

Alltag 11, September 2019:
Die „Dinge des Alltags – das Immerwiederkehrende“ – ist das Jahresprojekt der Bloggerin Ulli Gau, an dem ich mich beteilige und 12 Monate lang immer am 1. Monatswochenende etwas aus meinem Alltag vorstelle …
Diesmal: Der alltägliche Pferdewechsel
Das Wechselspiel zwischen den künstlerischen Genres hat mich begleitet, seit ich schreibe und zeichne. Es blieb immer bei mir und hat mich in Zeiten, als ich anderen Berufungen folgte, nie ganz verlassen. Aber Sprüche wie „Schuster bleib bei deinen Leisten“ oder die Ansicht, dass Leute mit Mehrfachbegabungen nicht ernst genommen werden (so war das mal), haben mich dahingehend verunsichert, ob ich nicht zu oberflächlich mit den Talenten umging. Diese Mehrfachbegabung sollte mir aber später erst die Haut retten und mich noch später davor bewahren leerzulaufen.
Der erste spürbare Nachteil der Digitalisierung begann schon 2003, als plötzlich das Profi-Foto auf dem (Ost-) Pressemarkt immer schlechter bezahlt wurde. Der Zweite, dass sich mit den Online-Formaten die Situation der Printmedien (für die ich seit 1980 unterwegs war) zuspitzte. Korrektoren wurden abgeschafft, die Gestaltung, Bildbearbeitung, Teile der Buchhaltung, die Verlagskraftfahrer, das Archiv … – alles Arbeiten, die heutzutage die festen und freien Redakteure mitschultern müssen. Dennoch gerieten die großen Zeitungsdampfer immer mehr ins Torkeln. Abgesehen von technischen Veränderungen und Optimierungen der Verlagsarbeit, bekamen sehr bald die Freien Schreiber Einschnitte zu spüren, denn man sparte bei ihren Honoraren und drückte den Druckzeilenpreis auf zuletzt sagenhafte 22 Cent. Um als Freiberuflerin zu überleben, blieb mir also gar nichts anderes übrig, als alle meine Talente zu nutzen. Und um dabei nicht auszubrennen, wechselte ich so oft es ging die Pferde (Genres). Nachts malte oder zeichnete ich, tagsüber arbeitete ich an journalistischen Texten, in den Freiräumen schrieb ich Märchen und Geschichten. Dabei bemerkte ich, jedes Genre verbraucht den Kreativen anders. Für mich gilt beispielsweise: Schreiben zieht Kraft, Bildschaffen schenkt Kraft.
Mit dieser Wechsel-Methode kam ich ganz gut durch, ohne auch nur in die Nähe eines Burnouts zu gelangen, obwohl ich seinerzeit kaum vier Stunden Nachtschlaf hatte… Allerdings blieb dabei für gesellschaftliche Events, sogenannte Kontaktpflege und wirkungsvolle PR nicht genug Zeit. Denn es ging nach 1994 nur noch ums Eingemachte, die Absicherung der freien Existenz (eine Festanstellung war für mich in all den Jahren nicht zu haben). Ich nenne das: Schaffen im stillen (toten) Winkel. Das war ein Fehler. Inzwischen arbeite ich immer noch viel und jeden Tag natürlich, selbst als mich vor zweieinhalb Jahren ein Krebs erwischte, hab selbst im Krankenhaus gezeichnet (schreiben ging nicht), aber die Kariere-Chance hat längst den Altersdeckel übergestülpt bekommen.

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