Nachtrag 2020: Leider gärtnert die Kräuterweise nicht mehr auf dem Mühlenberg. Dieser Beitrag ist jetzt Geschichte.

(Foto: Lutz Reinhardt)
Die alte Bergsdorfer Mühle wurde einst mit Wind, später mit Diesel angetrieben. Schrot wurde gemahlen. Heute ist sie das Zuhause und der Schaffensplatz von Regina und Manfred Haseloff. Ein Rentnerpaar mit Träumen und großer Unternehmenslust. Er repariert und baut unentwegt an dem alter Gemäuer, der Maurer alter Schule. Und sie folgt einer Passion – der Kräuterkunde.
2004 haben die Zwei den alten Industriebau in der reifen Lebensmitte gekauft, 2009 sind sie eingezogen. Seither wachsen auf einem Berghektar unzählige Pflanzen, viele fasst vergessene darunter. Und unter dem Mühlendach mehren sich alte Hauswirtschaftsgeräte in der Heimatstube. Manch einst Verbotenes, wie „die erste Waschmaschine“, eine Unterdruck erzeugende Stampfglocke, weil man damit auch Abtreibungen verursachen konnte. Regina Haseloff sagt nicht viel, ist fraglos lieber in ihrem Kräuterberg zugange. Aber wer Hüter eines lebenden Schatzes ist, der hat auch die Pflicht, das Wissen weiter zu geben. Also wächst die stille Weise über sich hinaus und führt in der warmen Jahreszeit Gruppen auf ihren Mühlenberg, die älteste Besucherin war 110 Jahre. Je länger man mit ihr unterwegs ist, desto gelöster erzählt sie: „Als wir hier 2005 begonnen hatten, war alles voller Brennnesseln und Quecken. Total überwuchert. Die Leute, die den Ort kannten sagten, den wollen wir nicht geschenkt haben. Ich aber hatte nur gute Erinnerungen an die Backstube unten in der Mühle, wo ich als Kind einkaufte.“ Wer mit ihr über den Mühlenberg kraxelt, bekommt eine exzellente Kräuterführung. „Sehen Sie, dass hier ist Herzgespann, man nimmt es, wenn das Herz rast, aber wir mögen es einfach als Bienenweide. Und das hier ist eine Karde im ersten Jahr. Als Heilpflanze ist die Karde relativ unbekannt. Durch die Fähigkeit ihrer Wurzel gegen Borreliose zu helfen, gewinnt die Karde jedoch zunehmend an Bedeutung. Dieses Fingerkraut hat sich von selbst angesiedelt und hält den wuchernden Giersch in Schach. Giersch ist eine Antigichtpflanze, aber er kann noch viel, viel mehr. Ich bevorzuge Bäder. Dies ist eine ganz besondere Pflanze – ein gemeiner Bocksdorn und das ein mehrfarbiger Beifuss. Kennen sie Beinwell? Interessant bei Knochensachen. Und dort kommt Odermennig. Man sagt zu dieser Pflanze, wenn nichts hilft, hilft Odermennig. Das ist die tollste Pflanze von allen. Ja, er hat heute an Bedeutung verloren, weil es viele Pflanzen gibt, die, wie er, bei Problemen des Verdauungssystems und des Harnapparates helfen, aber in Teemischungen für Sänger und Redner ist er immer noch oft anzutreffen.“
Man staunt über die Größe des Areals und fragt unweigerlich: Wie schafft man das nur? Frau Haseloff murmelt nur: „Hier ein bisschen, dort ein bisschen – jeden Tag.“ Dann führt sie weiter: „Das ist Dost oder einfach wilder Majoran. Da kommt die gelbe Färberkamille und schauen Sie – eine amerikanische Bergminze mit hellblauen Blüten.“
Zwischen: Blutampfer, Baldrian, Ysop, Zitronen-Thymian erzählt sie von ihrem Apfelbaum, der, seit auf seiner Baumscheibe viele Heilpflanzen wachsen, er endlich gute Früchte trägt.
Richtung Norden, auf einem schmalen Grünweg zeigt sie uns Echtes Labkraut, zart und geduckt am Boden. „Ich hab es mir schon lange gewünscht, und auf einmal wuchs es hier“, erzählt sie selbst verwundert. „Es riecht süßlich und hat gelbe Blüten, eine gute Pflanze für die Nieren. Dort kommt die weiße Taubnessel, die Blüten legt man über Nacht ins Wasser, macht daraus einen Auszug und erhitzt morgens das Wasser. Das ist besser als Tee und schmeckt zuckersüß. Es ist gut für die Schleimhäute, es ist eine Frauenpflanze. Es ist so: Die weißen Taubnesseln sind gut für die Schleimhäute, die roten fürs Blut und die gelben sind gegen eitrigen Zustände.“
Auf der Bergkuppe blickt man Richtung Osten weit ins Land und vor einem liegt weiteres Naturgartenland. „Die Natur hat hier Vorfahrt“, erklärt sie das Anliegen. Die Erdbeeren sitzen in Reihen mitten in der Wiese, die Pfade dazwischen mäht sie dann und wann mit dem Rasenmäher. Uns kommt eine Kompasspflanze entgegen, deren Stängel viereckig sind und die Blätter schauen in alle vier Himmelsrichtungen. Die studierte Agraringenieurin und Saatgutexpertin hat nachgeforscht und fand, die Pflanze ist eine gute Futterpflanze für Kaninchen, Schafe und Ziegen. Vor 2000 Jahren war sie in Griechenland auf Münzen geprägt, und ich dachte mir, das muss noch einen anderen Grund haben, als dass sie nur gut schmeckt. Sie ist eben schon eine ganz alte, indianische Heilpflanze. Jetzt wird sie in Thüringen als Energiepflanze geprüft. Mir raucht langsam der Kopf von all den Informationen. Aber Frau Haseloff kommt jetzt erst richtig in Fahrt und zeigt ihre unzähligen Schätzchen.
25 Jahre war die Frau im Sortenwesen tätig. Nach der Wende musste die anerkannte Sortenprüferin in den 1990er Jahren beruflich um Akzeptanz ringen. Doch es gab auch neue Aussichten und Freiheiten. 1999 hat die Frau ihren Heilpraktiker gemacht, zuletzt hat sie als Freizeit- und Gesundheitsberater gearbeitet. Irgendwann war Schluss, da wollte sie noch einmal alles ändern, nicht für die Tochter, sondern ganz für sich selbst, und daher kommt die Kraft, es noch einmal zu packen.
Freitagnachmittags ist während der Pflanzsaison im Natur- und Kräutergarten Bergsdorfer Mühle immer was los. Viele klingeln einfach unangemeldet und schon geht es los – die kostenlose Lehrschau am Mühlenberg. Spenden werden natürlich nicht abgelehnt. Ach, die Haseloffs haben noch so viel vor. Im Anbau soll eine Küche entstehen, damit man auch Koch- und Kräuterseminare für Jung und Alt veranstalten kann. Eine Adresse, die gewiss noch viele Früchte tragen wird und ein Geheimtipp für alle, die einen grünen Daumen haben und Rat oder seltene Pflanzen suchen.
Petra Elsner
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