Milchmond (8)

Foto: Petra Elsner

Nebeljagd

… Hinter Gollin lenkte Otto Ehrenburg seinem schwarzen Pick Up rechts ab und folgte der Waldstraße nach Reiersdorf. Fetter Nebel ließ den Tag kaum erwachen. Herr Ehrenburg wollte seinen Freund in Friedrichswalde besuchen. Kurz vor der Oberförsterei mischte sich in die schwere Luft dicker Qualm. Gleich darauf sah er aus dem dichten Nebel kleine Feuer lodern. Zünftige Gestalten standen wortlos bei einer frisch gelegten Strecke, als würden zu einer Szene für Caspar David Friedrich posieren. Nur das Motorengeräusch des Pick Ups ließ die Jagdgesellschaft aufhorchen und in seine Richtung starren. Seltsam anmutend, als späten die Waidmänner aus einem Dom aus Nebel, dampfenden Tierkörpern und Rauch. Die verschworene Gemeinschaft fühlte sich ganz offenbar in ihren Ritualen gestört und zeigte das mit finsteren Blicken.
Ehrenburg beschlich ein mulmiges Gefühl. Als Junge war er einmal in einen Rausch geraten, als er beim Stromern ein abgestoßenes Geweih im Wald des Vaters fand. Er spürte ein aufwühlendes Pulsieren, als würde ein Wildschütz in ihm erwachen, der ihn rastlos umtrieb, einen Hirsch auszumachen, sich anzupirschen und ihn mit einem Blattschuss zur Strecke zu bringen. Diese prickelnde Unruhe sprang den Jungen an und er begann sich vor diesem wilden Drang zu fürchten. Denn das Jagdfieber trieb ihn in einer Art Raserei in die Tiefe des Waldes. Weit ab vom Dorf irrte er durch die Heide bis ein paar Waldarbeiter ihn auflasen und ihn auf dem Pferdewagen heimwärts brachten – verwirrt vom Seelengeflüster des immer grünen Waldes.  Dieses flackernde Fieber arbeitete in ihm weiter, aber niemals mehr war er ihm erlegen. Otto Ehrenburg schoss heute lieber scharf mit seiner Kamera in die Welt der Vögel. Aber bei Nebel machte das wenig Sinn…

 

© Petra Elsner
Januar 2018

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