Milchmond (9)

Foto: Petra Elsner

… Zur selben Stunde stocherte ein kleiner, runder Mann mit seiner Jagdflinte Löcher in die Nebelschwaden. Bernd Uhlig hockte sturzbetrunken auf seinem Hochstand und schwankte mit seinem Oberkörper vor und zurück. „Komm, Hirsch!“ brüllte er immer wieder, als wollte er sich mit dem König des Waldes messen. Irgendein Kummer trieb offenbar den Wirt vom Dorfkrug in diesen desolaten Zustand. Ein verschreckter Pilzsammler hatte schließlich die Polizei gerufen. Jetzt rollte ein Streifenwagen langsam über die Waldpiste in die Nähe des Hochsitzes. Schüsse krachten durch das dunstige Grau. Die Funkstreifenbesatzung stoppte, sprang aus dem Wagen und suchte hinter Baumstämmen Deckung. Keine 20 Meter weit konnte man etwas erkennen. „Polizei! Legen Sie die Waffe ab und kommen Sie die Leiter herunter“, rief einer, der Uniformierten. „Ihr könnt mich mal!“ brüllte der rasende Mann und ballerte dazu den nächsten Schuss in den Himmel.
Sein ganzes Leben lang hatte sich Bernd Uhlig hinter dem Familientresen versteckt. Geduckt unter den Zeiten, mit jedem gut‘ Freund, seinen spitzen Kneipenhumor nuschelte er nur unverständlich vor sich hin. Jetzt brüllte er wie wild: „Komm, Hirsch, komm!“ Das ging noch ein Weilchen so, bis er plötzlich verstummte. Der Wirt war eingeschlafen und auch seine Wut. Nur ein fuseliger Atemschleier schwebte um sein aufgewühltes Gemüt, als ihm einer der Beamten die Knarre aus dem Arm zog…

© Petra Elsner
Januar2018

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Alle in dieser Kriminalgeschichte vorkommenden Namen, Personen, Organisationen, Orte sind erfunden oder werden rein fiktiv benutzt. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Geschehnissen, Orten oder Personen, lebend oder tot, sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

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