine Termine, nur den Sonntagsbraten und das Schläfchen danach. Zur Kaffeezeit erzählt der Großvater eine Lausbubengeschichte. Später gibt es die 2,50 Mark auf die Hand für die Nachmittagsvorstellung in den Fontanelichtspielen. Währenddessen lieben sich die Eltern und rauchen Zigaretten im Bademantel als wir wiederkommen. Wir wissen warum und kichern verlegen. Bis zum Abendbrot spielen wir Federball mit den Nachbarkindern auf der Straße. Es sind nur wenige Autos unterwegs, nur gut gekleidete Spaziergänger. Das Städtchen ist grau, aber das Kinderlachen überall machte es hell.

Morgenstunde (1090. Blog-Notat)

Der Sommer geht in die letzte Runde: Nachdem ich in der ersten Juliwoche endlich die schlimmen Infekte los war, kam der Regen mit kleinen Tagesaussetzern für fünf Wochen. Erst rund um den Mondwechsel wurde es wieder sonnig und seitdem bekommen wir Besuch. Nicht jeden Tag, aber dicht bei dicht und wir genießen es. Es gibt wohl nichts Schöneres, als mit Freunden an einem milden Sonnentag über Gott und die Welt zu plaudern 😊. Vielleicht gibt es ja im September noch solche Momente, wir haben echt Nachholbedarf. Man könnte sich ja selbst genug sein, aber die Zeit, in der wir alle jetzt leben, ist so hässlich geworden, so voller Gegenwehr von allen Seiten, da müssen jene, die sich über die Blasen hinweg mögen, einander beistehen. Man arbeitet an der Kriegstüchtigkeit der Deutschen, um an der großen Jagd nach Rohstoffreserven teilzunehmen und nimmt den Menschen dafür die Lebensschönheit… Stattdessen: Kampf gegen Andersdenkende, wenn nicht gar gegen das Denken an sich. Wir müssen uns das Miteinander zurückholen. Einander zugewandt, einander zuhören, was trennt, miteinander bedenken und nicht wegbrüllen. Es geht um mehr, als um den guten Ton… (aber um den auch).

INEINEM, Zeichnung: Petra Elsner

Morgenstunde (1027. Blog-Notat)

In der Harlekinweide flattern zehn, zwölf Blaumeisen um den Futterspender. Ein friedliches Bild (was ich fotografisch nicht fangen kann), ganz gleich, wie ich drauf schaue. Ob mit stiller Freude des Anblicks wegen oder mit Sorge über die Nachrichtenbilder im Hinterkopf – das Bild verwandelt sich nicht, nur mein Blick darauf. Die Schönheit des Seins ist noch gegenwärtig, aber unsere Lebensschönheit schwindet. Nicht nur weil die Bilder der Zerstörung uns umzingeln, es ist die Zeit in der wir leben, die sich nicht mehr mit dieser inneren Schönheit schmückt. Wenn ich die vergilbten Fotos meiner Großeltern betrachte, sehe ich arme Menschen, die sich dennoch festlich kleideten, weil es Weihnachten war. Heute gilt das schon mal als „overdressed“. Aber es geht bei Lebensschönheit umso viel mehr: um beherzte Worte und genüssliche Langsamkeit. Das Gleiten in tanzenden Sonnenfunken über den See beispielsweise. Nicht schnell, schnell, sondern sinnlich. Naja, man kann sie wohl noch ahnen, wenn man Naturschauspiele betrachtet…