Die Wunderblume am Lieper Damm:

Zeichnung von Petra Elsner
Vor Zeiten war der Schiffer Friede Sievertsberg mit einer Kahnladung Bretter unterwegs. Am Abend legte er beim Lieper Damm an, um sich im Krug ein Nachtmahl und ein paar Bierchen zu gönnen. Gegen Mitternacht kehrte er zu seinem Kahn zurück. Doch als er schon ganz nah an seinem Anlegeplatz war, sah er über seiner Ladung eine dürre, weiße Gestalt hin und her schweben. Er rieb sich die Augen. Doch nein, er hatte nicht zu viel getrunken. Der Schiffer erblickte wirklich eine helle Gestalt, die etwas zu suchen schien. Ein Weilchen ließ er den Spuk gewähren, verlor ihn aber nicht aus den Augen. Währenddessen wechselte die Gestalt ihre Farben und leuchtete mal Kristall-Weiß, dann blass Gelb und schließlich kräftig Blau. Inzwischen stand der blaue Geist am Steuer und drehte es nach Osten. Da musste der Schiffer einschreiten. Er pfiff beherzt einen scharfen Ton zwischen zwei Fingern und augenblicklich war die Gestalt vom Lastkahn verschwunden. Vorsichtig schritt der Schiffer seine Ladung ab. Doch so genau er auch suchte, er fand keine Schaden und keinen Grund für die nächtliche Spukerei.
Anderntags durchstöberte er nochmals den ganzen Kahn und musterte dabei jeden Zentimeter. Plötzlich entdeckte er höchst erschrocken einen Riss im Kahn, knapp über der Wasserlinie. Unentdeckt hätte seine Weiterfahrt gewiss schlimm geendet.
Wochen später ging der Schiffer an einem schönen Sonntag von Niederfinow durch die duftenden Wiesen am Lieper Damm. Als er zu der Stelle gelangte, wo er nachts auf das Gespenst getroffen war, fand er an jenem Anlegeplatz eine wundersame Blume. Die leuchtete wie die Geistergestalt in wechselnden Farben. Der Schiffer staunte verwundert die Pflanze an, während ein Schäfer betulich seine Herde heran trieb. Das besondere Farbenspiel der Blüte sah auch der Schäfer, der sich nun zu dem Schiffer hockte. Der erzählte nun die erlebte Schauergeschichte, die er bisher keinem verraten hatte. Es war der Schäfer, der die Geschichte immer weiter erzählte. Seither heiß die Wunderblume am Lieper Damm “Schäferblume“. Nur Sonntagskindern ist es vergönnt, sie zu sehen. Man sagt der zarten Pflanze nach, dass sie jenen Geist verkörpere, der einst den Schiffer Friede Sievertsberg vor dem sicheren Untergang gerettet habe.
(Nach Peter K. Stumpf, Sagen aus Brandenburg, aufgefrischt von Petra Elsner)
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Was für ein schönes Bild!
Vielen, lieben Dank, liebe Arabella.