Der Grausammler (2)

Eine neue Kurzgeschichte entsteht, hier der 2. Absatz:
Hubert Gram ritzte mit seinem Skalpell noch eine winzige dünne Farbschicht aus der Torecke. Ah, da kam es zum Vorschein dieses Mausegrau oder war es Rauchschiefer? Währenddessen brüllte jemand übel laut über den Hof: „Was machst du da? Finger weg von der Fassade, Alter!“ Der Brüller kam dazu flinken Schritts auf ihn zu gelaufen. Hubert Gram griff sich sein Fahrrad und verschwand so schnell er konnte von diesem kleinen Tatort im fünften Hinterhof. Ein paar Ecken weiter war er entkommen und versteckte sich leicht außer Atem im Café Cinema hinter einem großen Pott heißer Schokolade. Ein Filmscheinwerfer wärmte ihm dazu herrlich den steifen Rücken. In diesem langen Schlauchcafé tauchte der Grausammler gerne zum Sinnieren ab. Die verblichenen Kinoplakate an den Wänden führten ihn, während er sie mit den Augen berührte, in das Reich seiner grauen Träume, in sein Schattenreich. Aber die Schatten seines Wissens aus der Grauzeit waren nicht komplex, nur bruchstückhaft, denn niemand kann allein die Welt und ihre Geschichte erklären. Dafür braucht es immer noch einen zweiten, dritten, eine große forschende Mannschaft mit Innen- und Außendraufsichten und dem Wissen, dass die eigene Überzeugung nicht der Wahrheit allerletzter Schluss ist. Und da sich jeder Einzelne im Älterwerden, fortwährend wandelt, die Ansichten, die Erkenntnisse, selbst die Gefühle, kam der Schattenphilosoph nie zu gültigen, verlässlichen Schlüssen. Er blieb ein Suchender in der Zeit. Aschgrau, betongrau, silbergrau, taubengrau, zementgrau – wie schön dachte der zauselige Grausammler. Er brauchte einfach diese Töne, um schön traurig zu sein …

© Petra Elsner
17. August 2019

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