
Zeichnung: Petra Elsner
Die versunkene Stadt im Werbellinsee:
Einer uralten Sage nach, gab es dort, wo heute der Werbellinsee mit seinem lichten Wasser in der Landschaft liegt, einst die wunderschöne Stadt Werbelow. In ihrer Mitte erhob sich ein prächtiges Schloss, das von einem Wassergraben umgeben war. Hinein gelangte man nur über eine Zugbrücke. Auf dem Schloss herrsche ein böser Zauberer, der die Stadtbewohner mit unermesslichem Reichtum verdarb. Die Sitten verkamen und die Herzen der Menschen wurden schließlich hart. Eines Tages kam eine alte Frau mit der Bitte um etwas Brot an die Zugbrücke. Doch die Wächter schubsten sie pöbelnd beiseite. Der Schlossherr öffnete sein Turmfenster und rief ihr verächtlich zu, sie solle sich davon scheren. Die Frau verdunkelte sich und sprach: „Ich will zurückgehen, aber du sollst untergehen!“ Während sie ging, begegnete ihr ein Fremder, der ihr einen Kanten Brot zusteckte. Die Frau sah den gottesfürchtigen Mann dankbar an und murmelte: „Kehre um. Verlasse diesen Ort so schnell du kannst, denn er wird untergehen.“ Der Mann zweifelte nicht, denn er erkannte die magische Kraft der Alten. So fragte er nicht lange und verließ umgehend mit seinem Diener Werbelow. Doch als sie auf dem Berge angekommen waren, vermisste der Reisende sein Felleisen. Er hatte den Ledersack bei einem Marktstand unweit der Zugbrücke vergessen. Darum schickte er den Diener noch einmal zurück. Doch jener kam nicht weit. Dort, wo eben noch die ersten Pfahlhäuser der Stadt standen, erstreckte sich ein See soweit das Auge schauen konnte. Und während der Mann erschrocken auf den See starrte, hörte er aus den Tiefen des Wassers den allerletzten Schlag der Kirchturmglocke, bevor Totenstille über der Landschaft lag.
(Nach Adalbert Kuhn: Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin 1843, aufgefrischt und verdichtet von Petra Elsner)
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