Milchmond (18)

Öffentliche Winterschreibarbeit zur Kriminalgeschichte “Milchmond” von Petra Elsner

… Windböen in Orkanstärke warfen am nächsten Morgen hunderte Bäume in der Schorfheide um und einige waren in die Überlandstromleitungen zwischen den Walddörfern gefallen. Kein Strom in Sandberg. Die ersten Pendler kehrten in den Ort zurück und brachten die Freiwillige Ortswehr auf Trab. Beide Landstraßen waren durch gestürzte Stämme blockiert. Nirgends ein Durchkommen und Zuhause kein Licht, kein Wasser, keine Heizung. Der erste Wintersturm hatte das öffentliche Leben komplett stillgelegt, kaum später kam der Schnee. Nass und schwer, überall im Wald brachen krachend Kronen zu Boden. Es war gefährlich für die Blaulichter mit ihren Motorsägen am Straßenrand. Besorgt hob Alex Püschel seinen Blick, wartete die nächste Böe ab, dann arbeitete sich der Feuerwehrchef bis zur nächsten Ausweich-Nische an der schmalen Asphaltpiste vor. Dorthin stapelten sie Meterschnitte. Die Männer hatten Mühe, sich aufrecht zu halten und stemmten sich in den eisigen Wind. Otto Ehrenburg musste pinkeln, deshalb lege er die Säge beiseite und trat er etwas weiter in den verschneiten Busch. Die Ohren nach knackenden Geräuschen gespitzt, jeden Augenblick könnte etwas niederbrechen. Dort, wo er stand, linste etwas Rotes aus dem Schnee. Ein kleiner Stadtrucksack. Wie er sich danach bückte, schreckte er zurück: Unter welkem Buchenlaub und Schnee lag ein lebloser Körper. Ehrenburg schrie: „Nein, nein, bitte nicht!“ Die Männer dachten, ihr Kamerad hätte sich verletzt, deshalb liefen sie alle zu jener Stelle von der sein Aufschrei kam. Ehrenburg weinte, während er aufgewühlt vorsichtig das Gesicht der Toten freilegte. Grau und geschunden sah es aus und die Sandberger Wehr stand steif vor Schreck im Halbkreis um den grusligen Fund. Es war ihre Laura.
Alex Püschel trat beiseite und tippte in sein Handy den Notruf der Polizei. Es knackte ein paar Mal dicht neben ihm, dann prallte der nächste Baum mit dumpfem Knall auf die Waldstraße. Es wird dauern, bis die Kripo hierher durchkommt.

Der Spurenleser besah sich den Tatort und schüttelte seinen Kopf. Er griff nach dem weißen Seidenstoff, der wie ein Schleier über dem toten Körper lag: „Diese angerichtete Szene! Sie dürfen nicht glauben, was Sie sehen. Sie kann auch hergetragen worden sein. Und dieser Schleier – als sollte er die Tat bedecken oder eine Braut aus ihr machen.“ Er zückte seine 20fach vergrößernde Lupe und besah sich den Boden dicht um die Leiche. „Die Frau ist schon länger tot. Reichliche zwei Wochen vielleicht. Ein Wunder, dass die Waldtiere nicht an sie herangegangen sind.“ Der Mittfünfziger hatte sich seine jungenhafte Neugier gut bewahrt und scheute sich nicht, ganz dicht an den schaurigen Fund heranzugehen. Jedes einzelne Schandmahl konnte er betrachten, ohne auch nur einen Schauer zu empfinden. Der Kommissar hingegen war durch die unzähligen Gewaltdelikte, die er zu sehen bekam, mit der Zeit mürbe geworden. Dünnhäutig hielt er Abstand zum Tatort. „War da nicht dieser gewaltige, milchige Vollmond, bei dem wieder alle Verrückten unterwegs waren?“
„Kann sein“, antwortete der Spurensucher…

 

© Petra Elsner
Februar 2018

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Alle in dieser Kriminalgeschichte vorkommenden Namen, Personen, Organisationen, Orte sind erfunden oder werden rein fiktiv benutzt. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Geschehnissen, Orten oder Personen, lebend oder tot, sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

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