Ein Koch kommt selten allein. Jedenfalls in Berlin. Wo einer ist, taucht bald der nächste auf – divenhaft, denn Köche sind Künstler. In unserer Kneipe waren es seinerzeit plötzlich vier. Seither sind paradiesische Verhältnisse im Szene-Klüngel ausgebrochen. Kulinarisch gesehen. Aber Kultstatus hatte nur einer:
Mein Kochfreund Andreas war einst widerwillig Sohn eines berühmten Philosophen, dann Bibliothekar, aus Opposition Waldarbeiter, Krankenpfleger, Koch, Kneiper, Aussteiger und Lebemann. Heute streut der eher unfreiwillige Privatier lukullische Geschenke wie Perlen unters Volk und sammelt dabei Seelen. Schöne, traurige, schwache, manchmal auch reiche. Wenn der Kurze, Runde im Kiez auftaucht, ist sein Fanclub nicht weit. Vier, fünf allein stehende späte Mädchen. Andi steht und bleibt allein und hat doch alles, was Mann braucht. Seit ein paar Jahren ist er aus den Profiküchen verbannt. Der Kochstress und das viel zu gute Leben haben ihm fünf Bypässe und zwei Herzinfarkte beschert. Trotzdem kann der Mann das exzessive Nachtleben nicht lassen. Zu schön sind die Auftritte bei Kerzenlicht, die nett servierten Histörchen, die glänzenden Augen der Zuhörerinnen. Mit jedem Kuba Libre versprüht der Fastfünfziger Charme vom Feinsten. Anders, wenn er kocht. Dann kann er schon einmal ein wenig altväterlich wirken. Einmal hantierte er für ein Fest in unserer Küche und bat dazu um Handwerkszeug. Genervt prustete er: „Das nennst du ein Messer?“ Dem köchlichen Entsetzen folgte der mild-nachsichtige Spruch: „Weißt du, wenn du einmal 50 Euro übrig hast, gehen wir ein ordentliches Messer kaufen. Dann hast du ‘was fürs Leben.“ Zwei Jahre lang habe ich mir den Spruch immer wieder angehört. Jetzt haben wir ein „Messer fürs Leben“, und Andreas bekehrt indes den nächsten Kiezbewohner vom „Kaisermesser“ zur „Profischneide.“
Berühmt ist Andreas nicht nur für seine herzhaften Salate. Die aber haben es mir besonders angetan. Nie aß ich bisher einen Mohrrübensalat, der nussig-kräftig-herb und nicht schlabberig-rübensüß schmeckt: Ein absolutes Salat-Highlight, das ich einfach nicht mehr missen wollte. Da man aber bei dem launigen Köchlein nie weiß, wann sein letztes tollkühnes Stündlein schlägt, musste ich einfach das Rezept erfragen (in der Hoffnung, dass seine Freunde es lange noch nicht „Andis Gedächtnissalat“ nennen müssen!):
Andis Mohrrübensalat:
Mohrrüben in Essigwasser so lange kochen, bis sie gerade noch Biss haben. In streichholzstarke Längsstreifen schneiden, die anschließend in etwa 4 cm lange Stücken. Salzen, pfeffern, viel (unbedingt) glatte Petersilie, gehackter Knoblauch, halbe Wallnüsse und Öl. (Rassig herb!)
Und es gibt noch einen bemerkenswerten:
Andis Linsensalat:
Teller-Linsen in blankem Wasser aldente kochen. Abkühlen lassen, Zwiebeln, Schluppen, glatte Petersilie, marinierten Paprika samt Flüssigkeit, Pfeffer grob, Zucker, Kräuter der Provence, Knoblauch mit Salz verstampft, Mandeln, Nüsse, Balsamico und Olivenöl. (Rustikal und preiswert!)

Zeichnung:
Petra Elsner
aus “Die Mappe meiner Großmutter”, hangebundenes, limitiertes Künstlerbuch.
PS: Leider ist Andreas inzwischen wirklich verstorben.
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