Milchmond (36)

Öffentliche Winterschreibarbeit zu “Milchmond”, der Kriminalgeschichte von Petra Elsner.

… Wochen später strahlte sie Sonne derart frühlingsschön, dass an diesem letzten Februarsonntag wirklich alles was Beine hatte draußen war. Auf den alten Schulwegen spazierte zwischen den Dörfern halb Sandberg nach Kappe oder Groß Dölln quer durch den Wald. Das war den Schwestern Anna und Luise zu belebt, die Mitsechzigerinnen wählten einen anderen Weg. Fast zugewachsen und kaum beschritten, im Grunde nur ein Tierpfad. Die beiden kannten eine entlegene Waldwiese, auf der rund um einen Wassertümpel ein Meer von Schneeglöckchen stand. Dorthin wollten sie, um ein paar Pflanzen zu stechen, die sie später verkaufen wollten. Ja, das war verboten, aber wen kümmert das, wenn die Rente nicht mehr als ein Almosen war und außerdem lang die Stelle im Waldbesitz ihres Vaters. Sie waren schon gut eine Stunde in die Tiefe des Waldes gelaufen, als Luise einen kleinen Brandplatz entdeckte. „Sieh‘ mal, hier hat doch wirklich einer gekokelt. Mitten im Wald.“ Anna besah sich die Stelle und fand: „Das gibt es doch nicht, da hat sich jemand etwas gebraten. Einen Hasen oder ein kleines Reh. Wer macht denn heutzutage noch so etwas? Wildern mit Schalldämpfer oder Schlingen legen, ja, das geschieht schon noch, aber an Ort und Stelle verköstigen, dass ist seltsam.“  Die zwei Frauen sahen sich den Platz genauer an. Was sie entdeckten, lag jenseits ihrer Fantasie, aber doch in ihrer Erfahrung: Im nahen Unterholz befand ein alter Dachsbau der weiträumig ausgehöhlt war. „Weißt Du Anna, dass hier sieht aus, als hätte jemand darin Schutz gesucht, kein Tier, ein Mensch. Die Russen haben sich früher solche Schlafplätze geschaffen, wenn sie bei Manövern tagelang im Wald ausgesetzt waren. Weißt Du das noch?“ Luise zeigte auf trockenes Moos und weiter hinten lag eine Decke. „Aber sieh“, Anna stocherte mit einem Stock in den Brandplatz, „keine frische Asche, die Feuerstelle ist scheinbar schon eine ganze Weile nicht mehr benutzt worden. Kann ja sein, dass im Sommer so ein spartanischer Waldläufer ein wildes Leben für ein Wochenende ausprobiert hat. Komm weiter Luise, es ist nicht mehr weit.“
Sie verließen den merkwürdigen Ort, aber ihre Gedanken wanderten weiter durch das verlassene Versteck. Wer mag dort nur gehaust haben?
Sehr bald erreichten die Frauen ihren traumhaften Schneeglöckchenwald. Wie jedes Jahr waren sie vollkommen überwältigt von dem alljährlichen Frühlingswunder. Tausende von Feenglöckchen wippten leise im Wind. „Wenn die alle läuten würden, wäre es nicht auszuhalten“, kicherte Anna. Die Schwestern gönnten ihren Augen noch ein Weilchen diesen euphorischen Anblick, bevor sie am Nordhang des nassen Wiesentales Pflanzen mit noch nicht geöffneten Knospen stachen…

© Petra Elsner
März 2018

Hinweis zum Urheberrecht:

Der Text darf ohne Angabe des Urhebers nicht weiterverwendet oder kopiert werden. Auch das Zitieren von Textstellen bei Veranstaltungen bedarf meiner Genehmigung.

Alle in dieser Kriminalgeschichte vorkommenden Namen, Personen, Organisationen, Orte sind erfunden oder werden rein fiktiv benutzt. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Geschehnissen, Orten oder Personen, lebend oder tot, sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

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Milchmond (35)

Öffentliche Winterschreibarbeit zu “Milchmond”, der Kriminalgeschichte von Petra Elsner.

… Kurz vor 13 Uhr füllte sich der Gastraum. Dörte Sandig trat zu den Nagel-Söhnen und fragte dringlich: „Könntet Ihr vielleicht mal eine Wildkamera auf Euren Kahlschlag richten? Ich hab da heute beim Joggen etwas sehr merkwürdiges gehört, nicht gesehen, aber mir war, als habe mich von dort aus etwas verfolgt. Ich wüsste einfach gerne, was das war.“
Konrad Nagel lästerte: „Ich würd‘ es ja mal mit einer Brille versuchen. Aber O.K., wir hängen Dir einen Spion auf. Neujahr reisen wir wieder ab, bis dahin werden wir schon ein paar Treffer von Deinem Geräusch ergattern. Wieso warst Du eigentlich allein im Wald, gelten für Dich die Aufforderungen der Polizei nicht?“ Dörte grinste, aber Konrad schüttelte besorgt seinen Kopf: „Mädchen, das ist kein Spaß! Das nächste Mal nimmst Du zum Joggen jemanden mit. Klar?“
„Versprochen“, salutierte Dörte und knallte dazu die Hacken zusammen. Jetzt grinste auch ihr alter Skatkumpel.
Die Tür schrammte auf und ließ eine Wolke Sandberger Familien in den Raum, darunter auch Julie mit ihrer Mutter Helene, die sie zum Weihnachtsessen aus dem Altenheim geholt hatte. Jan warf die Weihnachtslieder-CD an. Während Helene aus dem Mantel schlüpfte, summte sie sofort guter Dinge mit. Mag auch der gestrige Tag im Vergessen versinken, die alten Lieder taten es nicht.
An der Tafel erzählten Rosa und ihre Söhne inzwischen, dass die Polizei bis jetzt nichts Greifbares zu dem Holzdiebstahl herausgefunden habe. Konrad winkte gelassen ab:  „Die Stämme können wir wohl abschreiben. Schlimmer finde ich, dass sie auch bei dem Mord nicht weiter gekommen sind. Ja, da haben sie tagelang Hubschrauber über der Heide kreisen lassen, aber wer sagt denn, dass der Irre überhaupt in diesem Wald steckt. Und ob er wirklich der Täter ist, die Blutgruppe AB positiv gibt es zwar nicht oft, aber doch mehr als nur einmal.“ Rosa zupfte ihren Sohn am Ärmel und deutete hinüber zu Julie und Helene am Garderobenständer: „Hör‘ auf, Junge, heute wird nicht über den Mord spekuliert!“
Julie staunte, als Kai Fischer in die Wirtsstube trat. Jan huschte an ihr vorbei und fragte beherzt: „Em, ist es Dir recht, wenn ich den Typen da neben Dir platziere?“ Sein Blick wies zu dem Berliner Gast.
Sie zögerte einen Moment lang, dann nickte sie. Neben ihr trällerte Helene laut und brüchig „Weihnachten, Weihnachten, steht vor der Tür…“ und Julie spöttelte: „Ist schon da, Mama.“ Ihr wurde heiß, als sich Kai neben ihr auf dem Stuhl niederließ…

© Petra Elsner
März 2018

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Milchmond (32)

Öffentliche Winterschreibarbeit zu “Milchmond”, der Kriminalgeschichte von Petra Elsner.

… Die Frau schmiegte sich an den rauchenden Mann. Sie umfasste ihn, streichelte druckvoll seinen Rücken und atmete seinen Duft. Dörte war lange nicht mehr ihrer Lust gefolgt, aber heute pflückte sie sich diesen Jan wie einen Apfel vom Baum. Der Tresen-Mann war es gewöhnt, von Frauen verführt zu werden. Er brauchte nur ein bisschen seinen Charme spielen zu lassen und eine weltgewandte Geschichte zu erzählen, schon flogen ihm die Gespielinnen für eine Nacht zu. Mehr wollte die  Rangerin nicht und dem Mann gefiel dieser Rollentausch.
Die Nacht war Flut. Als sich Dörte am Weihnachtsmorgen räkelte, war der Platz neben ihr schon wieder verlassen. Sie lächelte, es war gut so. Beim Frühstück verspürte sie den Wunsch nach einem Waldlauf. Die Forst hatte mit ihren Holztransporten wieder neue Pisten gezaubert, so würde gut über den Schnee kommen. Wenig später joggte sie los. Die Luft war frostklar, kein Windhauch fing sich in den Baumwipfeln und der Schnee dämpfte ihre Schritte. Die Läuferin war schon eine halbe Stunde unterwegs, als sie den Kahlschlag von Rosas Wald erreichte. Wüst sah es hier immer noch aus. Nach den Sturmschäden hatte keiner Zeit, sich um das wild verstreute Nadelgrün zu kümmern. Der Schnee beruhigte nur den Anblick. Plötzlich knackte es und Dörte horchte auf. Etwas bewegte sich im Unterholz der gefällten Kronen…

© Petra Elsner
März 2018

 

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Milchmond (26)

Öffentliche Winterschreibarbeit zu “Milchmond”, der Kriminalgeschichte von Petra Elsner.

… Alte Empfindungen knisterten unter ihren Schritten im Schnee. Helene Acker tippelte neben ihrer Tochter zum Friedhof. Sie stolperte mehr, als dass sie lief und es war nicht sicher, ob die Mutter verstanden hatte, wozu sie aufgebrochen waren. Die Frau ohne Erinnerungen war in dieser Stunde mehr umwölkt als andere. Ahnungsreich oder ahnungsleer, man sah es nicht. Sie liefen mit ihren Gebinden gebeugt in die Flocken hinein. Besser als Regen, dachte Julie bei sich und sah unterwegs erstaunt, wie viele der Sandberger sich zum Gottesacker aufgemachte hatten. Sie war also doch nicht so allein wie sie glaubte. Der Pfarrer sprach von unabänderlichem Schicksal und das Dorf umarmte die Acker-Frauen.  Kaum später verwehte eine plötzliche Schneeböe die Spuren der Trauergesellschaft vom Friedhof, die inzwischen im Dorfkrug Kaffee und Kuchen zu sich nahm und miteinander trank –leise, dem Leben zugewandt. Es ist anders, wenn eine vor der Zeit geht, wenn sie nicht ein ganzes Leben hatte, nicht einer schweren Krankheit erlegen war, sondern brutal hingestreckt wurde – von einer Mörderhand. Und der Mörder war noch da draußen, vielleicht sogar in ihrem Wald.
Die Wirtsleute hatten die große Tafel so angerichtet, dass jeder nach dem Kaffee oder Korn greifen konnte. Sie fühlten sich selbst als Trauergäste und hockten inmitten der Runde. Bernd Uhlig sprach in das verhaltene Gemurmel: „Ist wohl doch etwas dran an unserer alten Legende vom Milchmond.“  Anton, der neben ihm hockte, blubberte. „Mensch, Bernd, lass den alte Budenzauber ruhen. Es ist einfach ein irrer Mörder da draußen und kein sagenumwobenes Wesen. Hoffentlich fangen sie den Typen bald ein. Der Förster mault schon, es käme keiner bei ihm Weihnachtsbäume schlagen, das ganze Geschäft sei dieses Jahr im Eimer.“
Die Tür der Wirtschaft knarrte vor Kälte als sie aufsprang. Ein hagerer, gebeugter Mann schob sich in die Wärme. Mit stechendem Blick, spitzem Kinn und straff gebundenem Silberzopf lugte er unter einem schwarzen Schlapphut hervor. Als er ihn lüftete und nickend die Gesellschaft tonlos grüßte, raunte es in die Runde: „Der Gerhard!“
Julie glaubte nicht, was sie sah: Dort an der Garderobe stand offenbar ihr Vater. Ja, sie hatte deutschlandweit Traueranzeigen in den einschlägigen Wochenblättern  drucken lassen, eben deswegen, weil sie hoffte, er würde sich wenigstens zur Beerdigung seiner kleinen Tochter blicken lassen. Aber geglaubt hatte sie nicht wirklich daran. Nun stand er da und keiner wusste, wie mit der Situation umgehen. Es war der Wirt, der ihn an den Tisch holte. Dort saß er nun, aber keiner sprach mit ihm, auch Julie nicht…

© Petra Elsner
Februar 2018

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Milchmond (23)

Öffentliche Winterschreibarbeit zur Kriminalgeschichte “Milchmond” von Petra Elsner.

… Die Zeit war treulos und verschwand in einem schwarzen Loch. Julie konnte sich eine Woche später kaum entsinnen, was sie erledigt hatte und wem sie begegnet war. War sie überhaupt jemandem begegnet? Das Dorf mied jene, die den Tod berühren. Als ob es spürte, dass Julie gerade einen Fuß vor die Tür stellte, war plötzlich die Straße leergefegt. Zufall oder Kalkül, sie wusste es nicht. Die Frau hatte begonnen, mit dem alten Rabenvogel in ihrem Garten zu sprechen. Damit er näher kam, legte sie ihm ein Stück Brot auf das Fensterblech. Der Vogel erspähte ihre Aktion sogleich und kam nur, um rasch das Futter aufzunehmen und wieder ins Birkengeäst zu entfliehen. Aber in dem Moment seiner Landung, sahen sie sich Auge in Auge. Ein Dialog der Blicke – einen dankbaren Atemzug lang.

Zeichnung: Petra Elsner

Als es klingelte, schreckte sie regelrecht auf. Durch das Fenster zur Straße sah sie Otto Ehrenburg vor seinem schwarzen Pick Up stehen.
„Darf ich reinkommen“, fragte er, als sich die Tür öffnete. „Ich wollte endlich mal nach Dir sehen und fragen, ob ich Dir was helfen kann.“
„Kannst Du. Bestimmt“, gab sie abgehackt zurück.
Auf dem Weg zur Küche kramte er in seiner Hängetasche, um vorsichtig ein Päckchen herauszuheben. Als sie den Kuchen aus dem Seidenpapier entblößte, sagte sie nur trocken: „Windbeutel! Dass passt ja wie Faust aufs Auge!“
Otto war ein typischer Brandenburger, der mit Ironie nicht viel anfangen konnte, deshalb maulte er leise vor sich hin: „Du machst auch aus jeder Vorlage einen Elfmeter.“
„Kann sein.“ Julie lächelte milde und Otto Ehrenburg wusste, dass dahinter keine Absichten steckten. Die Schwester seiner Geliebten hatte ihm einst überdeutlich gezeigt, wie sehr sie ihn verachtete, weil er in seine trostlose Ehe zurückruderte. Nun saßen sie beieinander und konnten sich doch keinen Trost zusprechen. Es waren einfach die Falschen, die das versuchten, aber Otto sagte zu, beim Ausräumen der Berliner Wohnung zu helfen und schwere Arbeiten auf Zuruf zu übernehmen. Das war auch schon etwas. Als der Mann den Hof wieder verließ, rutschte Julie für den Rest des Tages abermals in eine dunkle Leere.

In dieser Nacht murmelte der kleine Schatten unbeobachtet auf der Moosbank: „Das Dorf macht wieder einen Bogen.“ Und der Große ächzte: „Das ist überall so, ganz gleich, ob Dorf oder Stadt. Während sich die Gesellschaft ständig jugendlicher, perfekter und effizienter gibt, entsteht in ihr ein Paradoxon: Die aufgeklärte Moderne weist Krankheit und Tod noch weiter von sich, als zu unseren Lebzeiten. Die Angst davor wächst, denn die Leute wollen nicht auf die Seite der Verlierer geraten. Deshalb weichen sie der Berührung mit anderer Leute Leid aus, als wäre es ansteckend. Man nennt das auch: hoch kultivierter Individualismus! Der treibt nicht nur in die Einsamkeit, sondern auch in eine allgemeine Gefühlskälte.“ Der kleine Schatten seufzte: „Können wir ihr irgendwie helfen?“
Und der Große antwortete hoffnungsvoll: „Vielleicht.“ …

 

© Petra Elsner
Februar 2018

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Milchmond (19)

Öffentliche Winterschreibarbeit zur Kinimalgeschichte “Milchmond” von Petra Elsner

… Stunden später wurde das Opfer rechtsmedizinisch untersucht und es war bald  klar, das Tötungsdelikt ging mit einer Vergewaltigung und schweren Misshandlungen einher. Ein exakt gesetzter Messerstich ins Herz, machte dem Martyrium der jungen Frau schließlich ein Ende. Die Winterkälte konservierte den traurigen Zustand, der keinen Zweifel über den Tathergang bei den Experten hinterließ. Auch DNA wurde entdeckt: Graues Haar, Hautteilchen und Sperma. Druckstellen – offenbar von den Händen des Täters – verrieten, er muss groß und kräftig gewesen sein, und er hatte die seltene Blutgruppe AB positiv.
Im Sandberger Dorfkrug hatten zwei Ermittler der Mordkommission Prenzlau ihr ambulantes Büro einen Tisch aufgeschlagen. Dem Wirt war das nicht recht, er hatte an seinem Ruhetag nur für die Feuerwehrleute spontan geöffnet, um den Helfern einen warmen Platz und eine deftige Bohnensuppe auszugeben. Strom gab es noch nicht, aber der alte Kachelofen spuckte wohlige Wärme und Kerzen spendeten ein schummriges Licht. Mit quenglicher Stimme fragte Uhrig: „Möchten Sie vielleicht was Heißes? Tee, Kaffee oder Bohnensuppe? Der Gasherd macht‘s möglich, nur Wasser ist knapp.“
Die zwei Kriminaloberkommissare entschieden sich für Suppe und Tee. Als der Wirt servierte, dankten sie höflich und begannen zugleich mit ihren routinemäßigen Fragen. Oberkommissarin Franziska Korn sah Uhing ruhig an: „Irgendwelche Fehden im Dorf, von denen wir wissen sollten, Herr Wirt?“
„Nichts von Bedeutung. Sandberg ist ein stilles Dorf. Es gibt fast nur noch alte Leute hier, von einer Handvoll Ausnahmen abgesehen. Die Ackerschwestern wären bestimmt auch schon weggemacht, hätte der republikflüchtige Vater ihrer Mutter nicht so ein elendes Leben beschert. Der hat sich über Ungarn rausschleusen lassen und sie bekam Berufsverbot. Sippenhaft eben. Geputzt hat die gelernte Drogistin im Hotel bis sie das große Vergessen erwischte. Ein Scheißleben. Aber die Mädchen haben gut zu ihr gehalten. Nur miteinander hatten sie ab und zu ein bisschen Stress. Zicken-Alarm, mehr nicht. Letztes Jahr ist Laura nach Berlin gezogen. Wissen Sie, Distanz und Nähe, dass ist auf dem Dorf immer ein Drahtseilakt, da ist es manchmal besser,  eine Zeitlang Abstand zu wahren.“
Der Wirt wollte sich zurückziehen, aber Ermittler Eberhard Stark, rückte ihm einen Stuhl neben sich zurecht: „Erzählen Sie weiter, weshalb hatten die Schwestern öfter Streit?“
Uhlig schniefte: „Ach, nichts Besonderes. Laura lebte gerne auf großem Fuße und kam deshalb mit ihrem Gehalt als Altenpflegerin nicht gut aus. Sie pumpte sich bei jedem was, der dazu bereit war. Die meisten schwiegen darüber, aber ihre große Schwester hat ihr oft die Ohren langgezogen.“
Die Tür ratschte, Püschel und Ehrenburg traten grüßend ein. Klopften sich den Schnee von den Jacken und schleppten sich an den Kachelofen. Sie waren müde und erschüttert. Der Feuerwehhauptmann sprach mit gesenktem Blick in den Gastraum: „ Wir haben ein Holzkreuz und ein Grablicht am Fundort aufgestellt.“
Anna Uhlig hatte ihre winzige Küche verlassen und brachte den Männern am Ofen dampfende Suppenschüsseln: „Hier Jungs, damit ihr ein bisschen auftaut.“ Sie streichelte die Zwei mit ein paar Strichen über deren Arme, Worte fand die scheue Frau des Wirtes nicht. Schnell war sie wieder in ihr Reich verschwunden als wäre es ein sicherer Ort.
Draußen heulte der Sturm. Trotzdem war es so leise in Sandberg als hielten alle den Atem an, wie immer, wenn der Tod in ein Haus gekrochen war. Leben und Sterben sind auf dem Land noch so nah, dass das Leid anderer gefühlt wird…

© Petra Elsner
Februar 2018

Hinweis zum Urheberrecht:

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Alle in dieser Kriminalgeschichte vorkommenden Namen, Personen, Organisationen, Orte sind erfunden oder werden rein fiktiv benutzt. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Geschehnissen, Orten oder Personen, lebend oder tot, sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

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