Krautige Briefkost

Kohlkopf, Zeichnung: Petra Elsner
Kohlkopf,
Zeichnung: Petra Elsner

Krautsalat war zu DDR-Zeiten in der Mark eine bis zum Überdruss verzehrte Speise – in Ermanglung von Alternativen. Lange habe ich nach der Wende Kraut-Enthaltsamkeit geübt, doch nach 16 Jahren sprang mich doch ein gesunder Heißhunger auf das traditionelle Wintergemüse an. Gibt es ja allerorten zu kaufen, aber wer alten Rezepturen nachspürt, will auch selbst zubereiten. Zupass kam mir ein Brief von meinem Malerfreunde Eckhard Böttger, der mir für jenes Unterfangen die handwerkliche Grundlage lieferte. Und weil er sie so launig notierte, will ich hier den damaligen  Südbrandenburger schlicht zitieren:

  1. Einen Krautkopf mit normaler Größe und in der Farbe grün-weiß suchen oder ernten.
  2. .Ins Haus den Krautkopf tragen. Nicht zum Still-Leben-Malen benutzen, sondern als Essen zubereiten.
  3. Schüssel – die größte im Haus suchen! Dabei vielleicht noch die breiteste auswählen.
  4. Das breiteste und längste, größte Küchenmesser gut schärfen.
  5. Kopf teilen und den Wuchsansatz reichlich entfernen.
  6. Nun den Krautkopf so dünn wie möglich in Streifen schneiden (wie dünne Schnürsenkel).
  7. Dabei – jedes Brett gefüllt in der Schüssel abstreifen und – wichtig – durchkneten, brechen, knietschen. Diesen Vorgang bei jeder neuen Schnittladung wiederholen.
  8. Ist der Krautkopf zerschnitten und nichts davon mehr auf dem Tisch zu finden, in die Schüssel schauen!
  9. Mit aller Kraft, bis die Schultern wehtun, und darüber hin­aus kneten, knietschen, brechen. Dazu kann man schon das Salz geben, wenn es die Hände vertragen.
  10. Nachschauen, ob schon etwas Saft zu finden ist – ansonsten weiterkneten usw.
  11. Dann, wichtig, mit der Kuchenkeule (oder ähnlichem Gegenstand) das Kraut stampfen. Auf dem Tisch muss ein Bum-Bum-Geräusch zu hören sein.
  12. Der Erfolg stellt sich ein. Sicherheitshalber Gefühlstest mit der Hand – das Kraut wird weich.
  13. Wurde Salz verwendet, jetzt kosten!!! Die Hauptarbeit ist getan, und eine Pause sowie Schultermassage des Partners ist angebracht.
  14. Tasse – eine große – aus dem Küchenschrank holen. Tisch sauber abwischen. Gabel, großer Löffel oder etwas zum Umrühren bzw. Umschmeißen suchen. Empfohlen wird dazu in der Messer-Gabel-Löffel-Schublade nachzusehen.
  15. In die Tasse – etwa … 1 bis 2 Teelöffel Pfeffer, 1 bis 2 Teelöffel Salz, 1 bis 3 Esslöffel Senf aus Bautzen, 1 bis 3 Esslöffel Zucker (Honigsaft ist auch sehr gut), 4 bis 5 Zitronen in der Presse ausquetschen. Ist keine vorhanden, mit einem Teelöffel geht es auch. Kerne entfernen und in die Biotonne. Dabei die Reste des Krautkopfes mitnehmen!!!
    16. Jetzt ist eine große Tasse etwa fast halbvoll. Die gleiche Menge an Soja-Öl einspritzen und die gesamten Zutaten umrühren. Dazu den gleichen Löffel benutzen (Soja-Öl ist geschmacklos).
  16. Den Inhalt der Tasse nicht kosten (unangebracht). Dafür gleichmäßig über die gut geknautschten Krautfäden geben.
  17. Jetzt alles verrühren, wieder mit demselben Löffel.
  18. Es darf nun gekostet werden. Fragen? Ist Salz genug drin, Senf, Zucker usw. Nach Beendigung der Fragestellung die geschmacklichen Zutaten zugeben, die noch nötig sind.
  19. Hat man nun den Eindruck, dass es etwas zu viel des guten Würzens gewesen sein könnte – kein Problem. Das Kraut zieht noch durch und verliert dabei die überschüssige Würze. Oder alles abwaschen – dabei können die Krautfäden gemeinsam abgespült werden. In diesem Falle nun ab Punkt 15 alles neu beginnen, aber zaghafter!!!
  20. Zum Schluss kann man z. B. Apfelstücke, getrocknete Früchte und/oder kandierte Früchte in klein geschnittenen Stücken untermischen. Keine ganzen Früchte benutzen (z. B. getrocknete amerikanische Preiselbeeren gesüßt sind gut oder Pflaumen oder Rosinen, Feigen usw.)!
  21. Jetzt das Kraut in einen Keramiktopf füllen und fest eindrücken mit der Faust. Dabei kein Bum-Geräusch auf dem Tisch machen.
  22. Kraut so etwa eine Stunde ziehen lassen, dann schmeckt‘s schon. Es hält sich etwa 14 Tage.
  23. Bei völliger Entleerung des Topfes von Anfang an neu beginnen.
  24. Zu allen Arten von Speisen ist der Topfinhalt eine gute Ergänzung. Es ist einen Versuch wert, das Kraut auf eine Stulle, Brötchen, Fladen als Fußbett unter dem Belag zu platzieren. Wunderbar auch unter Fisch und Eiern. Schmeckt bestens zu Knacker usw. usw. usw.
    (Eckhard Böttger ist 2010 verstorben.)

 

Aufrufe: 1750

2 Gedanken zu „Krautige Briefkost“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

%d Bloggern gefällt das: