Von einem Tag aus vergangenen Zeiten…

Lichtgestalt (2004) von Petra Elsner

Gerade fand ich eine alte Laudatio, die ich schon fast vergessen hatte. Sie ist so treffend, dass ich mir heute weitere Worte verkneife und einfach den einstigen Burgdirektor zitiere…

Laudatio von Tilman Schladebach
zur Ausstellungseröffnung von

„Bilderwelten – Malerei- Illustrationen und Geschichten“ von Petra Elsner am 4. März 2005 auf der Burg Beeskow
„…Bilderwelten – was für ein Titel: Welten & Bilder, Welt als Bild, Bild als Welt, Bild der Welt… Das kann mittelalterliche Darstellung der Menschheitsgeschichte sein, bis hin zum wöchentlichen Erscheinen einer Illustrierten. Aber es kann auch eine Ausstellung sein. Ich will versuchen, aus ganz privater Sicht, Verbindungen aufzuzeigen: Das Bild der Welt – wenn Sie sich an die mittelalterliche Darstellung erinnern: Die Pyramide. Oben das Gottesauge,
darunter die Krone der Schöpfung – der Mensch, gegliedert in seine Stände bis unten in der Breite – das Gewirr und Gekräuch der Erde – . Das ist ein Abbild der Welt, ohne Zweifel, wie sich der mittelalterliche Mensch Welt vorgestellt hat. Oder später, wenn Sie an die  Weltendarstellungen von Hieronymus Bosch denken: mit Geburt, Aufwachsen, Heirat, das Fröhliche im Leben, dem Tod – und dann die apokalyptischen Darstellungen: Die Angst vor dem Welten-Ende, die Angst vor der Qual.
Wenn ich die Bilder dieser Ausstellung betrachte, fällt mir als Erstes eine Symphonie des späten 19. Jahrhunderts ein. Zum Beispiel von Anton Bruckner. Sie geht keinesfalls los mit einem beredten Thema, dass durchgeführt wird wie bei Mendelsohn oder Mozart. Nein, sie beginnt ganz anders: Dunkle Töne erstrecken sich. Man sitzt in seinem Konzertsessel und spürt, das dauert jetzt eine Weile, bis sich das so entwickelt. Der Künstler, der Komponist will uns von Anfang an etwas erzählen. Er will aus dem Grunde schöpfen, er will ein Motiv entwickeln, den Anfang der Welt beschreiben – er will von Anfang an erzählen. So scheint es mir auch mit den Bildern von Petra Elsner zu sein. Sie will von Anfang an erzählen.
Diese Bilder haben in irgendeiner Form einen Anfang und ein Ende, doch im Allgemeinen haben sie etwas Zyklisches. Etwas von einem Ring, der keinen Anfang und kein Ende hat – der einen Ausschnitt kennzeichnet. Die Welt wird dargestellt als etwas Prozesshaftes. Nicht als ein Schlaglicht, nicht dargestellt als einen Schnappschuss, sondern als einen kurzen Ausschnitt, der die Welt als etwas nach wie vor im Entstehen Befindliches zeigt. Die zyklische Anlage der Bilder bezieht sich auch auf die Form: Wenn Sie hinschauen, sehen Sie viele gerundete, in sich geschlossene Formen. Und die zyklische Anlage offenbart sich auch in den Farben: In den Bildern findet sich gewissermaßen ein Inhaltsverzeichnis des Farb-Tableaus, aus dem heraus sich das Bild zyklisch entwickelt. Immer wieder werden Farbmuster vorgegeben, die innerhalb eines Bildes eine Rolle spielen. Und die zyklische Form ist auch
zu erkennen in der Reihung der Bilder als solche. Die Reihung ergibt eine Variation – um wieder zum musikalischen Begriff zurückzukehren – fast wie ein Rondo. Ein Thema was immer wieder kehrt, mit kleinen Variationen, kleinen Abweichungen. Ein Rondo ist eine Variation: A-B, A-C, A-D, A-E, A-F… – so beschreiben es die Formalisten. So ähnlich zyklisch scheint mir auch die Reihung der Bilder von Petra Elsner zu sein. Wir finden aber auch etwas ganz anderes. Auf der anderen Seite gibt es Bilder, die eher der Assoziation des Moments zu entspringen scheinen. Zum Beispiel ihre kleinen Zeichnungen in den Vitrinen. Gemeinsam mit den großen Bildern ist diesen Bildern jedoch auch das In-Blick-Nehmen des Ganzen, das Zyklische, das Vollendens-wollen. Das im Fluss befindliche Zeigen von Zuständen, die dennoch im Prozess sind, und so nicht abschließbar bewertet werden können.
Wenn Sie daneben ihre kleinen Künstlerbücher betrachten – so hat sie nicht nur die Geschichten und Märchen ersonnen, sie har sie auch die Illustrationen dazu erfunden und gezeichnet, selbst gedruckt und in liebevoller Handarbeit, gefaltet und gebunden. Wenn das kein Wille zum Ganzen ist, wenn das kein Ausdruck ist, etwas abschließend zu gestalten – in dem Prozess sich zu bewegen, und dann etwas zu haben, was einem ganz gehört,
dann mag mir einer sagen, was es dafür einen schöneren Ausdruck gibt, als diese Erwähnung und immer wieder Beschäftigung mit dem Detail und mit dem Ganzen.
Diese Figuren in den Zeichnungen – ihre schrägen Vögel – entsprechen ganz anderen inhaltlichen Gedanken, Gedankenketten, als die der großen Gemälde. Wie gesagt – eher kurze, freie Assoziation, oft witzige Impression vom Alltag, von Umwelt. Viele sind in Berlin entstanden oder bewegen sich in einem Berliner Umfeld. Immer wieder das Motiv der Eule und das der schrägen Vögel als tierähnliche, menschenähnliche Fabelwesen. Fabelwesen im besten Sinne des Wortes. Die Fabel zeigt uns das Tier als Stellvertreter des Menschen. In diesen Fabelgeschichten, die den Tieren zu gedichtet werden, können wir dann manchmal relativ schonungslos die Menschen meinen oder uns auch mit unserer Kritik hinter den Tieren verstecken.
Ich möchte meine kleine Laudatio beenden mir einer Beschwörung des Ganzen und der Beschwörung des Magischen. In Petra Elsners Vita findet sich in der Beschreibung ihrer Schaffensabsicht etwas von ‚Pantheismus und etwas von Magischem’. Petra Elsner studierte Philosophie, hat sich mit Graphik und Design beschäftigt, ist belletristisch und journalistisch tätig – ein weit gefächert beschäftigter Mensch und Künstler. Dieses Pantheos – in allem ist Gott, in allem ist Natur, in allem ist Prozess – scheint mir wie eine Beschwörungsformel für das Leben als solches zu sein. Es nicht verstreichen zu lassen. Es nicht ernst zu nehmen in dem Sinne – es macht mich kaputt, sondern sich selbst und die Kunst immer als Prozess zu sehen, als zyklischen Prozess, der einen Anfang und ein Ende hat, über dessen Ausgang wir uns niemals sicher sein können. Über dessen Ende wir nicht spekulieren brauchen, wenn wir es als zyklischen Prozess begreifen. Und so müssen wir uns auch nicht fürchten davor, woher wir kommen und woher wir gehen. Dieses ist eine sehr private Interpretation dieser Ausstellung. Vielleicht gibt es Ihrerseits völlig andere. Es war mein kurzer Eindruck. Ich danke Ihnen für Ihr Kommen und Petra Elsner, dass sie uns ihre Werke zur Verfügung gestellt
hat…

 

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